Ein Meinungsexplainer zu den aktuellen Vorgängen rund um den Ukrainekrieg.
19.01.2025
Die USA wenden sich ab | Ukraine und Russland | Erklärungsversuch
(17 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Ein Eklat im Weißen Haus ist Symbol für die Abkehr der USA von bisherigen Bündnissystemen, am ehesten verdeutlicht am Umgang mit der Ukraine
- Die Trumpisten blicken teils mit Indifferenz, teils mit offen zur Schau getragener Ablehnung auf das Land – und einige unterstützen ausdrücklich Russland.
- Die genaue Linie der Trump-Regierung im Ukrainekrieg bleibt uneindeutig, doch sie paart antagonistisches Verhalten gegenüber Kiew mit einem freundlichen Umgang mit Russland.
- Auffällig war, dass die Trump-Regierung ohne jegliche Notwendigkeit weitreichende Konzessionen an Moskau gemacht hat.
- Denkbar ist, dass das mit reiner Präferenz für Russland zusammenhängt, mit außenpolitischen Überlegungen bezüglich China oder, am wahrscheinlichsten, mit dem Wunsch, einfach schnellstmöglich einen irgendwie gearteten Frieden herzustellen.
- Ein warnendes Beispiel ist der Afghanistan-Abzug, welchen die Trump-Regierung 2020 mit den Taliban vereinbart hatte. Er war schlecht ausgearbeitet und lieferte das Land, eigentlich ein US-Verbündeter, an die Miliz aus.
Die USA wenden sich ab_
(5,5 Minuten Lesezeit)
Der Schreikampf
Ein angespanntes, doch höfliches Treffen zwischen der US-Regierung und Wolodymyr Selenskyj eskalierte am Freitag in einen öffentlich ausgetragenen Streit – geradezu einen Schreikampf –, nachdem Vizepräsident J.D. Vance eine Journalistenfrage an sich gerissen hatte. Er lobte die amerikanische Diplomatie zwischen den USA und Russland, was Selenskyj zu einer kritischen Nachfrage veranlasste: “Über was für Diplomatie sprichst du, J.D.?”
Der Vize, welcher sein Amt ungewöhnlich aktiv zu interpretieren scheint, ging in den Angriffsmodus. Er warf Selenskyj Danklosigkeit vor, hielt ihm die schwierige militärische Lage des Landes vor, sprach von “Propagandatouren” für ausländische Staatschefs nach Kiew und unterstellte ihm Wahleinmischung (Selenskyj hatte 2024 eine Waffenfabrik in einem wichtigen Wahlkampfstaat besucht und sich mit Vizepräsidentin Kamala Harris getroffen). Nach einigem hitzigen Hin und Her sprang auch Präsident Donald Trump ins Gespräch und warf Selenskyj vor, einen “Dritten Weltkrieg” zu provozieren und nicht “für Frieden bereit” zu sein.
Die Pressekonferenz wurde abgebrochen und die ukrainische Delegation keine halbe Stunde darauf aus dem Weißen Haus gebeten. Selenskyj hielt noch ein Interview beim konservativen TV-Sender Fox News ab, in welchem er seine Worte zu erklären versuchte (aber nicht kassierte und eine Entschuldigung verweigerte), die Dankbarkeit gegenüber den USA ausdrückte und die Souveränität der Ukraine betonte. Vance und Trump wiederholten auf Social Media ihre Kritik am ukrainischen Staatschef, während Europa sich mehrheitlich hinter die Ukrainer stellte und Russland die Lage hämisch kommentierte. In der Ukraine führte der Vorfall überwiegend zu Unterstützungsbekundungen für den eigenen Präsidenten (auch wenn einige Oppositionspolitiker Selenskyj kritisierten). In den USA scharten sich mehrere Republikaner um Trump, während es von den Demokraten und auch gewissen konservativen Beobachtern Kritik gab. Einige Beobachter meinten gar, einen “Hinterhalt” erkannt zu haben: Trump und Vance hätten Selenskyj bewusst in den Streit gelockt, um ihn öffentlich bloßzustellen.
