Die Bundestagswahl 2025: Migration

Der fünfte Explainer zu den Wahlprogrammen der Parteien.
16.02.2025


Migration | Integration
(16 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Irreguläre Migration ist das Wahlthema Nummer eins. Zwei Lager existieren unter den Parteien:
  • Skeptiker” wollen die Migration eindämmen, Ansprüche senken und Integration als Forderung statt als Anspruch interpretieren. Die AfD geht am weitesten, doch auch Union und FDP wollen robust verschärfen. Das BSW fällt ebenfalls in dieses Lager, doch bleibt auffällig diffus.
  • Die “Liberalen” wollen in der Migrations- und Asylpolitik prioritär die Interessen der Migranten im Blick behalten. Sie plädieren für aufrechterhaltene oder sogar noch ausgeweitete Rechte und Ansprüche, lehnen neue migrationseindämmende Maßnahmen teils oder gänzlich ab (mit Ausnahmen bei der Fluchtursachenbekämpfung und Schlepperkriminalität) und möchten die Integration partizipativ denken. Das gilt für die SPD, Grünen und Volt. Die Linken gehen noch weiter und warnen nicht nur vor Verschärfungen, sondern fordern weitreichende Liberalisierungen.

Die Bundestagswahl 2025 nähert sich. Die whathappened-Redaktion verfasst zu diesem Anlass über die nächsten Wochen eine Reihe von Explainern, welche die Positionen der Parteien in verschiedenen Themen darstellen und ein wenig einordnen. Das soll dir helfen, die Parteiprogramme zu verstehen und eine fundiertere Wahl treffen zu können.

  • Wir rechnen damit, insgesamt 7 Wahlprogramm-Explainer zu veröffentlichen.
  • Wir werden in unserer Explainer-Reihe eine hohe Themenbreite abdecken, können jedoch nicht jedes Wahlthema beleuchten.
  • Die Kleinpartei Volt trifft unter der whathappened-Leserschaft auf ein hohes Interesse, wie unsere regelmäßigen Umfragen zeigen. Wir analysieren das Programm der Partei deswegen in aller Kürze ebenfalls.

Bisherige Explainer:
Explainer #1: Steuern und Finanzen
Explainer #2Arbeitsmarkt und Bürokratie 
Explainer #3: Wohnen & Gesundheit
Explainer #4Klima, Energie & Technologie

Migration und Integration_

(16 Minuten Lesezeit)

Die Migrationspolitik ist das zentrale Thema dieser Bundestagswahl, das zeigen Umfragen und auch ihr Anteil an den öffentlichen Diskursen. Dabei geht es in erster Linie um eine rekordträchtige Fluchtzuwanderung in den vergangenen Jahren – zu Asylzahlen müssen etwa eine Million Ukrainer hinzugezählt werden – und zu Phänomen, die von großen Teilen der Bevölkerung als damit einhergehend empfunden werden: Seien es Verteilungskonflikte am Wohnungsmarkt und im Sozialsystem (tatsächlich besitzt knapp die Hälfte der Empfänger keinen deutschen Pass) oder eine Reihe prominenter, medial intensiv bearbeiteter Verbrechen durch Asylbewerber. Mehrfach waren die Täter bereits zur Abschiebung verpflichtet – doch knapp 60 Prozent aller Abschiebungen scheitern.

Für einige Beobachter entstand der Eindruck einer fehlenden demokratischen Kontrolle oder, drastischer, des Kontrollverlusts in Anbetracht der hohen Migration. Bei anderen mischte sich Xenophobie in immer radikalere Forderungen. Wieder andere machten die Migrations- und Asylpolitik zum Lackmustest für Deutschlands moralische Gesundheit und betrachten Einschränkungen skeptisch. Das sind allerdings nicht drei gleich große Lager: Je nach konkreter Frage sprechen sich meist 50 bis 80 Prozent der Deutschen für eine strengere Migrationspolitik aus. In fast jeder Partei finden sich Mehrheiten für die Forderung, dass die Migration eingedämmt werden müsse; selbst die Grünen sind in der Frage entzwei gespalten.

