Berkshire ohne Buffett


Die weltgrößte Holdingfirma verliert ihr Aushängeschild. Wie geht es weiter?

01.06.2025

Buffetts Anfänge | Berkshire Hathaway | Die Zukunft
(15 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Berkshire Hathaway ist die wertvollste Holdingfirma der Welt. Sie besitzt über 70 Tochterfirmen und über 30 große Aktienpositionen.
  • Mit ihrem einzigartigen Erfolg seit den 1960ern hat sie neben wirtschaftlicher auch kulturelle Bedeutung erlangt: Ihre Jahresversammlungen geraten zum Event; ihre Investitionen bewegen Märkte.
  • Im Zentrum steht CEO Warren Buffett. Als “Orakel von Omaha” hat er eine Reputation als erfolgreichster Investor der Moderne erlangt und fungiert als Investment- und Management-Guru.
  • Buffett hat nach 60 Jahren an der Spitze seinen Rücktritt für Ende 2025 angekündigt.
  • Für seinen Nachfolger Greg Abel stellt sich die Frage, wie es mit Berkshire weitergehen soll.
  • Drei große Fragen: Wie geht Berkshire mit dem Technologiesektor um? Wie verfährt es mit einem riesigen, bislang nicht eingesetzten Geldberg? Und wie sehr wird die Firma darunter leiden, den “Buffett-Effekt” in der öffentlichen Wahrnehmung zu verlieren?

Buffetts Anfänge_

(4 Minuten Lesezeit)

Sämtliche der wertvollsten Firmen heutzutage sind Techriesen oder saudi-arabische Ölgiganten. Sämtliche? Nicht ganz: Eine Beteiligungsgesellschaft reiht sich auf Platz 10 ein: Berkshire Hathaway. Das Unternehmen hat heute über 1 Billion USD Börsenwert und ist doch vor allem durch seinen CEO bekannt: Warren Buffett, aufgrund seines einzigartigen Investitionserfolgs als “Orakel von Omaha” bezeichnet. Buffett machte Berkshire zu dem, was es heute ist, und hat einen popkulturellen Einfluss wie wohl kein anderer Investor der Moderne. Doch nun hat er seinen Rückzug bis Jahresende angekündigt. Das wirft die Frage auf, wie es mit der wichtigsten Beteiligungsgesellschaft der Welt weitergeht. Und… was genau tut sie eigentlich?

From Riches to Riches

Warren Buffett wurde 1930 in Omaha, Nebraska, geboren, inmitten der “Great Depression”, jener Finanzkrise, welches bis heute das kataklysmischste Ereignis in der Finanzgeschichte darstellt. Sein Leben ist beileibe keine “rags to riches”-Story über einen Emporkömmling, sondern passt sich eher in das Bild ein, dass erfolgreiche Menschen meist aus günstigen Umständen stammen: Buffetts Vater war Kongressabgeordneter, Geschäftsmann und selbst an der Börse aktiv; er kultivierte früh das erkennbare Interesse seines Sohnes am Aktienmarkt und Unternehmertum. Schon mit sieben Jahren leihte der junge Buffett sich das Buch “Eintausend Wege, 1.000 Dollar zu machen” und begann Kaugummis, Softdrinks, Zeitungen und weiteres zu verkaufen. 1947 investierte er mit einem Freund 25 USD (heute: 455 USD), um eine Pinball-Maschine in einem Friseursalon zu platzieren; binnen einiger Monaten waren es drei Maschinen. Im selben Jahr verdiente er (umgerechnet) mindestens 91.000 USD, als 17-Jähriger wohlgemerkt. Zwei Jahre später hat er mindestens 180.000 USD an Ersparnissen angehäuft. Keine Rags to Riches.

Gut zu wissen: Dieser Explainer wird bei Beträgen von nun an standardmäßig die heutige Umrechnung angeben. Die Inflationsrate in den USA zwischen 1944 und April 2025 beträgt übrigens 1.722,7 Prozent oder 3,66 Prozent pro Jahr.