Gut zu wissen: Zu der Pressekonferenz erlangte kurzzeitig ein Reporter des russischen Staatssenders TASS Zugang. Das Weiße Haus eskortierte ihn heraus und erklärte, dass er nicht auf der zugelassenen Liste stand; zugleich waren eigentlich alle Journalisten im Pressepool handverlesen. In jedem Fall fehlten Reuters und die Associated Press: Die Trump-Regierung schränkt in bisher beispiellosem Ausmaß den Zugang unliebsamer Medien ein.

America First
Der Eklat im Weißen Haus, für welchen die whathappened-Redaktion keinerlei Präzedenz kennt, steht symbolisch für eine tektonische Verschiebung in der Geopolitik. Die USA treten als Schutzmacht einer regelbasierten internationalen Ordnung und eines westlichen Bündnissystems zurück, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg bestanden hatte. Darin hatten sie eine überproportionale Führungsrolle eingenommen, mit zahlreichen Vorteilen (etwa der Fähigkeit zur globalen Machtprojektion und innenpolitischem Einfluss rund um die Welt), doch auch Dinge getan, die auf den ersten Blick altruistisch wirken könnten: Vorteilhafte Handelsabkommen für bestimmte afrikanische Staaten, die Stationierung von Militärkapazitäten in Europa oder dass sie im vergangenen Jahr 40 Prozent der globalen Entwicklungshilfe beisteuerten.
Altruistisch sind solche Maßnahmen nur auf den ersten Blick, in Wahrheit dienten sie klaren amerikanischen Interessen. “Freundliche” Wirtschaftsabkommen verknüpften die USA an “Good Governance”-Bedingungen für die betreffenden Länder, also etwa demokratischere Strukturen, mehr Pluralismus oder Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Richtig eingesetzte Entwicklungshilfe verhindert Pandemien, globale Konjunkturprobleme, Schuldnerausfälle und Migrationsdruck. Und die Militärinfrastruktur in Europa schafft zuverlässige Partner auf dem nach wie vor reichen Kontinent; eine Bastion gegenüber Russland; und die Fähigkeit zur besseren Machtprojektion nach Nahost (viel amerikanischer Militärverkehr lief im Irak- und Afghanistankrieg über die Basen in Deutschland).
Die amerikanischen Trumpisten rund um die neue Regierung missverstehen diese Realität. Ihr Verständnis von “America First” ist stattdessen bemerkenswert kurzsichtig. Nicht, dass es verkehrt wäre, Interessen in der Außenpolitik voranzustellen – jedes Land darf sich selbst aussuchen, welchen Mix aus interessen- und wertegeleiteter Außenpolitik es betreiben möchte (in Deutschland unter SPD- und Grünen-geleiteten Außenministerien wurde letztere als “feministische Außenpolitik” bezeichnet). In diesem Sinne ist es valide, allerlei Aspekte der außenpolitischen Partnerschaft auf den Prüfstand zu stellen: Entwicklungspolitik steckt voller Ineffizienz und Ineffektivität; und Europa zur aktiveren Verteidigungspolitik aufzurufen, tun die US-Regierungen seit Jahren so aktiv wie vergeblich.
Setting yourself up for failure
Die Trump-Regierung geht jedoch viel, viel weiter, als einfach nur berechtigte Fragen zu stellen und gewisse Bäumen zu rütteln: Sie hat die Entwicklungshilfeorganisation USAID nahezu vollständig zerschlagen (dazu vermutlich in der Zukunft noch ein Explainer), erpresst enge Verbündete in der Handelspolitik und baut vertrauensbasierte Militärbündnisse zu Sicherheitsdienstleistungen im Stile eines “pay-to-play”-Geschäfts um: Wer zahlt, erhält Sicherheit.
Das wirkt höchstens auf den ersten Blick wie ein Erfolg für die USA, denn Außenpolitik operiert auf Basis von Erwartungen und Berechenbarkeit. Vor allem Partnerschaften und Bündnisse funktionieren nur, weil sie auf den Säulen von Vertrauen und glaubwürdigen Bekenntnissen stehen. Durch die “Devolution” solcher Beziehungen zu rein transaktionalen Verhältnissen riskiert die Trump-Regierung, sie fundamental zu zersetzen. Die Kosten dessen sind real: Ein weniger enges Verhältnis baut Sicherheit und Planbarkeit für Wirtschaftsakteure ab und schadet damit dem Wohlstand beider Seiten; es riskiert den diplomatischen Rückhalt der USA in internationalen Plena wie den UN; es könnte ihre militärischen Optionen weltweit schwächen; und es treibt Staaten in den Orbit anderer Länder wie China.
