Indien, Pakistan und der Kaschmir-Konflikt

Die Ursachen und der Verlauf des Streits zweier Nuklearmächte.
11.05.2025

Gewaltausbruch | Geschichte | Kriege | Heutige Lage
(14 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Ein erneuter Gewaltausbruch zwischen Indien und Pakistan pflegt sich in eine 78-jährige Geschichte aus Kriegen und Konflikten ein.
  • Das geht in erster Linie auf die Aufteilung des British Raj im Jahr 1947 zurück, welche religiöse Spannungen der Vorjahrzehnte eskalieren ließ. Millionen Menschen wurden in dem Vorgang vertrieben; Hunderttausende starben.
  • Da es für einen Einheitsstaat zu wenig Rückhalt gab, schufen die Briten – welche nur schnellstmöglich dekolonialisieren wollten – Indien und Pakistan.
  • Die Frage nach der (forcierten) Eingliederung des Fürstentums Kaschmir führte in den Ersten Indisch-Pakistanischen Krieg 1947. Die Region wurde entlang der Frontlinie aufgeteilt.
  • Darauf folgten noch zwei weitere große Kriege und mehrere kleine Konflikte, meist aufgrund der Lage in Kaschmir, aber auch wegen Bangladesch.
  • In den 2000ern und 2010ern gab es Hoffnungen auf eine Befriedung, doch seit 2016 nehmen die Spannungen in Kaschmir und zwischen Indien und Pakistan wieder deutlich zu.
  • Der neueste Gewaltausbruch passt sich in vielerlei Hinsicht in die klassische “Konfliktstruktur” der beiden Nachbarn ein. Ungewohnt ist jedoch die Aufkündigung eines wichtigen Wasservertrags: Der Kooperationswille scheint am Minimum angelangt zu sein.

Der Gewaltausbruch_

Wer am Morgen des 6. Mai in die Zeitungen blickte, sah schon den nächsten Krieg aufziehen. Indien hatte soeben die Operation Sindoor begonnen und Luftangriffe auf mehrere Ziele in Pakistan und im pakistanisch kontrollierten Teil der umstrittenen Region Kaschmir durchgeführt. Die Attacke folgte auf einen schweren Anschlag im indischen Teil (Jammu und Kaschmir), hinter dessen Tätern Neu-Delhi seinen Nachbarn vermutete – durchaus plausibel, aber unbewiesen. Eine Reihe an limitierten, doch ernsthaften Angriffen folgte – hauptsächlich Drohnenangriffe und Artillerieschläge –, bevor Indien und Pakistan am 10. Mai eine sofortige Waffenruhe verkündeten. 

Die whathappened-Redaktion behielt mit ihrer nicht allzu riskanten Einschätzung, dass eine weitere Eskalation unwahrscheinlich sei, vorerst recht. Keine der beiden Seiten, vor allem aber Pakistan, zieht erkennbar höheren Nutzen aus einer anhaltenden oder eskalierenden Konfrontation, als die beträchtlichen Kosten, die damit einhergingen. Selbstverständlich steht noch nicht fest, ob die Waffenruhe hält. Erste gegenseitige Vorwürfe über Verstöße gibt es bereits, doch das muss noch kein Scheitern bedeuten.

Selbst wenn die Waffenruhe hält, heißt das nicht, dass es nicht in der nahen Zukunft zu einem erneuten Gewaltausbruch oder gar einem Krieg zwischen den zwei Atommächten kommen kann. Vielen Lesern dürften die Spannungen in der Region bekannt sein; aber nicht alle werden wissen, wie oft sich das bereits in physische Konflikte übersetzt hat. Und woher stammt der Konflikt überhaupt?

Die Geschichte hinter dem Konflikt_

(8 Minuten Lesezeit)

Die Trennung von Indien und Pakistan

Cyril Radcliffe erhielt 1947 eine zweifelhafte Ehre übertragen. Der britische Anwalt und Vizepräsident der Londoner Anwaltskammer wurde von der britischen Regierung mit der Führung eines Komitees beauftragt, welches die Aufteilung des britischen Kolonialreichs in Südasien zwischen Indien und Pakistan vornehmen sollte. Eigentlich sollten Parlamentarier dafür zuständig sein, doch die Kandidaten galten allesamt als zu alt, um den indischen Sommer zu überstehen.

