Der Monat im Rückblick: Oktober 2023

Das Monatsreview mit mehreren Mini-Explainern: 

Der wichtigere Krieg | Wahlen | Weltwirtschaft | Quartalszahlen

(insgesamt 15 Minuten Lesezeit)

Der wichtigere Krieg_

(7 Minuten Lesezeit)

Die Frontlinie in der Ukraine am 3. Oktober Quelle: Institute for the Study of War

Turbovariante: Der Krieg in der Ukraine bleibt so wichtig wie zuvor. Geht es darum, einen russischen Erfolg zu verhindern, ist anhaltende westliche Unterstützung zentral.

Zwei große Kriege beherrschten den Oktober, der Nahostkonflikt und der Ukrainekrieg. Einer ist soeben ausgebrochen, der andere droht, zum Hintergrundgeräusch zu geraten. Über den Krieg in Israel und dem Gazastreifen haben wir bereits sehr viel geschrieben – vier große Nahost-Explainer dominierten den Oktober (Linkliste unten). Der Ukrainekrieg tauchte mit verringerter Priorität auf. Das ist nachvollziehbar in Anbetracht der Tatsache, dass der Nahostkrieg ein politischer “Dauerbrenner” ist, die Vorgänge sehr dynamisch waren, sehr viel (Bild-)Material aus der Region kam und ein spektakulärer Terroranschlag den Startschuss bot. Eine Tatsache bleibt jedoch: Der Ukrainekrieg ist wichtiger.

Was den Ukrainekrieg besonders macht

Ein “Ranking” von Katastrophen mag zynisch wirken, doch es erscheint der whathappened-Redaktion an dieser Stelle einfach vorzunehmen und der Erinnerung halber nützlich. Der Ukrainekrieg verpasste Nahrungsmittel- und Energiemärkten weltweit einen Schock, peitschte eine globale Lebenshaltungskostenkrise überhaupt erst an und sorgte damit für Fluchtbewegungen, politische Instabilität und Punkte für populistische Parteien (wer es konkreter möchte, findet zum Beispiel zur Krise in Sri Lanka eine einfache Verbindung). Allein aus der Ukraine, wo es weniger um Lebenshaltungskosten als um massiven Raketenbeschuss ging, flohen 6 Millionen Menschen; weitere 8 Millionen sind inländisch vertrieben.

Das investierte Waffenmaterial und seine kollektive Zerstörungskraft stellen jeden anderen heutigen Konflikt in den Schatten. Mindestens 10.000 Zivilisten wurden getötet, doch das ist nur die bestätigte Zahl, womit die russisch besetzten Gebiete – Hauptschauplatz aller Kampfhandlungen – zur absoluten Dunkelziffer werden. Dazu kommen schätzungsweise 300.000 tote und verletzte Soldaten auf russischer Seite und rund 200.000 auf ukrainischer Seite, so Schätzungen der USA aus August. 

Der Ukrainekrieg führte zu einer nachhaltigen Umstrukturierung der globalen Politik und Wirtschaft. Der Westen verhängte massive Sanktionen gegen Russland, welches sich China, Iran und Nordkorea zuwandte. Diese neue Achse versucht den Schulterschluss mit einem politisch heterogenen “globalen Süden” (den Entwicklungs- und Schwellenländern der Welt). Währenddessen stoßen Schweden und Finnland zur NATO hinzu; mehrere Staaten wenden sich der EU zu und Venezuela oder Saudi-Arabien werden für die USA und Europa wieder zu Gesprächspartnern. Globale Güter- und Rohstofflieferketten verbiegen sich auf einmal entlang politischer Trennlinien. Die Rüstungsindustrie im Westen blüht auf und Russland geht in die Kriegswirtschaft über. Die Balten, Polen und Moldauer fühlen sich akut bedroht. Kasachstan rückt von Russland ab. Aserbaidschan nutzte den Moment, um Bergkarabach zu erobern.

Der erste Versuch seit Jahrzehnten, sich unilateral das unumstrittene Gebiet eines Nachbarstaates einzuverleiben, war ein Tabubruch, doch einer, welcher Nachahmer finden könnte. Chinas Ambitionen gen Taiwan sind kein Geheimnis und werden von dem Land auch nicht dementiert. Dass Peking den Ukrainekrieg genau beobachtet, ist gesichert. Das Verfehlen der russischen Kriegsziele und die unerwartet energische Reaktion eines müde gedachten Westens dürften so viel zur Abschreckung Chinas beigetragen haben wie wenig anderes in den vergangenen Jahren. Das entscheidet maßgeblich, welchen Pfad das 21. Jahrhundert nehmen wird.