Kein schlimmerer Feind als ein Freund
Nicht nur das: Die Trumpisten gehen ausgerechnet mit Partnern weitaus antagonistischer um, als sie es mit anderen Ländern tun. Kanada, Mexiko, Kolumbien und perspektivisch die EU werden mit handelspolitischen Maßnahmen überzogen, welche ins Erpresserische reichen; Dänemark, Kanada und Panama werden von den USA mit militärischen Drohungen bedacht, welche sie zwar kaum in die Tat umsetzen werden, doch die allein schon als solche ihren Effekt haben. Und im Ukrainekrieg wollen die Trumpisten die Ukraine solange biegen, bis eine Waffenruhe für Russland gangbar ist, und nicht etwa andersherum.
Das dürfte kein Zufall sein. Die Trump-Regierung beweist einen guten Instinkt dafür, wo sie am wenigsten Widerstand antrifft – und das sind nun einmal Verbündete. Zum einen sind sie am engsten mit den USA verbunden, politisch und wirtschaftlich, womit sie am exponiertesten gegenüber deren Drohungen sind. Zum anderen sind sie weniger dazu bereit, in offenen Konflikt mit den USA zu treten und in der Regel als Demokratien ohnehin etwas berechenbarer. Während China und Russland mit kaum versteckten Einflusskampagnen reagieren und Iran gar mutmaßlich Attentate auf Trump und andere US-Offizielle geplant hatte, ist relativ absehbar, wie weit Europa oder Kanada in einem Streit mit den USA zu gehen bereit wären. Die eigenen Partner zu schütteln, mag langfristigen Einfluss- Wohlstands- und Sicherheitsverlust bedeuten, doch ist in der Kurzfrist der schnellste Weg zu vorzeigbaren Ergebnissen im Stile von “America First”.
In den Trumpisten-Kreisen in den USA wird das neue Vorgehen auf vielerlei Arten und Weisen erklärt. Mal heißt es, es sei “tough love“, also strenge Liebe unter Freunden, welche Vizepräsident J.D. Vance dazu bewog, Europa auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorzuwerfen, dass der Kontinent undemokratisch werde und die Meinungsfreiheit bedränge (und zwar stärker als Russland oder China). Man helfe sich unter Freunden eben aus. Mal wird ganz anders argumentiert, nämlich damit, dass Kanada, Mexiko und Europa die USA ausnutzen oder sogar in Gefahr bringen würden, etwa in Form von Fentanyl- und Migrantenströmen. In dieser Anschauung handelt es sich nicht mehr um Freunde, sondern im Grunde um Rivalen.
Der Umgang mit der Ukraine und Russland_
(6,5 Minuten Lesezeit)

Der Regionalkonflikt
Die Ukraine nimmt in der neuen amerikanischen Außenpolitik nicht einmal unbedingt eine Sonderstellung ein. In den USA wird der Ukrainekrieg weniger allumfassend wahrgenommen als in Europa, aus offensichtlichen Gründen, darunter der Geografie und der Bedrohungslage durch Russland. Ein Großteil der Bevölkerung unterstützt zwar nach wie vor die Ukrainer und Waffenlieferungen an diese, doch das Thema ist im gesellschaftlichen Diskurs nicht allzu relevant. In Umfragen zu den größten politischen Prioritäten taucht Außenpolitik meist nicht einmal auf und wenn, dann meist ganz hinten.
Auch für die Trumpisten ist die Ukraine eher uninteressant. Die meisten von ihnen sind Isolationisten und konzentrieren ihr ideologisches Wirken auf die Innenpolitik. Der jüngste Expansionismus der USA wurde relativ überraschend durch Präsident Trump diktiert und zieht nun erst allmählich in die politische Doktrin der Trumpisten ein. Vizepräsident Vance beschrieb es drei Tage vor Beginn der Invasion 2022 treffend: “Mir ist es völlig egal, was mit der Ukraine passiert”. So dürften es die meisten Trumpisten lange gesehen haben.
