Deutschland wagt die Wärmewende

Ein umstrittenes Gesetz für ein unumstrittenes Projekt. Wir erklären die Wärmewende.

Die Lage | Die Lösung?
(9 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)

  • Ein neues Gesetz, das GEG (genauer dessen Novelle), soll die Wärmewende in Deutschland vorantreiben.
  • Ziel ist es, “grüne” Heizmethoden zu stärken. Bislang dominieren Gas und Öl mit knapp 75% Anteil an allen Heizsystemen.
  • En vogue sind ab jetzt zum Beispiel Fernwärme und Biogas, doch an vorderster Stelle die Wärmepumpen. Sie sind bislang rar, doch waren 2022 bereits das beliebteste neue Heizsystem.
  • Das GEG ist umstritten, denn es will neue Öl- und Gasheizungen ab 2024 de facto verbieten. Kritiker beklagen wenig Vorlaufzeit und hohe Kosten für den Einbau von Wärmepumpen und Co.
  • Unterstützer halten dagegen und verweisen auf Fördertöpfe und die klimapolitische Bedeutung eines schnellen Vorgehens.
  • Auch innerhalb der Koalition herrscht Streit: Die Grünen verteidigen ihr Flaggschiffprojekt, die FDP rüttelt daran, die SPD tut beides gleichzeitig.
  • Am Ende wird sicherlich ein Kompromiss stehen. Doch das GEG scheint zu einer Episode eines sehr deutschen “Kulturkampfs” zu geraten.

Die Lage_

(2,5 Minuten Lesezeit)

Eine Konstante in der deutschen Politik der vergangenen Monate war die Wärmewende. Sie dürfte in Kürze mit einem neuen Gesetz in eine völlig neue Phase gestoßen werden. Kurz vor der Verabschiedung im Bundestag lohnt sich ein Blick auf die Lage der Wärmewende, den Vorstoß und den Diskurs.

König Gasheizung

Wenn von der Wärmewende die Rede ist, geht es um nichts anderes als Klimapolitik. Die Beheizung und Kühlung von Gebäuden sowie die Warmwasserbereitstellung verursachen (Stand 2021) 18 Prozent aller CO₂-Emissionen in Deutschland. Dabei ist auch die Erzeugung von Fernwärme und Heizstrom inbegriffen. Das macht den Gebäudesektor zu einem zentralen Hebel für die deutschen Klimaziele.

Die Heizinfrastruktur in Deutschland ist in erster Linie fossil. Stand 2021 nutzten laut dem Bund Deutscher Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) 49 Prozent der 40,6 Millionen Wohnungen Erdgas, welches unangefochtener Spitzenreiter unter den Energieträgern ist. Nicht umsonst die großen Sorgen über einen kalten Winter 2022/23, als die Erdgasversorgung durch russische Lieferstopps eingeschränkt war. An zweiter Stelle folgt Öl mit 25 Prozent. Beide fossile Energieträger finden sich in Zentral- oder Etagenheizungen; Erdgas in Gas-Wärmepumpen und Gasöfen, Öl in Ölwärmepumpen oder Ölöfen. Ihr Anteil hat in den vergangenen Jahren nur ein wenig abgenommen.

Die Fernwärme ist die dritthäufigste Heizmethode mit 14 Prozent, was immer noch 5,6 Millionen Wohnungen ausmacht. Fernwärme bedeutet erst einmal einfach, dass Warmwasser und Heizwärme aus einiger Distanz stammen und per Rohrleitungsnetze transportiert werden. Quelle ist dabei meist ein Heizkraftwerk, was geothermische und solarthermische Kraftwerke, aber auch Müllverbrennungsanlagen und bestimmte Industriebetriebe umschließt. Sie generieren im Betrieb (z.B. bei der Stromherstellung) Abwärme, mit welcher Wasser erhitzt wird. Dieses Heizwasser geht dann an die angeschlossenen Endkunden.

Im Ranking der Heizmethoden folgen “sonstige Energieträger” mit ca. 7 Prozent. Da wären Biogas, Holz, Pellets und Kohle. Die verbleibende Lücke zu 100 Prozent füllt das Heizen mit Strom, welches sich in Form von Elektro-Wärmepumpen und Nachtspeicheröfen in 5 Prozent aller Wohnungen findet. Wärmepumpen machen davon etwa 3 Prozentpunkte aus.

