Und ein Bürgerkrieg, in welchen der Rest der Welt eingeladen ist
14.04.2024
Weg zum Krieg | Der Bürgerkrieg | Das Ausland | Wie es weitergehtand und Islamismus
(16 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Im Sudan wütet ein schwerer Bürgerkrieg zwischen zwei Warlords: Hemeti, Anführer der RSF-Miliz, und Burhan, Chef der regulären Streitkräfte (SAF).
- Nach dem Sturz von Langzeitdiktator Baschir 2019 brachten sie sich mit einem Putsch 2021 an die Macht, doch das Bündnis war von Anfang an fragil.
- Im April 2023 eskalierten verfahrene Gespräche über eine Zusammenlegung von RSF und SAF. Der Krieg brach aus.
- Die RSF verbuchte frühe Erfolge und kontrolliert bis heute weite Teile der Hauptstadt Khartum sowie den Westen des Landes rund um das kriegserschütterte Darfur. Sie fällt besonders stark mit Menschenrechtsverbrechen auf.
- Zuletzt gelangen der SAF erste Erfolge, nicht zuletzt dank Unterstützung aus dem Ausland.
- Mehrere Staaten mischen indirekt im Krieg mit, etwa die VAE und Russland aufseiten der RSF und Iran sowie Ägypten für die SAF.
- Die humanitäre Lage im Land ist desolat; ein Friedensprozess zeichnet sich aktuell nicht realistisch ab.
Der Weg zum Krieg_
(6 Minuten Lesezeit)
Prolog
Der Sudan feiert dieser Tage ein unglückliches Jubiläum: Seit genau einem Jahr herrscht Bürgerkrieg. Es ist nicht der erste Bürgerkrieg im Land, doch der heftigste und allumfassendste. Zehntausende Menschen wurden getötet (die von den UN gezählten 15.000 sind fraglos eine Unterschätzung), 6,5 Millionen Menschen inländisch vertrieben und über 2 Millionen sind aus dem Land geflohen. Damit stellt der Sudan die größte interne Flüchtlingskrise der Welt. Der Krieg ist die Folge eines Machtkampfs zweier Generäle, welcher in einer chaotischen postrevolutionären Phase nach 2019 ausgebrochen war. Und er macht keine Anstalten, bald zu enden. Ein Explainer, der vermutlich noch ein Weilchen lang relevant bleiben wird.
Gut zu wissen: Die größte aktive Fluchtbewegung ins Ausland hat die russische Invasion der Ukraine verursacht; der syrische Bürgerkrieg die größte Fluchtkrise insgesamt.
Zum ersten Mal schrieben wir im November 2021 über den Sudan. Unser erster Explainer “Sudan am Scheideweg” (Link auch am Schluss) erklärte, warum der Sudan ein “Scharnier” ist: Zwischen arabischer Welt, Ostafrika, Zentralafrika und der Sahelzone. Was im Sudan geschieht, betrifft alle Länder um ihn herum.
Wir führten kurz durch die unterschätzte Geschichte des Landes, dessen frühe Einwohner viel Einfluss auf das antike Ägypten ausübten und welches überhaupt erst im Mittelalter unter den arabischen Kolonialismus samt Islamisierung fiel. Wir beschrieben eine chaotische Unabhängigkeitsphase ab 1956 (damals aus der britischen Kolonialherrschaft heraus), welche mit kurzen demokratischen Experimenten durchsetzt in eine 30-jährige islamistische Diktatur unter Omar al-Baschir ab 1989 führte.
Baschir herrschte im Sudan von 1989 bis 2019 autoritär und ausbeuterisch. Er führte die Scharia ein und vergraulte damit den christlichen Südsudan, welcher nur aufgrund der osmanischen und britischen Kolonialverwaltungen an den Norden angeknüpft worden war, doch eigentlich wenig mit ihm zu tun hatte. Ein schwerer Bürgerkrieg war die Folge, welcher in die friedliche Unabhängigkeit 2011 führte. Auch in Darfur, einer weitläufigen Region im Westen des Sudans, brach ein Bürgerkrieg aus, in welchem sich schwarzafrikanische Stämme mit arabischen Stämmen bekriegten. Er lief offiziell von 2003 bis 2020.