Der verlangsamte Krieg

Ein Grund, warum der Ukrainekrieg etwas in den Hintergrund gerückt ist, ist die Verlangsamung an der Front und ein vorläufiges Ende einer “Eskalationsspirale” bei der militärischen Unterstützung, welche beide zu einem Gewöhnungseffekt bei Beobachtern führen. Erst einmal zweiteres: Anderthalb Jahre lang ging es im westlichen Diskurs um immer neue Waffensysteme, welche an die Ukraine geliefert werden könnten: Erst um mehr Defensivgerät, dann um Artilleriegeschütze, Raketenwaffen, Schützenpanzer, Kampfpanzer, Kampfjets und zuletzt Raketen (bzw. Marschflugkörper) mit mehr Reichweite. Inzwischen gibt es allerdings kein “glänzenderes” Gerät, was versprochen werden könnte. Hilfspakete in abstrakten Milliardensummen, voll mit Munition und Ersatzgerät, haben nicht dieselbe Wirkung im medialen und gesellschaftlichen Diskurs im Westen. Dasselbe gilt für hochspezialisierte technologische Lösungen, z.B. moderne Minensuchgeräte, deren Wirksamkeit für die breite Öffentlichkeit schwierig nachzuvollziehen sind. Einige Beobachter, darunter Politikwissenschaftler Carlo Masala, argumentieren andersherum: Kleinteilige Debatten über immer neue Waffensysteme hätten die Öffentlichkeit ermüdet und zu hohe, regelmäßig enttäuschte Erwartungen über schnelle Kriegserfolge geweckt.

Der größere Grund ist die Lage an der Front. Ob und wann sich eine Offensive für gescheitert erklären lässt, ist eine uneindeutige Kunst, doch feststeht, dass die ukrainische Sommeroffensive bisher die Erwartungen verfehlt hat. Das räumt auch Kiew selbst ein. Die Ukraine wollte einen Keil durch die russischen Besatzungen in Saporischschja schlagen und damit die Lage im besetzten Cherson sowie auf der Krim unhaltbar machen. Berdiansk oder Melitopol waren die Ziele. Als sich abzeichnete, dass das nicht gelingen würde, wurde es Tokmak, ein Logistikknoten auf halber Strecke. Stand jetzt konnte die Ukraine jedoch lediglich einige kleinere Orte in Saporischschja, Donezk, um Bakhmut und, zuletzt, auf der besetzten Seite Chersons befreien.

Die wahrscheinlichen Offensivpläne der Ukraine in Saporischschja: Ein Durchbruch bis ans Asowsche Meer oder an die Krim (schwarze Pfeile). Karte aus unserem Explainer aus Juli 2023. Die Frontverläufe haben sich seitdem nur inkrementell verändert. Der mittlere gelbe Kreis links zeigt Tokmak, der untere Melitopol. Violette Rechtecke: Weitere interessante Orte am Frontabschnitt. Quelle: whathappened.io

Die Gründe sind zahlreich. Russische Minenfelder in spektakulärer Größe verlangsamten den Vormarsch und zwangen die Ukraine zum Strategiewechsel. Verteidigungsstellungen erwiesen sich als schwieriger zu überwinden als gehofft. Moskau hatte aus seinen Desastern der Vormonate gelernt und konterte ukrainische Offensivbemühungen effektiver. Munition für bestimmte Waffengattungen war stets knapp. Die NATO-Doktrin der “kombinierten Waffen”, in welcher Infanterie, mechanisiertes Gerät, Luftwaffe und Artillerie koordiniert agieren, war für die Ukraine zu schwierig umzusetzen (und in Anbetracht der Minenfelder womöglich fehl am Platz), also setzte sie auf langsame Infanterievormärsche.