Inzwischen trifft es “völlig egal” aber nicht mehr ganz. Die Isolationisten beklagen seit langem, dass die Ukraine mit amerikanischen Geldern beschenkt werde, für welche die USA nichts im Gegenzug erhalten würden. Und da Demokraten und die Biden-Regierung klar auf der Seite der Ukraine standen, war es für die Trumpisten intuitiv, sich gegen sie – genauer gegen eine Einmischung in einen Krieg auf der anderen Seite des Atlantiks – zu positionieren. Die Ukraine wurde damit gewissermaßen in den amerikanischen “Kulturkrieg” zwischen Progressiven und Konservativen gezerrt (bei einigen “klassischen” Republikanern führte das zu komplexen Verrenkungen, da sie eigentlich viel Skepsis gegenüber Russland pflegten).
Gut zu wissen: Dass die USA nichts für ihre Unterstützung der Ukraine erhielten, ist falsch. Erstens ist Russlands Verwicklung in den Ukrainekrieg ein exzellenter und beeindruckend kostengünstiger Weg, die russische Armee zu binden und zu zerrütten sowie die russische Wirtschaft zu schwächen. Zweitens erlaubt der Ukrainekrieg, amerikanische Waffensysteme und NATO-Strategien im Feld zu testen, was nicht nur den Planern im Pentagon, sondern auch den Waffenverkäufen der amerikanischen Hersteller zugutekommt. Und drittens fließt ein großer Teil der amerikanischen Hilfen direkt in die heimische Waffenindustrie, wo sie Jobs und Umsätze kreieren. Von den 113 Milliarden USD, die der Kongress bis zum April 2024 bereitgestellt hatte, blieben etwa 68 Milliarden USD zuhause in den USA – also über 60 Prozent.
Russland, die Bastion des Guten
Dazu kommt, dass ein prorussischer Kreis existiert, auch wenn er bislang eine Minderheit ist und nicht den Ton angibt. Grund ist meist die verquere Vorstellung, dass Russland eine Bastion des Konservatismus im Kampf gegen einen “woken” Progressivismus sei. Der Abgeordnete Paul Gosar warf der Ukraine etwa realitätsentrückt vor, “linksradikale Ideologie” zu fördern; und TV-Persönlichkeit Tucker Carlson erklärte schon 2021, Russland zu unterstützen; seitdem lässt er sich offen und auf fast absurde Weise in russische Staatspropaganda einspannen (der Besuch in einem Supermarkt in Moskau habe ihn etwa “radikalisiert”, in bester Kalter-Krieg-Manier, allerdings handelte es sich um die Filiale einer französischen Kette).
Die Begeisterung der neuen amerikanischen Rechten für Russland erinnert an jene der westlichen Linken für die Sowjetunion ab den 1950ern. Beide waren an romantische Vorstellungen geknüpft, die wenig mit der Realität zu tun hatten; beide fielen auf Propaganda herein und leisteten beeindruckende Arbeit, kognitive Dissonanzen zu ignorieren. Russland, in welchem politische Morde gang und gäbe sind, wo keine Zivilgesellschaft, freie Presse oder Meinungsfreiheit mehr existiert, wo anstelle eines freien Marktes eine korrupt-mafiöse Machtvertikale besteht, wo die Abtreibungsraten eher hoch und die Scheidungsraten so hoch wie fast nirgendwo in der Welt sind, ist beileibe kein Leuchtturm des Konservatismus, egal, wie man ihn interpretieren mag.
Zu guter Letzt können die Trumpisten die Ukraine nicht ignorieren, weil Präsident Trump den Krieg mit seiner Amtseinführung 2025 “geerbt” hat und früh Ambitionen anmeldete, an ihm seine “Dealmaking”-Fähigkeiten zu beweisen. Damit hat Trump den Ukrainekrieg personalisiert und wird ihn nun nicht mehr so einfach los.

Trump, Russland und die Ukraine
Ukrainer und Unterstützer des Landes blickten früh mit reichlich Skepsis auf Trump. Seine Sympathien für Russland sind kein Geheimnis: Als er 2018 in Helsinki einen ersten Gipfel mit Wladimir Putin abhielt, schwärmte er von seinem Konterpart. Er erklärte, dass er dem russischen Präsidenten und nicht dem amerikanischen Geheimdienstsystem glaube, wenn es um die Frage geht, ob sich Russland in die Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt habe. Das sorgte damals für einen großen Skandal innerhalb der Republikaner. Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton erklärt: “Er denkt er und Putin seien Freunde. Er hat keine Ahnung, dass Putin ihn ausnutzt”. Versuche, Trump zu mehr Skepsis gegenüber Putin aufzurufen, seien allesamt gescheitert, so Bolton über das Innenleben des Weißen Hauses in Trumps erster Amtszeit.
