Die aktuelle Protestwelle in Iran ist in vielerlei Hinsicht besonders, doch ihre Herausforderungen sind hoch.
Iran und seine Proteste | Nicht alles beim Alten | Wie es weiter geht
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Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- In Iran sind schwere Proteste rund um die mutmaßliche Tötung einer jungen Frau ausgebrochen.
- Grundsätzlich ist das nichts Neues: Iran erlebt seit Jahrzehnten schwere Proteste, gerade in den letzten Jahren. Themen wie die Hijab-Pflicht waren schon immer umstritten.
- Andererseits gibt es Besonderheiten: Die aktuellen Proteste sind äußerst intensiv und bemerkenswert pluralistisch. Der Regierung um Ayatollah Khamenei und Präsident Raisi fehlen die üblichen Sündenböcke.
- Gleichzeitig sind die Proteste nur lose organisiert, haben bislang wenig Unterstützung seitens der Elite und stehen einem kompetenten Regierungsapparat gegenüber, wenn es um das Niederschlagen von Dissens geht.
- Um die Theokratie ins Wanken zu bringen, müssen die Proteste also noch einen weiten Weg gehen. Es dürfte sich erst in einigen Monaten abzeichnen, ob gelingen kann, was über vier Jahrzehnte nicht gelungen ist.
Iran und seine Proteste_
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Das Lauffeuer
Die junge 22-jährige Iranerin Mahsa Amini spazierte am 13. September mit mehreren Familienmitgliedern im Talaqani-Park in Teheran, als sie plötzlich von fünf “Sittenpolizisten” aufgegriffen wurde. Amini hatte ihren Hijab, also ihr Kopftuch, zu locker getragen. Sie wurde in einen Van verfrachtet, womöglich nach einem kurzen Handgemenge, und auf eine Polizeistation gefahren. Kaum zwei Stunden später war sie auf dem Weg in ein Krankenhaus, in welchem sie nach zwei Tagen Koma verstarb. Laut der staatlichen Stellen, weil sie wahlweise einen Herzinfarkt erlitten hatte oder an den Spätfolgen einer Gehirnoperation litt (skurrilerweise hätte ein CT-Scan “emotionalen Stress” gezeigt, so die Meinung einiger Regierungsanhänger); laut Aminis Familie und Mithäftlingen, weil sie von der Sittenpolizei verprügelt und misshandelt worden sei. Die Details sind unklar, denn die Polizisten hatten ihre Körperkameras nicht an.
Die Meldungen über Aminis Verhaftung, Koma und schlussendlich Tod verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in den iranischen sozialen Medien. Protestler versammelten sich erst vor dem Krankenhaus in Teheran, dann auch in Aminis Heimatstadt Saqquez in der Region Kurdistan, anschließend in weiteren Städten in der Nähe und zuletzt im ganzen Land. Zehntausende Iraner gingen auf die Straßen und verlangten nicht etwa nur Strafen für die mutmaßliche Peiniger Aminis und mehr Frauenrechte, sondern eine vollständige Abschaffung der Hijab-Pflicht, der Sittenpolizei und der Islamischen Republik als Regierungsform.
Zum Veröffentlichungszeitpunkt dieses Explainers, nach drei Wochen, laufen die Proteste kaum vermindert weiter. Die Regierung verhängt Internetsperren über die Hauptstadt, bringt die Demonstranten mit den Feindstaaten Israel und USA in Verbindung und gibt den Sicherheitskräften carte blanche im Umgang mit den Protesten. In einer internen Weisung ist davon die Rede, dass die Polizei “gnadenlos” konfrontieren und im Zweifelsfall Tötungen hinnehmen solle. Die Sicherheitskräfte leisten Folge und reagieren betont brutal: Sie setzen sehr wahrscheinlich scharfe Munition ein und operieren in einigen Städten als wenn dort Kriegsrecht gelte. Bis Mitte Oktober starben so vermutlich 185 Iraner bei den Protesten, über 900 wurden verletzt und über 1.500 verhaftet. Mancherorts kam es zu aufstandsartigen Szenen und regelrechten Straßenschlachten. So flogen in Teheran Molotow-Cocktails auf Polizisten und in Teheran sowie Isfahan kam es zur Belagerung von Universitäten. In der Berichterstattung ist mitunter davon die Rede, dass die Sicherheitskräfte Städte “zurückerobert” hätten.
