Die Lage der Wirtschaft in Deutschland (im Hier und Jetzt)

Eine schnelle Lageanalyse zur deutschen Wirtschaft im Hier und Jetzt. Voraussichtlich übernächste Woche werfen wir einen Blick auf strukturelle Probleme.

Rezession | Verbraucher | Privatsektor | Fazit
(12 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)

  • Deutschland befindet sich in einer technischen Rezession. Vor allem der Privatkonsum ist schwach.
  • Hauptgrund ist die Inflation, welche Verbraucher seit Monaten vor sich hertreibt. Immerhin: Sie fängt an, etwas abzunehmen.
  • Fragt man Unternehmen, sind ihre größten Probleme jedoch noch immer angebotsseitig: Zu teure Vorgüter, zu teure Finanzierung, zu wenige Fachkräfte, und so weiter.
  • Immerhin: Die Inflation nimmt ab, die Reallöhne dürften steigen, der Konsum könnte anziehen. Nicht alle Branchen stehen schlecht dar. Vielleicht hatte Deutschland schon im Frühjahr die Rezession hinter sich gelassen.
  • Das ändert erst einmal aber wenig: Die “Kurzfrist” sieht verhalten aus, für das Gesamtjahr erwarten fast alle Analysten ein Minus.

Willkommen in der Rezession_

(4 Minuten Lesezeit)

Der Stempel ist eindeutig: Seit Mai 2023 weiß Deutschland, dass es in einer technischen Rezession steckt. Kein gutes Zeichen für die Wirtschaft der Bundesrepublik, welche aktuell übrigens noch immer 0,5 Prozent unter dem Niveau von 2019 liegt. Wir werfen in diesem Explainer einen Blick auf die Lage im Hier und Jetzt oder, wie Ökonomen es nennen, in der Kurzfrist. Da es bei uns keine Cliffhanger gibt: Es sieht nicht sonderlich gut aus.

Was bedeutet eine technische Rezession? Lediglich, dass das Wachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen negativ war. Im vierten Quartal 2022 sank das deutsche BIP preisbereinigt zum Vorquartal um 0,5 Prozent, im ersten Quartal 2023 daraufhin um 0,3 Prozent. Das Label der technischen Rezession als solches ist erst einmal relativ witzlos. Es sagt aus, dass es der Wirtschaft nicht gerade blendend geht, doch nicht, wie schlecht es ihr geht. Zwei Quartalsrückgänge von 0,1 Prozent sind etwas völlig anderes als ein Einbruch von 4,5 Prozent, wie ihn Russland im zweiten Quartal 2022 erlebt hatte. Zudem kann sich hinter den Zahlen noch reichlich Unterschiedliches verbergen. Die USA fanden sich Anfang 2022 in einer technischen Rezession wieder, doch ein starker Arbeitsmarkt und robuste Firmen warfen die Frage auf, wo genau diese eigentlich vorzufinden war (in den Folgequartalen legten die BIP-Zahlen wieder kräftig zu). Schauen wir uns als allererstes also einmal den BIP-Rückgang zu Anfang 2023 genauer an.

Gut zu wissen:  Warum interessieren wir uns überhaupt so sehr für das Bruttoinlandsprodukt? Viel Kritik an der Messeinheit ist legitim. Das BIP hat tatsächlich reichlich blinde Flecken (nicht-marktrelevante Aktivitäten und Transaktionen werden nicht erfasst), eine sehr hohe Flughöhe (leiden viele Sektoren trotz kräftiger Gesamtproduktion? Wie hoch ist die Ungleichheit in der Gesellschaft?), ist völlig wertneutral (ein kaputtes Fenster oder ein abgeholzter Wald können positiv im BIP auftauchen) und kann damit mit vielen Interpretationen eines “guten Lebens” kollidieren. Dennoch: Das BIP ist sowohl eine der nützlichsten makroökonomischen Messgrößen – wer mehr Details will, findet sie natürlich zu Belieben – und einer der besten (wenn nicht sogar der beste) Proxy, den wir für das “Wohlergehen” in der Welt haben: LebenserwartungZufriedenheit und Armutsbekämpfung korrelieren allesamt positiv mit dem BIP bzw. dem BIP pro Kopf. Andere Metriken, vom Human Development Index (HDI) bis zum “Bruttoglücksprodukt” scheitern an zu hoher Komplexität, Willkürlichkeit oder einfach fragwürdiger Konzeption. Vorerst heißt es also: Lang lebe König BIP – nur verstehen schlaue Beobachter auch, wo seine Grenzen liegen.