Darüber hinaus erlebte Trump bereits Spannungen mit der Ukraine. 2019 versuchte er, Präsident Selenskyj zu erpressen: Waffenlieferungen würde es nur geben, wenn Kiew Ermittlungen gegen Geschäftsbeziehungen der Biden-Familie startet. Der Vorgang wurde dank eines Whistleblowers öffentlich und führte zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Und schon 2016 hatte er Paul Manafort zu seinem Wahlkampfmanager gemacht: Ein Mann, der vorher als Lobbyist für den prorussischen ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch arbeitete (Janukowitsch floh 2014 nach prowestlichen Massenprotesten aus dem Land und lebt heute in Russland).
Zugleich war Trumps Politik wie so oft inkonsistent. Hatte Moskau seinen Amtsantritt eingangs noch gefeiert, weitete Trump letztlich doch die Sanktionen gegen Russland aufgrund der ersten Invasion 2014 aus. Nicht nur das, er lieferte sogar mehr Waffen an die Ukraine, als sein Vorgänger Barack Obama es getan hatte. Womöglich wäre Trump in seiner zweiten Amtszeit also doch zur Unterstützung der Ukraine bereit? Zudem schien es mit Risiken verbunden, die Ukraine auszuliefern. Ein “schwacher” Frieden, welcher wie eine Kapitulation wirkt, könnte Trumps Reputation treffen; gar zu seinem persönlichen “Afghanistan” geraten, bezogen auf den chaotischen Abzug der US-Truppen und den Verlust des Landes an die Taliban 2021 durch die Biden-Regierung.
Welche Ukrainepolitik kommt
Damit war vor seinem Amtsantritt nicht ganz klar, wie Trump in der Ukraine verfahren würde. Es gab Indizien, die dafür sprachen, dass er das Land fallen lassen könnte: Seine Sympathien für Russland, sein schwieriges Verhältnis zur ukrainischen Führung und die Präferenzen seiner politischen Basis zwischen Isolationismus und Russlandfreundlichkeit. Und andersherum gab es Indizien, die dagegen sprachen: Handlungen zugunsten der Ukraine und gegen Russland in seiner ersten Amtszeit, sein kaum verheimlichtes Geltungsbedürfnis und auch das Mantra des “Friedens durch Stärke”, welches er und sein Team regelmäßig beschworen. Und auch der Druck durch die Mehrheit der Republikaner, welche nach wie vor eher die Ukraine als Russland unterstützen.
Knapp fünf ereignisreiche Wochen nach Trumps Amtsantritt lassen sich Aussagen darüber tätigen, wofür sich Trump entschieden hat. Er behandelt die Ukraine noch feindseliger als andere (ehemalige) Verbündete. Selenskyj sei ein Diktator und habe den Krieg begonnen; zwei absolute Falschaussagen. Anfängliche Forderungen Trumps nach 500 Milliarden USD Kompensation waren nicht nur völlig abstrus begründet (die tatsächlich erfolgten amerikanischen Hilfsleistungen befinden sich eher im Bereich von 100 Milliarden USD und davon floss ein Großteil in die US-Wirtschaft), sondern wirkten laut medial geleakten Bedingungen auch noch wie Reparationszahlungen nach einem Kapitulationsvertrag. Auch der Rohstoffpakt, der nach weiteren Verhandlungen hervorging, hätte für die Ukraine keinerlei Vorteile gehabt – er sah keine Sicherheitsgarantien vor – und erinnerte an Tributverhältnis. Nun dazu der Eklat im Oval Office, bei welchem übrigens die Unterzeichnung von besagtem Rohstoffpakt scheiterte.
Gut zu wissen: Die USA argumentierten, dass die Präsenz amerikanischer Firmen im Zuge einer US-ukrainischen Rohstoffkooperation für Sicherheit sorgen würde, da Russland vor einem erneuten Angriff abgeschreckt wäre. Die Präsenz amerikanischer Firmen, auch in den heute besetzten Gebieten, scheiterte allerdings bereits 2014 und 2022 daran, Moskau abzuschrecken.