Eigentlich geht es damit vor allem um die Asylpolitik. Jene Migrationspolitik, welche die reguläre Arbeitsmarktzuwanderung betrifft, taucht im Wahlkampf praktisch gar nicht auf. In unserem Explainer zur Arbeitsmarktpolitik hatten wir die Pläne der Parteien für die Arbeitskräfteanwerbung hervorgehoben. Zu guter Letzt spielt auch die Integration eine Rolle: Wer im Land ist, muss integriert werden – oder muss sich integrieren. Die Parteien unterscheiden sich darin, welcher Version des Satzes sie mehr zustimmen. In jedem Fall ist erfolgreiche Integration einer der größten Hebel für Gesellschafts- und Arbeitsmarktserfolg von Migranten und damit wertvoll für den sozialen Frieden sowie Wohlstand in Deutschland.

Union

Die Union verlangt eine “grundsätzliche Wende” in der Migrationspolitik. Sie will den illegalen Zuzug faktisch stoppen. Gelingen soll das durch Zurückweisungen direkt an den deutschen Grenzen, was allerdings diplomatische Schwierigkeiten mit den ebenso wenig migrationsfreundlichen Nachbarländern einladen dürfte. Verhindern können diese die Zurückweisung allerdings nicht. Im selben Zuge möchte die Union dauerhafte Grenzkontrollen einführen.

Für Asylbewerber im Inland möchte die Union anstelle von Geld- nur noch Sachleistungen mittels einer Bezahlkarte ausgeben (die Bezahlkarte existiert bereits in allen Bundesländern außer Berlin, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Regeln). Den Familiennachzug will sie für bestimmte Flüchtlinge einschränken. Neue Flüchtlinge aus der Ukraine sollen keinen Zugang zum Bürgergeld mehr haben, sondern ebenfalls nach Asylbewerberleistungsgesetz behandelt werden. Das ist akut trivial, doch könnte bei einer Verschlimmerung des Ukrainekriegs erneute Relevanz annehmen.

Komplett abschaffen will die Union den “subsidiären Schutzstatus“. Er greift bei Menschen, welche zwar nicht nach Genfer Flüchtlingskonvention oder Grundgesetz als Flüchtlinge anerkannt werden, denen in ihrem Heimatland jedoch ernsthafter Schaden drohe. Knapp ein Drittel der befristet anerkannten Schutzsuchenden besitzt subsidiären Schutzstatus. Die Abschaffung, welche auf EU-Ebene stattfinden müsste, würde damit den Flüchtlingsstatus deutlich einschränken.

Asylverfahren will die Union beschleunigen und mehr Herkunftsländer als sicher definieren, etwa Syrien und Afghanistan. Ist eine Abschiebung beschlossen, soll es nur noch “Bett, Brot und Seife” als Leistung geben. Die Bundespolizei soll Ausreisepflichtige vorübergehend in Gewahrsam nehmen dürfen – sprich inhaftieren – und für “Straftäter und Gefährder” soll das unbefristet möglich sein. 

Die Union wünscht sich Asylverfahren in “sicheren Drittstaaten“, also extraterritoriale Asylverfahren im Stile des britischen “Ruanda-Plans” und des italienischen Albanien-Plans. Das soll Migranten zum einen abschrecken und zum anderen ankommende Asylbewerber “umleiten”, bis ihr Antrag positiv bearbeitet worden ist. So wie Großbritannien und Italien allerdings bereits erleben mussten, könnte so ein Modell rechtlich anfechtbar sein. Außerdem möchte die Union die EU-Außengrenzen schützen, durch mehr Ressourcen für die Grenzbehörde Frontex und offenbar auch “bauliche und technische” Maßnahmen, also etwa Grenzzäune. 

Dass die deutsche Staatsbürgerschaft bei straffälligen Doppelstaatsbürgern entzogen werden solle, wie CDU-Chef Friedrich Merz forderte, findet sich im Programm der Union nicht. Enthalten ist jedoch die Forderung, das Staatsbürgerschaftsgesetz der Ampel abzuschwächen und die generelle Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft und die “Express-Einbürgerung” nach 3 Jahren wieder abzuschaffen.

Auch die Integration findet bei der Union Erwähnung, jedoch öfter im Kontext einer Anforderung als eines Angebots. Zuwanderer müssten sich zu deutschen Werten bekennen, was auch das Existenzrecht Israels umfasse. Integration müsse gefördert, aber auch “intensiver als bisher eingefordert” werden. Es brauche “verpflichtende Integrationsvereinbarungen” mit Schutzberechtigten, bei welchen Etappenziele definiert würden. 