Neben seiner Begeisterung für das Unternehmertum war Buffett auch früh mit dem Aktienmarkt vertraut. Mit 11 Jahren kaufte er sich seine erste Aktie und seiner Schwester gleich dazu. Nach einem Studium, zu welchem Buffett offenbar von seinem Vater gedrängt werden musste, heuerte er bei der Investmentfirma seines Vaters an und arbeitete dann bis 1969 in wechselnden Investmentfirmen und Hedgefonds. Eine zentrale Inspiration für ihn wurde Benjamin Graham, ein britisch-amerikanischer Ökonom, Finanzanalyst und Professor.

Graham gilt als Vater des “Value Investings”, welches einen relativ einfachen Grundsatz formuliert: Investoren sollen Firmen auf ihre fundamentale Gesundheit hin abklopfen – (operative) Profite, Cashflows, Schuldenquoten, die qualitative Bewertung des Managements und so weiter – und dann Firmen kaufen, welche relativ zu ihren fundamentals derzeit am Aktienmarkt sehr niedrig bepreist werden. In diesen bleiben sie dann langfristig investiert, damit sich die fundamentale Stärke, die man der Firma diagnostiziert hat, über genügend Zeit äußern kann. Grahams Strategie bezog sich jedoch ausdrücklich darauf, kriselnde Firmen für sehr günstige Preise zu kaufen. Dem folgte Buffett anfangs, doch später sollte er seine Interpretation des Value Investings um ein “Quality Investing” ergänzen – dazu nachher mehr.

Buffetts frühe Aktivitäten an den Finanzmärkten waren häufig erfolgreich und nicht selten sehr erfolgreich. Er führte eigene Investmentfonds und bis 1962 hatte er davon elf Stück. Dank seines Hauptvehikels, der Buffett Partnership, wurde er im selben Jahr Millionär – was heute knapp 10,6 Millionen USD entspricht. Er erreichte die Marke mit 32 Jahren und damit zwei Jahre später, als er sich mit 13 vorgenommen hatte. Vom höchsten Gebäude in Omaha warf er sich entgegen seiner früheren Ankündigung trotzdem nicht.

Und Berkshire Hathaway? War zu diesem Zeitpunkt eine bescheidene Textilfirma.

Buffett trifft Berkshire

Buffett wurde 1962 auf Berkshire Hathaway aufmerksam, eine Textilfirma, die zu ihrem Höhepunkt 15 Werke mit 12.000 Mitarbeitern und 120 Millionen USD Umsatz verbuchen konnte, zuletzt aber in eine Krise geriet. Buffett erkannte eine Gelegenheit und übernahm 7 Prozent an der Firma. Eigentlich ging es ihm nur um schnellen Profit, denn das Textilgeschäft hatte wenig Zukunftspotenzial. Buffett wollte seinen Anteil wieder an Berkshire zurückverkaufen, doch CEO Seabury Stanton schien von einer mündlichen Einigung abzurücken und bot einen niedrigeren Preis als abgemacht: 11,375 USD pro Aktie statt 11,50 USD. Das verärgerte den Investor dermaßen, dass er in den Rückwärtsgang schaltete: Statt Berkshire-Aktien zu verkaufen, kaufte er sich aggressiv in die Firma ein, übernahm die Kontrolle und zwang Stanton und dessen Sohn zum Abtritt.

Buffetts wütendes Manöver machte ihn zum Eigentümer einer kriselnden Textilfirma. Er nannte es später den größten Investitionsfehler seines Lebens: Da er das Geld in Berkshire steckte und einige Jahre lang am Textilgeschäft festhielt, statt direkt in jene profitableren Geschäfte zu investieren, in welche er es später tat, seien ihm Zinseszinseffekte über 200 Milliarden USD entgangen. Das rechnete er 2010 vor, wohlgemerkt; heute wären das allein inflationsbereinigt bereits 300 Milliarden. Ein seltener emotional statt strategisch getriebener Einstieg wurde also zu einer der größten Fehlentscheidungen für Buffett – und brachte ihm zugleich jene Firma ein, mit welcher sein Lebenswerk heute verwoben ist.