Der Hijab und die Sittenpolizei
In mancher Hinsicht sind die Proteste nichts Neues. So autoritär und repressiv Iran doch seit der Islamischen Revolution ist, so sehr erlebt es doch immer wieder schwere Protestwellen. Selbst der Hijab als Auslöser für Unruhen hat Präzedenz. Mit der Islamischen Revolution entstand im Februar 1979 die Islamische Republik, welche unter der Führung eines Ayatollah – und ihm unterstellt einer weltlichen Regierung – eine äußerst strenge Auslegung des Islams zur Staatsdoktrin machte. Am 7. März 1979 wurde die Hijab-Pflicht verkündet, am 8. März fand der erste Protest dagegen statt: Ausgerechnet am Internationalen Frauentag protestierten iranische Frauen unverhüllt gegen den neuen Schleierzwang. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, hatte der Hijab zu Zeiten des persischen Schahs doch noch als Protestsymbol gegolten, welches erst integre traditionelle Werte einem westlichen “Kulturkolonialismus” (zusammengefasst im Schimpfwort Gharbzadegi, “Westmanie”) entgegenstellte und später generell die Opposition zum Schah ausdrückte.
Gut zu wissen: Was ist ein Hijab eigentlich genau? Nicht zwingend ein Kopftuch, sondern jede beliebige Form von Verschleierung des Körpers, Kopfes oder Gesichts. Im weiteren Sinne kann also auch eine Burka als Hijab (auf Deutsch auch Hidschab) gelten, doch meist ist von Kopftüchern die Rede.
Der Frauenprotest, welcher die Geburt der Islamischen Republik begleitete, schien anfangs auf einen Sieg zuzusteuern. Die Demonstrationen innerhalb von sechs Tagen immer weiter an und zeitweise besetzten 15.000 Protestler das Justizministerium. Die neue Regierung um Ayatollah Khomeini ruderte zurück und kassierte die Hijab-Pflicht. Der Erfolg währte allerdings nicht lange. Die Theokratie eliminierte nach und nach die liberale und moderate Opposition und ab 1981 war Verschleierung wieder Pflicht für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren. Dazu kamen zahlreiche Regeln, welche das Auftreten von Frauen im öffentlichen Leben reglementierten. Der paralysierte moderne Teil der iranischen Gesellschaft hatte dem Erstarken der extremen Konservativen wenig entgegenzusetzen, die Pflicht blieb bestehen.
Eine zweite Runde der Frauenproteste gab es in den 1980ern zwar nicht, doch sie verschwanden auch nie vollständig. Vereinzelte Protestaktionen, oft in Form zivilen Ungehorsams durch individuelle Frauen, zeichneten die Islamische Republik in ihren kommenden Jahrzehnten. Gelegentlich kam es zu größeren Trends, so ab 2017 durch die Protestaktion der Iranerin Vida Movahed. Um diesen ideologischen Protest zu unterdrücken, gründete die Theokratie das “Komitee”, welches 2005 von der Sittenpolizei (gašt-e eršād) ersetzt wurde. Ihre Aufgabe ist es, Verstöße gegen die islamischen Moralvorschriften zu ahnden, insbesondere gegen Kleidungsnormen, insbesondere durch Frauen. Die Opfer werden von den Quasi-Polizisten an öffentlichen Plätzen festgenommen, auf Polizeistationen gebracht, einer “Umerziehung” unterzogen und im äußersten Fall für einige Wochen inhaftiert.