Wärmepumpen: Das Elektroauto des Gebäudesektors

Was genau ist eigentlich eine Wärmepumpe? Zeit, einen der Protagonisten dieses Explainers einzuführen. Bei einer Wärmepumpe handelt es sich um eine Gerätschaft, welche aus der Außenluft (aerothermische Umweltwärme), dem Grundwasser (hydrothermische Umweltwärme) oder dem Erdreich (geothermische Umgebungswärme) Wärme entzieht, weiter aufwärmt und so für die Heizung in Gebäuden einsetzbar macht. Wärmepumpen arbeiten im Grunde wie ein umgekehrter Kühlschrank, welcher schließlich dem Kühlraum Wärme entzieht und an die Außenumgebung abgibt. Die “klassische” Wärmepumpe ist eine Elektro-Wärmepumpe, in welcher der Einsatz von Strom dafür sorgt, dass die “angezapfte” Wärme auch wirklich warm genug ist, um fürs Heizen benutzt werden zu können. Mehr zu Wärmepumpen

Dadurch, dass Wärmepumpen auf die Umgebungswärme und Strom setzen, sind sie der Liebling der Klimapolitik. Öl- und Gasheizungen sind dagegen ihr Erzfeind. Wohl in erster Linie deswegen geht der Trend hin zu den klimafreundlicheren Optionen: 2022 waren 38 Prozent der 259.000 neu gebauten Wohnungen mit Wärmepumpen ausgestattet, 29 Prozent mit Gasheizungen und 25 Prozent mit Fernwärme. Ölheizungen waren mit knapp 800 Stück völlig vernachlässigbar. Die Richtung stimmt also, wenn es um die klimafreundliche Modernisierung der Heizungsinfrastruktur geht. Nur die Geschwindigkeit passt den meisten Beobachtern seit Jahren nicht. Also wagte sich das grüne Wirtschaftsministerium an einen Gesetzesentwurf.

Die Lösung?_

(6 Minuten Lesezeit)

Raufen sich schon noch zusammen. Quelle: Sandro Halanck, wikimedia commons

Das GEG und die grüne Heizung

Am 19. April beschloss das Bundeskabinett eine 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Dieses “Heizgesetz” soll zum Kern der deutschen Wärmewende geraten. Es sieht vor, dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Bestehende Heizungen dürfen weiter verwendet und repariert werden; Gasheizungen werden toleranter behandelt, wenn sie “H2-ready” sind – also perspektivisch wasserstoffbetrieben -; und es gibt Ausnahmen für individuelle Härtefälle sowie, relativ willkürlich, Eigentümer, “die das 80. Lebensjahr vollendet haben”. Überblick

Die Ziele sind relativ offenkundig. Die deutsche Heizinfrastruktur soll von fast drei Vierteln Erdgas und Öl auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. “Erneuerbar” heißt dabei: (Elektro-)Wärmepumpen, Solarthermie, Fernwärme, Biogas und Biomasse sowie Holz- und Pelletheizungen. Auch Hybride sind teilweise gestattet, 65 Prozent eben. Klassische Öl- und Gasheizungen werden hingegen de facto verboten. Sie stoßen pro Kilowattstunde 300 bzw. 250 Gramm CO₂ aus, so eine Analyse des Umweltbundesamts. Dagegen steht die Fernwärme mit 200g/kWh, eine “Standardstrom”-Wärmepumpe mit ebenfalls 200, Biogas mit 150, Pellets mit 30 und eine “Solar”-Wärmepumpe mit 0g/kWh. Allesamt grobe Durchschnittswerte, wohlgemerkt, denn das Alter und die Effizienz eines Heizsystems kann im Einzelfall viel verändern. Und bei Holz- und Pelletheizungen kommt ja noch eine andere Belastungsform hinzu: Sie erzeugen viel Feinstaub, welcher der hohen Klimaverträglichkeit eben auch Umweltverschmutzung entgegenstellt. Die Mittel der Wahl bleiben damit Wärmepumpen und Fernwärme.