Berkshire Hathaway_ 

(8 Minuten Lesezeit)

Zhang Yiming auf dem Cover des Magazins CEO, chinesische Edition, 2021. Quelle: wikimedia

Vom Textilunternehmen zum Investmentriesen

Die Textilfirma blieb noch knapp 20 Jahre lang eine Textilfirma, doch das operative Geschäft rückte zunehmend in den Hintergrund. Stattdessen wandelte sich Berkshire Hathaway in Buffetts zentrale Beteiligungsgesellschaft: Ein Holdingunternehmen, welches andere Firmen kauft oder in sie investiert. Einnahmen erhält die Gesellschaft wahlweise aus dem operativen Geschäft ihrer Firmen (wenn sie diese direkt kontrolliert), aus Dividendenzahlungen (wenn die Portfoliofirmen Geld an ihre Eigentümer ausschütten) oder indem sie ihre Anteile zu einem höheren Preis verkauft, als sie sie gekauft hatte.

Letzteres tat Buffett dabei eher ungern: Er bezeichnet seine Anlagephilosophie als “buy and hold”, also “Kaufen und Halten”. Langfristige Investitionen in fundamental starke Firmen anstelle schneller spekulativer Rendite. Auch wenn Berkshire seine Anteile nicht verkauft, zeigt sich deren Wertzugewinn in der eigenen Bilanz. Das wachsende Aktienportfolio macht Berkshire also wertvoller, selbst wenn es nicht direkt zum Cashflow beiträgt – dafür bleiben die anderen zwei Wege, also operative Einnahmen und Dividenden.

Der Virtuose der Old Economy

Buffetts frühere Investitionen hatten dabei aus heutiger Sicht einen nahezu anachronistischen Anstrich und waren zugleich breit gefächert. Berkshire kaufte beispielsweise die Süßigkeitenfirma See’s Candies im Jahr 1972, die Zeitung Buffalo Evening News im Jahr 1977 und den Möbelhändler Nebraska Furniture Mart im Jahr 1983. Es folgten Schuhhändler, ein Anbieter von Pilotentrainings, Uniformhersteller, Juwelierketten, die Fastfoodkette Dairy Queen und auffällig viele Möbelhersteller – nicht unbedingt die Säulen, auf welchen man die heute zehntwertvollste Firma der Welt erwarten würde. Mit der Zeit wurden es auch größere Namen: Wells Fargo (1989), American Express (1991) und Coca-Cola (1998) traten dem Portfolio bei. Überall, wo der Value Investor Buffett unterbewertete Firmen erkannte, schlug er zu.

Alleine war er dabei nicht. Der Investor Charlie Munger wurde früh zu seinem wichtigsten Partner. Die beiden hatten sich 1959 kennengelernt und in den 1970ern geriet er über einen Zukauf in das Berkshire-Konglomerat. Von 1978 bis zu seinem Tod im Jahr 2023 leitete er Berkshire neben Buffett als Vizevorstandsvorsitzender, prägte maßgeblich die Investmentstrategie des Hauses und wurde zum großen Gesicht neben Buffett. Er verstarb mit 99 Jahren. Sein womöglich größter Beitrag zu Berkshires Investmentphilosophie lässt sich in folgendem Zitat zusammenfassen: “Kaufe wundervolle Unternehmen zu fairen Preisen, statt faire Unternehmen zu wunderbaren Preisen”. Anders gesagt: Nicht nur à la Benjamin Graham nach günstigen Firmen suchen, sondern nach gut gemanagten, gesunden Firmen mit starker Wettbewerbsposition – und für sie auch dann zahlen, wenn ihr aktueller Preis fair und nicht günstig ist. Die Qualitätslogik neben dem Value Investing.

Gut zu wissen: Die Verbindungen zwischen Buffett und Munger gehen noch weiter zurück: Munger arbeitete als Teenager im Supermarkt von Buffetts Großvater. Und wie schon Buffetts Vater war auch Mungers Großvater ein Abgeordneter.