Der Staffelstab wechselt

In den kommenden Monaten könnte nun Russland in die Offensive gehen, während sich die Ukraine ausruht und konsolidiert. Darauf deuten jüngste Großangriffe bei Awdiiwka in der Nähe von Donezk-Stadt hin, einer seit 2014 äußerst stark befestigten Hochburg der Ukrainer. Berichten zufolge setzt Russland wieder auf die kostenintensiven Menschenwellen-Attacken, wie schon bei der Eroberung von Bakhmut; nur, dass diesmal reguläre Truppen anstelle von mobilisierten Gefängnisinsassen in den “Fleischwolf” geschickt werden. Es gelingen inkrementelle Territorialgewinne, doch offenbar für horrende Kosten.

Die Wahrscheinlichkeit für eine große Veränderung an der Front ist gering. Wie die Ukraine wird sich auch Russland damit schwer tun, einen echten Durchbruch zu erzielen. Wahrscheinlicher wird es, wie in seiner Sommeroffensive 2022 und der Bakhmut-Offensive 2022/23, die Ukraine unter hohem Material- und Soldateneinsatz langsam aus ihren Stellungen herausquetschen. Ob das dann die Eroberung Awdiiwkas oder nur kleiner umliegender Dörfer, von welchen heute niemand außerhalb der Ukraine gehört hat, bedeuten wird, ist unklar.

Ein eingefrorener Konflikt wirkt tendenziell wie ein Vorteil für Russland. Das Land zeigt sich im Stellungskrieg geübt, wohingegen die Ukraine ihre größten Erfolge bislang im mobilen Manövrierkampf erzielte. Kiew benötigt außerdem westliche Unterstützung, um seinen Staatsbetrieb aufrechtzuerhalten und die Armee zu versorgen (auch wenn sie derzeit eine eigene Rüstungsindustrie hochzieht). Diese Unterstützung erscheint fragiler, wenn der Konflikt zum Hintergrundrauschen gerät und in den westlichen Demokratien aus der Prioritätenliste der Wahlbevölkerung schwindet. Zugleich ist Russland imstande, langfristig weitaus mehr Ressourcen zu mobilisieren als die Ukraine und stellt sein Land auf eine Kriegswirtschaft um.

Auch der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj erkennt das an. “Ein Stellungskrieg dauert lange und birgt enorme Risiken für die Streitkräfte der Ukraine und für den Staat”, erklärte er in einem Gastbeitrag im Economist, in welchem er außerdem eine “Pattsituation” einräumt – welche Präsident Zelensky schnell verärgert zurückwies, wohl, damit ein westliches Publikum darunter nicht verstünde, dass der Ukrainekrieg nicht mehr gewonnen werden könne.

Gut zu wissen: Im Grunde erklärte Saluschnyj in seinem Gastbeitrag sowie einem weiteren Essay, dass Russland und die Ukraine sich technologisch in ein Patt bewegt hätten: Beide Seiten könnten kaum noch oder nur unter schwersten Kosten signifikante Durchbrüche verbuchen, da die Defensivtechnologie beider Seiten zu wirksam sei. Seine Armee benötige also technologische Mittel, um das Kräftegleichgewicht zu kippen.

Der Westen hat es in der Hand

Ganz so eindeutig ist es nämlich tatsächlich nicht, dass die Zeit in Moskaus Hände spielt. Auch der Westen fährt derzeit seine Rüstungsproduktion hoch und der wirtschaftliche Druck auf Russland dürfte mit der Zeit zunehmen, wenn für Regierung und Zentralbank die Werkzeuge schwinden, die vielen Löcher in der Wirtschaft zu stopfen.

Und dann sollten Beobachter nicht vergessen, dass Kriege nicht immer in einem Augenblick entschieden werden. Ein Krieg besteht nicht aus einer Offensive, sondern aus vielen Offensiven und vielen Defensivkämpfen. Gelingt es, den Gegner nachhaltig zu schwächen, kann das langfristig mehr wert sein als schnelle Territorialgewinne. Denn eines Tages ist der Gegner dermaßen gestreckt, dass ihm die Ressourcen ausgehen, um die immer neuen Brandherde zu löschen – dann wird ein kriegsentscheidender Durchbruch möglich.

