Panama, Grönland und der Griff nach Territorium.
24.11.2024
Expansion | Panama | Grönland | Ausblick
(17 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Die USA formulieren unter Donald Trump neue Territorialansprüche, etwa gegen Panama und Grönland.
- Das ist zum einen eine völlig neue Außenpolitik, passt sich zum anderen aber in die Geschichte der USA ein.
- Selbst für den käuflichen Erwerb von Territorium gibt es viele Beispiele in der US-Geschichte – auch Grönland war bereits mehrfach Ziel.
- Der Panamakanal ist wichtig, weil er den zentralen Handelsweg zwischen Atlantik und Pazifik darstellt – und die zwei Ozeane der USA verbindet.
- Sorgen über wachsenden chinesischen Einfluss oder Benachteiligung der USA sind übertrieben oder falsch.
- Grönland hat derweil eine strategische Lage in der Arktis: Wichtig für die Raketenabwehr, die Spionage und, dank Klimawandel, neue Handelsrouten. Zudem ist die Insel voller Rohstoffe und an der “GIUK-Lücke” gelegen.
- Ob ein Kauf Grönlands gelingt, wird maßgeblich davon abhängen, wie die 56.000 Grönländer entscheiden. Am wahrscheinlichsten ist mehr Kooperation mit den USA bei mehr Konzessionen durch Dänemark; doch selbst ein Kauf und die Unabhängigkeit sind denkbar.
Zurück zur Expansion_
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Der neue Konflikt
Noch bevor seine Amtszeit begonnen hat, formuliert President-elect Donald Trump bereits eine völlig neue Außenpolitik der USA. „Neu“ bedeutet dabei zugleich eine Rückkehr zu historischen Modi, denn es geht um nichts Anderes als die territoriale Expansion der Vereinigten Staaten.
Eine solche Expansion war seitens der USA zum letzten Mal vor knapp 70 Jahren betrieben worden. Im Jahr 1947 übernahmen die USA diverse Pazifikinseln, von denen heute nur noch die Marianen zu ihnen gehören. 1959 wurden außerdem die Territorien Hawaii und Alaska zu vollwertigen Staaten umgewandelt, womit das territoriale Wachstum der USA abgeschlossen war. Tatsächlich schrumpfte das Land sogar, da es 1999 nach einer politischen Einigung aus 1979 den Panamakanal mitsamt einer Pufferzone drumherum an die namensgebende Republik Panama zurückgab.
Gut zu wissen: Eine Ausnahme war eine Korrektur des wahren Ausmaßes des Kontinentalschelfs, womit 2023 rund eine Million Quadratkilometer zu den USA hinzukamen, allerdings nur zur See.
Alte und neue Ansprüche
Im Grunde ist territoriale Expansion ein zentraler Bestandteil der DNA der USA, welche als koloniales Projekt an der Ostküste begannen und sich kontinuierlich gen Westen ausbreiteten. Dort, wo sie nicht in die weiten unbeanspruchten Flächen Nordamerikas vordrangen, stießen sie erst mit der indigenen Bevölkerung zusammen, später mit den Kolonialmächten Großbritannien, Spanien und Frankreich sowie zuletzt mit den neuen unabhängigen Nationen der Amerikas, am prominentesten Mexiko, welches bis ins 19. Jahrhundert weite Teile der heutigen Südwest-USA kontrollierte. Nicht immer, wenn auch meistens, geschah das gewaltsam.
Zwei Doktrinen prägten die Expansionspolitik der USA. Die „Manifest Destiny“ formulierte die Idee, dass es das unverkennbare Schicksal der Amerikaner sei, ihren ganzen Kontinent in Besitz zu nehmen. Die Monroe-Doktrin, vom Präsidenten James Monroe (1817-1825) formuliert, besagte ausdrücklich, dass die USA Staaten die Welt in zwei Interessensphären gliederten und die westliche Hemisphäre mitsamt Nord- und Südamerika für sich beanspruchten. Jeder Versuch einer europäischen Expansion in den Amerikas – damals die einzige relevante Gefahr – würde auf Widerstand treffen. Damit wurden die USA zur Regionalmacht, deren Ambitionen die Hegemonie in der „Neuen Welt“ umfassten.