Die Versicherer und der Float

Heute ist Berkshire in 36 großen amerikanischen Firmen investiert und kontrolliert eigens über 70 Firmen als Tochtergesellschaften, wobei die genaue Zahl davon abhängt, wie man bestimmte Entitäten trennt. Das Investmentportfolio ist breit gefächert, wenn auch nicht gerade der Inbegriff der Diversifikation, und besitzt inzwischen eine Reihe prominenter Namen aus Branchen wie Energie, Medien, Technologie und mehr. Die direkten Berkshire-Tochtergesellschaften haben dagegen noch immer eher den Anstrich der physisch greifbaren “Old Economy”: Bauunternehmen, Kleidungshersteller, Motorräder, Netzanbieter und weiterhin mehrere Möbelhersteller sowie Dairy Queen. Der Fokus liegt allerdings auf… Versicherern.

Buffett schien sich früh in das Versicherungsgeschäft zu verlieben. Schon Berkshires allererste Investition 1967 war eine Versicherungsfirma namens National Indemnity Company, für heute umgerechnet 83 Millionen USD. 1976 begann er in die große Fahrzeugversicherung GEICO zu investieren, bevor er sie 1996 komplett übernahm. Mit Gen Re folgte 1998 sein erster Rückversicherer, also ein Versicherer für Versicherungen. Heute haben 20 der Berkshire-Tochtergesellschaften mit dem Versicherungsgeschäft zu tun; die letzte kam 2022 mit der Alleghany Corporation hinzu.

Was Buffett besonders an dem Versicherungsgeschäft gefiel, war der “Float” (in etwa: das schwebende Kapital). Das bezeichnet das ungebundene, sofort verfügbare Kapital, welches die Versicherung besitzt, nachdem sie ihre Prämien erhalten hat, doch bevor sie in Schadensfällen auszahlen muss. Indem Buffett Versicherungen direkt in sein Konglomerat übernahm und operativ steuerte, konnte er den Float für andere Investments nutzen. Das Versicherungsgeschäft stellte für ihn im Grunde riesige zinslose Kredite dar: Er konnte die Prämien der Kunden einsetzen, um Rendite zu erzielen, bevor sie in Schadensfällen Anspruch anmeldeten, sprich, den “Kredit zurückforderten”. Das Liebesverhältnis zwischen Berkshire und Versicherungen ist damit durchaus intuitiv.

Buffett schreckt vor Tech zurück

Ein Feld, welchem Buffett dagegen lange fern blieb, war der Techsektor. Schon 1994 hatte er die Gelegenheit erhalten, in den Online-Buchhändler Amazon zu investieren, doch er lehnte ab – er sei “zu dämlich” gewesen, so der Investor später über sich selbst. Erst 2019 schaffte es die inzwischen zum Techgiganten geratene Firma ins Portfolio. Sein allererstes Tech-Investment geschah nicht viel früher: Apple im Jahr 2016. Auch hier räumte Buffett später ein, zu lange gezögert zu haben. Heute ist Apple Berkshires größte Einzelposition mit 75 Milliarden USD Wert; die Beteiligungsfirma hält 2,01 Prozent am Techriesen und ist damit Apples sechstgrößter Investor (hinter Vanguard, BlackRock und weiteren).

Buffetts Skepsis gegenüber dem Techsektor lässt sich vor dem Hintergrund seiner Liebe zu Versicherungen lesen. Wo die Versicherungen ihm direkt einsetzbaren “Float” liefern, bedeuten Techfirmen in ihrer Frühphase aufgrund ihres hohen Risikoprofils uneindeutige Überlebens- und Wachstumschancen. Sie machen zudem hohe Verluste, um ihr rasantes Wachstum oder ihre teuren Produkte zu finanzieren. Statt Berkshire mit ihrem Cashflow zinslose Kredite für weitere Investments zu liefern, würden junge Techfirmen eher zu “Schuldnern” geraten und Kapital absaugen.