Also fiel die Aufgabe einem Mann zu, der noch nie östlich von Paris gewesen war, die Grenzziehung nur mit Anwälten in seinem Team vollziehen musste und insgesamt fünf Wochen Zeit erhielt. Die resultierende Radcliffe-Linie zwang 15 Millionen Menschen zur Flucht in das jeweils andere Land und trug zu einer Gewaltwelle bei, die mindestens 200.000, womöglich aber gar bis 2 Millionen Menschen das Leben kostete.

Es wäre nicht gänzlich fair, das Debakel ausschließlich den Briten zuzuschreiben. Die Muslimliga und der Indian National Congress, die zwei großen lokalen Organisationen in Britisch-Indien, hatten sich nicht auf eine Grenzziehung einigen können. Der entscheidende Faktor war die Religion; die mehrheitlich muslimischen und mehrheitlich hinduistischen Gebiete sollten in zwei separate Staaten geteilt werden. Zum größten Teil war das intuitiv: Das heutige Kerngebiet Pakistans war muslimisch; jenes Indiens war hinduistisch. Es scheiterte jedoch an den großen Regionen Punjab und Bengalen (heute Bangladesch), wo es keine eindeutige Mehrheit gab.

Die Muslimliga und der Congress erwogen, die UN um Hilfe zu bitten (im Stile von Palästina), doch weil sie die UN-Prozesse als zu langsam und langwierig erachteten, fragten sie stattdessen die Briten. Die Organisationen brachten eigene Vertreter in die Radcliffe-Kommission ein und bestätigten ihren Vorsitzenden, dessen mangelnde Kenntnis über das Land sie als Vorteil erachteten, da sie Neutralität versprach. Die Gleichverteilung der Kommission zwischen Muslimliga und Congress erschien fair, doch sorgte auch für eine Komplettblockade. Also entschied Radcliffe am Ende einfach selbst.

Es hätte wohl kein Ergebnis gegeben, welches die Teilung Britisch-Indiens problem- und gewaltlos hätte vonstattengehen lassen. Radcliffes Lösung “strandete” viele Menschen auf der jeweils falschen Seite für ihre Konfession und verärgerte vor allem Pakistan, welches mehrere mehrheitlich muslimische Gebiete nicht erhielt – offenbar weil der britische Statthalter des Kolonialreichs, Lord Mountbatten, zugunsten der indischen Seite interveniert hatte.

Gut zu wissen: Die religiöse Sikh-Minderheit wünschte sich einen eigenen Staat, Khalistan, gegebenenfalls in Föderation mit Pakistan oder Indien. Obwohl die Briten sehr positiv auf die weitreichend in die britische Armee involvierten Sikh blickten, hatte die Idee eines eigenen Staates aufgrund ihrer geringen Anzahl nie eine realistische Chance. Noch heute existieren Sikh-Separatisten, einige davon militant, welche die Unabhängigkeit verlangen und der nationalistischen indischen Regierung ein Dorn im Auge sind. Die Ermordung des kanadischen Sikh-Aktivisten Hardeep Singh Nijjar im Jahr 2023 wird etwa mit Indien in Verbindung gebracht. 

Zwei nicht ganz unterschiedliche Länder

Die Geschichte Indiens und Pakistans war vor 1947 häufig verbunden. Die antike Industal-Zivilisation war eine der ersten signifikanten Zivilisationen der Menschheitsgeschichte und zog sich durch das Gebiet beider späterer Staaten. Zugleich forcierte die Geografie reichlich Unterschiede: Der Indus und seine Nebenflüsse trennten das trockene wüsten- und steppenreiche Gebiet auf der westlichen (pakistanischen) Seite von der fruchtbareren, feuchteren östlichen Seite. Das schuf eine natürliche Grenze, die sich in politische Grenzen übersetzte. Die meisten großen Perserreiche berührten etwa nur das heutige Pakistan, reichten aber nur vernachlässigbar nach Indien. Andersherum blieben auch die meisten indischen Reiche an dieser natürlichen Grenze stehen, mit einigen Ausnahmen wie den Maurya.