Darauf zielt etwa die monatelange ukrainische Abnutzungskampagne ab. Kiew setzt seine präzisen Raketen und Artilleriesysteme ein, um russische Kommando-, Lager- und Logistikstrukturen zu zerstören oder ins Hinterland zu zwingen; und es absorbiert verlustreiche russische Gegenattacken. Zugleich ist es wahr, dass sich jeder Krieg am Ende des Tages an Territorialveränderungen messen muss – Abnutzung der Abnutzung willen also sinnlos ist – und dass wir fundamental nicht wissen, ob die “Abnutzungsbilanz” der Ukraine positiv ist und ob sie positiv genug ist, um einen übermächtigen Gegner wie Russland langfristig niederzuringen.

Die einst unmöglich gedachten Chancen der Ukraine auf einen Sieg stehen und fallen mit der anhaltenden und vertieften Unterstützung des Westens. General Saluschnyj formuliert Prioritäten für sein Land, darunter mehr Munition, Luftüberlegenheit, spezialisierte Technologie (z.B. Abwehr gegen elektronische Störungen), Anti-Minen-Gerätschaften und eine Ankurbelung der heimischen Rekrutierungsbemühungen. Bei sehr vielem davon kann der Westen maßgeblich helfen.

Die Entscheidung des Westens für die Ukraine darf nicht als Altruismus missverstanden werden, sondern ist unmittelbares Selbstinteresse aller liberal-demokratischen, marktwirtschaftlichen Staaten. Allein die Kosten für Aufrüstung, welche für Europa infolge eines russischen Kriegssiegs anfallen würden, hätten eine völlig andere Größenordnung als die derzeitigen Ukrainehilfen. Beobachter müssen und sollten den Ukrainekrieg nicht pausenlos auf den Gedanken lasten haben. Doch vergessen dürfen sie ihn ebenso wenig. Das würde Folgen weit über den Kontinent hinaus haben.

Weiterlesen: 

Zum Ukrainekrieg
500 Tage Krieg in der Ukraine (Juli 2023)
Was ist eigentlich ein Panzer? (Januar 2023)
Die Informationsasymmetrie und der Krieg (März 2022)
ATACMS, HIMARS und Co.: Die Waffen des Ukrainekriegs (September 2023)
Putins Russland verabschiedet sich aus der Zivilisation (Februar 2022)
Dieser Krieg wird noch lange dauern – und der Westen muss bereit sein (August 2022)

Zum Nahostkrieg
Israel und die Hamas im Krieg (Explainer zum Terrorangriff, 8. Oktober 2023)
Israel und Palästina, Teil 1 (Explainer zur Geschichte: 1.200 v. Chr. bis 1948)
Israel und Palästina, Teil 2 (1948 bis 1995)
Israel und Palästina, Teil 3 (1995 bis heute)

Ein Monat voller Wahlen_

(3 Minuten Lesezeit)

Donald Tusk. Quelle: European Parliament, flickr

Polen 

Die wichtigste Wahl im Oktober war jene in Polen. Das Land legte neue Weichen und wählte die regierende nationalkonservative PiS ab, zugunsten eines breiten Wahlbündnisses, in dessen Zentrum die liberale Bürgerkoalition (KO) unter Ex-Premier Donald Tusk steht. Die PiS wurde mit 35,4 Prozent zwar stärkste Kraft, doch die KO folgt mit 30,7 Prozent und hat die zentristische Dritter Weg (14,4 Prozent) und die links-sozialdemokratische Lewica (8,6 Prozent) im Schlepptau.

Es war ein bemerkenswert deutliches Urteil gegen die PiS, welche seit acht Jahren an der Macht ist. Ihre populistische Politik und der schleichende orbansche Demokratieabbau, etwa durch die Besetzung der Gerichte sowie die Vereinnahmung von Medien und Staatskonzernen, hat die Opposition effektiv mobilisiert. Ärger um steigende Lebenshaltungskosten und einige Skandale kosteten die Regierungspartei Wechsel- und Stammwähler. Eine zuletzt eher optimistische, Social-Media-affine Wahlkampagne der Opposition gefiel den Wählern und brachte gerade die Jüngeren an die Wahlurnen: Ihre Wahlbeteiligung stieg von 46 Prozent 2019 auf 69 Prozent. Die Gesamtbeteiligung erreichte mit 74 Prozent einen historischen Rekord.

