Ein Hauch von Finanzkrise

Ein Bankenkollaps in den USA weckt Sorgen. Sie sind vermutlich übertrieben – doch haben interessante Lehren für die Finanzstabilität parat.

Silicon Valley Bank | Finanzstabilität | Startup-Schmerzen
(14 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)

  • Die amerikanische Silicon Valley Bank (SVB) ist in eine Liquiditätskrise gerutscht und schlagartig kollabiert.
  • Hintergrund ist die Zinswende in den USA, welche die Bank auf dem falschen Fuß erwischte.
  • Sorgen, dass eine waschechte Finanzkrise bevorstehen könnte, sind übertrieben. Die SVB war komplett auf Startups fokussiert und damit einem ganz speziellen Risikomix ausgesetzt.
  • Die Finanzstabilität der USA (und darüber hinaus) wird sehr wahrscheinlich gewahrt bleiben, denn die großen Institute sind deutlich gesünder aufgestellt als 2007.
  • Mehr Fragezeichen gibt es allerdings bei kleinen, regionalen Geldhäusern – dort hatten Regulatoren lange einen blinden Fleck, wie der Fall SVB zeigt.
  • Selbst wenn ein großes Beben ausbleiben sollte, erlaubt der Vorgang einen spannenden Blick auf Konzepte wie bank runstoo big to fail und moral hazard.
  • Und dann wäre da noch die Startupszene im Silicon Valley: Dort herrscht gerade tatsächlich Alarmstimmung. Jetzt kommt es darauf an, ob die Behörden einen Käufer für die SVB finden – oder doch noch zur Rettung ansetzen.

Silicon Valley Bank_

(6 Minuten Lesezeit)

Finanzkrise? Oh mein Gott, Finanzkrise?!

So schnell kann es gehen. Noch im vergangenen Monat hatte der Analyst Jim Cramer von der amerikanischen Nachrichtenseite CNBC, eher für Prominenz als für ein geschicktes Händchen bekannt, die Silicon Valley Bank (SVB) euphorisch gelobt. Forbes listete die SVB erst vor einigen Tagen in seiner Banken-Bestliste. Und am Freitag vor diesem Explainer hatte die whathappened-Redaktion relativ nüchtern über eine Kapitalerhöhung der Bank und etwas Nervosität drumherum berichtet. Kaum einen Tag später war das Geldhaus gescheitert und unter staatliche Verwaltung gestellt. Nach verwalteten Vermögenswerten ist es der zweitgrößte US-Bankenkollaps seit dem Systembeben 2008 – ein Hauch von Finanzkrise.

Dieser Hauch ist auch, warum der Vorgang selbst außerhalb der USA erwähnenswert ist. Die SVB ist – war? – sowohl nach verwalteten Vermögenswerten (212 Milliarden USD) als auch Marktkapitalisierung (vormals 26,6 Milliarden USD) etwa die sechszehntgrößte Bank in den USA, weit hinter Giganten wie JPMorgan (3,7 Billionen USD Vermögenswerte) oder Wells Fargo. Ein Kollaps kann allerdings zum nächsten führen, da Banken direkt aneinander verleihen und Schwäche in einem Institut auch Fragen über alle anderen, gar das gesamte Finanzsystem, aufwerfen mag. Was ist die SVB also: Ausnahme oder Vorbote?

Die Bank fürs Valley (und die vermaledeiten Zinsen)