Ab dem Mittelalter begann die Islamisierung Südasiens, welche aufgrund der geografischen Nähe im heutigen Pakistan weitaus erfolgreicher war. Die Expansion durch muslimische Turkvölker reichte aber auch tief ins heutige Indien und brachte den Islam ins gesamte Land. Das Sultanat von Delhi existierte etwa von 1206 bis 1526 in Nordindien (und dem heutigen Pakistan) und ist der Grund, warum noch heute Bangladesch mehrheitlich muslimisch ist (es war außerdem eines von wenigen Reichen, welches mehrfache Invasionen der Mongolen zwischen 1221 und 1327 abwehren konnte). Ab 1526 eroberte das muslimische Mogulreich unter Babur, einem Nachfahren von Dschingis Khan, schrittweise den gesamten Subkontinent.

Das Mogulreich existierte zwar nominell bis 1857, doch hatte schon weitaus früher an Einfluss verloren. Stattdessen übten in Indien lokale Fürsten, doch auch das hinduistische Reich der Marathen, welches rein formell den Mogulkaiser anerkannte, die tatsächliche Macht aus. Im heutigen Pakistan übernahmen wechselnde Reiche aus Persien und Afghanistan die Kontrolle von den Mogulen.

Die East India Company kommt an

Die Briten tauchten erstmals 1608 auf dem Subkontinent auf. Für die Europäer westlich Persiens und der Arabischen Halbinsel war Indien seit der Antike ein exotischer und mysteriöser Ort, mit welchem sie zugleich regen Handel pflegten – insofern die dominanten Kräfte im Nahen Osten ihn erlaubten. Da die Landroute also lang und unsicher war, machten die Entwicklungen in der Schifffahrt den Aufbau maritimer Routen äußerst attraktiv. Großbritannien beauftragte eine börsennotierte Firma damit, den Handel nach Süd(ost)asien zu etablieren: Die East India Company.

Die East India Company erhielt vom Mogulreich 1611 die Erlaubnis, eine kleine Handelsstation einzurichten. Sie machte schnell spektakuläre Profite und betrieb effektiven Lobbyismus bei den Machthabern, um immer größere Handelsstationen und Fabrikanlagen errichten zu dürfen. Als die Mogulherrscher ab 1700 an Zentralmacht einbüßten, nutzte die East India Company das entstehende Vakuum zwischen zahlreichen Rebellen und de-facto unabhängigen Reichen, um ihren Einfluss auszubauen. Dieser war inzwischen nicht nur rein kommerziell, sondern auch politisch und territorial: Die Firma kontrollierte immer weitere Teile Südasiens und verwaltete eine Armee, die zeitweise größer war als die reguläre Armee Großbritanniens. Damit fungierte die East India Company als verlängerter Arm der britischen Regierung.

In Pakistan hatte die East India Company erstmals 1839 Territorium ergriffen, nämlich Karachi – die heute zwölftgrößte Stadt der Welt, welche damals nur ein kleines Fischerdorf war. Das gesamte moderne Pakistan geriet bis 1893 unter britische Kontrolle, nachdem die Kolonialmacht Kriege gegen die Afghanen und die Sikhs geführt hatte.

Die Besitzungen der East India Company im Jahr 1765 (links) und 1805 (rechts), jeweils in rot gekennzeichnet. Quelle: Edinburgh Geographical Institute, wikimedia

Der British Raj und seine Bewohner

Nach einer erfolglosen Rebellion im heutigen Indien und Pakistan gegen die Herrschaft der East India Company im Jahr 1857 übernahm London die Regierungsmacht direkt. Das Kolonialreich wurde nunmehr als “British Raj” bezeichnet und von einem Generalgouverneur bzw. Vizekönig im Auftrag des britischen Monarchen verwaltet. Dabei war nicht das gesamte Land direkt unter britischer Verwaltung: Weite Teile wurden von autonomen oder semi-unabhängigen Lokalherrschern angeführt. Es gab knapp 560 solche Fürstenstaaten, welche rund 40 Prozent des gesamten Landgebiets und 23 Prozent der Bevölkerung abdeckten. Genau 90 Jahre lang sollte Südasien in dieser Form fortexistieren.

