Unser kurzer Explainer: Was war 2019 los, wie schätzen wir die Lage ein, was ist der Hintergrund?
Was war 2019 los?
Nachdem es 2018 geknallt hatte, begann 2019 versöhnlicher: Die USA und China suchten hinter den Kulissen nach einem Ausweg aus dem Handelskrieg. Im April schien der Durchbruch zum Greifen nahe – doch scheiterte in letzter Sekunde daran, dass Peking offenbar noch ein wenig Mut gefasst hatte und mehr Konzessionen herausschlagen wollte. Die Entscheidung dazu kam angeblich von ganz oben: Präsident Xi höchstpersönlich.
Die Gespräche brachen zusammen und die USA verhängten eine massive neue Zollrunde im Mai.
Nach kurzer Pause gingen die Verhandlungen weiter. Ab September und vor allem Oktober häuften sich die positiven Nachrichten (immer wieder unterbrochen vom obligatorischen drohenden Trump-Tweet) und der „Phase-One-Deal“ betrat als Begriff die Weltbühne.
Beobachter äußerten relativ früh den Verdacht, dass es sich dabei primär um Kosmetik (oder etwas freundlicher: einen Anfang) handeln würde. Das bestätigte sich, als der Deal im Dezember beschlossen und in Grundzügen vorgestellt wurde (die Unterzeichnung steht noch aus). China wird US-Agrarerzeugnisse kaufen (=verbessert kurzzeitig die Handelsbilanz und lässt sich öffentlichkeitswirksam präsentieren) und gewisse Reformen in Sachen Marktzugang und IP (siehe unten) umsetzen – dazu ist allerdings noch verdächtig wenig bekannt.
Im Gegenzug lockern die USA gewisse Zölle und nehmen so etwas Druck von China.
Unsere Einschätzung
Der Phase One Deal ist in der Kurzfrist gut für beide Parteien und die Weltwirtschaft – langfristig profitiert vor allem China.
- China konnte es vermeiden, allzu weitreichende Reformen versprechen zu müssen, z.B. beim Investitionsschutz, der Bekämpfung von IP-Diebstahl oder dem Fokus auf heftig subventionierte Staatskonzerne.
- Der Griff in die Kleingeldtasche, um US-Agrarerzeugnisse einzukaufen, bleibt verkraftbar. Ein Teil der Zwangsimporte wird ohnehin benötigt werden: China erlebt derzeit eine Schweinefleischkrise und wird seine Lieblingsspeise verstärkt aus dem Ausland einführen müssen. Ob nun aus Brasilien oder den USA macht nur einen marginalen (Kosten-)Unterschied. Bei Sojabohnen und Co. ganz ähnlich.
- Im Gegenzug steht Beruhigung im Handelskrieg. Das ist wichtig, denn die chinesische Wirtschaft hat ihn bereits ordentlich zu spüren bekommen.
- Präsident Trump hat etwas, was er der US-Öffentlichkeit präsentieren kann. Mit einer hübschen Schleife drumrum könnte der Deal ein wenig Wirkung im bevorstehenden Wahlkampf entfalten.
Wie geht es weiter? Das Weiße Haus verspricht den Skeptikern und Kritikern zwar einen zügigen Phase Two Deal mit mehr fundamentalen Reformen, doch wir würden darauf nicht unsere Redaktionshüte verwetten: China hat nur bedingtes Interesse daran und mit den bevorstehenden US-Wahlen einen guten Grund, auf Zeit zu spielen.
Und hat das Weiße Haus wirklich ein Interesse, im Jahr der Präsidentschaftswahl eine erneute Eskalation zu riskieren?
Kommt nichts mehr, bleiben die tieferliegenden Probleme mit China vorerst ungelöst. Ein erneuter Konflikt irgendwann in der Zukunft (mit vermutlich besserer Verhandlungsposition für Peking) wäre wahrscheinlich.
Nicht, dass der aktuelle Handelskonflikt keinerlei Effekt haben wird: Das begonnene „Decoupling“ wird voranschreiten. US-Firmen werden bestehende und zukünftige Verflechtungen mit China (insbesondere was Liefer- und Wertschöpfungsketten betrifft) überdenken und vice versa.
Der Hintergrund
Nichts verunsichert die Weltwirtschaft seit Frühjahr 2018 so sehr, wie der Handelskrieg zwischen den USA und China. US-Präsident Trump nannte als Grund stets das Handelsdefizit seines Landes mit China (was unter Ökonomen für Verwirrung sorgt: An mehr Importen als Exporten ist per se erstmal nicht zwingend etwas schlecht) sowie das „unfaire“ Verhalten der Regierung in Peking.
Zweiteres mag banal klingen, ist aber tatsächlich das Problem, bei dem die Mehrheit der Beobachter gleicher Meinung ist: China erschwert ausländischen Firmen den Markteintritt, erlangt auf dubiose Art und Weise intellektuelles Eigentum (IP) aus dem Ausland und stützt heimische Firmen derart, dass sich die WTO im Grab umdrehen müsste.
Ein Beispiel für die Einigkeit: So wenig die US-Demokraten auch dem Trumpismus (und seinem charmanten Mantra American Carnage) abgewinnen können, so selten hört man sie über die Trumpsche Chinapolitik schimpfen. Denn eine harte Gangart gegenüber Peking findet nicht nur Unterstützung in beiden Parteien und Kammern des Kongresses: Auch Wirtschaftsverbände, Think Tanks und die Öffentlichkeit sind, die Detailgestaltung mal beiseite, ähnlicher Meinung.
Und das gilt auch über die USA hinaus: Die EU agiert zwar versöhnlicher als das Weiße Haus, blickt aber ähnlich skeptisch auf den wachsenden chinesischen Einfluss und verhandelt im Hintergrund offensiv neue Rahmenbedingungen für die Beziehung, zum Beispiel mit Investitionsschutzabkommen.
China sieht die westlichen Bemühungen derweil als Versuch, den eigenen Aufstieg zu stoppen. Doch so selbstbewusst das Land inzwischen auch geworden ist, so sehr ist es doch noch von der wirtschaftlichen Verflechtung mit den USA und Europa abhängig (da helfen auch keine Fototermine mit Putin).
2018 gingen 19% der chinesischen Exporte in die USA (Platz eins) und 16% in die EU (Platz zwei). Dazu kommt: Hongkong macht weitere 14% aus – und ein guter Teil der Ausfuhren in Chinas Sonderverwaltungszone dürften weiter an die USA oder Europa gehen.
Ein perfektes Rezept für einen Handelskrieg also: Eine fundamental ungleiche Handelsbeziehung zwischen einer Altmacht (dem incumbent, im PoWi-Sprech) und einem aufsteigenden Herausforderer (dem challenger), deren Lösung sich innenpolitisch bezahlt machen könnte.
Im Frühjahr 2018 war es dann soweit: Die Rhetorik wurde schärfer und ab Juli kamen die ersten Strafzölle. Die bis dahin gerade in den USA prächtig brummende Wirtschaft erlitt ihren Augustschock und der Handelskrieg wurde zum Fixum der Nachrichtenschlagzeilen. Strafzoll folgte auf Strafzoll und bis Ende des Jahres hatten beide Länder fast ihr gesamtes Handelsvolumen mit Zöllen belegt.
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