Die Doktrin wurde im Laufe der Jahre stetig erweitert und die daraus abgeleitete US-Hegemonie in Amerika ausgeweitet. Es entstand eine Art egoistischer Antikolonialismus, der sich im Zeichen der US-Vorherrschaft gegen die anderen Großmächte richtete. Nach zahlreichen Gebietserwerben in Nordamerika und im Pazifik brach 1898 der Spanisch-Amerikanische Krieg aus, befeuert durch die öffentliche Wut in den USA über die spanische Herrschaft in Kuba. Der Krieg machte die USA zu einer echten Kolonialmacht im modernen Sinne, durch die Eroberung der spanischen Kolonien Puerto Rico, Guam und der Philippinen. Kuba selbst wurde zwar unabhängig, blieb bis zur Revolution 1958 aber wenig mehr als ein Marionettenstaat der USA.
Die öffentliche Stimmung im Land war jedoch nie mehrheitlich pro-kolonialistisch wie in vielen europäischen Ländern. Aus ihrer Geschichte heraus wollten die USA zwar Hegemon, nie aber wirklich Kolonialmacht werden. Zwischen den Weltkriegen bildete sich zudem ein amerikanischer Isolationismus heraus, der bis auf wirtschaftliche Belange einen Rückzug aus der Weltpolitik forderte und teilweise auch durchsetzen konnte. Auf ihn folgten nach den 1940ern eine globale Welle der Dekolonialisierung sowie ein internationaler Liberalismus, in welchem die USA eher auf politische Kooperationen als auf territoriale Vergrößerung setzten. Die Ära der Expansion war vorbei.
Panama: Der Griff nach dem Kanal_
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Jetzt polt Trump die USA also wieder auf Expansion – oder nutzt allermindestens das Gespenst dieser als Vehikel für anderweitige politische Zwecke. Zwei große Motivationen erscheinen intuitiv. Zum einen wirkt Trump getrieben vom Empfinden, dass die USA das Opfer von Ungerechtigkeiten durch den Rest der Welt seien. Die Anerkennung und Gestaltungsmacht, welche sie auf Basis ihrer herausragenden militärischen sowie wirtschaftlichen Stärke verdienten, werde ihnen bisher nicht erbracht. Es geht hier also um Symbolik und Nationalstolz. Vor diesem Hintergrund dürfte sich auch Trumps Forderung, den Golf von Mexiko in den „Golf von Amerika“ umzubenennen, lesen lassen. Zum anderen, dass Expansion reale Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen der USA bedienen könnte.
Einen konkreten territorialen Anspruch macht Trump an Panama geltend. Der Panamakanal, der seit der Rückgabe wieder der Souveränität der Republik unterliegt, müsse wieder durch die USA, seine Erbauerin, kontrolliert werden. Derzeit gehört der Kanal zwar offiziell Panama, Zugang und Verfügbarkeit werden aber zusätzlich durch internationales Recht geregelt. Vor allem der seit 1977 geltende Neutralitätsvertrag sorgt dafür, dass der Kanal neutral bleibt und allen Ländern zur Verfügung steht. Zur Verteidigung dieser Neutralität räumen die damals durch den kürzlich verstorbenen Ex-Präsidenten Carter verhandelten Verträge den USA sogar das Recht zu einer militärischen Intervention ein.
Trump schloss einen Militäreinsatz gegen Panama zwar ausdrücklich nicht aus, doch dieser erscheint in Anbetracht der verbundenen Risiken unwahrscheinlich. Stattdessen dürfte die Drohung eher als Verhandlungsvehikel dienen – doch letzten Endes wissen wir das erst, wenn die Trumpsche Außenpolitik konkret beginnt. Wählen die USA tatsächlich die militärische Option, um den Kanal unter Kontrolle zu bringen, würde das ironischerweise den chinesischen Einfluss in Lateinamerika verstärken, da es die Skepsis gegenüber den USA vertiefen würde.
Gut zu wissen: Die USA intervenierten das letzte Mal 1989/90 in Panama, um Präsident Manuel Noriega abzusetzen.