Eine Konstante im British Raj war ethnisch-religiöse Gewalt. Hindus und Muslime attackierten einander physisch, kulturell und politisch innerhalb des Kolonialsystems. Ausdruck davon war etwa die Hindu-Urdu-Kontroverse, in welcher es darum ging, welche der zwei Sprachen als Nationalsprache gewählt werden sollte, aber auch die Gründung separater Organisationen für die zwei Fraktionen. Am einflussreichsten waren die Muslimliga und der Indian National Congress, die zwei Gruppen, die später den Unabhängigkeitsprozess verwalten sollten. Die Briten hatten vermutlich einen Anteil an den Spannungen: Sie nutzten die Spaltung in religiöse Lager, um eine größere Nationalbewegung zu unterminieren.

Das Verhältnis der Briten zu ihrem indischen Kolonialreich war dabei durchaus facettenreich. Wirtschaftlich entzogen sie mit hohen Steuern, Rohstoffabbau und günstigen Handelspraktiken viel Vermögen für das Heimatland, wobei Forscher sich nicht einig sind, wie hoch der positive Effekt auf Großbritannien und wie negativ der Effekt auf Indien tatsächlich gewesen ist. Politisch verfolgten die Briten mitunter einen durchaus authentischen Wunsch, Südasien technologisch, wirtschaftlich und sozial zu modernisieren, auch wenn sich das mit kolonialer Überheblichkeit und autoritärer Herrschaft vermengte.

Die Rebellion von 1857, nach welcher Indien von der East India Company in den British Raj überging, verfinsterte das Bild: Die Briten gaben danach soziale Reformen weitestgehend auf und blickten skeptisch auf die Landbevölkerung, welche sich der Rebellion willig angeschlossen hatte. Die Repressionen nahmen zu. Die Großgrundbesitzer und die Fürstentümer, die sich dagegen mehrheitlich herausgehalten hatten, erkannten die Briten als Stabilitätsanker und belohnten sie. Sie wurden als Eliten zunehmend in die Kolonialstrukturen eingebunden.

Gut zu wissen: Der mal drakonisch-ignorante, mal ehrlich-bemühte Umgang des Kolonialregimes gegenüber der Bevölkerung zeigte sich auch an den regelmäßigen Hungersnöten. Die erste große “britische” Hungersnot in Indien im Jahr 1770 verschlimmerte die East India Company, indem sie die Steuern massiv erhöhte; mindestens ein Viertel der Bevölkerung Bengalens starb binnen zehn Monaten. Später wechselten unterschiedliche Kolonialregierungen zwischen dem Wunsch nach mehr Unterstützung der Lokalbevölkerung und der ausdrücklichen Ablehnung davon. Dort, wo sie Hilfsmaßnahmen inmitten von Hungersnöten versuchten, war ihr Erfolg häufig durchmischt. Forschermeinungen variieren, inwieweit die Briten Hungersnöte verursachten, verschlimmerten oder lediglich nicht effektiv genug bekämpften.

Der Weg zur Unabhängigkeit

Im frühen 20. Jahrhundert wuchs die Nationalbewegung im British Raj und wachsender ziviler Ungehorsam baute Druck auf Großbritannien auf. Um 1930 begannen die indischen Nationalisten um den Congress, die vollwertige Unabhängigkeit als Ziel zu formulieren. Zeitgleich setzte sich bei den Muslimen die Bildung eines von der Hindu-Mehrheit separaten Staates als dominante Forderung durch (wobei einige Köpfe auf beiden Seiten einen Einheitsstaat präferierten). In der Lahore-Resolution von 1940, später Pakistan-Resolution genannt, formulierte die Muslimliga den Aufruf nach einem unabhängigen Pakistan. 

Gut zu wissen: Der Name “Pakistan” hat eine ungewöhnliche Herkunft: “Pak” ist eine Abkürzung für die Regionen Punjab, Afghania und Kaschmir (jeweils der erste Buchstabe); in “stan” verstecken sich Sindh und Balutschistan, wobei das Suffix zugleich persisch für Land steht.