Das BIP aufschlüsseln

Ein detaillierter Blick auf den Wirtschaftsrückgang zu Anfang 2023 zeigt ein durchmischtes und mehrheitlich negatives Bild. Am auffälligsten war Anfang 2023 der Rückgang bei den Konsumausgaben. Das Zurückfahren der staatlichen Ausgaben im Zuge der Covid-Bekämpfung ließ den öffentlichen Konsum um 4,9 Prozent sinken. Mit 22 Prozent Anteil am gesamten BIP (2022) macht sich ein solcher Rückgang bei den Staatsausgaben sofort im Gesamtwert bemerkbar, ohne zwingend für ein Problem in der Wirtschaft zu stehen.

Etwas anders sieht es bei den privaten Konsumausgaben aus: Sie sanken um 1,2 Prozent, was für ein Quartal ein ziemlich kräftiger Rückgang ist und auf jeden Fall Hinweise auf die Wirtschaftslage enthält. Die Hälfte des deutschen BIP, 51 Prozent, basieren auf privaten Konsumausgaben. Gehen sie zurück, ist das also eine ziemlich große Sache. Hierzu später mehr, doch der Hauptschuldige ist schnell benannt: Die Inflation in Deutschland.

Ein nicht allzu heller Lichtblick waren die Bruttoanlageinvestitionen, welche wir einfach als Investitionen abkürzen können. Sie beschreiben, wie viel Firmen für neue Maschinen, Werke oder andere Kapitalgüter ausgeben (der Inventaraufbau ist ausgeklammert) und sind damit ein Maßstab für die Gesundheit des Privatsektors, vor allem der Industrie. Wer kurz vor dem Abgrund steht, investiert in der Regel nicht in neue Anlagen. Die Investitionen wuchsen im ersten Quartal um 3,0 Prozent. Damit machten sie leider allerdings nur einen kräftigen Einbruch im vierten Quartal (minus 2,6 Prozent) etwas wett. Warum es dem Privatsektor nicht allzu gut geht, erklären wir später.

Die Außenhandelsbilanz entwickelte sich verhalten: Die Exporte stiegen zwar um 0,4 Prozent und die Importe fielen um 0,9 Prozent – Deutschland verkaufte also mehr ans Ausland und kaufte selbst weniger ein -, doch das muss vor dem Hintergrund der Vorquartale gesehen werden: Mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs und des “Energie-Decouplings” von Russland sprang der Wert der Importe im zweiten und dritten Quartal 2022 rasant in die Höhe (im milden Winter sanken sie wieder etwas), der Rückgang war also eher eine Normalisierung. Andersherum waren die Exporte in Q4 2022 um 1,3 Prozent gefallen, der Anstieg im ersten Quartal bildete also eher ein kleines Pflaster denn einen großen Erfolg.

Der größte Grund für den bescheidenen Außenhandel ist die ebenso bescheidene Wirtschaftsentwicklung im Rest der Welt. Chinas schwächelnder Wirtschaft widmeten wir vor wenigen Wochen einen eigenen Explainer, Großbritannien steckt in einer Wirtschaftskrise und die USA wissen bei aller Resilienz nicht, ob sie nicht doch eine Rezession erwartet. Weniger Nachfrage von außerhalb bedeutet weniger Geld für den wichtigen deutschen Exportsektor. Die Ausfuhren allein entsprechen 50,5 Prozent des BIPs (wobei für dessen Berechnung erst die Importe abgezogen werden müssen).

Gut zu wissen:  Die simpelste Formel für das BIP auf Ausgabenbasis lautet: Private Konsumausgaben plus staatliche Konsumausgaben plus Investitionen plus die Handelsbilanz. Letztere ist die Differenz aus Exporten und Importen. Importe werden aus dem BIP ausgeklammert, da sie nicht inländisch produziert worden sind. Unser Kurzüberblick schlüsselt also tatsächlich vollständig das BIP auf, siehe auch die Grafik oben.