Gut zu wissen: Der Begriff “Schwarzafrikaner” ist im Deutschen umstritten. Im Falle des Sudan wird es mit den Alternativen allerdings schwierig: “Afrikaner” wäre zu generisch; “Subsahara-Afrikaner” träfe meistens nicht zu (der Sudan gehört nicht zur Subsahara); und “Schwarz” fixiert sich auf die Hautfarbe, was ebenso unpräzise wäre (es gibt schließlich genügend schwarze Araber). Im Englischen ist im Sudan-Kontext meist von “African“, doch mitunter auch etwas umständlich von “black African” die Rede.
Das Ende der Ära Baschir
Im April 2019 eskalierten monatelange Massenproteste in eine Revolution, angetrieben von der desolaten Wirtschaftslage rund um Versorgungslücken und eine kollabierende Währung. Das Militär schritt ein und verhaftete Baschir, übernahm selbst die Kontrolle. Druck von der Straße, darunter einer bemerkenswert lautstarken Pro-Demokratie-Bewegung, sowie vom westlichen Ausland bewegte die Armeeführung dazu, gemeinsam mit zivilen Fraktionen einen Übergangsrat zu bilden.
Von Anfang an war die Integrität des Militärs unter General Abdel Fattah al-Burhan fragwürdig. Er hielt die Führung im “Souveränen Rat”, doch hätte sie 2021 an die zivile Seite übergeben müssen, damit diese demokratische Wahlen bis 2023 organisiert. Stattdessen führte er einen Putsch durch und verdrängte die zivilen Fraktionen. Massenproteste brachen aus. In diesem Moment erschien unser Explainer und stellte die Frage, wie es wohl weitergehen würde: “Gelänge es dem Sudan aus seiner Krise herauszufinden, wäre das ein monumentales Zeichen”, schrieben wir mit Hinblick auf die Rolle des Landes in der Region. Heute wissen wir die Antwort: Der Sudan fällt ins Chaos.
Die nächste Militärjunta
Nach dem Putsch im Oktober 2021 schien die neue Militärjunta Konzessionen zu machen und setzte den zivilen Premierminister Abdalla Hamdok wieder ein. Aus Sicht der Pro-Demokratie-Bewegung war das lediglich ein Feigenblatt, welches der Herrschaft des Militärs mehr Legitimation verschaffen sollte. Hamdok trat deswegen nach wenigen Wochen wieder zurück; die Massenproteste setzten sich fort. Ungeachtet dessen stabilisierte sich die Junta und ein demokratischer Übergang wirkte immer unwahrscheinlicher. Ein Abkommen im Dezember 2022, welches den Übergang regeln sollte, wurde von einigen Beobachtern als hoffnungsvoller Schritt, von anderen als völlig wertlos beschrieben. Es würde ohnehin nicht mehr relevant werden.
Am 15. April 2023 attackierte die Miliz der “Rapid Support Forces” (RSF) plötzlich Militärbasen im gesamten Land, darunter auch in der Hauptstadt Khartum, sowie öffentliche Einrichtungen wie den staatlichen TV-Sender. Sie scheiterten mit dem Plan, Armeechef Burhan gefangenzunehmen oder zu töten, doch belagerten das Hauptquartier der sudanesischen Armee (SAF) in Khartum und setzten den Staatschef damit wochenlang fest. Erst im August, vier Monate später, war Burhan imstande, Khartum zu verlassen. Der Bürgerkrieg heute ist jener zwischen der RSF und der SAF. Wer sind die Rebellen?