Die Silicon Valley Bank ist eine besondere Art von Bank. Ihre Hauptkundengruppe waren Startups, von denen es im Silicon Valley bekanntermaßen reichlich gibt, woher auch der Name stammt. Die SVB bot den Startups, vornehmlich Techfirmen, Konten und Kredite. Althergebrachte Banken sahen in den Startupkonten wenig Reiz und in den Krediten ein zu hohes Risiko, da es den Jungfirmen oft an hinterlegbaren Sicherheiten mangelte. Das Schicksal der SVB war damit an jenes des Startupsektors geknüpft. Die längste Zeit in den letzten Jahren bedeutete das eine rasante Aufwärtsdynamik, doch seit rund einem Jahr leiden Startups und Techfirmen und damit auch die SVB, deren Konten dahinschwinden und Kredite verfaulen. Dazu kommt, dass die Bank seit jeher mit einem ungünstigen Konten-Kredite-Verhältnis arbeitete. Banken verdienen an den Zinsen auf ihre Kredite und zahlen Zinsen auf ihre Konten, setzen also auf die Differenz – den spread – als Marge. Die SVB besaß Ende 2021 etwa 189 Milliarden USD an Geldern in Konten und nur 66 Milliarden USD in Krediten. Um das auszugleichen, investierte die SVB zusätzlich in Hypotheken und Staatsanleihen.

Gut zu wissen: Kredite an Startups und sehr kleine Firmen, welche mangels positiver Cashflows eigentlich nicht genug Sicherheiten zu bieten hätten, werden Venture Debt genannt – eine Anlehnung an Venture Capital, also Wagniskapital, und das englische Wort für Schulden. 

Die Zinswende in den USA brachte die Probleme. Als Reaktion auf die hohe Inflation erhöhte die Notenbank Fed die Leitzinsen und regulierte die Geldmenge. Höhere Zinsen machten riskante Investments unattraktiver und ließen Wagniskapitalgeber vorsichtiger agieren. Das traf (Tech-)Startups heftiger als die “Durchschnittsfirma” oder Haushalte. Nicht alle Startups überlebten den Mix aus weniger Kapital, schlechterer Konsumstimmung und höheren Produzentenpreisen; und jene, die es taten, schalteten oftmals vom Wachstums- in den Profitabilitätsmodus. Startups mit weniger Kapitalzufluss und weniger Wachstumsambitionen benötigen weniger Kredit und weniger Einlagen – ein Schlag für die SVB. Als wäre das nicht genug, war in Folge der Zinserhöhung auch noch der Preis von Anleihen gefallen, denn die früher gekauften Anleihen mit ihren fixen Zinssätzen sind am Markt weniger wert, wenn dort inzwischen neue Anleihen mit weitaus höheren Zinsen verfügbar sind. Doch um die steigenden Abbuchungen der Startups zu bedienen, musste die SVB ihre angekauften Anleihen trotz niedrigem Preis verkaufen, also Verluste verbuchen. Plötzlich hatte die Bank ein Loch von rund 1,8 Milliarden USD in der Bilanz. Also gab sie eine Kapitalerhöhung bekannt und räumte zur Erläuterung Liquiditätsschwierigkeiten ein. Anleger witterten Probleme und ließen den Aktienkurs um 60 Prozent abstürzen. Einige Stunden später kamen Berichte auf, wonach die Kapitalerhöhung gescheitert sei und die SVB stattdessen einen Verkauf anstrebe. Dann trat die US-Einlagensicherungsbehörde FDIC auf den Plan und gab bekannt, dass die SVB vorübergehend geschlossen und unter staatliche Kontrolle gestellt worden war. Voilà, Kollaps.

Bank run as fast you can

Der Brandbeschleuniger der Liquiditätskrise war das Schreckgespenst des Finanzsystems: eine “Bankenpanik”, oder bank run. Ein bank run entsteht, wenn zu viele Bankkunden gleichzeitig auf ihre Gelder Zugriff verlangen. Banken halten allerdings zu jedem Zeitpunkt nur einen Bruchteil der bei ihnen hinterlegten Gelder parat, den Rest nutzen sie für die Kreditvergabe oder Investitionen – ansonsten wären sie kein profitables Geschäft und könnten auch keine Zinsen auf Einlagen zahlen. Solange nur wenige Kunden gleichzeitig Zugriff auf ihre Gelder benötigen, ist alles in Ordnung. Doch sind es plötzlich zu viele, besitzt die Bank nicht mehr genügend Liquidität, um alle gleichzeitig zu bedienen. Sie rutscht in die Liquiditätskrise und im Anschluss womöglich in die Insolvenz, sollte sie nicht schnell genug liquide Mittel besorgen können.