Still in die Nacht wird sich die PiS nicht begeben. Obwohl sie keinerlei Weg zur Macht hat (selbst mit der nationalistischen Konföderation, welche gar nicht mit der PiS paktieren möchte, wäre es nicht genug) legt sie der Opposition Steine in den Weg. Präsident Andrzej Duda, früher von der PiS, gibt seiner ehemaligen Partei den ersten Anlauf zur Regierungsbildung, so chancenlos der auch sein mag. Die Hoffnung ist, dass die Opposition in den Wochen, welche sie zur Regierungsbildung warten muss, doch noch irgendwie zerfällt. Dazu passten auch Meldungen, wonach eine PiS-nahe Antikorruptionsbehörde die Überwachung von Politikern des Dritten Wegs diskutiert habe.

Wahrscheinlich ist das Stand heute nicht. In einigen Wochen dürfte in Polen der Regierungswechsel vollzogen sein. 

Ferner Liefen

Darüber hinaus zählt whathappened mindestens neun relevante Wahlen im Oktober. Die Neuseeländer entschieden sich für die Konservativen, die Luxemburger und Schweizer ebenso. In Liberia zeichnet sich ein Sieg von Amtsinhaber George Weah ab, doch das wissen wir erst nach der zweiten Runde am 7. November. In Deutschland bewiesen sich die bundesweiten Trends auf Landesebene: Die CDU siegte überzeugend in Hessen, die AfD war stark und die Ampelparteien schwach. In Bayern verteidigte die CSU immerhin ihre Werte, doch der wahre Gewinner war ihr Koalitionspartner, die Freien Wähler. Öffentlichkeitswirksame Antisemitismus-Vorwürfe gegen Parteichef Hubert Aiwanger scheinen auf Wähler mehr als medial konstruierter Skandal denn begründetes Problem gewirkt zu haben.

Südamerika

Spannend waren die Wahlen in Südamerika. In Kolumbien gerieten Lokal- und Regionalwahlen zur schweren Niederlage für den linken Präsidenten Gustavo Petro, was es für ihn schwieriger machen könnte, seine Reformpläne auf Landesebene umzusetzen. In Ecuador setzte sich der Zentrist Daniel Noboa gegen einen Zögling des linken Ex-Präsidenten Rafael Correa durch. Der erst 35-jährige Noboa ist eine interessante, wenn auch noch völlig ungetestete Wahl für Ecuador. Er wird die schwere Bandenkriminalität im Land bekämpfen müssen (Noboa und andere Kandidaten traten nach mehreren Morden an Politikern nur noch mit schusssicheren Westen auf), die Wirtschaft antreiben und Verteilungskonflikte mit der indigenen, meist ruralen Bevölkerung lösen. CNN zitiert einen Analysten: “Ecuador zu regieren, ist aktuell die Hölle. Diese Präsidentschaft ist dazu da, dich politisch zu eliminieren.” Ein gutes Zeichen: Rivalin Luisa González erkannte ihre Niederlage vollumfänglich an, was in Lateinamerika seit einigen Jahren nicht mehr selbstverständlich ist.

Argentinien ist noch nicht durch mit dem Wählen, denn am 19. November folgt die Stichwahl. Im Oktober überraschte der linke Finanzminister Sergio Massa mit einem unerwarteten ersten Platz, noch vor dem libertären Populisten Javier Milei. In der zweiten Wahlrunde muss das nicht halten: Die brasilianischen Wahlanalysten von AtlasIntel, welche das Erstrundenergebnis anders als die meisten (halbwegs) richtig vorhergesehen hatten, sehen Milei mit 48,5 Prozent vor Massa mit 44,7 Prozent. Ein Grund: Die konservative Kandidatin Patricia Bullrich, mit 24 Prozent nur auf Platz drei, wirft ihr Gewicht hinter Milei.

Für die Argentinier geht es in erster Linie darum, wer eine bessere Chance bietet, das Land wirtschaftlich umzureißen. Aktuell steuert es auf die sechste Rezession innerhalb eines Jahrzehnts zu, wandelt am Rande eines zehnten Staatsbankrotts in seiner Geschichte und erlebt mit 139 Prozent die höchste Inflation seit 1991 (den Rekord von 20.000 Prozent aus März 1990 wird es vermutlich nicht so schnell schlagen). Massa verspricht zwar Reformen, doch wirkt auf viele Beobachter vor allem wie ein “Weiter so”; Milei steht dagegen für die Brechstange, mit radikalen Plänen für Staatsausgaben und Dollarisierung.