Samthandschuhe für Russland
Während Trump einen angespannten, ja konfrontativen Kurs gegen die Ukraine fährt, ist sein Umgang mit Russland bemerkenswert freundlich. Er bot Russland umgehend Gespräche an und beendete damit die jahrelange diplomatische Isolation des Landes gegenüber dem Westen. Nicht nur das, er telefonierte auch umgehend mit Putin und setzte ein persönliches Treffen an. Bei einem Gipfel in Saudi-Arabien, von dem die Ukraine und die EU ausgeschlossen waren, vereinbarten Washington und Moskau die Wiederinbetriebnahme ihrer Botschaften und die Erörterung möglicher Wirtschaftszusammenarbeit. Einen NATO-Beitritt der Ukraine schloss Trump kategorisch aus. Bei den UN und in der G7 verhinderte seine Regierung Resolutionen, welche Russland kritisiert hätten. Er weigerte sich außerdem, Putin einen Diktator zu nennen.
Trump machte Russland damit eine Vielzahl weitreichender Konzessionen – für absolut keine bekannte Gegenleistung. An praktisch jedem dieser Schritte hätte Trump von Russland etwas einfordern können, sei es mit Bezug auf einen Frieden in der Ukraine oder für andere amerikanische Interessen. Doch er tat es nicht, sondern machte dem Kreml Geschenke.
Ein Erklärungsversuch_
(6 Minuten Lesezeit)

Weswegen verhandelt Washington auf scheinbar desaströse Art und Weise mit Moskau? Exotischere Theorien und die durchaus denkbare Annahme von gravierender Inkompetenz beiseite, gibt es drei sinnvoll erscheinende Erklärungsansätze. Erstens die beschriebene Affinität des Präsidenten für Russland. Diese könnte sich mit einem neuen amerikanischen Expansionismus mischen, in welchem Trump Russland einräumt, eine Einflusszone zu besitzen, welche es politisch und territorial verwalten dürfe, weil er sich dasselbe für die USA wünscht.
Gut zu wissen: Mehr zum amerikanischen Expansionismus in unserem dazugehörigen Explainer aus Januar.
Reverse Nixon
Zweitens der “Reverse Nixon”. Teile des konservativen Establishments und der außenpolitischen Szene versuchten so, Trumps Verhalten zu erklären. Womöglich möchte der Präsident Russland aus dessen Bündnis mit China herausholen, um Peking mehr zu isolieren und die Lage der USA vor einem Konflikt mit China – handelspolitisch, diplomatisch oder militärisch – zu verbessern. Das würde an ein Manöver von US-Präsident Richard Nixon erinnern, welcher 1972 durch ein Tauwetter mit China dieses aus dem Pakt mit der Sowjetunion holte und Moskau international stärker isolierte. Das jetzige Manöver wäre demnach ein “Reverse Nixon”.
Zur Erklärung mag das womöglich herhalten, auch wenn die Regierung wenig Grund zur Annahme geboten hat, dass es ihr bei ihren Annäherungen an Russland um China geht. Im Gegenteil, Trump äußerte sich unlängst versöhnlich über Xi Jinping und die besonders kritischen “China-Falken” unter den Republikanern sind in Trumps zweiter Amtszeit eher an den Rand gedrängt. Ein “Reverse Nixon” wäre außerdem ein gravierender Fehlschluss. Die Sowjetunion und China befanden sich 1972 in einem tiefen Streit, teils um Territorium, teils um kommunistische Ideologie. Heute befinden sich Moskau und Peking in einem zwar transaktionalen, doch höchst konstruktiven Verhältnis. Russland ist außerdem zutiefst abhängig von China, sei es als Importquelle oder als Ziel für Öl- und Gasexporte. Andersherum gibt es keine Vertrauensbasis zwischen Russland und den USA – allein schon, da der Kreml keine Garantie hat, dass in vier Jahren noch immer ein prorussischer Trumpist im Weißen Haus sitzt.