Ein bank run besitzt eine spannende spieltheoretische, sprich strategische, Dimension. Könnten sich alle Kunden koordinieren, wäre es für sie am besten, bedacht vorzugehen und mit dem Geldabheben zu warten. Denn kollabiert die Bank aufgrund des Ansturms, hat davon niemand etwas. Sollte ein bank run aber unvermeidbar sein, will gleichzeitig niemand als Letztes in der Schlange stehen, denn dann wäre das eigene Geld bereits unvermeidbar verloren. Und da Koordination meist unmöglich ist, entwickelt sich genau die bekannte Dynamik: Kaum findet ein als riskant wahrgenommenes Ereignis statt, ziehen risikoaverse Kunden als Erstes ihre Gelder ab. Je mehr Gelder abgezogen werden, umso näher rückt die Liquiditätskrise – der bank run wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Immer mehr Anleger versuchen, ihre Gelder in Sicherheit zu bringen, bis die Teilnahme am bank run im Grunde die rationalste Vorgehensweise wird.

Einlagensicherungen als Impfstoff

Ein bank run kann selbst völlig gesunde Banken treffen, denn alles, was es braucht, ist ausreichend Schock – ein furchteinflößender Medienbericht, vielleicht – und schon dreht sich der obige Teufelskreis. Doch es gibt einen Weg, die Dynamik zu stoppen: Einlagensicherungen. Dabei garantiert der Staat, dass die Konten der Kunden sicher sind. Die eigene Bank ist am Umkippen? Kein Grund, auch nur die Netflix-Show auszumachen. In Deutschland sowie im Rest der EU sind bis zu 100.000 EUR pro Einleger abgesichert, in den USA bis zu 250.000 USD. Doch die Kundenstruktur der SVB geriet zu ihrer Achillesferse: Laut der FDIC waren 89 Prozent der Einlagen nicht von der Einlagensicherung abgedeckt, da sie die Kappungsgrenze überschritten; in manchen Medienberichten war gar von 93 Prozent die Rede. Die Kunden im Silicon Valley hatten echten Grund zur Panik. Nicht nur das: Da sich die Gründer, salopp gesagt, alle gegenseitig kannten und gut vernetzt waren, geriet der erste Panikfunken in Rekordzeit zum Flächenbrand.

Um ein internes Schreiben von Garry Tan, Präsident des berühmten Startup-Inkubators Y Combinator, an die Startups in seinem Programm zu zitieren: “Wir wissen nicht genau, was bei der SVB vor sich geht. Aber immer, wenn Sie von Solvenzproblemen bei einer Bank hören und diese als glaubwürdig eingestuft werden können, sollten Sie dies ernst nehmen und den Interessen Ihres Startups den Vorrang geben, indem Sie sich keinem Risiko von mehr als 250.000 USD aussetzen. Wie immer stirbt Ihr Startup, wenn Ihnen aus irgendeinem Grund das Geld ausgeht.” Letzteres gilt auch für Banken.
 

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Es sind all diese Eigenheiten der SVB, also ihre außerordentliche Anfälligkeit für die Zinswende als auch für eine bank run-Dynamik, welche sie wie Anomalie statt Systemfehler wirken lassen. Dennoch stellt sich die Frage, ob der Kollaps uns etwas über regulatorisches Versagen verrät oder sogar “ansteckend” auf den Rest des Finanzsystems wirken könnte. Beide Fragen lassen sich mit Hinblick auf den wichtigsten Teil des Bankensystems verneinen, auch wenn nachher eine kleine Qualifikation vonnöten ist. Der Bankensektors sei resilient, betont US-Finanzministerin Janet Yellen. Die britische SVB-Tochter habe “keine kritische Rolle” für das britische Bankensystem, so derweil die Bank of England. Banken in aller Welt, darunter die Commerzbank, beschwichtigten Anleger und Einleger, dass bei ihnen alles in Ordnung sei. Das dürfte nicht einfach nur Panikmanagement sein, sondern wohl zutreffen. Die meisten großen Banken sind in guter Verfassung; während einige ihrer Geschäftsabteilungen unter der Zinswende leiden (Investmentbanking, M&A), profitieren andere (Kredit- und Zinsgeschäft). Und so konzentriert auf die Startupszene wie die Silicon Valley Bank ist im Grunde niemand