Das könnte theoretisch erklären, warum Buffett in den 1990ern so skeptisch auf die Branche blickteDass er sich noch weitere 25 Jahre komplett von ihr fernhielt, hängt aber wohl auch mit Präferenz und Buffetts persönlichen Stärken und Schwächen zusammen: Er besaß einfach kein gutes Verständnis für die Innovationszyklen im Techsektor; dafür, welche Wettbewerbsvorteile wahrscheinliche Gewinner und Verlierer trennte; und wie sich die Wettbewerber überhaupt genau voneinander unterschieden. Das räumte er bereits 2005 selbst völlig offen ein. Er erklärte auch, dass er stabile Geschäftsmodelle präferiere, doch der Techsektor auf Veränderung aufgebaut sei. Und Veränderung sei “wahrlich der Feind des Investoren”. Buffetts Investitionen in Apple und Amazon bedeuten weniger eine Abkehr von dieser Philosophie als eine Anerkenntnis, dass die großen Techriesen heute reichlich etabliert und vorhersehbarer geworden sind. 

Das moderne Berkshire basiert zusammengefasst laut Buffett auf “vier Giganten. Das Versicherungsgeschäft, der große Eisenbahnbetreiber BNSF, die große Energiefirma Berkshire Hathaway Energy (früher MidAmerican Energy) und der Anteil an Apple.

Erfolgreich wie kaum jemand anderes

Berkshires Erfolg lässt sich an einer Reihe von Metriken ablesen. Die Firma ist, wie wir schon erwähnten, derzeit die zehnwertvollste nach Marktwert mit über 1 Billion USD. Nach Umsatz schafft sie es auf Platz 6, mit 415 Milliarden USD (mehr als der gesamte VW-Konzern). Und nach Profit ebenso auf Platz 6 mit 105 Milliarden USD. Die Zahlen sind jeweils auf die letzten vier Quartale bezogen. Über 392.000 Menschen arbeiten für Berkshires Tochterfirmen; in der Zentrale selbst sind wiederum nur 27 Menschen angestellt. Während der amerikanische Leitindex S&P 500 in den 60 Jahren seit 1965 eine effektive Jahreszuwachsrate von 10,4 Prozent verbuchte, schaffte Berkshire 19,9 Prozent. Warren Buffetts persönliches Vermögen (als Funktion des Berkshire-Erfolgs) schätzt Forbes auf rund 158 Milliarden USD, was ihn zum fünftreichsten Menschen der Welt machen würde.

Gut zu wissen: Trotz seines Reichtums lebt Buffett einen verhältnismäßig simplen Lebensstil, zumindest im Vergleich zu anderen Milliardären: Sein Familienleben ist unauffällig, besonders luxuriöse Hobbys sind nicht bekannt und er lebt seit 1958 im selben Haus. Er versprach Spenden in Milliardenhöhe, vor allem an die Bill & Melinda Gates Foundation, und hat an diese seit 2006 offenbar bereits über 36 Milliarden USD gegeben. In den frühen 2000ern ließ er sogar einen Hang zur Sozialdemokratie erkennen: Er beklagte, dass Reiche wie er zu wenig besteuert würden und sprach, womöglich etwas übertreibend, von “Klassenkampf“, welchen leider “seine Klasse” führe und gewinne.

Investor oder Lifestyle-Ikone?

Der Erfolg hat Berkshire eine kulturell einzigartige Rolle in der Finanzwelt verpasst. Die Jahresversammlung der Firma wird häufig als “Mekka” für Unterstützer des Value Investings oder “Woodstock for Capitalists” bezeichnet und nimmt regelrechten Eventcharakter an. Rund 40.000 Menschen nahmen an der letzten teil, horchten Buffetts (und bis 2023 Mungers) Reden und kauften Merchandise. Wer online (nicht lange) sucht, findet Blogbeiträge, in welchen die Autoren über ihre erste Berkshire-Versammlung schwärmen und sie als “Pilgerfahrt” bezeichnen, in welcher es längst nicht nur ums Investieren gehe, sondern darum, über das Leben zu lernen.