China im Blick
Trumps Forderung nach einer erneuten US-Hoheit über den Kanal begründete er mit dem erstarkenden Einfluss Chinas auf die Hauptverkehrsader zwischen Atlantik und Pazifik. Tatsächlich sind viele chinesische Firmen vor allem aus dem Infrastruktursektor in Panama investiert und das Land wurde 2018 zum ersten lateinamerikanischen Partner der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI). Chinesische Interessen werden außerdem dadurch gestärkt, dass die Hongkonger Firma CK Hutchison Holdings zwei der fünf Häfen an beiden Seiten des Kanals verwaltet. Der Kanal selbst untersteht jedoch der nationalen Panama Canal Authority, auf welche Peking keinen ersichtlichen Einfluss besitzt.
Die USA sind jedoch nach wie vor der Hauptnutzer des Kanals und stellen zwischen 70 und 80 Prozent seines Verkehrs. Mit insgesamt rund 5 Milliarden USD pro Jahr stellt der Kanal alleine ein Sechstel des gesamten Haushalts Panamas. Zudem ist Washington der Hauptpartner in der Entwicklungszusammenarbeit für Panama. Wo China allein seinen wirtschaftlichen Einfluss geltend machen kann, haben die USA zusätzlich weiträumige politische und – in Anbetracht der geografischen Nähe – militärische Einflussmöglichkeiten.
Trotzdem sieht Trump sein Land am Kanal als übergangen und ausgenutzt. Für die Passage fallen schließlich Gebühren an, welche für alle Länder gleichermaßen gelten. Versuche der US-Regierung, an Sonderkonditionen zu gelangen, was die Trump-Regierung als Alternative für eine Übernahme vorgeschlagen hatte, lehnten die relevanten Entscheidungsträger unter den panamaischen Behörden zuletzt nochmals ab. Sie hatten dafür schon vor einiger Zeit die Gebührenstruktur des Kanals entscheidend vereinfacht: Die Kosten der Schiffe sind nunmehr direkt an deren Beanspruchung der Kanalinfrastruktur sowie an die Profitabilität ihrer Ladung gebunden. So wird zum Beispiel durch eine Extragebühr für Leercontainer vermieden, dass der Kanal durch „unwichtige“ Fahrten blockiert wird.
Die strategische Bedeutung des Kanals für die USA ist dabei recht offenkundig. Er ist eine der wichtigsten maritimen Routen der Welt und die Hauptschlagader des atlantisch-pazifischen Handels, durch welchen eben vor allem amerikanische Frachtschiffe fahren. Dazu verbindet er die zwei Ozeane, in welchen die USA primär militärisch agieren und ist damit für die amerikanische Marine von signifikanter Bedeutung. In diesem Sinne wäre eine chinesische Dominanz des Kanals (oder auch nur ein Abgleiten Panamas aus einem amerikanischen Einflussorbit) tatsächlich strategisch gefährlich – nur droht diese bislang keineswegs in relevantem Maße.
Grönland: Der Flugzeugträger in der Arktis_
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Ein noch ausdrücklicheres Territorialinteresse als an Panama äußert Trump an Grönland. Schon während seiner ersten Amtszeit hatte Trump dieses Ziel öffentlichkeitswirksam verfolgt, wenn auch schnell aufgegeben. Damals schlug er neben einer Kaufofferte vor, Grönland gegen Puerto Rico zu tauschen: Eine größtenteils menschenleere Eiswüste voller potentieller Rohstoffe gegen eine bei den Republikanern schon lange hauptsächlich als Pointe beliebte Insel bewohnt von über drei Millionen US-Bürgern. Selbst für Trump war das ein exotischer Vorschlag.
Jetzt hat er sein Bekenntnis zu Grönland schwungvoll erneuert: Die USA bräuchten Grönland aus Gründen der nationalen Sicherheit, es führe kein Weg daran vorbei. Praktisch als flankierende Marketingmaßnahme besuchte einer von Trumps Söhnen die Insel in angeblich privater Funktion und warb für einen Anschluss an die USA; dieser würde Grönland „Great Again“ machen.