Gedanken der whathappened-Redaktion:  Die Union möchte die Partei der Migrationseindämmung für die Mitte sein. Ihr Programm würde tatsächlich eine deutliche Verschärfung zum Status quo bedeuten, auch wenn einige Aspekte diplomatischen oder rechtlichen Widerstand erfahren dürften. Selbst die Integration würde plötzlich in erster Linie als Forderung, nicht als Bringschuld des Staates gedacht werden.

Würde die Union das Programm so umsetzen, dürfte die Zuwanderung allein aufgrund technischer Hürden bei der Grenzüberquerung sinken; Abschreckungseffekte sind zumindest wahrscheinlich. Der Anteil erfolgreicher Abschiebungen könnte steigen, doch die Union formuliert nicht genügend konkrete Ideen, um dahingehend spekulieren zu können. Die Lage für Flüchtlinge würde sich in jedem Fall verschlechtern, doch das ist kein Versehen, sondern ausdrücklicher Plan.

SPD

Die SPD lehnt eine allzu harte Verschärfung der Migrationspolitik ab. Sie will Migration “steuern“, allerdings mit “humanitärer Verantwortung“. Und sie hebt ihre Erfolge hervor: Das beschlossene Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), welches ab 2026 greift, eine “bessere Kontrolle” von Fluchtmigration und eine “geordnete” Migration auf den Arbeitsmarkt. GEAS verschärft das europäische Asylsystem und erlaubt etwa Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen, wo bestimmte Flüchtlinge in Auffanglagern ihr Asylverfahren abwarten müssten.

Grenzschließungen und “Pauschalzurückweisungen” lehnt die SPD strikt ab; externe Asylverfahren ebenso. An der Familienzusammenführung möchte sie nicht rütteln, da diese für die Integration wichtig sei. Auch am subsidiären Schutzstatus hält sie fest. Und an ihrem eigens verabschiedeten Staatsbürgerschaftsgesetz selbstverständlich ebenso.

Geht es um neue Vorschläge, setzt die SPD vor allem auf Effizienzgewinne: Asylverfahren sollen deutlich beschleunigt werden, etwa dank mehr Digitalisierung und vager “Verwaltungsmodernisierung”. Ziel seien Entscheidungen binnen sechs Monaten. An den EU-Außengrenzen möchte auch die SPD stärker kontrollieren, bleibt aber noch vager als die Union. Im Gegenteil: Die SPD formuliert vor allem Einschränkungen, etwa, dass “rechtsstaatliche und humane Bedingungen” Priorität besäßen und die wegen illegaler Pushbacks umstrittene Grenzbehörde Frontex mehr überwacht werden müsse.

Abschiebungen sollen “rasch wie konsequent” erfolgen, allerdings nur, wenn Betroffene eine freiwillige Ausreise verweigern. Diese “bevorzugt” die SPD . Und in jedem Fall sollen Rückführungen “human” bleiben. Außerdem spricht die SPD ihre Solidarität für Seenotrettungen aus.

Als Maßnahmen gegen das Migrationsaufkommen will die SPD in erster Linie Fluchtursachen bekämpfenSchlepper “hart bestrafen” und Migrationsabkommen für legale Zuwanderungswege schließen.

Bei der Integration macht die SPD gar nicht allzu viele Vorschläge, sondern verweist in erster Linie auf ihr Staatsbürgerschaftsgesetz als Erfolg. Sie möchte aber Integrationskurse ausbauen und ein “Partizipationsgesetz” auf den Weg bringen. Dieses soll scheinbar gesetzlich festlegen, dass alle Menschen gleiche gesellschaftliche Teilhabe erlangen können. Das bleibt extrem vage und bezieht sich nicht einmal erkennbar eindeutig auf Zugewanderte.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die SPD muss bei der Migration einen dreiseitigen Spagat schaffen: Die verschärfte Stimmung in der Bevölkerung anerkennen, ihr tendenziell linkes und progressives Profil bewahren (auch in Anbetracht des lautstarken linken Flügels) und ihre Regierungsarbeit verteidigen. Ihr Programm liest sich in erster Linie wie ein “Weiter so“, wenn auch mit Worthülsen hin zu “konsequenten” Abschiebungen und “harten Strafen” für Schlepper. Dort, wo die SPD Verschärfungen andeutet, qualifiziert sie sie umgehend damit, dass das Migrationsrecht human bleiben müsse.