Es wäre also eher ein “Reverse-Reverse Nixon”, bei dem nicht nur die Parteien, sondern auch ihr Verhältnis ganz anders als vor 50 Jahren wären. Ein Versuch der USA, Russland aus der Partnerschaft mit China zu holen, wäre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Scheitern bestimmt.
Augen zu und durch
Die dritte Erklärung ist, dass Trump auf ein Ziel und nur das eine Ziel hinsteuert: ein Ende des Krieges. Ihm könnte völlig egal sein, wie er das erreicht und wie das “Ende” aussieht. Wie es der Ukraine genau ergeht, ist in dieser Logik egal. Auch die Nachhaltigkeit eines Abkommens ist egal, solange der Krieg nominell beendet ist und das Ergebnis in der Kurzfrist als Erfolg verkaufbar ist. Es ließe sich einwenden, dass es auch in diesem Fall fatal wäre, Verhandlungsmasse völlig freiwillig und ohne Zwang aus der Hand zu geben, wie die Trump-Regierung es getan hat. Immerhin könnte sie mit der “Karotte” von direkten Gesprächen oder der “Peitsche” eines ukrainischen NATO-Beitritts viel eher eine russische Bereitschaft zu einer Waffenruhe unter bestimmten Konditionen erreichen. Allerdings versteht die Trump-Regierung, dass es für sie immer einfacher sein wird, die Ukraine in eine Waffenruhe zu zwingen, als Russland hineinzuführen. Mit Moskau zu verhandeln, muss also gar nicht so wichtig sein: Kiew wird einfach an den Punkt gebracht, dass es weitreichende russische Forderungen akzeptiert. Und wenn Moskau dann immer noch nicht bereit sein sollte, einen “Frieden” einzugehen, kann die Trump-Regierung ja an vielen Punkten noch ihre Linie ändern und den Druck doch erhöhen.
Für Unterstützer der Ukraine ist das selbstverständlich ein schwaches Argument. Sie erkennen korrekt, dass die Natur des Endes eine sehr entscheidende Rolle spielt: Russland hat allein mit Bezug auf die Ukraine dutzende Male bewiesen, dass es kein vertrauenswürdiger Akteur ist; Beteuerungen des Landes lassen sich im Grunde vollends ignorieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jede Waffenruhe und jeder Frieden nur insoweit ernstzunehmen sind, als sie von klaren, physischen Sicherheitsgarantien gedeckt sind. Insofern die Trump-Regierung der Zukunft der Ukraine jedoch keinen Wert beimisst, kann es für sie egal sein, wie qualitativ der Frieden ist, welchen sie forciert bekommt.
Gut zu wissen: In der langen Liste der russischen Lügen und Falschaussagen ist der Favorit der whathappened-Redaktion, dass der Kreml noch bis zum Vorabend der Invasion 2022 beteuerte, keine Invasion zu planen und der US-Regierung Hysterie vorwarf. Ein weiterer Klassiker war, dass Putin 2014 über die eindeutige Präsenz russischer Truppen auf der Krim log (diese seien “Touristen” oder “lokale Selbstverteidigungsmilizen”), nur um sie einige Monate später nonchalant einzuräumen und auch den lange vorher verfassten Plan, die Krim zu besetzen, offenzulegen. Die Zahl der Beispiele für Lügen des Kremls ist noch viel länger; viele davon ähnlich offensichtlich und grobschlächtig.
Das Afghanistan-Fiasko
Eine Gefahr für die Trump-Regierung in all dem ist, dass sie schwach wirken könnte. Zerfällt die Ukraine oder wird sie in einigen Jahren erneut überfallen, könnte das zum Reputationsschaden für Washington geraten. Womöglich besorgt das die Regierung jedoch weniger als es den Anschein macht. Für sie mag es genügen, wenn sie eine Waffenruhe herstellt, welche zumindest vier Jahre hält – und allerlei “Grauzonen”-Krieg in der Zwischenzeit, in welchem Moskau Einfluss auf die ukrainische Innenpolitik nimmt oder Grenzscharmützel initiiert, lässt sich in Sachen Reputation verkraften.