Die Rapid Support Forces
Die RSF gingen 2013 aus der Janjaweed-Miliz hervor. Diese waren eine Zusammenlegung arabischer Milizen, oft kamelführender Stämme aus dem Grenzgebiet zu Tschad, welche mit bemerkenswerter Brutalität im Darfur-Bürgerkrieg agierten. Sie standen im Zentrum der zahlreichen Vorwürfe über Massenmorde, strategisch eingesetzte Vergewaltigungen, Plünderungen, Folterungen und ethnische Säuberungen an der schwarzafrikanischen Lokalbevölkerung. Die möglicherweise 400.000 Toten und 3 Millionen Vertriebenen im Darfurkrieg gehen zum absoluten Großteil auf die Janjaweed zurück.
Gut zu wissen: Der Name “Janjaweed” könnte passenderweise auf die arabischen Worte jinn und ajawid zurückgehen, was ungefähr “berittene Dämonen” bedeuten würde. Die genaue Etymologie ist allerdings unklar.
Mehrere Anführer der Janjaweed wurden vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) für Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt – allerdings nicht Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als Hemeti. Als Ex-Diktator Baschir die inländisch verhasste und im Ausland denunzierte Gruppe 2013 auflöste, aber fast schon beleidigend offensichtlich in den neuen Rapid Support Forces aufgehen ließ, ernannte er Hemeti zu deren Chef. Später beförderte Baschir die RSF zu einer “unabhängigen Sicherheitsgruppe”, also zu einer Art Zweitarmee. Das geschah recht ausdrücklich mit der Absicht, einen Gegenpol zur SAF, also den regulären Streitkräften, aufzubauen, um einen Putsch zu verhindern. Als Belohnung für seine Arbeit erhielt Hemeti mehrere Goldminen übertragen.
Der Milizenchef bewies hohe Ambition. Er nutzte seinen neuen Reichtum, um die RSF schlagkräftiger aufzubauen und ausländisches Equipment einzukaufen. Indem er seine Truppen in Libyen und im Jemen kämpfen ließ, in letzterem aufseiten der VAE und Saudi-Arabiens, ließ er sie wichtige Kampferfahrung sammeln und baute das Verhältnis zu den arabischen Staaten aus. Russland, stets an aufstrebenden Warlords interessiert, nahm konstruktive Beziehungen zu Hemeti auf und ließ die in Afrika operierende Söldnergruppe Wagner mit der RSF kooperieren. Die Kampfstärke der RSF wird auf 70.000 bis 150.000 Mann geschätzt, gegenüber knapp 120.000 aufseiten der SAF (einige Schätzungen für die SAF reichen bis zu 300.000 Soldaten, es bleibt also viel Unklarheit).
Gut zu wissen: Hemeti stammt vermutlich aus tschadischen Araberstämmen, welche sich im westlichen Darfur niederließen. Er besuchte nur bis zur dritten Klasse eine Schule. Was er danach tat, ist unbekannt, doch es gibt Hinweise, dass er Kamelhändler war, bevor er in die Janjaweed eintrat.
Ein unglaubwürdiges Bündnis
Hemeti und Armeechef Burhan arbeiteten lange Zeit zusammen, eher aus Opportunismus, als aus Überzeugung. Beide achteten auf Gelegenheiten in der Protestwelle 2019 und agierten letztlich gegen Baschir, auch wenn Hemeti und die RSF ihn anfangs beschützten und brutal gegen die Protestler vorgingen. Als Burhan zum Chef des “Souveränen Rats”, des Übergangsrats, wurde, war Hemeti sein Vize. Im Selbstputsch 2021 kooperierten beide, um die zivilen Fraktionen herauszustoßen und eine Militärjunta einzurichten. Für Hemeti dürfte hineingespielt haben, dass er wusste, dass er in einem demokratischen System wenig zu gewinnen hatte: Die Brutalität seiner RSF und wohl auch sein Minderheitenhintergrund machten ihn zutiefst unbeliebt in der Bevölkerung.