Buffett selbst ist nicht einfach nur Teil dieses popkulturellen Phänomens, sondern steht in seinem Zentrum. Berkshire ist eine zutiefst personalisierte Firma. Buffett, Spitzname “Orakel von Omaha”, gilt vielen als der Archetyp des erfolgreichen Investors; er nimmt im medialen Raum eine Funktion als Investment- und Management-Guru ein. Sei es, wenn er Kryptowährungen kritisiert, Privatanlegern günstige ETFs anstelle komplexer Investmentstrategien empfiehlt oder CEOs mit Managementweisheiten ausstattet: Buffetts Wortäußerungen werden immer als relevant empfunden. Und wenn Buffett (oder Berkshire) in eine Firma investiert, bringt das derart viele Investoren zum Nachmachen, dass es einen marktbewegenden Effekt besitzt. Sein scheinbares Verschlafen der Tech-Ära verzeihten ihm die Analysten und Aktionäre, da Berkshire trotzdem stark abschnitt und irgendwann zumindest bei Apple und Amazon aufsprang.

Über die Jahrzehnte gab es dabei stets den Verdacht, dass Buffett “unfaire” Vorteile genutzt haben könnte, etwa Insider-Informationen. Das ist denkbar, nicht zuletzt, da Unternehmensinformation in den ersten Jahrzehnten seiner Tätigkeit noch asymmetrischer verfügbar war (allein schon, da es kein Internet gab). Große, konkrete Hinweise darauf gibt es allerdings nicht. Die größte Erklärungskraft für seinen Erfolg dürften also die “offiziellen” Gründe haben: Eine erfolgreich umgesetzte Anlagestrategie; der smarte und damals einzigartige Einsatz von Versicherungs-“Float”, um die eigene Kapitalbasis zu hebeln; ein wohlhabender Start; und viele Jahrzehnte an Zeit. In Buffetts eigenen Worten: “Mein Erfolg stammt aus einer Kombination davon, in Amerika zu leben, glückliche Gene zu haben und Zinseszinseffekten.”

Gut zu wissen: Buffett und Munger hoben stets hervor, wie wichtig es ihnen ist, dass Firmen ethisch operieren. Buffett selbst könnte jedoch gegen die Berkshire-Ethikregeln verstoßen haben, so eine ProPublica-Recherche 2023. Demnach habe er in seinem persönlichen Portfolio Aktien gehandelt, welche Berkshire später gekauft oder verkauft hat.

Die Zukunft_ 

(3 Minuten Lesezeit)

Der neue Buffett: Greg Abel. Quelle: CEO Today

Die Post-Buffett-Ära

Warren Buffett ist inzwischen 94 Jahre altSeit langem hing somit die Frage der Nachfolge über den Köpfen von Berkshire Hathaway. Buffett und Munger machten lange keine Anstalten, abtreten zu wollen. Doch 2023 verstarb Munger mit 99 Jahren und Anfang Mai 2025 entschied Buffett, sich gesundheitsbedingt bis Ende des Jahres zurückziehen zu wollen. In der letzten Minute der 60. Aktionärsversammlung verkündete er das, praktisch nebenbei und offenbar auch für den Verwaltungsrat von Berkshire und den designierten Nachfolger überraschend.

Der designierte Nachfolger war derweil lange bekannt, denn Buffett hatte ihn schon 2021 vorgestellt: Greg Abel, 62 Jahre alt. Er geriet 1999 über eine Übernahme in den Berkshire-Kosmos, wurde 2008 der CEO von Berkshire Hathaway Energy und 2018 dann Vizevorstandsvorsitzender für alle nicht-Versicherungsgeschäfte. Zu Jahresende 2025 wird er CEO der gesamten Holdingfirma. 

Analysten blicken insgesamt positiv auf Abel. Er gilt als erfahren und kompetent; ist seit Jahren ohnehin in die Führung eingebunden und hat laut einigen Beobachtern mehr Kenntnis über Berkshires Tochterfirmen als Buffett, womit er etwas mehr operativen Einfluss nehmen könnte, als es der bisherige CEO tat. Für den Umgang mit dem wichtigen Versicherungsgeschäft hat Abel den Vizevorstandsvorsitzenden Ajit Jain an der Seite. Drei miteinander verbundene große Fragen bleiben allerdings: Erstens, wie wird es Berkshire betreffen, wenn Warren Buffett als “übermenschliche” Persönlichkeit nicht mehr an der Spitze existiert? Zweitens, inwiefern wird Abel die Investmentphilosophie des Unternehmens abändern? Und drittens, wie wird er den gigantischen Geldberg einsetzen?