Die Partei lehnt sich in ihrem Programm also in eine eher vorsichtige, eher liberale Linie. Um ein leicht verstärktes “Weiter so” zu legitimieren, könnte die SPD auf die tatsächlich gesunkene Zahl der Asylanträge im Jahresverlauf 2024 verweisen, doch das verfängt sich bislang nicht in der Öffentlichkeit – und hängt vermutlich ohnehin nur zu einem gewissen Anteil mit Maßnahmen der Ampelregierung zusammen..

Grünen

Deutschland ist ein Einwanderungsland, betonen die Grünen gleich eingangs, und auch eines, “das Schutz bietet”. Geht es um Migrationseindämmung, so soll diese in erster Linie präventiv geschehen: die Bekämpfung von Fluchtursachen durch “vorausschauende Diplomatie”, Krisenprävention und eine Reihe ähnlicher Ideenwelten. “Menschenrechtsbasierte Migrationsabkommen” sollen reguläre Zuwanderungswege kreieren. Zugleich wollen die Grünen eine neue rechtliche Kategorie von Klimaflüchtlingen kreieren und damit vermutlich noch mehr Menschen eine Bleibeperspektive bieten. Dauerhafte Grenzkontrollen lehnen die Grünen ab.

Die Partei legt bei allen Maßnahmen stets Wert auf das Wohlergehen der Flüchtlinge. Die Bezahlkarte solle etwa keine “unangemessene Bargeldobergrenze” besitzen, müsse das Existenzminimum sicherstellen und eine “gute Gesundheitsversorgung” ermöglichen. Der Familiennachzug soll unangetastet bleiben und keine Sprachnachweise erfordern. Ein “Spurwechsel” soll Flüchtlingen den Zugang in den Arbeitsmarkt erleichtern. Aufnahmebedingungen sollen europaweit auf ein “menschenwürdiges Niveau” angehoben werden; und extraterritoriale Asylprüfungen lehnt die Partei strikt ab. Die Seenotrettung will sie fördern.

Die Grünen betonen, dass Menschen, die “nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel” zur Abschiebung aufgefordert sind, “zügig ausreisen” müssen. Wie die SPD priorisieren sie die freiwillige Rückkehr. Sie lehnen allermindestens Abschiebungen nach Afghanistan ab und deuten auch weitere Länder an. Wo sich bei der SPD Begriffe wie “konsequent” finden, vermeiden die Grünen selbst das.

Darüber hinaus betonen die Grünen die europäische Dimension der Migrationspolitik. An der GEAS, welche in der Partei hoch umstritten ist und von ihr zeitweise aufgehalten worden war, halten die Grünen nun fest – wollen sich aber als Advokat der Migranten positionieren: “Dabei werden wir uns mit all unseren Möglichkeiten dafür einsetzen, dass Integration gefördert wird, rechtsstaatliche Verfahren möglichst umfassend gewährleistet werden und keine zusätzlichen, unnötigen Einschränkungen des Asylrechts stattfinden”, so die Partei mit Bezug auf GEAS. Wenn die Grünen über die EU-Außengrenzen sprechen, fordern sie an keiner Stelle deren verstärkten Schutz, sondern wollen die umstrittene Grenzbehörde Frontex stärker überwachen – wie die SPD.

Bei der Integration in die deutsche “Einwanderungsgesellschaft”, möchten die Grünen einerseits “Perspektiven schaffen und Ankommen ermöglichen”, andererseits aber auch die Bereitschaft, “sich einzubringen” einfordern. Die Grünen sehen die Lösung vor allem in Strukturaufgaben: Mehr bezahlbarer Wohnraum, eine “Integrationsoffensive” für Kommunen (welche offenbar mehr Geld sowie Integrations- und Sprachkurse umfasst) und mehr Migrationsberatungsstellen. Auch im Weiteren machen die Grünen viele konkrete Einzelvorschläge, welche Flüchtlingen zugutekommen würden und die Integration verbessern sollen.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die Grünen kämpfen wie die SPD mit der Herausforderung, das mehrheitliche Bedürfnis nach einer strengeren Migrationspolitik mit ihren eigenen Werten und der Regierungsarbeit zu vereinbaren. Dieser Konflikt scheint jedoch in erster Linie in der Wahlkampfkommunikation stattzufinden, denn das Programm vertritt unapologetisch eine liberale Linie in der Migrationspolitik, die die Rechte und Bedarfe von Asylbewerbern zu priorisieren scheint – in der Sache sowie rhetorisch. Verschärfungen lassen die Grünen keine erkennen und formulieren auch nicht den Wunsch nach einer eingedämmten Migration; stattdessen heben sie Bedingungen hervor, wie der Umgang mit Migranten im Inland und auf dem Weg dorthin stattzufinden habe.