Alles auf Strom

Mit den Wärmepumpen würde ein wachsender Teil der Heizinfrastruktur auf der Basis von Strom funktionieren. Das erinnert an den Verkehrssektor, in welchem die Reduzierung der Emissionen ebenfalls maßgeblich durch eine Elektrifizierung gelingen soll. In beiden Fällen schafft das hohe Ansprüche an den Stromsektor: Nicht nur, dass viel Strom benötigt wird, um den steigenden Bedarf überhaupt zu decken, sondern soll dieser auch noch grün sein, um den Klimazielen zu entsprechen. Eine Wärmepumpe auf Basis des Strommixes ist zwar vermutlich ebenfalls besser als eine Öl- oder Gasheizung, aber lässt viel Potenzial liegen. Eine andere Parallele zum Verkehr: In beiden Fällen ist ein bedeutender Ausbau der Infrastruktur vonnöten. Beim Verkehr geht es um Ladeinfrastruktur, ÖPNV und Schienennetze; bei der Wärmewende um Fernwärmenetze, Stromnetze (für Wärmepumpen) und Wasserstoffnetze (für den Umbau von Gas- zu Wasserstoffheizungen). Das wird hohe Ansprüche an staatliche und private Investitionen, Genehmigungsverfahren und das Handwerkerangebot stellen.

Gut zu wissen: Fast unbemerkt bringt der Bund neben dem GEG auch ein Gesetz zur Wärmeplanung auf den Weg, welches mittel- und langfristig die gesamte bestehende Heizinfrastruktur – nicht nur Neubauten – anpassen soll. So sah ein Entwurf Ende Mai vor, dass die Betreiber von Wärmenetzen diese bis 2030 mindestens zur Hälfe mit Wärme aus erneuerbaren Energien oder Abwärme bespeisen müssen; bis 2045 zu 100 Prozent. 

Heizungshammer oder Hämmerchen?

Der Vorstoß der Ampelkoalition – ganz genau des Wirtschafts- und Klimaministeriums unter Robert Habeck (Grüne) – ist kontrovers. Im ARD-Deutschlandtrend lehnten 49 Prozent die Reform insgesamt ab, 45 Prozent unterstützten sie. Da wären die sozialen Sorgen: Das de-facto-Verbot für neue Öl- und Gasheizungen, die bislang beliebteste Heizform der Deutschen, macht vielen Menschen Angst vor hohen Kosten (ein “Heizungshammer“, so beispielsweise die BILD). Im ARD-Deutschlandtrend Anfang Juni befürchteten zwei Drittel der Befragten, vom GEG finanziell überfordert zu werden. Die genauen Kosten, welche auf die Bürger zukommen, sind nicht ganz klar. Das Wirtschaftsministerium rechnet für Einfamilienhäuser mit 22.420 bis 45.920 EUR Kauf- und Einbaukosten für Wärmepumpen, je nach Beschaffenheit des Hauses. Das ist gut und gerne doppelt so teuer wie eine Gasheizung. Niedrigere Betriebskosten könnten das aber kompensieren, betont Habecks Haus. Zudem versucht der Bund mit finanziellen Unterstützungen in Form von Zuschüssen, Krediten und Steuergutschriften die Sorgen zu zerstreuen. Mehr zu den Finanzhilfen

Weitere Wut entbrennt sich an der auffällig kurzen ÜbergangsdauerSchon ab Januar 2024 soll das Gesetz gelten. Das Wirtschaftsministerium hebt hervor, dass jede jetzt gebaute Heizung zwanzig oder dreißig Jahre aktiv sein wird, Geschwindigkeit also von hoher Wichtigkeit sei. Zudem sind die Zentralheizungen, welche in fast 82 Prozent aller deutschen Wohngebäude und in 70 Prozent der Wohnungen für Wärme zuständig sind, zur Hälfte über 15 Jahre alt, ein Viertel gar über 25 Jahre alt. In den kommenden Jahren dürfte also viel Modernisierung stattfinden. Das Ministerium versucht offenbar, dieser Welle zuvorzukommen.

Und dann wäre da noch die gelegentliche Skepsis an den Versprechungen der Wärmepumpe. Ihre Klimaverträglichkeit hängt in erster Linie von zwei Faktoren ab: Wie viele Gramm CO₂ pro Kilowattstunde bedeutet der Strommix tatsächlich? Und wie effizient ist sie, gemessen durch die sogenannte “Jahresarbeitszahl”? Diese zeigt an, wie viel Kilowattstunden Heizwärme eine Kilowattstunde Strom erzeugt. Bestimmte Rechnungen können mitunter günstiger für Gasheizungen und ungünstiger für Wärmepumpen ausfallen. Das deckt sich allerdings nicht mit den Zahlen der Behörden, wird von Klima-Lobbygruppen scharf angegriffen und offenbar auch mehrheitlich von Branchenexperten zurückgewiesen.