Und dann wäre da die Tatsache, dass Trump seinen Willen für halbgare Verträge bereits in der Vergangenheit bewiesen hat. Der Abzug der USA aus Afghanistan wurde von der Biden-Regierung durchgeführt und darf deswegen als ihre Verantwortung gewertet werden, doch initiiert hatte ihn die Trump-Regierung ab 2018. Sie hatte Druck gemacht auf Präsident Ashraf Ghani, eigentlich ein Verbündeter, abzutreten und Konzessionen an die Taliban zu machen, damit die USA sich aus dem Land zurückziehen können. Darunter war die Forderung, Hunderte Taliban-Kämpfer aus Gefängnissen freizulassen. Zudem verhandelte die Trump-Regierung direkt mit den Taliban in Qatar, entgegen energischer Bitten der Regierung in Kabul. Sie befürchtete korrekt, dass über ihren Kopf hinweg ein Deal geschlossen wird – und die Taliban keinerlei Anreize mehr hätten, direkt mit ihr zu sprechen.
Am Ende stand 2020 ein Deal, in welchem die USA eine Vielzahl weitreichender Konzessionen an die Taliban machten, allen voran einen vollständigen Truppenabzug binnen nur 14 Monaten. Die Taliban versprachen im Gegenzug, keinen Terrorgruppen Unterschlupf zu gestatten – eine sehr schwache, kaum nachprüfbare Bedingung – und direkte Gespräche mit der Kabul-Regierung aufzunehmen. Beides taten die Taliban nicht, doch die Trump-Regierung hielt am Deal fest und die Biden-Regierung vollzog ihn. Er geriet zum Desaster für Afghanistan und für die amerikanischen Interessen in der Region; und er könnte Putin beim Vorhaben der Invasion der Ukraine, zu diesem Zeitpunkt fraglos längst geplant, bestärkt haben.
Was steht bevor?
Die Parallelen zur Ukraine sind offenkundig. Erneut setzt Trump auf exakt denselben Diplomatiestil wie in Afghanistan: Direkte Gespräche mit einem nominellen Rivalen, über den Köpfen der betroffenen, verbündeten Partei(en) hinweg; teils in Form höchstpersönlicher Diplomatie. Mit dem erklärten Ziel, das Engagement der USA möglichst schnell und ohne Rücksicht auf Verluste abzuwickeln. Und bereit zu weitreichenden Konzessionen ohne jede Notwendigkeit und ohne äquivalente Gegenleistung. Es entsteht das Bild einer Außenpolitik irgendwo zwischen Inkompetenz, Ungeduld und fragwürdig gepolter Interessenpolitik. Weniger Frieden durch Stärke als Frieden durch Indifferenz.
Der Vergleich mit Afghanistan ist für die Ukraine kein schmeichelhafter, er sollte allerdings auch nicht als Vorhersage missverstanden werden. Die Lage der Ukraine 2024 ist nur sehr eingeschränkt vergleichbar mit jener der Kabul-Regierung 2021. Es ist noch nicht einmal ausgemacht, wie die USA in ihrer Ukrainepolitik genau verfahren werden. Zwischen Antagonismus und Russlandannäherung stehen die Zeichen nicht gut, doch Politik in der Ära Trump bedeutet, die chaotische Vermengung von Persönlichkeit, Kommunikation, Spektakel und tatsächlicher Politik mit einer gewissen Abgebrühtheit betrachten zu können. Und anzuerkennen, dass sich Dinge von einem Tag auf den anderen ändern können.
Das gilt auch für die Eskalation im Oval Office. Mit ihr können aber immerhin zwei Personen zufrieden sein. Nicht die Ukrainer, für welche die lebenswichtige Unterstützung der USA nun noch uneindeutiger geworden ist. Auch nicht Donald Trump, dessen Ziel eines schnellen Friedens, vorzugsweise mit Friedensnobelpreis, verkompliziert worden ist. Stattdessen freut sich Wladimir Putin, welcher zwar mit einer gewissen Vorsicht auf die Entwicklungen in den USA und deren Avancen blickt, die diplomatische Kollision der einstigen Bündnispartner aber nur gutheißen kann. Und Vizepräsident J.D. Vance, sei es aus karrieristischen oder ideellen Motiven. Nachdem seine Intervention im Pressetreffen das Oval Office zur Reality-Show verwandelt hatte, die Ukrainer des Raumes verwiesen wurden und die Unterzeichnung des amerikanisch-ukrainischen Rohstoffpakts abgebrochen wurde, grinste er zufrieden.
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