Versuch Nummer Vier (mindestens)
Solche käufliche Expansion hat in den USA Tradition. Vom nach der französischen Revolution verausgabten Frankreich erwarb Präsident Thomas Jefferson 1803 das Louisiana-Gebiet und verdoppelte damit das Staatsgebiet der jungen USA. Das kostete 15 Millionen USD bzw. 416 Millionen USD inflationsbereinigt. Auf dieses größte jemals geschlossene Immobiliengeschäft der Geschichte folgte der Kauf von Alaska 1867, welches die USA ebenfalls in einem opportunen Moment von einem finanzarmen Russischen Kaiserreich für günstige 162 Millionen USD (inflationsbereinigt) erwarben. Dazu kam eine Vielzahl kleinerer Gebiete. Washington hat sogar Erfahrung mit dem Landerwerb von Dänemark: 1917 kauften die USA die Puerto Rico gegenüberliegenden Dänischen Jungferninseln für heute rund 600 Millionen USD. Das war bis heute das letzte Mal, dass die USA in Eigeninitiative Land erwarben.
Jetzt will Trump also da weitermachen, wo Präsident Woodrow Wilson einst aufgehört hatte, mit der nächsten dänischen Insel. Tatsächlich ist das nicht der erste Versuch, selbst wenn man Trumps halbgaren Anlauf in der ersten Amtszeit ignoriert: Die USA haben schon mehrfach ernsthaftes Interesse am Erwerb Grönlands gezeigt. Zum ersten Mal geschah das 1867, zeitgleich zum Kauf Alaskas von Russland; damals verhandelte man auch mit Dänemark um die Jungferninseln, Grönland und Island. Die Verhandlungen waren damals wohl so gut wie abgeschlossen, schlussendlich kam es aber zu keinem Angebot, wohl wegen interner Probleme im Kongress. Auch 1910 versuchte man es wieder, kam aber zu keinem Ergebnis. Als die USA schließlich doch die Jungferninseln erwarben, beinhaltete der Vertrag auch die Anerkennung der dänischen Ansprüche auf Grönland. Vor dem Hintergrund des Weltkrieges hatten andere Prioritäten für die USA Vorrang vor der Arktispolitik genommen.
Die USA sind schon längst da
Als Dänemark im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzt wurde, übernahmen die USA noch vor ihrem offiziellen Eintritt in den Krieg 1941 sogar tatsächlich die Kontrolle über Grönland. Zunächst nur mit Freiwilligen, nach einer offiziellen Erlaubnis der dänischen Exilregierung auch mit regulären Truppen. Zu groß war die Angst, Deutschland könne die Insel zum Angriff auf die USA nutzen. Aus demselben Grund besetzten die USA damals auch temporär Island.
Während des Krieges bauten die Vereinigten Staaten eine beträchtliche Militärpräsenz in Grönland auf, vor allem für die Luftwaffe. Im Zeitalter der beschränkten Reichweite waren die Stationen im Nordatlantik für den Luftverkehr zwischen den Kontinenten extrem wertvoll. Mit dieser schon etablierten Präsenz im Rücken, und dem Kalten Krieg vor der Nase, versuchten die USA 1946 wieder, die Insel zu kaufen. Sie boten Dänemark 100 Millionen USD und Land in Alaska an. Gerade vor dem Hintergrund des Kalten Krieges war das Interesse so stark wie nie, denn Grönland war als „stationärer Flugzeugträger“ direkt gegenüber der Sowjetunion auf der anderen Seite des Nordpols von größtem strategischem Wert für die USA. Dementsprechend ließen die sich auch nicht vertreiben, nachdem Dänemark mit Berufung auf die Wichtigkeit der Insel für die dänische Identität das bis heute letzte Kaufangebot ablehnte.