Die Probleme in der Kooperation zwischen SAF und RSF begannen früh, denn der Sudan hatte nie Platz für zwei mächtige Warlords. Hemeti und Burhan sprachen über eine Zusammenlegung von RSF und SAF, doch hatten offensichtliche Meinungsverschiedenheiten darüber, wer die neue Armee anführen sollte. Ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass sie eine Mischlösung, in welcher der jeweils andere Akteur nennenswert Macht behält, langfristig toleriert hätten. Verkompliziert wurde die Lage durch die “alte Garde” aus der Baschir-Ära, welche eine Rückkehr zur Macht suchte und RSF sowie SAF gegeneinander auszuspielen versuchte.
Die Spannungen nahmen Anfang 2023 kräftig zu, als die RSF intensiv rekrutierten und Manöver rund um die Hauptstadt Khartum durchzuführen schienen. Die Armee zog ihre Truppen zusammen. Beide Seiten verhandelten und erreichten einen Deal im März, nach welchem die RSF aus dem Umfeld der Hauptstadt abzogen. Er währte nicht lange, denn schon im April begann der Erstschlag der RSF.
Der Bürgerkrieg_
(4 Minuten Lesezeit)
Wer kontrolliert was
Der Krieg begann in Khartum und dort läuft er bis heute. Die RSF verbuchten frühe Gebietsgewinne in der Hauptstadt und eroberten binnen einiger Monate ihren Großteil, was einen schweren Rückschlag für die SAF darstellt. Nur noch in der nördlichen Schwesterstadt Omdurman, welche zwar formell die größte Stadt des Landes ist, doch von Beobachtern nicht selten zu Khartum dazu gezählt wird, konnte sich die Armee stellenweise halten und wurde von den Rebellen belagert. Das öffentliche Leben in Khartum kam völlig zum Erliegen, weite Teile der Stadt sind verwüstet.
Drumherum gelang es den RSF, sich im Zentrum des Landes auszubreiten, vor allem mit der Eroberung der Stadt Wad Madani. Sie ist ein Zugangstor zum an Äthiopien und Eritrea grenzenden östlichen Sudan und ist Hauptstadt der Region Al Jezira, welche mit ihrer großen Landwirtschaft als “Brotkorb” des Sudans gilt
Auch im Rest des Landes brachen Kämpfe aus. Im Norden, in den weitläufigen Sahara-Gebieten bis zur ägyptischen Grenze, schlug die Armee die RSF nach einigen frühen Erfolgen zurück. Im Osten, bei großen Städten wie Gedaref sowie der wichtigen Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer, konnte sich die RSF nie etablieren. Port Sudan ist heute die faktische Hauptstadt des Sudans.
Im Westen konnten die RSF fast die gesamte Region Darfur erobern, aus welcher viele ihrer Kämpfer stammten. Die Armee fiel dort an mehreren Stellen völlig auseinander; hält heute nur noch eine kleine Exklave um die Stadt Tawila. Die Rolle der RSF in Darfur ist kritisch. Bereits in ihrer Proto-Form als Janjaweed waren die Kämpfer für teils rassistisch, teils strategisch motivierte Brutalität berüchtigt. Als Darfur-Araber (welche wohl fließend in Tschad-Araber übergehen und im Sudan einfach allesamt Baggāra genannt werden) fühlen sie sich den “Nil-Arabern” im sudanesischen Kernland überleben, doch den schwarzafrikanischen Stämmen, welche den Großteil der Bevölkerung in Darfur ausmachen, umso mehr.
Gut zu wissen: Der Krieg mag eine rassistisch-chauvinistische Motivation besitzen, doch eine religiöse besitzt er nicht. Alle involvierten Seiten sind muslimisch. Eine kleine Ausnahme mag sein, dass Hemeti insbesondere in der internationalen Kommunikation versucht, Burhan in die Nähe des islamistischen Baschir-Regimes zu rücken. Der Armeechef sei ein “radikaler Islamist”, so Hemeti auf Englisch auf Twitter.