Die Weltwirtschaft widersteht (noch)_

(3 Minuten Lesezeit)

Turbovariante: Die Weltwirtschaft bleibt resilient, doch grundlegende Risikofaktoren bleiben bestehen. 

Seit über einem Jahr warnen Ökonomen, Analysten und Medien vor den Gefahren für die Weltwirtschaft. Bereits im Juni 2022 brachte whathappened einen Explainer heraus, in welchem wir sieben miteinander verbundene Risikofaktoren analysierten. Seitdem ist es kaum stiller geworden um den Pessimismus. Mit einer Ausnahme: Die Resultate ziehen nicht so recht mit.

Das globale Wirtschaftswachstum dürfte 2023 laut Internationalem Währungsfonds moderat ausfallen, doch mit 3,0 Prozent 2023 und 2,9 Prozent 2024 sehr weit von einer Rezession entfernt seinChina ist im dritten Quartal um 4,9 Prozent gewachsen, was deutlich über den erwarteten 4,5 Prozent lag. Die USA sind schon seit Monaten eine Erfolgsstory und blieben im dritten Quartal mit annualisierten 4,9 Prozent Wachstum, also ungefähr 1,19 Prozent Quartalswachstum. Eine “blockbuster performance“, so Reuters. Und das ist nicht einmal durch überhitzte Volkswirtschaften erkauft: Die Inflation geht in den allermeisten Industriestaaten zurück, teils sehr kräftig, und hat ihre Zielwerte mancherorts inzwischen zumindest wieder in Sichtweite.

Selbst Deutschland, dessen Wirtschaftsschwäche in den Medienkanon eingegangen ist, konnte überraschen: Sie schrumpfte in Q3 nur um 0,1 Prozent, statt wie von den großen Wirtschaftsinstituten erwartet 0,4 Prozent. Mehrere Indikatoren deuten darauf hin, dass im Tunnel allmählich Licht zu sehen sein könnte, darunter ein gestiegener Ifo-Geschäftsklimaindex, rasant fallende Inflation und weniger Auftragsrückgang in der Industrie. Als wäre das nicht genug, korrigierte das Statistische Bundesamt auch noch seine Wachstumszahlen für Q1 und Q2 2023. Stellt sich heraus, dass die Bundesrepublik gar nicht in eine Winterrezession gefallen war.

Nicht so einfach

Das bedeutet nicht, dass alles wieder im grünen Bereich wäre. Die Risiken für die Wirtschaft in aller Welt sind und bleiben real – und viele von ihnen wirken über Zeit. Ein Mechanismus als Beispiel: Die hohen Leitzinsen, welche zur Inflationsbekämpfung noch ein Weilchen lang so verbleiben dürften, sind eine Last für die Staatskassen. Höhere Zinsen bedeuten teurere Schulden, zwingen Regierungen also dazu, immer größere Teile ihres Haushalts für Zinsen und Tilgungen aufzubringen (2024 gibt der Bund 8,73 Prozent für die “Bundesschuld” aus, 2019 waren es noch 5,16 Prozent). Dasselbe gilt für Firmen und Haushalte. Alle drei Akteure müssen daraufhin vermutlich ihre Ausgaben und Investitionen zurückfahren, was das Wachstum senkt. Dazu Sondereffekte: In den USA könnte es aktuell das Geld sein, welches von Haushalten in der Pandemie angespart worden war, welches in den Konsum und damit in das BIP fließt. Sobald dieses Geld aufgrund höherer Lebenshaltungskosten aufgezehrt ist, würden demnach die Zinseffekte stärker wirken und die starken Wachstumswerte zurückgehen.

Ein Weg, diese Entwicklung zu lösen, ist es, sie einfach geschehen zu lassen. Eine Phase an Rezession würde mit sinkender Inflation einhergehen. Im Anschluss können die Zentralbanken die Leitzinsen wieder herabsenken und das Wachstum stabilisiert sich. Das geht allerdings mit sozialen Kosten einher, denn eine Rezession bedeutet Job- und Einkommensverluste sowie Insolvenzen. Und wie lange es dauert, bis sich die Wachstumsraten wieder stabilisieren, wäre unklar.