Grönland verstehen
Was hat es eigentlich mit Grönland auf sich? Es handelt sich um die größte Insel der Welt (Australien zählt als Kontinent), was an sich schon bemerkenswert genug ist. Standesgemäß ist Grönland auf jeder Karte prominent vertreten – tatsächlich ist es jedoch bedeutend kleiner, als die die Pole verzerende Mercator-Projektion uns weißmacht. Was nicht „klein“ bedeutet: Mit knapp 2,2 Million Quadratkilometern ist es in etwa so groß wie die Demokratische Republik Kongo, der größte Staat Afrikas. Wegen seiner extrem nördlichen Lage ist Grönland nicht nur auf Karten sehr groß, sondern auch sehr kalt, die Bedingungen sind in jeder Hinsicht extrem: Die Insel ist zu etwa 85 Prozent von einem bis zu 3.000 Meter dicken Eisschild bedeckt. Das ist die zweitgrößte Eismasse der Welt. Dementsprechend Lebensfeindlich ist Grönland: Nur rund 56.000 Menschen leben dort in den etwas freundlicheren Küstenabschnitten vor allem auf der Westseite.
Besiedelt wurde Grönland zuerst von Vorfahren der modernen Inuit, vor etwa 4.000 Jahren. Die hieraus resultierenden Kulturen verschwanden mit der Zeit aber wieder, wahrscheinlich durch einen Klimawandel und damit verbundene Ressourcenknappheit. Danach waren es Europäer, die die Insel wieder neu besiedelten: Um das Jahr 982 herum entdeckte der Wikinger und Entdecker Erik der Rote von Island kommend die Insel. Damals war es in Europa aufgrund der mittelalterlichen Klimaanomalie etwas wärmer als heute. Der Name „Grönland“, wörtlich „Grünland“ war von Erik damit zwar einerseits als Werbung um Siedler ausgelegt, andererseits aber auch nicht völlig unzutreffend. Ab 986 gründeten Isländer unter Erik drei Siedlungen an der Westküste, mit maximal bis zu 3.000 Siedlern. Eriks Sohn Leif war im Anschluss wohl der erste Europäer, der Nordamerika betrat.
Spätestens um das Jahr 1500 herum waren die Grönlandsiedlungen wieder verschwunden, der Kontakt mit Island war da schon länger abgebrochen. Auch hier war wohl wieder Klimawandel verantwortlich; genauer das Ende der mittelalterlichen Warmzeit. Seit ungefähr dem Jahr 1000 waren dabei wieder Inuit nach Grönland gekommen, diesmal mit fortschrittlichen Harpunen und Hundeschlitten. Diese sogenannte Thule-Kultur blieb nach dem Verschwinden der Nordmänner die einzige menschliche Besiedlung der Insel. Für ein paar Jahrhunderte beschränkte sich die europäische Präsenz auf gelegentliche Walfänger.
Dänemark, oder genauer das damalige Dänemark-Norwegen, reklamierte die Insel aufgrund der historischen Verbindungen in der Phase der europäischen Expansion für sich. Eine erneute Besiedlung begann aber erst wieder 1721, als dänische Missionare vom König die Erlaubnis erhielten, sich auf Grönland niederzulassen und die indigene Bevölkerung zu bekehren. 1776 beanspruchte Dänemark ein vollständiges Handelsmonopol für sich. Ab diesem Punkt begann der Aufbau kolonialer Strukturen, darunter Handel, Verwaltung, Kirche und sehr beschränkter Bevölkerungsaustausch. Profitabel wurde die Kolonie nicht, spielte aber im dänischen Nationalmythos eine wichtige Rolle. Die Bevölkerung blieb dabei so klein, dass erst 1933 abschließend geklärt wurde, dass die Insel nach internationalem Recht zu Dänemark gehörte.
1953 wurde Grönland offiziell dekolonisiert und zu einem gleichwertigen Teil Dänemarks mit zwei Parlamentssitzen. Die dänische Regierung setzte ab diesem Punkt alles daran, den Lebensstandard Grönlands dem Rest des Landes anzupassen. Infrastruktur wurde gebaut, die Bevölkerung verdoppelte sich und eine explosive Urbanisierung (vor allem hin zur Hauptstadt Nuuk) setzte ein, die aufgrund der rasanten Verdrängung der traditionellen Lebensweise der meisten Grönländer mit sozialen Problemen wie Alkoholismus und steigenden Suizidraten einherging.