FDP 


Die FDP fordert eine “neue Realpolitik” in der Migration. Ähnlich zur Union bedeutet das vor allem Einschränkungen. Die FDP lenkt den Fokus allerdings noch stärker auf das Thema Arbeitsmigration: Es brauche Einwanderung in den Arbeitsmarkt, nicht in die Sozialsicherungssysteme. Der whathappened-Explainer zur Arbeitsmarktpolitik beleuchtet das im Detail; hier soll es nun um die Fluchtmigration und Asylpolitik gehen.

Die Verbindung schafft die FDP dort, wo sie Flüchtlingen mit Bleiberecht möglichst schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt bieten will – das sei “der beste Integrationskurs”, betont die Partei. Alle anerkannten Flüchtlinge, inklusive Ukrainer, sollen einem neuen sozialrechtlichen Status unterliegen, welcher sie vom Bürgergeld ausschließt. Er soll geringere Sozialleistungen mit mehr Arbeitsanreizen kombinieren. Ein “Spurwechsel” im Stile der Grünen soll “gut integrierten” Asylbewerbern einen besonders schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt bieten.

Die FDP möchte Abschiebungen beschleunigen, indem sie die Zuständigkeit dafür von der Landes- auf die Bundesebene bringt. Extraterritoriale Asylverfahren in Drittstaaten unterstützt sie genau wie die Union. Mehr Herkunftsländer sollen als sicher eingestuft werden. Der Familiennachzug soll für subsidiär geschützte Menschen wegfallen, wie auch bei der Union. Außerdem will die FDP Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen “erproben” und Frontex an den EU-Grenzen stärken.

Integrationskurse will die FDP auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und Sprach- und Integrationskurse voneinander trennen. Das soll sie kostengünstiger und effektiver machen.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die FDP ähnelt der Union in vielen ihrer konkreten Vorschläge, auch wenn sie das Thema in zwei Absätzen rasch abhandelt, statt es wie die Union zu einem Kernthema zu machen: Die Liberalen haben offenkundig kein Interesse daran, sich an der irregulären Migration rhetorisch abzuarbeiten. Mit einem spürbaren Fokus auf die Fachkräftezuwanderung bringt die FDP dafür ihre eigene Note in die Migrationspolitik. Es bleibt allerdings ein Programm, welches auf teils scharfe Einschränkungen aus ist, wenn auch mit weniger Verve als bei der Union oder sogar der AfD.

Linke

Das Programm der Linken stellt einen radikalen Wandel hin zu einer liberaleren Migrationspolitik dar. Abschiebungen will sie vollständig verbieten, auch von Straftätern. Sachleistungen seien “diskriminierend”; Asylbewerber sollen weiterhin Geld ausgezahlt bekommen – und sofort ab Tag 1 uneingeschränkt arbeiten dürfen. Frontex soll aufgelöst, stattdessen ein europäisches Seenotrettungsprogramm eingeführt werden. Es dürfte kaum überraschen, dass die LinkenGrenzkontrollenextraterritoriale Asylverfahren und ähnliche Maßnahmen ablehnt. Klima- und Umweltschäden sowie Armut sollen als legitime Fluchtgründe anerkannt werden.

Bei der Integration will die Linke ein dediziertes Ministerium für Migration und Partizipation schaffen. Das Staatsangehörigkeitsrecht wollen sie noch weiter liberalisieren als es die Ampelregierung bereits getan hat: Wer in Deutschland geboren wird, erhält automatisch die Staatsbürgerschaft; für alle anderen gibt es sie nach fünf Jahren. Das aktive und passive Wahlrecht soll es auch ohne Staatsbürgerschaft geben, wenn jemand “lang” in Deutschland lebt.