Too big to fail und moral hazard

Vergleiche zur Finanzkrise 2007/8 sind, wie so oft, vorschnell, auch wenn diesmal mit “zweitgrößte” immerhin wieder einmal ein Beinahe-Superlativ steht. Die Finanzkrise war ein komplexes Ungetüm, welches seine Ursprünge wohl in die 1990er zurückverfolgte: Die Clinton- und im Anschluss Bush-Regierungen hatten Regulationen für den Bankensektor abgebaut, um einen Häuserbau-Boom zu ermöglichen. Das gelang, doch auf Kosten weitaus riskanterer Geschäftsmanöver der Finanzinstitute, schließlich versprach höheres Risiko auch höhere Renditen: Sie akzeptierten unsichere Schuldner, drängten Kunden mitunter Hochrisikokredite auf und handelten untereinander mit komplex geschnürten Asset-Paketen deren wirklichen zugrundeliegenden Sicherheiten kaum noch jemandem bekannt waren, doch welche ausgerechnet die Interdependenz der Banken verstärkten. Die Deregulierung hatte weiterhin dazu geführt, dass die Institute immer weniger Kapitalpuffer zurückhalten mussten, also weniger schockresistent waren. Als die Krise ihren Anfang nahm, war nicht nur vielen Regulatoren das wahre Ausmaß des Problems unbekannt, sondern auch den Banken selbst.

Seitdem hat sich allerdings so einiges geändert. Banken sind seit der Finanzkrise an eine weitaus engere Leine gelegt, sowohl in Europa als auch in den USA, sei es bei der Kreditvergabe oder beim Kapitalpuffer. Sogenannte “systemrelevante” Banken stehen im Fokus, sie werden im Volksmund auch “too big to fail” genannt. Auf Deutsch lautet das “zu groß, um zu scheitern”, doch inhaltlich passender wäre “zu groß, um scheitern zu dürfen“. Würde eine systemrelevante Bank kollabieren, hätte das weitreichende Folgen für andere Banken und die Realwirtschaft. Deswegen wurden im Zuge der Finanzkrise weltweit viele Geldhäuser mit öffentlichem Geld gerettet. Trotz der berechtigten Kritik, dass das eine Privatisierung von Gewinnen und eine Sozialisierung von Verlusten bedeute, war es sicherlich die richtige Entscheidung – denn die Alternative wäre eine noch tiefere Krise mit letztlich nur noch höheren sozialen Verlusten gewesen. Für Regulatoren war die Lehre daraus allerdings, an den Punkt zu gelangen, wo möglichst wenige, vielleicht keine, Banken “too big to fail” sind. Stattdessen sollten selbst große Institute ordentlich abwickelbar sein und das Bankensystem zudem resilient genug, um ein Notfallszenario zu überstehen. Das löst übrigens auch ein sogenanntes moral hazard-Problem: Wenn Banken vermuten, vom Staat gerettet zu werden, haben sie Anreize, verantwortungslose Risiken eingehen, was den Rettungsfall ausgerechnet wahrscheinlicher macht. Ohne diese Erwartungshaltung müssen rational agierende Geldhäuser vorsichtiger bleiben und die Gesellschaft vermeidet Krisen.

Die Reformen seit 2008 sind durchaus vielversprechend. Die internationale Regulierungsbehörde Financial Stability Board (FSB) lobte in einem Bericht aus dem Jahr 2020, dass es “signifikante Fortschritte” in der Beseitigung von TBTF – too big to fail – gegeben habe. Die Marktdisziplin habe sich verbessert, die Resilienz erhöht und das Risikoverhalten reduziert. Der Preis seien eine geringere Profitabilität und weniger Marktanteil der systemrelevanten Institute gewesen. Für die SVB bedeutet das wohl, dass ein bailout, eine staatliche Rettung, unwahrscheinlich ist. Denn geben die Behörden jetzt nach, unterminieren sie ihre Glaubwürdigkeit, dass TBTF wahrlich zu Ende sei und laden den moral hazard wieder ein. Undenkbar ist es gleichermaßen nicht: Die Startup-Szene ruft lautstark nach einer Rettung und wird vielleicht erhört.