Darfur und Südkordofan
Wie schon im Darfurkrieg von 2003 bis 2020 verübten die RSF in Darfur schwere Massenmorde, Massenvergewaltigungen und ethnische Vertreibungen. Heraus sticht eine Reihe von Massakern an der schwarzafrikanischen Masalit-Ethnie, welche für viele Beobachter genozidale Züge annehmen. Allein in El Geneina, einer der größten Städte Darfurs, wurden binnen drei Monaten 10.000 bis 15.000 Zivilisten ermordet, so ein interner Bericht des UN-Sicherheitsrats. Das führt auch die UN-Schätzung, wonach der Gesamtkrieg bislang 15.000 Menschen das Leben gekostet habe, ad absurdum, doch diese ist eben Konsequenz der spärlichen Informationslage vor Ort.
In Darfur und im südlich gelegenen Südkordofan spielen neben der RSF und der SAF auch ethnische Milizen eine Rolle. Sie existieren seit Jahrzehnten und waren lange die Gegenspieler der regulären Armee und der Janjaweed; heute sind sie im Bürgerkrieg teils neutral, bekriegen sich mit beiden Seiten oder kooperieren aus Hass über die RSF mit der Armee (einige kleinere Milizen arbeiten auch mit den RSF zusammen). Die nennenswerteste Miliz ist die große JSAMF in Darfur, eine neue Fraktion aus mehreren etablierten Rebellengruppen, angeführt von Minni Minnawi. Sie war lange neutral, doch hat nun der RSF den Kampf erklärt. Die SPLM-North kontrolliert derweil weite Teile der Grenze zum Südsudan und nutzt den Konflikt dafür aus, ihr Territorium ungestört auszuweiten. Einzelne Fraktionen innerhalb der SPLM-North scheinen aber bereits mit der SAF kooperiert zu haben.
Gut zu wissen: Das Analyseportal Sudan War Monitor hat einen Artikel zum Who’s who im Sudankrieg.
Die SAF schlägt zurück
Monatelang verbuchten nur die RSF Fortschritte, während die Armee versuchte, ihren Vormarsch einzudämmen. Vor allem die Gebietsgewinne in Khartum und in Jezira State schockierten die sudanesische Öffentlichkeit und waren eine Blamage für Armeechef Burhan, welcher nicht einmal sein Kernland sichern konnte (die Lage in Darfur ist für viele Sudanesen außerhalb diffuser). Obwohl die Armee Kampfjets, Artillerie und anderes schweres Gerät besitzt, sind die kampferfahrenen, mobilen RSF ihr scheinbar taktisch überlegen.
Zuletzt wandte sich das Blatt etwas. Der Armee gelang Mitte Februar ein Durchbruch in Omdurman bei Khartum, ihre erste erfolgreiche Offensivoperation im Krieg. Sie beendete dadurch zeitgleich die zehnmonatige Belagerung eines umkreisten Militärdistrikts durch die RSF und spaltete die Rebellenbesatzungen in der Stadt entzwei. Das bedeutet eine deutliche Verbesserung der strategischen Lage der SAF rund um Khartum. Und auch wenn es keine vollständige Wende im Krieg darstellt, beendet es die Erfolgsdynamik der RSF.
Ermöglicht wurde der Erfolg der Armee durch eine Reihe an Faktoren. Sie hatte es nach rund 10 Monaten geschafft, ihre Logistik zu verbessern, und nutzt Stärken wie ihr Quasi-Monopol auf Artillerie besser. Die Angst vor den RSF und ein modernisiertes Besoldungssystem treiben Rekruten in ihre Armee, zudem ist sie dazu übergangen, Zivilisten mit Waffen auszustatten. Und ihre Versorgung mit Munition sowie leistungsfähigen Waffensystemen scheint sich verbessert zu haben. Letzteres scheint in hohem Maße damit zusammenzuhängen, dass die SAF Unterstützung aus dem Ausland erhält.