Regierungen könnten durch höhere Sozialausgaben dagegen halten, doch das liefe Gefahr, zur übelsten Lösung zu geraten: Mehr Ausgaben würden die Schulden nur noch weiter erhöhen und damit gepaart auch die Inflation ankurbeln und die Währung schwächen. Die Regierungen würden “Pflaster” verteilen, während der Druck an immer mehr Stellen wächst – bis zum Bruch. Eine schwerere Rezession als im ersten Szenario könnte die Folge sein, mit letzten Endes schmerzhafteren sozialen Folgen (beispielsweise von Argentinien demonstriert).

Der sauberste Lösungsweg wäre Produktivitätswachstum. Das würde höheres Wirtschaftswachstum ohne höhere Inflation erlauben. In Industriestaaten ist es heutzutage meist neue Technologie, welche zu mehr Produktivität verhilft. Der prominenteste Kandidat für einen solchen Effizienzsprung in der Breite ist akut wohl Generative AI. Man könnte ja mal ChatGPT fragen, ob es die Fähigkeit hat, die Welt vor einer nahenden Wachstumsschwäche zu bewahren.

Was berichten die Unternehmen?_

(1,5 Minuten Lesezeit)

Quelle: Microbiz Mag

Turbo-Zusammenfassung: Kein allzu schlechtes Quartal, so bislang der Eindruck, doch auch keines für Euphoriesprünge.

Es ist wieder Saison für Quartalsresultate. Geht es um die Unternehmen, welche whathappened in den Briefings des Monats beleuchtet hatte, so war das Ergebnis gemischt. Für ein vollständiges Bild ist es noch zu früh, doch bislang zeichnet sich tendenziell ein ordentliches Quartal ab, gerade vor dem Hintergrund der – siehe oben – oft diskutierten Wirtschaftsschwäche.

Tech

Die amerikanischen Techkonzerne lieferten überwiegend starke Resultate abAmazonMicrosoft und Alphabet wuchsen kräftig, vor allem in ihren Kerngeschäften. Ein großer Wermutstropfen bei Alphabet war ein moderates Wachstum in der vielbeachteten Cloudsparte, welche seit wenigen Jahren den Wachstumstreiber der Techriesen darstellt. Amazon und Microsoft konnten hingegen auch hier überzeugen. Auch die zweite Riege der Techszene konnte Erfolge aufweisen: Netflix steigert mit seiner härteren Gangart gegenüber Abonnenten (höhere Preise, weniger Passwort-Sharing) erfolgreich den Profit und auch Spotify setzte Preiserhöhungen erfolgreich durch.

Banking

Bei den Banken kam es in der Regel darauf an, ob die höheren Leitzinsen eher negativ zusetzten (z.B. im Investmentbanking, M&A, Zinsen auf Kundenkonten) oder positiv wirkten (z.B. dank höherer Zinsen aus Krediten). Bei den US-Großbanken schnitten JPMorgan, Citigroup, Wells Fargo und Bank of America ordentlich oder stark ab, Goldman Sachs dagegen enttäuschend. Die Deutsche Bank verbuchte Gewinnrückgänge, doch steigerte Umsatz und Kernkapitalquote. Die britische HSBC steigerte sich entlang der meisten relevanten Kategorien, wenn auch nicht so sehr, wie Anleger gehofft hatten.

Autobranche

Auch die Autobranche war durchmischtMercedes verlor bei Gewinn und Umsatz (und kämpft mit Zuliefererproblemen); VW steigerte zwar immerhin den Umsatz, doch blickt mit Pessimismus auf die Zukunft; und Tesla halbierte seinen Gewinn nahezu, da es sich in einen teuren Preiskampf mit seinen Konkurrenten aus Europa und, vor allem, Ostasien begeben hat. Anders bei Luxushersteller Porsche, welcher sich über “positive Preiseffekte” (sprich, höhere Preise) freut, sowie BMW, welcher gerade erst am Freitag seine Resultate berichtete und die im August angehobene Jahresprognose bestätigte.

Die Aktienmärkte_

Index: 30-Tage-Entwicklung (Entwicklung seit Jahresbeginn)
Dax 40: +0,97% (+7,96%)
S&P 500: +2,35% (+13,97%)
Dow Jones: +2,84% (+2,79%)
Nasdaq 100: +2,56% (+39,00%)
Nikkei 225: +2,81% (+24,24%)
MSCI World ETF (iShares): +0,58% (+11,22%)
Bitcoin: +28,80% (+110,71%)

Quelle: Google Finance, onvist

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