Als Reaktion auf den gesellschaftlichen Umbruch, doch auch vor dem Hintergrund globaler Dynamiken, entwickelten sich Autonomiebestrebungen. Kopenhagen reagierte meist tolerant: 1979 wurde Grönland autonom, seit 2009 verwaltet es sich selbst, was bedeutet, dass es alle Regierungsaufgaben außer der Verteidigungs- und Außenpolitik eigens übernimmt. Darüber hinaus haben die Grönländer, welche zu 88 Prozent aus Inuit bestehen, auch das exklusive Recht an den Rohstoffen des Landes – davon gibt es viele, vor allem seltenen Erden sollen in großen Mengen vorkommen. Aufgrund von Bedenken in der Bevölkerung sowie den Herausforderungen des Abbaus sind die meisten Rohstoffvorkommen aber noch unerschlossen. Auch deswegen zahlt Dänemark knapp die Hälfte der grönländischen Ausgaben und überweist jährlich rund 500 Millionen EUR.
Auch über eine etwaige Unabhängigkeit können nur die Grönländer selbst entscheiden. Rund zwei Drittel befürworteten 2019 die Unabhängigkeit und auch die Regierung stammt aus dem Lager. Wie und wann genau der Schritt vollzogen werden soll, ist jedoch ein Streitpunkt; die hohen dänischen Subventionen möchte die Insel nicht missen.
Grönlands strategische Dimension_
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Rohstoffe und GIUK-Lücke
Das Versprechen von wertvollen Rohstoffen ist nur einer der Gründe für Trumps Interesse an Grönland. Öl und Gas, Gold, Uran und besagte seltene Erden soll es auf Grönland geben; insgesamt finden sich dort 43 der 50 Rohstoffe, die Washington als „kritisch“ einstuft. Die harsche Landschaft und die schlechte Infrastruktur erschweren den Abbau, doch schon jetzt ist einiges in Bewegung: Vor einem Jahrzehnt wurden an 12 Orten Rohstoffe durch Fir abgebaut, heute sind es 170. Weitaus wichtiger als diese bis jetzt noch unprofitablen Rohstoffe ist aber die strategische Lage der Insel.
Die kürzeste Strecke zwischen den Kerngebieten von Russland und den USA läuft über den Nordpol, an welchen Grönland ein Anrainer ist. Damit ist es perfekt für die Spionage sowie für die Raketenabwehr geeignet. Wie schon zur Zeit des Kalten Krieges ist derzeit Russland die größte nukleare Gefahr in der Risikoeinschätzung der USA und wie schon damals führt die kürzeste Flugbahn für jede Rakete zwischen den beiden Ländern über den Nordpol. Ohne eine Präsenz auf Grönland weist der „Schutzschild“ der USA empfindliche Lücken auf.
Gut zu wissen: Während des Kalten Kriege versuchten die USA, Grönland zum ultimativen Rückzugsort für die Nuklearstreitkräfte zu machen. In der streng geheimen Operation Ice Worm wurde über zehn Jahre versucht, Tunnel und Raketensilos in den Eisschild zu graben, um ein Arsenal zu schaffen, dass auch einen Erstschlag überleben würde. Instabilität und Bewegungen im Eis setzten dem Versuch ein Ende.
Dazu kommt die sogenannte GIUK-Lücke, das „Loch“ im Nordatlantik zwischen Grönland, Island und Großbritannien (deren Anfangsbuchstaben formen die Abkürzung). Sie spielt in der strategischen Analyse der NATO eine große Rolle. Denn um die maritimen Versorgungslinien zwischen Amerika und Europa zu erreichen, müsste eine russische Kriegsmarine diese Lücke durchdringen. Damit ist sie quasi das maritime Äquivalent zur Suwalski-Lücke, jenen schmalen „Tunnel“, welcher das Baltikum und Polen zwischen Belarus und Russlands Kaliningrad-Exklave verbindet, nur dass die Suwalski-Lücke eine strategische Vulnerabilität darstellt, die GIUK-Lücke einen nützlich verengten Verteidigungspunkt darstellt.