Die Verbraucher_

(3,5 Minuten Lesezeit)

Beim Verbraucher stimmt etwas nicht

Knöpfen wir uns den Elefanten im Raum vor. Die Unsicherheit der deutschen Konsumenten treibt die Wachstumsschwäche. Sie hängt in erster Linie mit der Inflation zusammen. Die Unsicherheit deduzieren wir dabei nicht nur aus dem rückläufigen Konsum: Indizes wie der GfK-Konsumklimaindex zeigen ganz direkt, dass Verbraucher seit Dezember 2021 pessimistisch auf ihre Lage blicken, also auf die folgenden drei Fragen mehrheitlich negative Antworten geben:

  • “Was glauben Sie, wie wird sich die allgemeine wirtschaftliche Lage in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?”
  • “Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die finanzielle Lage Ihres Haushalts in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?”
  • “Glauben Sie, dass es zurzeit ratsam ist, größere Anschaffungen zu tätigen?”

Der daraus zusammengesetzte Indexwert fiel kontinuierlich bis Oktober 2022, als Energiekrise und Inflation ihren Höhepunkt erreichten, auf minus 42,8. Auf einer Skala von plus 100 bis minus 100, wohlgemerkt. Danach kletterte er wieder stetig bis auf minus 24,4 im Juni 2023. Für Juli prognostiziert das GfK minus 25,4 Punkte, also einen ersten Rückgang seit Herbst 2022. Und obwohl es gegenüber dem Herbst noch immer eine Verbesserung sein mag, so ist es doch noch immer der schlechteste Wert seit Aufzeichnungsbeginn in den 1980ern. Selbst in der Finanzkrise kratzte der Index oberhalb der Nulllinie; in den Tiefen der Covid-Pandemie fiel er nie unter 23,4 Punkte. Die Inflation beutelt die Bürger.

Gut zu wissen: Das Sprichwort “Der Elefant im Raum” bezeichnet etwas sehr Großes und Wichtiges, dass bislang ignoriert worden ist. Es setzt sich immer mehr im Deutschen durch, doch ist eigentlich ein Anglizismus. Der Ursprung ist noch einmal ein ganz anderer: Es stammt vom russischen Poeten Iwan Krylow aus dem Jahr 1814 und wurde später von Fjodor Dostojewski populär gemacht.

Kein Entkommen vor der Inflation

Die Inflationsrate in Deutschland startete Anfang 2021 ihren Aufstieg und kletterte aus dem negativen Bereich bis auf 8,8 Prozent im November 2022, bezogen auf den Vorjahresmonat. Danach begann sie einen etwas unregelmäßigen Abstieg auf zuletzt 6,4 Prozent, was über den 6,1 Prozent im Mai lag, allerdings vermutlich aufgrund von Sondereffekten. Die Gründe für die Inflation sind vielfältig, doch eine kurze Zusammenfassung würde lauten: Lieferkettenschwierigkeiten als Abschiedskuss der Covid-Pandemie, ein plötzliches Wiedererstarken der Nachfrage in vielen Sektoren nach Ende der Pandemie, und die vom Ukrainekrieg angepeitschte Energiekrise.

Gut zu wissen: Mehr zu der Ökonomie hinter Inflation, also ihren Ursprüngen, Auswirkungen und “Gegenmitteln”, erklärten wir in unserem Explainer zu Inflation aus November 2021. Die Lagebeschreibung in Kapitel 3 mag nicht mehr relevant sein, doch die ersten zwei Kapitel sind nach wie vor ein empfohlener Lesebeitrag. Mehr

Auch die Energiekrise schneiden wir in diesem Explainer nur an. Im Oktober 2021 behandelten wir die erste Phase der Energiekrise in einem eigenen Artikel, im Juli 2022 legten wir dann mit einem zweiten Teil nach, welcher die Entwicklung mit dem Krieg als Brandbeschleuniger resümierte – nur einen Monat, bevor die Energiekrise ihren Höhepunkt erreichte.