Das Ausland_
(3 Minuten Lesezeit)
Ein internationalisierter Bürgerkrieg
Der Bürgerkrieg im Sudan ist längst nicht mehr nur der Bürgerkrieg des Sudan. Knapp ein halbes Dutzend Staaten mischt offenkundig darin mit, womöglich noch weitere, dessen Beteiligung noch nicht bekannt ist. Es sind viele alte Verdächtige und mindestens ein ungewöhnlicher Akteur.
Die wichtigsten Unterstützer der RSF scheinen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Russland zu sein. Beide steuern Waffen und Munition bei und beide dementieren selbiges. Medienberichten zufolge senden die VAE ihr Material per Flugzeug in den östlichen Tschad, von wo es problemlos über die poröse Grenze in die Hände der RSF gelangt. Beamte aus Uganda berichten dem Wall Street Journal, dass emiratische Flugzeuge, welche nominell Hilfsgüter für sudanesische Flüchtlinge in den Tschad transportieren sollten, in Wahrheit Waffen und Munition geladen hätten. Vorgesetzte hätten später angeordnet, keine Flugzeuge aus den VAE mehr zu prüfen. Für die SAF ist die emiratische Unterstützung ihrer Kriegsgegner erwiesene Sache; im Dezember 2023 verwies Sudan 15 VAE-Diplomaten des Landes.
Russland unterstützt Hemetis RSF vor allem mittels der Söldnergruppe Wagner, welche in Afrika längst etabliert ist. Wagner scheint russisches Material aus Syrien über Libyen – genauer das Gebiet des befreundeten Warlords Khalifa Haftar, ebenfalls ein Wagner-Kunde – in den Sudan befördert zu haben. So erhielt die RSF mutmaßlich Boden-Luft-Raketen, welche also den Luftvorteil der Armee etwas ausgleichen sollten. Auch Lieferungen aus der Zentralafrikanischen Republik, wo Wagner gleichermaßen in einen Bürgerkrieg involviert ist, wurden gemutmaßt. Satellitendaten zeigen übrigens, dass die “Libyenbrücke” zwei Tage vor dem Erstschlag der RSF im April 2023 auffällig aktiv war, also viele russische Iljushin-76-Transportflugzeuge im Osten Libyens eintrafen. Das deutet an, dass Moskau über Hemetis Pläne vorab im Bilde war – oder er zumindest “just in time” bei Wagner eingekauft hatte.
Gut zu wissen: Nur einen Tag, bevor Russland im Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, war Hemeti in Moskau zu Besuch. Es sei darum gegangen, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu “entwickeln“.
Freunde der SAF
Die SAF pflegt gute Beziehungen zu Ägypten, wo Präsident-General Abdel Fattah al-Sisi seinen Konterpart Burhan als berechenbarer und konstruktiver als den Warlord Hemeti wahrzunehmen scheint. Ägyptische Soldaten waren zu Kriegsausbruch unangekündigt im Sudan und wurden von der RSF gefangengenommen (kamen aber früh wieder frei); und nachdem Burhan der Belagerung in Khartum nach Port Sudan entfliehen konnte, leistete er seine erste Auslandsreise in Kairo ab. Ob Ägypten die SAF aktiv militärisch unterstützt, ist unklar.
Auch Iran unterstützt die Armee, obwohl Khartum und Teheran eigentlich jahrelang miserable Beziehungen hatten. Hauptgrund für Iran dürfte sein, den wachsenden Einfluss der VAE zurückzudrängen und den eigenen Einfluss am Roten Meer auszubauen. Die Lieferung von Mohajer-6-Drohnen scheint die SAF bedeutend gestärkt und bei der Omdurman-Offensive maßgeblich geholfen zu haben. Die modernen Drohnen können selbst angreifen, aber auch Ziele für die Artillerie markieren. Wie wichtig das ist, bestätigen sudanesische Militärs gegenüber Reuters, auch wenn weder SAF noch Teheran die Kooperation einräumen.