In langer Tradition
Nur weil die Zeit der Massenproteste gegen den Hijab ab 1979 vorerst geendet zu sein schien, hieß das nicht, dass es nicht genug andere Themen gäbe. Iran hat in den 43 Jahren seit der Revolution eine Vielzahl schwerer Protestwellen erlebt, vor allem in den letzten zwei Dekaden. Im Jahr 2009 demonstrierten Studenten und städtische Iraner gegen den umstrittenen Wahlsieg des Radikalen Mahmud Ahmadinedschad; knapp eine Million Menschen waren auf den Straßen. Diese Grüne Revolution wurde von den Sicherheitskräften unterdrückt, doch protestierte 2011 und 2012 erneut, angetrieben vom benachbarten Arabischen Frühling. Bei einer Protestwelle in den Jahren 2019 und 2020 machten Hunderttausende Iraner ihren Unmut über steigende Lebenshaltungskosten kund, doch schnell formulierte die Bewegung weitreichende politische Forderungen bis hin zur Abschaffung der Islamischen Republik. Die Demonstrationen wurden zur blutigsten Phase Irans seit der Revolution: Sicherheitskräfte schossen mit scharfer Munition und setzten schweres Militärgerät ein; rund 1.500 Protestler wurden getötet, bevor die Unruhen effektiv zerschlagen waren.
Gut zu wissen: Iran ohne “der”-Artikel? Dafür gibt es einige gute Gründe.
Nicht alles beim Alten_
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Kein ganz typischer Protest
Die aktuellen Proteste rund um den Tod von Mahsa Amini mögen in Anbetracht der jüngeren Geschichte nicht einmalig sein, aber sie haben wichtige Besonderheiten. In erster Linie, dass weite Teile der Gesellschaft mit ihnen zu sympathisieren scheinen. Waren es 2009 und davor noch meist (verhältnismäßig progressive) Studenten oder die urbane Mittelschicht, so sind es jetzt Iraner aus allen Landesteilen und Gesellschaftsschichten. Von den Kurden aus Aminis Heimatregion über Araber, Azeris und Belutschen bis hin zu ethnischen Iranern. Im großen Basar von Teheran ließen Händler aus Protest ihre Geschäfte geschlossen und setzten offenbar eine Polizeistelle in Brand – obwohl die Händlerzunft bislang eigentlich als Partnerin der Regierung galt -, während gleichzeitig in der einkommensschwachen Nachbarschaft Nazi Abad Proteste wüteten. Und noch nie ging es der Protestbewegung so ausdrücklich um vollständigen Systemwandel. In der Vergangenheit war dieser oft das Anhängsel an zentralere wirtschaftliche Forderungen oder Wahlunzufriedenheit, jetzt skandieren die Demonstranten “Tod dem Diktator” oder gleich “Tod für Khamenei“.
Die Iraner haben viel Grund für Frust. Die Ayatollahs, ihre erwählten Präsidenten und der einflussreiche Militärapparat haben Iran in den vergangenen 43 Jahren zwar zu einer Regionalmacht und einem außenpolitischen Störenfried gemacht, doch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes amateurhaft abgewürgt. Der Wirtschaftskrieg mit dem Westen, insbesondere den USA, setzt Iran zu: Seit 2011 ist das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf, nach wie vor einer der besten Proxys für das Wohlergehen, um 20 Prozent gefallen. Iraner sehen im Durchschnitt keine Verbesserung in ihrem Leben und keine Perspektiven. Kurze Hoffnung auf Verbesserung wurden zunichtegemacht, als die Trump-Regierung in den USA das Atomabkommen JCPOA mit seinen Sanktionslockerungen 2018 aufkündigte. Das, in Verbindung mit der inkompetenten Wirtschaftspolitik der Theokratie, ließ die Währung einbrechen, Importe teurer werden, Subventionen unhaltbar geraten und die Lebenshaltungskosten steigen. Es folgten der versehentliche Abschuss eines Passagierfliegers voll mit Staatsbürgern, ein desaströses Covid-Management und die Pseudo-Wahl des Hardliners und Ayatollah-Verbündeten Ebrahim Raisi ins Präsidentenamt. Den Iranern wurde ein Protestgrund nach dem anderen ins Gesicht geschlagen. Kein Wunder, dass seit 2017 kein Jahr ohne große Demonstrationen vergangen ist.