Nun ist die Inflationsrate also gar nicht mehr auf ihrem Höhepunkt, doch die Verbraucher spüren sie dennoch kräftig. Dabei darf man nicht vergessen, was der Wert eigentlich aussagt: Die 6,4 Prozent vom Juni bedeuten, wie viel teurer ein repräsentativer Warenkorb gegenüber dem Vorjahresjuni war. Doch dann gibt es ja auch noch die Inflationsrate zum Vormonat, sprich, wie viel teurer die Milch im Juni gegenüber dem Mai ist. Und jeder positive Wert bedeutet, dass die Preise steigen, selbst wenn der Wert über die Zeit kleiner geworden sein mag. Seit Dezember 2020 sind die Verbraucherpreise jeden Monat – mit vier Ausnahmen – angestiegen, und zwar kräftiger als Deutschland es in den letzten Jahrzehnten gewohnt war (siehe zweite Grafik oben). Dass nach inzwischen 29 Monaten mit (fast) permanenten Preissteigerungen die Unsicherheit zunimmt und Konsumstimmung einbricht, ist kaum überraschend. Anfangs wurden Haushalte dabei durch das Ersparte getragen, welches sie in der Covid-Pandemie zwangsweise angelegt hatten. Dieses ist allerdings seit Monaten verbraucht. 

Viele Haushalte leiden deswegen inzwischen unter den steigenden Preisen. In einer Creditreform-Umfrage erklärten 20,3 Prozent der befragten Bürger im März 2023, dass sie häufig finanzielle Probleme empfinden, gegenüber 12,9 Prozent im Jahr 2021. Weitere 40 Prozent berichteten “manchmal” von solchen, gegenüber 34,2 Prozent noch vor zwei Jahren. Die Hälfte der Bürger befürchtete, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Andere Analysen kommen zu ähnlichen Schlüssen, etwa eine der Datenplattform Dynata, in welcher 39 Prozent der Bundesbürger nach eigener Meinung finanziell schlechter dastehen als vor einem Jahr. Dazu trägt auch bei, dass die “gefühlte Inflation” eher bei 18 Prozent statt bei 6 Prozent verortet wird: Da Lebensmittelpreise derzeit (Stand Mitte 2023) besonders stark teurer werden und Verbraucher oft mit diesen interagieren, wirkt die Inflation auf sie weitaus höher, als sie tatsächlich sein mag. Das beeinflusst wiederum ihr Konsumverhalten.

Der Privatsektor_

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Xi Jinping, rechts, hier mit Weltwirtschaftsforum-Gründer Klaus Schwab. Quelle: World Economic Forum, flickr

Das wahre Problem ist das Angebot

Die Sorgen der Verbraucher treffen intuitiverweise auch die Hersteller. In der Autobranche schmilzt der Auftragsberg zusammen, da die Nachfrage ausbleibt. Bei elektrischen Modellen herrsche branchenweit 30 bis 50 Prozent weniger Auftragseingang, so ein Industrieverband – sowohl bei Massen- als auch Premiumherstellern. Aus mehreren Autokonzernen berichten Insider, dass die Nerven blank liegen, darunter VW und Mercedes.

Gilt bei Fragen nach Deutschlands Wirtschaftslage also “It’s the consumer, stupid”?So einfach ist es dann doch nicht. In einer Umfrage des ifo-Instituts berichten Unternehmen zwar immer häufiger von nachfrageseitigen Problemen, doch die Angebotsseite dominiert noch immer. Anders ausgedrückt: Die Nachfrage ist da, sie lässt sich nur nicht bedienen. Medial scheint sich der Fokus zwar auf die Nachfrageschwäche verschoben zu haben, doch die alten Verdächtigen, welche Unternehmen ungebrochen seit der zweiten Jahreshälfte 2020 plagen, sind noch immer das größere Problem. Es geht um teure oder rare Vorprodukte (darunter Energie), fehlende Fachkräfte, Lieferkettenprobleme und hohe Finanzierungskosten.