Spätestens ab dem Zweiten Weltkrieg war ersichtlich, dass Indien unabhängig werden würde. Die Briten hatten keine wirtschaftliche und politische Kraft, ihr globales Kolonialreich zusammenzuhalten. Die Forderungen nach Unabhängigkeit wurden lauter und, in Antizipation dessen, die Spannungen zwischen Muslimen und Hindus intensiver. Die jeweilige Propaganda wurde schriller und Gewaltausbrüche häuften sich. Im März 1947 beauftragte London den Vizekönig Louis Mountbatten offiziell mit der Aufgabe, die Dekolonialisierung umzusetzen – möglichst rasch und kostengünstig, aber ohne Großbritannien allzu sichtbar zu blamieren. Die Frage war nur noch, wie diese Dekolonialisierung aussehen würde: Ein Staat oder mehrere Staaten?

Mountbatten befürchtete, dass die Gräben zwischen Congress und Muslimliga unüberbrückbar seien und nur eine Aufspaltung des Landes einen verheerenden Bürgerkrieg verhindern könne. Also bereitete er einen Teilungsplan vor, welchen das britische Parlament im Indian Independence Act im Juli 1947 absegnete. Nicht einmal in letzter Sekunde vor der Frist Mitte August, sondern genau genommen zwei Tage danach, beschloss die Radcliffe-Kommission noch die besonders schwierige Aufspaltung der heterogenen Regionen Punjab und Bengalen. Und damit war das Ende des britischen Kolonialreichs in Südasien besiegelt.

Der britische Wunsch, einen Bürgerkrieg zu vermeiden, muss wohl als gescheitert betrachtet werden. Formell gab es keinen Bürgerkrieg, da es keinen Einheitsstaat gab; doch die Wochen nach der Teilung führten zu heftigen Gewaltausbrüchen und Massakern. Betroffen waren vor allem die Millionen von Flüchtlingen, welche in langen Karawanen aus dem jeweils “falschen” Land auszogen. Dass die Spanne der geschätzten Toten von 200.000 bis 2 Millionen reicht (mehrheitlich auf sechs Wochen konzentriert), signalisiert, wie chaotisch und intensiv die Zeit war. Anteilig besonders betroffen war die Sikh-Minderheit, welche in Punjab genau zwischen den beiden neuen Staaten geteilt wurde.

Die Kriege zwischen Pakistan und Indien_

(2 Minuten Lesezeit)

Die Aufteilung Indiens im Jahr 1947. Grün: Pakistan (inklusive Ostpakistan); Orange: Indien. Grau: Große Fürstentümer, welche die Unabhängigkeit wählten. Pfeile zeigen große Flüchtlingsbewegungen nach der Trennung. Punjab und Bengalen hervorgehoben (mit entsprechender Teilung). Quelle: wikimedia

Mit der Aufteilung war die Frage des Territoriums noch nicht endgültig geklärt. Im Gebiet Indiens und Pakistans verblieben über 560 Fürstentümer, welche nicht automatisch in den neuen Staaten aufgingen und ihnen die Optik eines Flickenteppichs verpassten. Einige Fürstentümer waren klein und lokal, andere – wie Hyderabad – äußerst groß. Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru und sein pakistanischer Konterpart Muhammad Ali Jinnah begannen mit der Integration dieser Fürstentümer. Das geschah mal friedlich und diplomatisch, mal durch erzwungene Annexion.

Eines der Fürstentümer war Kaschmir, weit im Norden Indiens und Pakistans. Das Fürstentum lehnte jeglichen Anschluss ab und wählte die Unabhängigkeit, was es in eine prekäre Situation brachte. Pakistan befürchtete, dass sich Kaschmir doch Indien anschließen würde und startete Ende 1947 eine Invasion. Indien marschierte daraufhin ebenfalls ein, um Pakistan herauszustoßen. Der erste Indisch-Pakistanische Krieg oder Kaschmirkrieg führte alsbald zu verhärteten Fronten und endete am 1. Januar 1949 mit einem von der UN vermittelten Waffenstillstand entlang der Frontlinie (“Line of Control”). Pakistan kontrolliert seitdem rund ein Drittel von Kaschmir, Indien die Hälfte; den Rest hält China.

Mit der ethnisch-religiösen Gewalt vor und nach der Dekolonialisierung, dem raschen Krieg nach Staatsgründung und der ungeklärten Territorialfrage um das einstige Fürstentum Kaschmir war die Grundlage für jahrzehntelange Spannungen gelegt.