Die Wahl von Ebrahim Raisi verdient ein besonderes Augenmerk. In Iran herrscht in erster Linie zwar der Ayatollah, also der geistige Führer, sowie sein Wächterrat, doch ein Präsident und Parlament üben ein nennenswertes Maß an Macht aus. Die geistige Führung erlaubte unter sich, in der “weltlichen” Führung, längste Zeit einen gewissen Grad an Demokratie: Es gab Wahlen und eine moderate Reformerfraktion, welche sich wohl tatsächlich als Opposition bezeichnen ließe. 2013 wurde so der Reformer Hassan Rohani in einer durchaus demokratischen Wahl zum Präsidenten gewählt; 2017 wiedergewählt. Vier Jahre später hatten Ayatollah Khamenei und das mächtige Militär aber genug von den Reformern und ließen im Grunde nur noch Scheinwahlen abhalten, in welchen der Erzkonservative Ebrahim Raisi gekrönt wurde, während die Bevölkerung die Scharade mit 25 Prozent Wahlbeteiligung abstrafte. Das hatte zwei Folgen: Erstens, die Hardliner können nicht mehr für sämtliche Probleme auf die Reformer verweisen, denn sie haben alle Hebel der Macht – und damit die Verantwortung – in der eigenen Hand. Faule Fingerzeige auf Israel und die USA verfangen sich in vielen Teilen der Gesellschaft nicht mehr. Zweitens, mangels plausibler Wahlen ist für die Iraner ein Kanal weggefallen, über welchen sie Frust ausdrücken und Hoffnungen an die Zukunft formulieren konnten. Stattdessen entlädt sich noch mehr Ärger in die Straßen.
Mehr zu Iran und Ebrahim Raisi: whathappened-Explainer: Iran: Der komplizierte Gottesstaat – Juni 2021
Ein weiteres spannendes Element in der iranischen Innenpolitik ist der Gesundheitszustand von Ayatollah Khamenei. Um diesen kursieren derzeit Gerüchte, wonach der Oberste Führer schwerkrank sei. Das hätten Insider, welche um seine Lage wüssten, berichtet, so beispielsweise die New York Times. Ob die Gerüchte stimmen, ist unklar; ein kurzer, wackliger Auftritt von Khamenei in der Öffentlichkeit sollte in keine von beiden Richtungen überinterpretiert werden. Doch alleine Zweifel an der Langlebigkeit des Führers würden in Teherans Elite Dynamiken in Gang setzen, welche die Stabilität und Kohärenz der Regierung schwächen und den Protestlern helfen würden. Viel Konjunktiv an dieser Stelle.
Eine letzte Besonderheit der Proteste ist die Rolle der Frauen. Gerade in den ersten Tagen entstand das Bild eines regelrechten Frauenprotests, im Stile des 8. März 1979. Inzwischen sind die Demonstrationen breiter, doch noch immer treten zahlreiche Frauen als Wortführer auf, zumindest zu dem Maße, in welchem sich solche bei den lose organisierten Protesten überhaupt verorten lassen. Für die Theokratie schafft das die praktische Schwierigkeit, dass Gewalt gegen Frauen kein gutes Licht auf sie wirft. Berichte über getötete Teenagerinnen in den vergangenen Wochen dementierte die Regierung stets: Sie hätten Selbstmord begangen, sich beispielsweise von Dächern geworfen. Dazu ist die weibliche Natur der Proteste eine Antithese zur islamischen Theokratie als solcher. Der Slogan “Frauen, Leben und Freiheit” ist ein direkter Widerspruch zum Ayatollah, seinem Wächterrat und der Sittenpolizei.