Stichwort Vorprodukte. Wem die Verbraucherinflation in den vergangenen Monaten zu hoch war, der sollte lieber keinen Blick auf die Produzenteninflation werfen (alle anderen finden sie in der Grafik oben). Die sogenannten Erzeugerpreise lagen im August 2022 45,8 Prozent (!) höher als ein Jahr zuvor. Inzwischen ist die produzentenseitige Inflation auf 0,1 Prozent gesunken, was in Anbetracht des hohen Vorjahreswertes leider weniger erfreulich ist, als es auf den ersten Blick wirken mag. Die steigende Kostenbasis zwingt einige Firmen dazu, ihre Produktion herunterzufahren, Expansion sein zu lassen oder sogar die Insolvenz anzumelden. Da wäre der Chemiesektor, in welchem fast alle Firmen – von Lanxess bis BASF – Gewinnwarnungen herausgeben. In der Modebranche grassieren derweil Insolvenzen: Dort gingen in den vergangenen Monaten prominente Firmen wie Peek & Cloppenburg, Görtz, Orsay, Adler, Galeria Karstadt Kaufhof und Reno bankrott.

Lieber nichts leihen

Wenn es um Kosten geht, kommen die Leitzinsen dazu. Sie gehören im Grunde zur Diskussion zur Inflation, immerhin hob die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen an, um die Preisdynamik einzudämmen (unser Inflation-Explainer erklärt das im Detail). Die erhöhten Leitzinsen übersetzen sich in erhöhte Zinsen seitens der Geschäftsbanken; Kredite werden also teurer. Das macht es für einige Firmen weitaus weniger attraktiv, ihre Kapazitäten auszubauen, zum Beispiel ein neues Werk zu errichten.

Gerade der Bausektor bekommt die höheren Finanzierungskosten knallhart zu spüren, da Kredite in der Baufinanzierung die Regel sind. Die schlechten Meldungen aus der Branche sind so zahlreich, dass sie sich kaum noch überblicken lassen. Als Beispiel mag der Rückgang an genehmigten Wohnungen zwischen Januar und Mai dienen: Mit 113.400 waren es 27 Prozent weniger als im ohnehin nicht allzu starken Vorjahr. Der Branchenverband GdW erklärt, dass die höheren Material- und Finanzierungskosten eigentlich Kaltmieten von 18 EUR pro Quadratmeter erfordern würden – viel zu viel für die meisten Mieter.

Kein angenehmes Klima

Die unangenehme Lage unter den Firmen lässt sich in zahlreichen Indizes nachvollziehen. In der Juli-Konjunkturumfrage des Mittelstandsverbunds ZGV beurteilen 16 Prozent der Firmen ihre Lage als schlecht, gegenüber 9 Prozent im ersten Quartal. Nur noch 36 Prozent gehe es gut, gegenüber 45 Prozent. Die Hälfte der Firmen (49 Prozent) vermeldet einen Umsatzrückgang, 20 Prozentpunkte mehr als im vorherigen Quartal.

Auch der ifo-Index, sozusagen die alte Dame der deutschen Konjunkturschätzung, unterstreicht die Sorgen. Mit 88,5 Punkten ist der Indexwert fürs Geschäftsklima recht niedrig (2019 lag er bei etwa 100), was auf Unruhe im Privatsektor hindeutet. Die Lageeinschätzung fällt dabei noch rosiger als die Erwartungshaltung an die Zukunft aus.

Ein Fazit_

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Zusammengefasst lässt sich für die deutsche Wirtschaft in der Kurzfrist nur wenig Optimismus finden. Die Inflation verunsichert die Verbraucher, der Außenhandel wackelt und die Unternehmen sind pessimistisch, was ihren Kampf mit angebotsseitigen und neuerdings nachfrageseitigen Schwierigkeiten angeht. Die Bundesbank tippt zwar, dass das Statistische Bundesamt Ende Juli ein positives Wachstum für das zweite Quartal 2023 bekannt gibt und somit die technische Rezession für beendet erklärt. Doch insofern das Wachstum nicht überraschend hoch ausfällt, bleibt es eben doch nur Schmuckwerk. Rezessionslabel hin oder her; die Bundesrepublik würde noch immer im wirtschaftlichen Sumpf feststecken.