Drei Kriege, zahlreiche Konflikte

Indien und Pakistan bekriegten sich noch dreimal großflächig: 1965 versuchte Pakistan, im indischen Teil von Kaschmir eine Rebellion herbeizuführen, indem es Milizionäre einschleuste, woraufhin Indien sein Nachbarland attackierte. Nach nur 17 Tagen forcierten die USA und die Sowjetunion eine Waffenruhe.

1971 intervenierte Indien in den Unabhängigkeitskrieg von Bangladesch, welches als muslimische Region 1947 an Pakistan angeschlossen worden war und Ostpakistan hieß. Der nur eine Woche dauernde Krieg geriet zum großen Sieg für Indien: Es eroberte Territorium in Pakistan (welches es ein Jahr später zurückgab) und Bangladesch ging unabhängig heraus.

Der bislang letzte große Krieg fand 1999 statt, als Pakistan als Milizionäre getarnte Soldaten nach Kaschmir einschleuste. Islamabad dementierte eine Beteiligung und stellte den Gewaltausbruch als Teil eines Aufstands in Kaschmir dar, doch Dokumente von gefallenen Soldaten zeigten den Plan auf. Binnen zwei Monaten schlug Indien die Invasion zurück und eine Waffenruhe wurde geschlossen. Der Konflikt war besonders, da beide Länder zu diesem Zeitpunkt bereits Nuklearmächte waren.

Gut zu wissen: Kein vollwertiger Krieg, aber ein ungewöhnlicher Konflikt: 1984 eroberte Indien erfolgreich den Siachen-Gletscher, ein strategisch fragwürdiges, völlig unbewohntes und wirtschaftlich uninteressantes Stück Land. Bis 1999 versuchten beide Seiten Attacken und Gegenattacken, bevor 2003 eine Waffenruhe vereinbart wurde. Das Gebiet ist einer der kältesten Orte der Welt. Von den womöglich über 2.000 Toten in 19 Jahren Konflikt gehen nach einigen Schätzungen 97 Prozent auf die Wetterbedingungen und Lawinen, statt auf Kampfhandlungen zurück. Der Siachen-Konflikt lief zwar weitaus länger als alle anderen indisch-pakistanischen Kriege, war aber von relativ geringer Intensität.

Die Lage heute_

(3 Minuten Lesezeit)

Indiens Premier Narendra Modi, Pakistans Armeechef (und de-facto-Staatschef) Asim Munir. Quelle: flickr, wikimedia

Keine Kooperation

Der jüngste Gewaltausbruch in der Region passt nicht ganz in die Aufreihung der obigen Kriege, welche allesamt größer, länger und tödlicher waren. Grundsätzlich war er aber ein sehr typischer indisch-pakistanischer Konflikt. Einmal erneut entbrannte er in Kaschmir, hatte sogar offenbar eine religiöse Komponente (die Angreifer ermordeten allem Anschein nach gezielt Nichtmuslime) und wurde durch möglicherweise von Pakistan unterstützte Milizionäre ausgelöst. Wie die meisten der indisch-pakistanischen Konflikte endete er recht schnell mit einer Waffenruhe (insofern diese nun hält).

Ungewöhnlich ist an dem Konflikt, dass selbst die Minimalkooperation der Vergangenheit nicht mehr Bestand hat. Im Jahr 1960 hatte die Weltbank den Indus Water Treaty vermittelt, mit welchem sich Indien und Pakistan auf die Aufteilung des Induswassers geeinigt haben. Da Pakistan flussabwärts liegt, ist es in der Anwendung des Vertrags von Indien abhängig. Der Vertrag überstand seit der Schließung sämtliche Kriege und Konflikte, doch wurde im April 2025 von Indien aufgekündigt. Ernsthaft stoppen kann Indien den Wasserfluss zwar kurzfristig nicht, doch es kann ihn stören. Da Pakistans Landwirtschaft zu 80 Prozent auf das Induswasser angewiesen ist, hätte selbst das signifikante Folgen für die ohnehin prekäre Wirtschaftslage.