Der ungewöhnliche Akteur ist die Ukraine. Sie hat offenbar Spezialeinheiten in den Sudan entsandt, um die RSF zu bekämpfen, etwa mit Kamikaze-Drohnen. Doch es gibt auch Hinweise, dass russische Wagner-Söldner direkt im Sudan operieren – ein seltener Fall von direkter Beteiligung ausländischer Armeen. “Hinweis” ist an dieser Stelle ein Video, welches mutmaßlich von Militärquellen an die Kyiv Post gegeben wurde, und welches einen von der Ukraine gefangengenommenen Söldner im Sudan zeigen soll.
Es ist durchaus intuitiv, dass Kiew Spezialeinheiten im Sudan einsetzt, um den russischen Einfluss zurückzudrängen. Burhan und der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelensky hatten sich im September 2023 in Irland kurz getroffen und “gemeinsame Sicherheitsherausforderungen, genauer illegale bewaffnete Gruppen, welche von Russland finanziert werden” besprochen, so Zelensky damals.
Etwas schwieriger zu platzieren ist Saudi-Arabien. Die Regionalmacht pflegt gute Beziehungen zu Burhan, doch auch zu Hemeti, welcher immerhin Truppen für den Jemenkrieg entsandt hatte. Riad wird im Bürgerkrieg bisher nicht mit Waffenlieferungen in Verbindung gebracht. Der Westen ist derweil kein Faktor im Bürgerkrieg; tritt nur humanitär und im bislang wirkungslosen politischen Prozess auf.
Wie es weitergeht_
(3 Minuten Lesezeit)
Warten aufs Patt
Ein schnelles Ende im sudanesischen Bürgerkrieg zeichnet sich nicht ab. Die Armee hat bewiesen, dass sie noch nicht abgeschrieben werden darf. Sie wird dieselbe Strategie, welche in der Omdurman-Offensive funktioniert hat, weiter anwenden: Langsamer Stellungskrieg mit überlegener Feuerkraft, welcher den Gegner nach und nach aus seinen Stellungen quetscht. Andersherum ist die RSF weiterhin kampfstark. Sie wird Gegenoffensiven starten und versuchen, den mobilen Manövrierkrieg, in welchem sie erfahrener ist, beizubehalten. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Krieg in den kommenden Monaten auf weitere Gebiete ausweitet – zum Beispiel den bislang weitgehend verschonten Osten –, als dass er sich beruhigt.
Initiativen für Frieden sind derzeit nicht realistisch. Ein erster Anlauf, der Vertrag von Jeddah, welchen Delegierte von RSF und SAF in ersten direkten Gesprächen in Saudi-Arabien im Mai 2023 geschlossen hatten, scheiterte. Ohnehin sah er keine Waffenruhe vor, sondern nur humanitäre Korridore für Zivilisten, Sicherheit für Hilfsarbeiter und ein Verbot für die Nutzung von Zivilisten als menschliche Schutzschilde; doch eine Einhaltung hätte eine erste vertrauensbildende Basis für weitere Gespräche bieten können. Drumherum gab es sehr kurze Waffenpausen, welche ebenfalls kaum hielten. Versuche für neue Anläufe gibt es reichlich: Die USA und Saudi-Arabien haben Ägypten und die VAE an Bord gebracht; die Ostafrika-Gruppe IGAD wirkt ebenfalls auf die Kriegsparteien ein und die zivile Opposition im Sudan mischt mit ihrer neuen Fraktion Taqaddum mit, allerdings aus dem äthiopischen Exil heraus.
Heute besitzt allerdings keine der beiden Seiten einen echten Anreiz dafür, die Kämpfe einzustellen. General Hemeti von der RSF bot im Januar zwar eine Waffenpause, doch Beobachter zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Vorschlags (womöglich wusste Hemeti bereits, dass seinen weit gestreckten Truppen erste Rückschläge bevorstünden). Die Armee kann den Konflikt derweil kaum in einem Moment einfrieren, in welchem sie die Hauptstadt nicht mehr kontrolliert – und erlebte zuletzt Erfolge, auf welchen sie aufbauen wollen wird.