Der Berg

Berkshire sitzt heute auf Bargeldbeständen von 347,7 Milliarden USD, eine nach jedem Maßstab gigantische Summe. Ein Drittel des gesamten Marktwerts ist damit ungebunden; auch das eine äußerst ungewöhnliche Größenordnung. Der Berg ist über Jahre angewachsen, in welchen Buffett beklagte, keine passablen Investitionsziele ausmachen zu können. Statt also in halbgare oder ungewohnt riskante Aktien bzw. Übernahmeobjekte zu investieren, investierte Buffett einfach gar nicht. Eines Tages werde Berkshire “mit Gelegenheiten bombardiert, bei welchen wir uns freuen, das Geld für sie zu haben”, so Buffett.

Die Aktionäre hinter Berkshire Hathaway waren nicht immer von der Erklärung überzeugt: Sie sahen das herumliegende, nicht investierte Geld mitunter als Schwäche an; als nicht realisierte Rendite. Einige unterstellten Buffett, nicht mehr mit der Zeit gehen zu können und vom Techsektor abgehängt zu sein; andere wünschten sich einfach ein wenig mehr Risikotoleranz. Auf Greg Abel wird umso mehr Druck lasten, das Geld abzutragen und einzusetzen; er wird nicht dieselbe Autorität wie Buffett besitzen, sich permanent gegen die Forderung stellen zu können. Aktionäre könnten auch Druck auf ihn machen, erstmals eine Dividende auszuzahlen – Buffett verweigerte das stets – oder durch häufigere Aktienrückkäufe Geld an sie zu spülen.

Kontinuität oder Umerfindung?

Abel und das neue Berkshire stehen also vor der Frage, ob sie an den bisherigen Investmentpraktiken festhalten sollen – auch wenn der “goldene Finger” von Warren Buffett fehlt – oder die Schwelle für passable Investitionen tiefer zu legen bereit sind. Dazu kommt die konkrete Frage nach dem Umgang mit Technologiewerten: Berkshire ist noch immer kaum im Techbereich aktiv; mit hochmodernen Feldern wie KI hat es nur über seine Anteile an Apple und Amazon etwas am Hut. Andersherum hat Berkshire viel Exponiertheit zu Kohlekraftwerken – und zwar besonders schmutzigen. Sollten sich die klimapolitische Präferenzen in den USA ändern, könnte das auch diesen Aspekt des Berkshire-Portfolios mit Fragezeichen versehen.

Wie das neue Berkshire aussehen wird, ist damit schwierig zu sagen. Vermutlich werden erste Änderungen graduell sein, da Abel seinen Rhythmus finden muss und auch, da Buffett aus dem Off weiter Einfluss nehmen könnte. Womöglich beginnt die Bastion des vorsichtigeren, langfristigen Investierens in einer Welt schnellwachsender Techaktien und spekulativer Kryptowährungen dann aber doch, sich einen neuen Anstrich zu geben. Vielleicht, weil sie es für notwendig oder sinnvoll erachtet; vielleicht, weil ihre Aktionäre nicht mehr zu jener Geduld bereit sind, welche sie dem Orakel von Omaha entgegengebracht hatten.

Weiterlesen

Andere Explainer zu einzelnen Unternehmen
TikTok: Gefahr oder Schreckgespenst (2025)
Wird die Commerzbank gekauft? (2024)
Die Krise bei VW (2024)
Novo Nordisk und das Ende der Adipositas (2024)
Apple am entscheidenden Moment (2024)
Nvidia auf dem Gipfel (2024)
OpenAI und der Streit um die Zukunft der KI (2023)

Scroll to Top