Tatsächlich haben die USA aber jetzt schon eine signifikante Militärpräsenz mit zwei Basen auf der Insel. Vor allem ist da die ehemalige Thule Air Base, heute die Pituffik Space Base, die nicht nur den nördlichsten Tiefwasserhafen der Welt, sondern auch einen hochmodernen Flug- und Raumhafen operiert. Während des Kalten Krieges waren hier bis zu 10.000 US-Truppen stationiert, der Bau der Basis glich wohl hinsichtlich des Aufwands jenem des Panamakanals. Heute arbeiten hier rund 200 Truppen an Raketenwarnsystemen, Weltraumüberwachung, Luftraumkontrolle und vermutlich Spionagesystemen.
Das Tor zur Neuen Arktis
Diese etablierte Präsenz ist außerdem ein Tor zur weiteren Expansion in die Arktis – die wird im Moment immer wichtiger, und wird das in der Zukunft nur noch umso mehr werden. Dank des Klimawandels verändern sich die Bedingungen in der Arktis nämlich so grundsätzlich, dass die Umweltherausforderungen dort schon bald der Vergangenheit angehören könnten.
Weil das Packeis mit jedem Jahr weiter zurückgeht, öffnen sich im Moment Passagen und mögliche Seerouten, die uns bisher verschlossen blieben. Darunter ist vor allem die Nordwestpassage, eine bislang meist hypothetische Seeroute zwischen Atlantik und Pazifik über die Arktis und die Kanadischen Inseln. Noch ist die meist nicht vollständig passierbar, größere Schiffe können das Risiko so gut wie gar nicht eingehen. Ein im Sommer eisfreier Nordpol hingegen würde diese legendäre Route für den Schiffsverkehr öffnen. Neuesten Erkenntnissen zufolge könnte das schon vor 2030 der Fall sein. Auch auf Grönland selbst könnten sich durch die Eisschmelze neue Chancen ergeben, wenn auch deutlich langsamer, schließlich schmelzen 3000m dicke Eisschilde wesentlich langsamer als das arktische Packeis.
Grönland ist in diesem Sinne nur ein besonders schmackhafter Brocken einer viel größeren Region, nämlich der Arktis. Das Auge der Welt fällt dort schon seit geraumer Zeit immer wieder hin, vor allem beflügelt durch den Klimawandel. Eine wichtige Dimension des plötzlich wieder erstarkenden US-Interesses an Grönland ist es auch, dass andere Nationen ebenso versuchen, ihren Einfluss in der Arktis geltend zu machen, allen voran Russland, aber auch China und die nordischen Staaten. Die letzteren sind zwar mittlerweile allesamt Verbündete der USA, die anderen beiden jedoch deren schärfste Rivalen.
Die üblichen Verdächtigen
Die gesamte Arktis hat in den letzten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen, aus denselben Gründen wie Grönland im Speziellen: Rohstoffe, die strategische Lage und das zukünftige Potenzial für Handel und Militär aufgrund des Klimawandels. Eine wichtige Dimension des plötzlich wieder erstarkenden US-Interesses an Grönland ist es auch, dass andere Nationen verstärkt versuchen, ihren Einfluss in der Arktis geltend zu machen. Neben den nordischen Staaten meint das vor allem Russland und China.
Beide sind in der Arktis sehr aktiv. Russland investiert Milliarden von US-Dollar in die Rohstoffextraktion in seinem hohen Norden, baut seine arktische Flotte aus und nimmt lang verlassene militärische Infrastruktur dort wieder in Betrieb – sowie völlig neue. China hat sich ganz der „Polar-Seidenstraße“ verschrieben, will also die sich neu ergebenden Schiffsrouten im Nordpolarmeer aggressiv nutzen und die Infrastruktur dort erheblich ausbauen. Darunter fallen auch einige Projekte in Grönland. China will dort mit Forschungsstationen eine permanente Präsenz aufbauen.
Wie es jetzt weiter geht_
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Grönland in amerikanisch?
Zuerst einmal ist da die Frage, ob Trump Grönland tatsächlich kaufen will. Dafür spricht zwar vieles, doch theoretisch könnte das Ziel der aktuellen Manöver sein, Dänemark zu einer Abänderung des gemeinsamen Sicherheitspakts oder zu mehr unilateralen militärischen Verstärkungen auf Grönland zu bewegen. Die Analyse, dass die Insel bislang nur schwach durch die europäische NATO gesichert ist, ist nicht verkehrt.