Darüber hinaus sieht die Linke ihr extensives Sozialprogramm rund um hohe öffentliche Ausgaben in Schulen, Wohnungen, Kitas und mehr als Vehikel für bessere Integration.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die Linken fordern die mit Abstand liberalste Migrations- und Asylpolitik, welche ausdrücklich zu mehr Fluchtzuwanderung aufruft und den Staat in der Verantwortung sieht, eine möglichst gleichwertige Partizipation von Asylbewerbern zu ermöglichen. Es geht deutlich weiter als jenes der Grünen, welche zwar viele Verschärfungen ablehnen, aber ansonsten mehrheitlich an einem Status quo festhalten; denn die Linken wollen aktiv Liberalisierungen durchsetzen.

Das Programm passt zum ideologischen Profil der Linken , doch könnte auch eine wahlstrategische Logik besitzen. In der inzwischen kräftigen Mehrheit der “Migrationsskeptiker” (welche sich allermindestens mehr demokratische Kontrolle wünschen) dürfte die Linke wenig Wählerpotenzial verorten. Indem sie sich als stärkste Plattform für die “Liberalisierer” präsentiert, welche in der Migrationspolitik derzeit einen Verschärfungswettlauf beklagen (welchen die Grünen zumindest im Wahlkampf, wenn auch weniger in ihrem Programm, mitlaufen), mobilisiert sie diese Gruppe und erhält wichtige Stimmen für das Projekt Fünf-Prozent-Hürde.

AfD 

Die Migrationspolitik ist das Herzstück der AfD und in hohem Maße ihre moderne raison d’etre, ihr ExistenzgrundÄhnlich wie die Grünen in der Klimapolitik (wenn auch nicht derart stark) verbinden die Rechtsaußen viele Themen zurück zur Migrationspolitik.

Die AfD erkennt eine “enorme Sogwirkung” des deutschen Sozialsystems für vornehmlich “Armutsmigration” aus Nahost und Afrika. Sie wirft “deutschen Politikern” vor, die Legalisierung der illegalen Einwanderung durchzuführen. Damit erwachse die Zuwanderung zur “existenziellen Frage“, welche auch nur auf deutscher Ebene – also nicht durch die EU – entschieden werden dürfe.

Konkret schlägt die AfD Zurückweisungen an deutschen Grenzen vor und will grenznahe “Gewahrsamszentren” einrichten. Extraterritoriale Asylverfahren befürwortet sie; die Förderung der Seenotrettung will sie stoppen; die Zahl der sicheren Herkunftsländer ausweiten; und den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte stoppen. Soweit alles wie bei der Union (außer, dass diese nichts zur Seenotrettung sagt).

Asylbewerber sollen “nach Möglichkeit” Sachleistungen erhalten, andernfalls mit der existierenden Bezahlkarte ausgestattet werden. Und sie sollen für die Dauer der Asylverfahren in “zentralen Aufnahmeeinrichtungen” untergebracht werden, was wohl die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit bedeutet. Ausländer sollen in hohem Maße vom Bürgergeld ausgeschlossen werden (siehe unseren dazugehörigen Explainer)

Die AfD will “konsequenter” abschieben. Dafür formuliert sie eine Reihe an Vorschlägen, etwa “massiven Druck” auf nicht rücknahmebereite Herkunftsländer (was z.B. die Maghreb-Staaten meinen würde), durch Wirtschaftssanktionen, Visasanktionen und Entwicklungshilfestopps. Auch will sie das Kirchenasyl abschaffen und die Abschiebehaft verschärfen. Das soll ausdrücklich auch Syrer betreffen. Ausreisepflichtige sollen nur noch ein Existenzminimum an Versorgung erhalten, was wohl dem “Bett, Brot und Seife” der Union entspricht.

Außerdem versucht die Partei den Begriff “Remigration” in ihrem Programm umzuinterpretieren: Bedeutete er im rechtsextremen Milieu, in welchem er unlängst auftauchte und Assoziation mit der AfD fand, noch die Vertreibung deutscher Staatsbürgerohne deutsche Ethnie, so soll er nun anscheinend einfach die freiwillige oder unfreiwillige Rückkehr von Ausländern in ihr Heimatland bedeuten (ursprünglich geht “Remigration” auf die Sozialwissenschaft zurück und beschreibt dort die freiwillige Rückkehr ins Heimatland). 