Wozu gibt es eigentlich Banken? Hier sechs ausgewählte wichtige Gründe. 

Erstens und wohl am intuitivsten: Die allermeisten Zahlungen laufen über irgendeine Form von Finanzintermediär. Banken vereinfachen also Transaktionen in der Realwirtschaft.

Zweitens, Banken fungieren als (im Idealfall) sicherer Lagerplatz für Geld und belohnen die Lagerung oft mit etwas Zinsen.

Drittens, sie geben Kredite an Haushalte, Firmen und andere Banken heraus. Dabei bringen sie Geldgeber und Kreditnehmer zusammen, was ohne Banken alles andere als trivial wäre. Ohne einen Intermediär müssten Geldgeber und Kreditnehmer nicht nur ein Gegenüber mit den exakt passenden Spezifikationen finden (“Suche 10.000 Euro Kredit, ein Jahr Laufzeit!”), sondern auch noch eigens die Zuverlässigkeit des anderen prüfen (also due diligence tätigen). Eine Bank kann das besser, schneller und damit effizienter.

Viertens, indem die Bank ihre eigentlich kurzfristigen Einlagen (du kannst dein Geld schließlich jederzeit abheben) in langfristige Kredite umwandelt, bringt sie unterschiedliche Laufzeitinteressen von Marktakteuren in Einklang – die sogenannte Fristentransformation oder englisch maturity transformation.

Fünftens, Banken kreieren Geld, denn wenn beispielsweise ein Kreditbetrag auf ein Konto überwiesen wird, ist das neues Buchgeld – es muss schließlich nicht zwingend eine “äquivalente” Einlage auf der anderen Seite geben.

Sechstens, sie fungieren als Akteur der Geldpolitik. Wenn die Zentralbank beispielsweise den Leitzins erhöht oder senkt, will sie damit ganz ausdrücklich die Kreditvergabe durch (Geschäfts-)Banken steuern und so die Realwirtschaft abkühlen oder aufheizen. Ohne Banken bräuchte die Zentralbank einen direkten Zugang zu Haushalten und Firmen.

Ein Auge zugedrückt im Kleinen

Es gab allerdings einen blinden Fleck. Systemrelevante Großbanken wurden reguliert, doch kleinere, regionale Banken blieben oft verschont. Zu groß war die Sorge, sie mit zu viel Regulation zu überfordern und versehentlich den Wettbewerb zu ersticken. Deswegen waren es oft ebendiese kleineren Banken, welche sich in Fintech- oder Kryptoprojekte warfen, nicht die eng überwachten Behemoths der Finanzindustrie. Als Beweis mag herhalten, dass die Silicon Valley Bank die Bank für die Hälfte der wagniskapitalfinanzierten US-Startups war und damit in ihrem konkreten Sektor ein riesiges Maß an Systemrelevanz einnahm – doch nicht auf dem Radar der Regulatoren aufzutauchen schien. Kleinere, regionale Banken sind somit auch das exponierteste potenzielle Opfer einer SVB-Ansteckung: Da sie weniger reguliert und resilient sind als Großbanken, sind sie absturzgefährdeter, was wiederum Einleger schneller die Flucht ergreifen lässt. Selbstverständlich bringt uns allein diese Befürchtung zurück zum Teufelskreis: Verunsichern sorgenvoller Medientenor und Shortseller-Attacken die Anleger kleinerer Banken, fällt der Aktienkurs. Das versetzt wiederum Einleger in Panik, welche ihre Konten leerräumen – ein bank run entsteht. Dieser Explainer kommt zu früh, um irgendwelche Effekte reflektieren zu können, doch schon am Wochenende gab es kräftige Aktienpreisverluste bei kleinen, im Ausland kaum bekannten Geldhäusern wie PacWest und First Republic.