Ein zutiefst deutscher Kulturkampf

Im Grunde erreicht die Kontroverse längst eine “höhere Ebene”. Sie berührt die Frage danach, wie tief und mit welchen Methoden der Staat sich in den Lebensentwurf der Bürger und wirtschaftliche Entscheidungen einmischen sollte. Einerseits ganz technisch: Ist ein Verbot nun klimapolitisch am effektivsten oder doch eher eine Verschärfung des Emissionshandels, über dessen Preissignale dann die gewünschten Kaufentscheidungen stattfinden? Andererseits normativ: Ist es überhaupt richtig, dass der Staat den Menschen das Heizen “diktiert” und auch noch per salomonischem Urteil entscheidet, ab welchem willkürlich gewählten Lebensjahr man nun ausgenommen ist? Ein “Kulturkampf“, so nennen es einige Kommentatoren – mit Bezug auf dasselbe Konzept in den USA, wo es allerdings eher um gesellschafts- und identitätspolitische Fragestellungen geht. Der deutsche Kulturkampf ist ausgesprochen deutsch: Es geht um inakzeptable Kosten und ungewollt Neuartiges, um Klimakrise und Verbotskultur, und, natürlich, sogar um Datenschutz

Die Kontroverse spielt sich nicht nur in den Medien und Kommentarspalten der Republik ab, sondern auch innerhalb der Ampelkoalition. Die FDP blickt skeptisch auf das Verbot und bevorzugt eigentlich eine Lösung entlang des Emissionshandels, spricht von einem nicht gut durchdachten und aufgesetzten Gesetz. Sie fordert Nachbesserungen (z.B. spätere Fristen) und verzögert das Gesetz. Die SPD zeigt sich relativ unverbindlich und pocht gleichzeitig auf Tempo und Sorgfalt; hat in jedem Fall kein Problem damit, wenn die Federführung für das kontroverse Projekt ausschließlich bei Robert Habeck und seinen Grünen liegt.

Gut zu wissen: Was ist überhaupt das Problem mit dem Emissionshandel? Es besteht das Risiko, dass ein Teil der Bevölkerung trotz sehr eindeutiger, frühzeitig angekündigter Preissignale zu spät auf günstigere Heizsysteme umsteigt und sich selbst in hohe Kosten zwingt. Protest und politischer Druck könnten dann zu einer Aufweichung des Emissionshandels führen, also emissionsintensive Heizformen rehabilitieren – ein Problem für die Wärmewende. Ein Verbot wirkt auf Unterstützer resilienter, was Kritiker wiederum anzweifeln. Dazu kommt natürlich für manche Beobachter eine grundsätzliche Präferenz für ordnungspolitische Maßnahmen und mitunter ein fehlendes Verständnis für die Wirkung von Marktmechanismen. In jedem Fall: Auch eine Wärmewende per CO₂-Preis würde soziale Kosten verursachen. Daran führt im Grunde kein Weg vorbei.

Am Ende alles halb so schlimm

Bei allem Streit dürfte demnächst relativ sicher eine Einigung stehen. Das Flaggschiffprojekt der Grünen werden diese nicht gehen und die Koalitionspartner nicht leichtfertig scheitern lassen; zudem erkennt im Prinzip jede Seite an, dass eine Modernisierung des Gebäudesektors vonnöten ist (auch wenn sie in der bevorzugten Methode abweichen). Nachdem sie anfänglich alle Kritik als politischen Lärm abgetan hatten, verstehen Habeck und die Grünen allmählich die Zeichen der Zeit – namentlich, ungünstige Umfrageergebnisse und ein Wiedererstarken der AfD – und deuten ein Entgegenkommen an: “Maximal pragmatisch” wolle Habeck etwa bei den Fristen sein. Es gibt erste Berichte, dass bereits eine Einigung gefunden sei und das Gesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause durch den Bundestag gehen könne.

Ob das Gesetz nun vor oder nach dem Urlaub verabschiedet wird, ob es 81-Jährige oder schon 75-Jährige ausnimmt: Die Wärmewende ist mit Schwung in die öffentliche Debatte gebrochen und schließt damit zu ihren prominenteren Schwestern Verkehrswende und Energiewende auf. Egal, wie sie im Konkreten ausgestaltet wird, an ihr führt kein Weg mehr vorbei. Stell dich ein auf viel Diskussion über zu hohe Kosten, zu wenig Klimaschutz, zu viel (oder zu wenig) Verbot und, selbstverständlich, Datenschutz.

Scroll to Top