Die falsche Richtung

Der Gewaltausbruch ist zugleich der vorläufige Höhepunkt eines Negativprozesses, welcher kurze Hoffnungen auf eine Befriedung der Region gestoppt hatte. Diese Befriedung hatte ab der Jahrtausendwende an Fahrt aufgenommen: 2003 schlossen Indien und Pakistan eine größere Waffenruhe, welche die de-facto-Grenze in Kaschmir stabilisierte. Damit gingen sogar mehr Verkehrs- und Handelsverbindungen zwischen den zwei Teilen von Kaschmir einher. Als im Jahr 2008 Angreifer der mit Pakistans Geheimdienst assoziierten Miliz Lashkar-e-Taiba (LeT) 166 Menschen in Mumbai ermordeten, vermieden die beiden Seiten einen Gewaltausbruch, sondern kooperierten bei der Verfolgung der Täter. Und 2014 lud der neue Premier Narendra Modi seinen Konterpart Nawaz Sharif zu seiner Amtseinführung ein.

Ab 2014 ging es jedoch auch schon bergab. Pakistans Botschafter in Indien traf sich mit Separatistenführern in Kaschmir, woraufhin Neu-Delhi die Gespräche mit Islamabad einstellte. Zwischen 2016 und 2018 legte die Zahl der Grenzscharmützel deutlich zu und führte zu Dutzenden Toten. 2017 und 2018 attackierten Milizionäre indische Militäranlagen in Kaschmir. Im Jahr 2019 führte die pakistanische Miliz Jaish-e-Mohammed (JeM) in Kaschmir den tödlichsten Angriff seit 30 Jahren durch, worauf Indien mit Luftschlägen auf mutmaßliche Terrorlager in Pakistan reagierte. Luftgefechte brachen aus und Pakistan nahm einen indischen Piloten gefangen. Es gab ihn zwar als Geste des guten Willens sofort frei, doch das beruhigte das indisch-pakistanische Verhältnis nur marginal.

Gut zu wissen: Abhinandan Varthaman, der gefangen genommene und wieder freigelassene indische Pilot, ist in Indien und Pakistan eine Kulturikone – in letzterem vor allem als Beweis für die eigene Überlegenheit.

Die Daumenschrauben in Kaschmir

Auch in Kaschmir selbst war die Lage kaum ruhiger. Dass Pakistan bestimmte Gruppen und Angreifer in irgendeiner Form unterstützt, ist in Anbetracht des historischen Vorgehens sehr plausibel. Doch dass Indiens Kontrolle in der zu 97 Prozent muslimischen Region umstritten ist, benötigt keine pakistanische Beihilfe. Separatistische Bewegungen existieren in Kaschmir seit jeher; das übersetzte sich regelmäßig in Proteste, zivilen Ungehorsam oder, seltener, Gewalt. Nach einer Reihe von Eskalationen von 2016 bis 2019 hob Neu-Delhi den Autonomiestatus von Kaschmir im Sommer 2019 auf und vertiefte seine Kontrolle über die Region. Und zwar rechtlich sowie faktisch: Ein Lockdown wurde ein Jahr lang verhängt, Internet und Telefonie teilweise abgeschaltet, die Medien reglementiert, Wahlbezirke strategisch umgestaltet und Tausende Menschen verhaftet.

Indiens verschärfte Kontrolle über Kaschmir hat die Sicherheitslage zumindest nicht lange verbessert, auch wenn sie einige Jahre lang tatsächlich ruhiger schien. Im Juni 2024 attackierten Milizionäre einen Bus mit Hindu-Pilgerern; im Oktober des Jahres beschossen sie Bauarbeiter eines Tunnelprojekts, welches Kaschmir stärker mit dem restlichen Indien verbunden hätte. Ein halbes Jahr später nun also der Anschlag, welcher zum neuesten indisch-pakistanischen Konflikt geführt hat. Im Grunde ist alles beim Alten.

Weiterlesen

Zu Süd(ost)asien
Bangladesch wagt den Neuanfang (2024)
Myanmars Tanz zwischen Diktatur und Demokratie (2021)
Myanmar nähert sich dem Kipppunkt (2024)
Thailand sucht die Reform (2023)
Die Proteste in Thailand (2020)

Scroll to Top