Die AfD sieht Deutschland nicht an die EU-Asylpolitik gebunden und will vollständig aus ihr aussteigen. Sie will permanente Grenzkontrollen mittels der Bundespolizei einführen – doch will den Pendler-, Urlaubs- und Warenverkehr “weiterhin gewährleisten”. Wie, das spart sie aus. Auch aus dem UN-Migrationspakt und dem UN-Flüchtlingspakt will sie aussteigen und Reformen der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention anstoßen. Das individuelle Asylrecht soll wegfallen und durch eine institutionelle Garantie ersetzt werden. Im Kern würde das bedeuten, dass der Antrag auf Asyl kein grundlegendes Recht mehr wäre, sondern eine Gelegenheit, welche der Staat bietet – und entsprechend vorenthalten kann.

Der Integration sieht die AfD vor allem dadurch geholfen, dass die Zuwanderung stärker kontrolliert wird. Wie die Union hebt sie Anforderungen an die Migranten hervor. Sie verlangt etwa, dass Migranten binnen 2 Jahren oder in Ausnahmefällen 5 Jahren das Sprachniveau B2 erreichen. Was passiert, wenn sie es nicht tun, sagt die AfD nicht. Das Staatsbürgerschaftsgesetz der Ampel will die AfD kippen und das Einbürgerungsrecht auf den Stand 1990 zurückdrehen: Einbürgerungen frühstens nach 10 Jahren und als Einzelfallentscheidungen der Behörden; keine Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder, deren Eltern Ausländer sind.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die AfD möchte eine strenge Migrationspolitik, das ist keine Überraschung. Sie formuliert durchaus zahlreiche und auch konkrete Vorschläge. Zumindest, was nationale Maßnahmen zur Migrationseindämmung betrifft, ähneln diese meist jenen der Union. Eigenheiten gibt es, etwa, wenn die AfD das Individualrecht auf Asyl abschaffen will (womit die Union gelegentlich flirtet, aber es nicht in ihrem Programm hat) oder Migranten mit Konsequenzen zu drohen scheint, wenn sie nicht binnen zwei Jahren das Sprachniveau B2 erreichen. Ansonsten geht die AfD vor allem in der Symbolik und der Ablehnung supranationaler Institutionen weiter als jede andere Partei, beispielsweise wenn sie den Ausstieg aus dem europäischen Asylsystem fordert.

Auffällig ist auch, dass die AfD beim Thema Migration eine fast schon vorsichtige Sprache verwendet. In anderen Kapiteln skizzierte sie praktisch das Bild eines im Sterben befindlichen Landes; ins Kapitel zur Klimapolitik bugsierte sie die “Great Reset“-Verschwörungstheorie. Das Kapitel zur Migrationspolitik liest sich dagegen im Großen und Ganzen nüchtern und lehnt sich für AfD-Verhältnisse nicht allzu sehr in populistische Kommunikation – womöglich gezielt, weil die Partei versteht, hier am stärksten unter Beobachtung zu stehen. Auffällig ist jedoch der etwas unbeholfene Versuch, den Begriff der Remigration einzufangen und umzuinterpretieren. Das Konzept hatte der Partei immerhin sogar die Assoziation mit anderen Rechtsparteien in Europa gekostet, weil es diesen zu extrem war.

BSW

Das BSW stellt wie die AfDUnion und FDP die Migrationseindämmung ins Zentrum. Die “unkontrollierte Migration” müsse beendet werden. Sie überfordere die Gesellschaft und die Sozialsysteme und stelle ein Sicherheitsrisiko dar. Also will das BSW den Anspruch auf ein Asylverfahren und auf Sozialleistungen für all jene entziehen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Auch Kriminelle würden den Anspruch verlieren. Zurückweisungen an der Grenze fordert das BSW jedoch nicht ausdrücklich.