Vielleicht ist das Resultat des SVB-Kollaps am Ende eine regionale Bankenkrise, vielleicht nicht einmal das. Letztlich kommt es darauf an, welche Dynamik sich einstellt und wie viele Institute eine Bilanz-Schieflage vor der Öffentlichkeit verstecken konnten und nun ins Licht gezogen werden. In diesem Sinne ließe sich in einer kleinen, systemisch unbedenklichen Krise sogar etwas Positives finden, da sie unwirtschaftlich oder zu riskant agierende Geldhäuser offenbaren könnte. Und obwohl der Vorgang einen blinden Fleck der Regulatoren bei kleinen Finanzinstituten beweist, ist er auch ein Indiz dafür, dass Regulation an mehreren Stellen funktioniert hat: Die SVB ist nicht kollabiert, weil sie spektakuläre, grenzlegale Risiken im Stile der Finanzkrise eingegangen wäre – ihre giftigen Investments waren langweilige Staatsanleihen. Stattdessen fiel die SVB einer makroökonomischen Wende zum Opfer, welche nun einmal den Sektor am härtesten getroffen hatte, auf welchen sie zu 100 Prozent konzentriert war. 

Gut zu wissen: Kurz vor dem SVB-Kollaps hatte die US-Kryptobank Silvergate ihr Geschäft aufgegeben. Der Schluss dort ist ein ganz ähnlicher: Silvergate war mit Kryptowährungen auf einen Sektor konzentriert, welcher zuletzt besonders stark litt. Die Effekte auf den weiteren Finanzsektor dürften vernachlässigbar bleiben.

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Dass der Absturz der Silicon Valley Bank die Welt sehr wahrscheinlich unversehrt lassen wird, ist schwacher Trost für jene, die direkt betroffen sind. Vor den abgeschlossenen Filialen herrschte nervöser Auflauf; Gründer berichteten im Internet davon, wie sie ihre Gelder gerade so gerettet bekamen – oder eben nicht. Neben den Kleinen geraten auch einige inzwischen große Firmen in den Sog: Für die börsennotierte Onlinespielefirma Roblox stehen offenbar knapp 150 Millionen USD Einlagen auf dem Spiel; für Streamingdienst Roku sind es gar 487 Millionen USD oder ein Viertel seiner gesamten Barbestände. Einige Firmen nutzten die SVB, um Gehaltszahlungen durchzuführen und wissen derzeit nicht, was damit geschieht. Mitarbeiter und Gründer in der Startupszene ließen die Bank tiefer in ihr Leben, beispielsweise für Hypotheken auf Immobilien oder als Vermögensverwalterin. Ein kleines Erdbeben, sektoral beschränkt.

Über Risiko lernen

Selbst wenn die SVB-Pleite keinen großen Knall nach sich zieht, die Überreste der Bank von gesünderen Wettbewerbern aufgekauft werden und die FDIC den Kunden ihr Geld zurückzugeben vermag, bleibt eventuell ein langfristigerer Effekt auf die Startupszene. “Alle sind angespannt”, so Y Combinator-Chef Garry Tan. Und Rick Heitzmann, Gründer der Wagniskapitalfirma FirstMark Capital, philosophiert: “Wenn SVB, welche vierzig Jahre lang eine Säule des Startup-Ökosystems bildete, innerhalb von 36 Stunden verschwinden kann, was wird noch zerfallen? […] Alle denken auf einmal weitaus nüchterner über Risiko nach.” Andere machen wiederum in guter Startupmanier das beste draus. Der Onlineshop Camp.com hat einen bank run-Sale gestartet: 40 Prozent Rabatt mit dem Code “BANKRUN”. Die Ankündigung auf Instagram beginnt mit “Wenn deine Bank kollabiert”, Untertitel: “Ich mochte [das Silicon Valley] noch nie”. Fast schon ironisch, dass die Website des Onlinestores zeitweise nicht erreichbar war.

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