Entsprechend rechnet inzwischen ein Großteil der deutschen Wirtschaftsinstitute und Analysten mit einem negativen Gesamtjahr, übrigens auch die Bundesbank (siehe Grafik ganz oben). Vor dem unerwarteten Negativquartal, welches im Mai bekanntgegeben worden war, war das noch eine Minderheit. Das ifo-Institut schätzt, dass Deutschland erst 2024 wieder an das BIP-Niveau von 2019 anschließt – und eventuell sogar später.

Gut zu wissen: Eine Schwäche vieler Prognosen dafür, wann das BIP wieder das 2019er-Niveau erreicht hat, ist, dass sie für die Preisbereinigung den sogenannten BIP-Deflator nutzen. Dieser ist weniger repräsentativ für die “wohlstandsrelevante” Preisentwicklung als der Verbraucherpreisindex und überschätzt das reale, preisbereinigte BIP somit.

Auf die sonnige Seite blicken

Zugleich wäre es falsch, zu behaupten, dass alles schlecht sei. Die deutsche Wirtschaft ist bemerkenswert gut durch die Energiekrise gekommen. Keineswegs ohne Schäden, doch die befürchteten Blackouts in ganzen Branchen realisierten sich niemals. Die Lieferkettenprobleme aus der “späten” Covid-Phase werden immer mehr überwunden. So manche Firma scheint höhere Kosten an Kunden abwälzen zu können (was die Probleme wiederum einfach eine Stufe tiefer in die Wertschöpfungskette verlagert). Der Arbeitsmarkt ist ziemlich robust, mit einer Arbeitslosenquote, welche seit einem Jahr bei 5,4 bis 5,7 Prozent herumdümpelt. Das ist merkbar höher als die knapp 5,0 Prozent vor der Covid-Pandemie, aber längst keine Krise. Erste Schwächezeichen gibt es, doch sie sind noch relativ subtil.

Dank des straffen Arbeitsmarkts gab es auch große Tarifrunden, in welchen Beschäftigte sehr hohe Abschlüsse in ihren Branchen durchsetzen konnten. Allein jener im öffentlichen Dienst im April 2023 war mit 17 Milliarden EUR bis 2024 der teuerste Tarifabschluss aller Zeiten und betraf 2,5 Millionen Beschäftigte. Insgesamt werden dieses Jahr für knapp 11 Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge vereinbart, fast ein Viertel aller Beschäftigten. Solche Gehaltssprünge, gepaart mit einem Abflauen der Inflationsraten, dürften die Reallöhne erhöhen und die Verbraucherstimmung anheben. Einige Analysten erwarten, dass das bereits im zweiten Quartal der Fall war. Die Gegenseite der Medaille ist, dass hohe Gehaltsanstiege der Inflation ein zweites Leben verschaffen könnten, selbst nachdem sich Energie und Lebensmittel eigentlich beruhigt haben. Betonung auf “könnten”.

Bei aller Sonnenseite ist es schwierig, dieses Kapitel positiv zu Ende zu bringen. Die Kurzfrist der deutschen Wirtschaft liegt irgendwo zwischen “Ziemlich übel” und “Nicht so schlimm wie befürchtet”, doch in jedem Fall weit entfernt von positiver Dynamik. Im internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik wieder der kranke Mann Europas, so wie schon zu Anfang der 2000er bis zu den Agenda-Reformen Gerhard Schröders. Kein anderer Industriestaat – nicht einmal das gebeutelte Großbritannien – dürfte 2023 so schwach wachsen.

Das weckt letztlich dann auch den Verdacht, dass es hier um mehr als nur unsichere Verbraucher und schwierigeren Außenhandel geht. Deutschlands Probleme sind auch struktureller Natur und heben die Bundesrepublik von ihren Partnern und Rivalen ab. In einem zukünftigen Explainer werfen wir einen Blick auf jene Probleme, welche Deutschland noch in der Mittel- und womöglich Langfrist verfolgen werden

Weiterlesen: 

Die Energiekrise (Oktober 2021)
Die Energiekrise, in zwei Teilen (Juli 2022)
Die Rückkehr der Inflation (November 2021)
Chinas Wirtschaft tut nicht, was sie soll (Juni 2023)

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