Das Syrien-Szenario oder das Libyen-Szenario
Dass der Krieg noch einige Monate andauern wird, ist eine risikoarme Schätzung. Auch ein jahrelanger Konflikt ist möglich, wie es jüngst von 2014 bis 2020 in Libyen demonstriert worden ist. Dort war die Konstellation mit zwei großen Fraktionen vergleichbar zu jener im Sudan, wohingegen die Gemengelage in Syrien kleinteiliger und chaotischer war und ist. Wie in Libyen könnte sich der Konflikt im Sudan irgendwann erschöpfen und das Land in zwei Kontrollzonen zerfallen, welche nominell Teil eines Staates bleiben. Sie würden zwar durch einen politischen Mediationsprozess gehen, doch in erster Linie durch das militärische Patt stabilisiert werden.
Verkompliziert wird die Lage durch die Internationalisierung des Bürgerkriegs. Die jeweiligen ausländischen Mäzene der zwei Kriegsparteien stellen sicher, dass ihr Günstling weiter kämpfen kann und stets eine Perspektive auf Erfolge besitzt. So lief es etwa in Syrien, wo Russland und Iran die Assad-Regierung vor dem drohenden Zerfall retteten und den Bürgerkrieg vermutlich um Jahre verlängerten. Andererseits kann die Internationalisierung auch schneller die eben beschriebene Pattsituation herstellen. In Libyen war es die türkische Intervention aufseiten der westlichen GNA, welche den Vormarsch der östlichen LNA – unter anderem von Russland unterstützt – stoppte und Verhandlungen erzwang. Die Beteiligung des Auslands macht die Lage im Sudan weniger einschätzbar und vorhersehbar.
Mit dem Fortgang des Krieges wird auch die desolate humanitäre Lage im Sudan nicht allzu schnell enden. Rund die Hälfte der Bevölkerung hat akuten Bedarf für Hilfslieferungen; 37 Prozent erleben eine hochproblematische Lebensmittelversorgung (bei weiteren 37 Prozent sei die Versorgung angespannt). Hilfsorganisationen kommen an den zentralen und westlichen Teil des Landes praktisch nicht heran. Gepaart mit einer völlig kollabierten Wirtschaft besteht die Gefahr einer Hungersnot. Dazu kommen Krankheitsausbrüche wie Cholera, denn 65 Prozent der Bevölkerung haben nicht mehr genügend Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Eine vertane Chance
Der Sudan besaß 2021 eine echte Chance, einen Schritt in Richtung Demokratisierung und Stabilisierung zu machen. Damit hätte er ein kraftvolles Zeichen an seine zerrüttete Region gesandt. Stattdessen wählten die zwei Generäle, welche das Schicksal des Landes am ehesten in der Hand hatten, einen anderen Weg. Derzeit zeichnet sich nicht ab, dass irgendeiner von beiden sein Ziel erreichen wird. Sollte er es tun, wäre er König eines zerstörten Landes.
Weiterlesen:
Zum Sudan
Sudan am Scheideweg (2021)
Zu Afrika
Tunesien sucht die Vergangenheit (2023)
Die Wagner-Gruppe (2022)
Sahel: Die Küste und der Gürtel (2022)
Der Konflikt in Tigray (2021)
Der Bürgerkrieg in Äthiopien und die zwei riskanten Strategien (2021)
Tunesien: Die komplizierte Demokratie (2021)
Die Westsahara erreicht den Rest der Welt (2021)
Marokko und die Westsahara (2020)
Zum Nahen Osten
Der Nahe Osten tut, was der Nahe Osten immer tut (2024 – zweiter Artikel)
Der Jemen und die Houthis (2024)
Saudi-Arabien, Iran und der Deal (2023)
Israel und Palästina (2023)
Die Optionen für Frieden in Nahost (2023)