Wer keinen Schutzstatus erhält, soll das Land “schnell” verlassen. Recht und Gesetz müsse bei Abschiebungen “endlich wieder” durchgesetzt werden. Wie das geschehen soll, erklärt das BSW nicht, außer, dass Behörden mit mehr Ressourcen ausgestattet werden sollen. Asylverfahren sollen “nach Möglichkeit” extraterritorial stattfinden. Zugleich spricht das BSW wie die linken Parteien davon, Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen zu wollen.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die Redaktion versteht das BSW als wirtschaftlich linke, gesellschaftlich konservative Partei, die insbesondere in der Migrationspolitik eine restriktive Linie einnimmt. Das Wahlprogramm ist allerdings ein eher uneindeutiges Potpourri: Zum einen scheint das BSW das Individualrecht auf Asyl faktisch aushebeln zu wollen, zum anderen setzt sie wie die linken Parteien bei Fluchtursachen an und fordert keine Grenzschließungen. Dazu kommt ein auffälliger Unwillen, allzu viel Konkretes zu sagen: “Endlich wieder” Recht und Gesetz bei Abschiebungen durchsetzen? Eine trivialere Aussage ließe sich kaum ausdenken. Das Kapitel zur Migration könnte beim BSW damit Opfer eines Flügelstreits sein, in welchem die Partei sich nicht so recht entscheiden konnte, wie nah sie bei dem Thema an die AfD rücken kann und will.

Volt

Volt folgt wie so oft den linken Parteien, doch stellt das humanitäre stärker als vielleicht alle anderen in den Vordergrund: Die Partei beginnt ihre Forderungsliste mit der Seenotrettung, welche europäisch institutionalisiert und für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend sein soll. Das GEAS soll gelockert werden; Asylverfahren in Lagern an den Außengrenzen werden verboten. Klima- und Umweltmigration wird als Fluchtgrund anerkannt; geschlechtsspezifisch Verfolgte werden stärker geschützt.

Abschiebungen sind eine “ultima ratio”, doch sollen immer menschenwürdig geschehen. Mehrere Personengruppen sollen dediziert vor Abschiebung geschützt werden und bei wem drei Jahre lang die Abschiebung nicht vollzogen werden konnte, erhält einen dauerhaften Aufenthaltsstatus (insofern die Person die Abschiebung nicht “aktiv verhindert” hatte). Ein “Chancenjahr” soll es Menschen mit abgelehntem Asylantrag ermöglichen, durch ein Jahr Arbeit einen Aufenthaltstitel zu erarbeiten.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Volt wird medial und öffentlich manchmal als Mix aus Grünen und FDP verstanden, doch die Partei nimmt in den allermeisten Feldern ziemlich linke und progressive Positionen ein. In der Migrationspolitik würde die whathappened-Redaktion Volt zwischen den Linken und den Grünen einordnen.

Fazit

Einmal erneut stellen sich zwei Lager heraus. Die “Migrationsskeptiker” möchten Migration eindämmen, die Lebensumstände der Asylbewerber gezielt verschlechtern, Abschiebungen intensivieren und das Staatsbürgerschaftsrecht verschärfen. Die AfD hat den weitreichendsten Forderungskatalog, welcher stellenweise radikale Vorschläge macht. Die Union hat ebenfalls sehr robuste Forderungen, welche sich an den wohl umsetzbarsten Stellen wenig zur AfD nehmen. Die FDP folgt mit recht ähnlichen Forderungen, macht sich das Thema aber auch nicht zu stark zu eigen. Das BSW gehört ebenfalls zu den Skeptikern, doch bleibt in seinem Programm diffus genug, damit es keiner Seite einen echten Wahlgrund bietet.

Auf der anderen Seite ist das Lager, für welches die whathappened-Redaktion keinen so ganz passablen Namen gefunden hat. Die “Liberalisierer“? Vielleicht die “Humanitären“? In jedem Fall will dieses Lager eine bestehende oder maximal sanft verschärfte Migrationspolitik ausdrücklich mit humanitären Gesichtspunktenabwägen. Die Interessen der Migranten sind somit die Priorität, weil sie als vulnerabel empfunden werden. Das gilt für die SPD, welche noch am ehesten den Spagat versucht, zugleich Verschärfungen in Aussicht zu stellen, wie auch für die Grünen und Volt, die in ihrem Wahlprogramm klar machen, nicht an relevanten Verschärfungen interessiert zu sein. Die Linken haben völlig andere Pläne und wollen das Asylsystem weitreichend liberalisieren.

Weiterlesen: 

Zur Bundestagswahl 2025:
Steuern und Finanzen
Arbeitsmarkt und Bürokratie
Wohnen & Gesundheit
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Die Welt in der Schuldenkrise (2022)
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Jahresreview 2021
Jahresreview 2022
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Zur “Polykrise” 2021/22
Die Energiekrise, in zwei Teilen (2022)
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