Möchte Trump Grönland wirklich erwerben, wie es Trump-Berater beteuern und dänische Offizielle zunehmend annehmen, so könnte das durchaus geschehen. Dänemark hat zwar jeden Verkauf kategorisch ausgeschlossen, doch am Ende des Tages können die USA zwischen Sanktionen, Strafzöllen und militärischen Interventionen nach Belieben eskalieren – das einzige Limit ist, wie sehr die Trump-Regierung zu einer aggressiven Außenpolitik und zum Bruch jahrzehntelanger Bündnissysteme bereit ist. Dass Trump eine militärische Intervention nicht ausschließen wollte und wirtschaftliche Strafmaßnahmen ausdrücklich angedroht hatte, ist ein Signal dahingehend.
Gut zu wissen: Hat Trump Dänemark mit einer Invasion gedroht? Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich dabei um ein Beispiel performativ-radikaler Verhandlungsrhetorik. Dazu kommt: Das Manöver, dass Journalisten Politiker nach dem Ausschluss von etwas fragen, die Politiker dazu grundsätzlich nicht bereit sind und die Journalisten das als implizite Bereitschaft zu ebendiesem Schritt werten, ist gleichermaßen ein Pressekonferenz-Klassiker wie bedeutungslos. So vermutlich auch hier.
Am Ende des Tages können vermutlich die circa 56.000 wahlberechtigten Grönländer selbst über ihr Schicksal bestimmen. Sollten sie für die Unabhängigkeit stimmen, um sich dann den USA anzuschließen, könnte die dänische Regierung sie nicht aufhalten. Damit sind sie der wahre Transaktionspartner für Washington, nicht unbedingt Kopenhagen. Trump muss also nur sie von seinem Plan überzeugen, etwa, indem er ihnen mehr Geld verspricht, als sie bislang von Dänemark an Subventionen erhalten. Für die Unabhängigkeitsbewegung der Insel bietet das die Gelegenheit, Dänemark und die USA gegeneinander auszuspielen und allermindestens mehr Konzessionen von Kopenhagen zu erreichen.
Gelänge den USA der Kauf Grönlands, hätte es das Potenzial, sehr wohlwollend in den Geschichtsbüchern betrachtet zu werden. Der Louisiana-Purchase war seinerzeit umstritten (und verfassungsrechtlich heikel) und der Alaska-Kauf wurde nach Außenminister William Seward als „Sewards Torheit“ bezeichnet. Heute gelten beide als Geniestreiche. Grönland würde den USA Rohstoffe und einen unsinkbaren Flugzeugträger in bester strategischer Lage bringen. Washington müsste schon sehr tief in die Tasche greifen, damit der Deal nicht mehr gut wäre.
Setzt Trump vor lauter Absagen auf die Brechstange, um Grönland oder Dänemark zu erpressen, wäre die Betrachtung in der Zukunft weniger vorteilhaft. Grönland stünde dann in einer Liste mit Kuba und den Philippinen, als Beispiel von amerikanischem Imperialismus. Und womöglich als Moment, an dem das Ende der NATO seinen Anfang nahm.
Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Grönland die aktuelle Episode nutzt, um noch mehr Konzessionen von Dänemark und mehr Kooperation mit den USA zu erwirken. Vielleicht sogar im Rahmen einer Unabhängigkeit. Die grönländische Regierung hat etwa bereits eine Kooperation mit den USA bei der Erschließung von Rohstoffen in Aussicht gestellt. In einer Umfrage aus Dezember 2024 sprachen sich 60 Prozent für mehr Zusammenarbeit aus. Die Zustimmung zu einem Anschluss ist anekdotisch dagegen gering; auch die Regierung betont: “Wir wollen keine Dänen sein. Wir wollen keine Amerikaner sein. Wir wollen Grönländer sein.” Dann würde sich die Frage stellen, ob Washington bereit wäre, die Arktis einer unabhängigen Kleinstadt zu überlassen.