Wie es weitergeht_
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Zwei Pfade
Was ist also von den aktuellen Protesten zu erwarten? Kaum überraschend ist das schwierig vorherzusagen und das nicht nur, weil der Zensurapparat des Landes den Informationsfluss nach außen stark beschränkt (allein seit Protestbeginn wurden 35 Journalisten verhaftet). Für all jene, welche sich einen Untergang der Theokratie wünschen, gibt es jedenfalls einige positive Zeichen. Die Stimmung in Iran war selten so angespannt wie heute; die Protestbewegung selten dermaßen pluralistisch. Es gibt Anzeichen, dass die Protestwelle tatsächlich zum größten Test für die Theokratie seit ihrer Revolution geraten könnte. Beobachter, vornehmlich im Westen, äußern jedenfalls einigen Optimismus: Der Amnesty-International-Botschafter Nazanin Boniadi sieht so viel Unzufriedenheit mit der Regierung wie noch nie seit zumindest 14 Jahren. Der Thinktank Global Change identifiziert eine “revolutionäre Stimmung”. Der deutsche Journalist und Exil-Iraner Ali Sadrzadeh (€) sieht gar den globalen politischen Islam wackeln.
Ganz so einfach dürfte es aber nicht werden. Iran hat eine lange Geschichte aus intensiven Protesten, welche vom Sicherheitsapparat über Wochen und Monate zermalmt werden – eine der wenigen Domänen, in welchen die iranische Regierung Fähigkeit beweist. Die Proteste sind groß und intensiv, doch an den Millionenprotest 2009 kommen sie bislang nicht heran. Die Zahl der Teilnehmer scheint zuletzt ein Plateau erreicht zu haben. Der medial beliebte Verweis auf die weibliche Natur der Proteste ist ideell interessant, aber hilft ihren praktischen Erfolgsaussichten letztlich wenig, wenn Sicherheitskräfte auf Frauen und Männer zugleich zu schießen bereit sind. Die als Stärke beschworene Organisationslosigkeit der Demonstranten bedeutet im Umkehrschluss, dass ihnen Führung und ein kohärenter Plan fehlen. Wichtige Unterstützung aus der Elite hat sich bislang nur in Form von Händlern und Prominenten materialisiert, während Klerus, Militär oder Reformpolitiker sich zurückhalten. Ein Generalstreik ist nicht zustande gekommen.
Wem hilft die Zeit?
Die entscheidende Frage in den kommenden Wochen und Monaten ist, was für eine Dynamik die Proteste annehmen. Einerseits kann die Zeit gegen sie arbeiten. Je länger die Demonstrationen andauern, umso unwahrscheinlicher wirkt ein durchschlagender Erfolg. Das bewegt immer mehr potenzielle Unterstützer dazu, sich lieber ihrem Alltagsleben zuzuwenden oder staatliche Repressionen zu vermeiden – doch mit sinkender Unterstützung sinkt wiederum die Erfolgschance. Ein Teufelskreis, welcher schon in der Vergangenheit in Iran, doch auch in Ländern wie Venezuela 2018, Belarus 2020 und Hongkong 2020 zu beobachten war. Andererseits kann die Zeit zu ihren Gunsten wirken: Halten die Iraner die Proteste in ausreichender Intensität und ausreichend lang aufrecht, könnte das mehr Menschen davon überzeugen, dass die Unruhen den staatlichen Unterdrückungsapparat tatsächlich überdauern können. Der Ayatollah und sein Präsident würden angeschlagen wirken, was elitäre Kräfte aus dem Versteck lockt. Auf einmal wäre die Theokratie tatsächlich am Wackeln. So ähnlich lief es zum Beispiel in der Ukraine 2014 sowie Kirgistan 2010.
In jedem Fall werden Beobachter sich vermutlich auf ein längeres Geschehen einstellen müssen. Die Grüne Revolution 2009 lief vier Monate lang, bevor ihr die Luft ausging; die aktuellen Unruhen gehen gerade in die vierte Woche. Die Entscheidung über den Fortbestand der iranischen Theokratie wird also vermutlich nicht in allernächster Zeit fallen. Doch zumindest die Protestler scheinen sich für die Langfrist bereit zu sehen: “Sie können uns töten, doch wir werden nicht mehr still bleiben. Unsere Mitstudenten sind im Gefängnis. Wie können wir still bleiben?”, so ein Student gegenüber Reuters.