Israels Geheimdienste

Und eine Einordnung der Pager-Attacke 2024. 
22.09.2024


Pager-Attacke | Fakhrizadeh | Ayyash | Operation Moses
(15 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Eine heftige Pager-Attacke im Libanon ist ein Musterbeispiel für israelische Geheimdienstoperationen: Sie war von langer Hand geplant, komplex und riskant.
  • Ihre ethische Bewertung ist debattierbar; der militärische Nutzen ist dagegen eindeutig.
  • Hintergrund ist der langjährige Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah, welcher zuletzt durch den Gazakrieg wieder an Intensität erfuhr.
  • Die Aktion pflegt sich ein in eine lange Liste aus spektakulären, effektiven und manchmal desaströsen Geheimdienstoperationen.
  • Darunter sind ein Attentat per KI-gestütztem Maschinengewehr, eine Handybombe und ein große Evakuierung mittels eines Mossad-Tauchresorts.

Die Hisbollah und die Pager_

(7 Minuten Lesezeit)

Aus dem Nichts

Am 17. September 2024 um 15:30 Uhr piepten im Libanon auf einmal Tausende Pager, welche die schiitische Miliz Hisbollah für die interne Kommunikation verwendete. Auf den Geräten erschien eine arabische Nachricht, scheinbar von der Hisbollah-Führung. Sekunden später explodierten sie (Video) und verletzten mindestens 2.750 Menschen und töteten zwölf. Hauptsächlich Funktionäre und Kämpfer der Hisbollah, doch auch Zivilisten (darunter vier Kinder), iranische Soldaten in Syrien und den iranischen Botschafter in Beirut, dessen enge Einbindung in das Kommunikationsnetz der Hisbollah keine Überraschung war. Kaum hatte sich der Staub gelegt, explodierten am Folgetag Tausende Walkie-Talkies, was noch einmal mindestens 708 Menschen verletzte und 25 tötete.

Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag gegen die HisbollahDie Kommunikationsfähigkeit der Gruppe dürfte bedeutend zerrüttet sein. Auf Smartphones und Handys im Allgemeinen hatte sie verzichtet, weil diese zu einfach abhörbar und lokalisierbar seien; nun ist auch das Netzwerk aus Pagern und Walkie-Talkies zerstört und alles mit einer Batterie ist ein Risiko. Tausende Kämpfer und Funktionäre haben schwere Verletzungen an Hüfte, Händen und Gesicht erlitten, eben dort, wo ein piepender Pager sich meist aufgehalten hat. Doch auch der Libanon als Ganzes steht unter Schock. Das Gesundheitssystem ist völlig überlastet: Ärzte berichten davon, binnen zwei Tagen so viele Augen- und Handamputationen durchgeführt zu haben, wie zuvor in ihrer gesamten Karriere nicht. Im Land herrscht Chaos und Panik; ein BBC-Team wurde von aufgeregten Zivilisten und von Hisbollah-Kämpfern dazu aufgefordert, in der Öffentlichkeit weder Telefone noch Kameras zu verwenden. Im Land kommt die traumatische Erinnerung an die schwere, noch immer nicht aufgearbeitete Hafenexplosion in Beirut vor vier Jahren auf. Nur, dass es sich damals um einen Unfall gehandelt haben dürfte. Die Pagerexplosionen waren ein Angriff.

Es ist klar, dass Israel hinter der Operation stand. Das Land bestätigt und dementiert seine Rolle traditionell nicht. Doch wenige andere Länder besitzen ähnliche Kapazitäten, eine vergleichbare Erfolgs- und Erfahrungsbilanz und auch den Anreiz. Dabei ist nicht klar, ob es der Plan war, die Detonationen genau zu diesem Zeitpunkt durchzuführen, oder ob sie vorgezogen werden mussten, weil die Hisbollah der Operation auf die Schliche zu kommen drohte. So oder so, Israel hatte reichlich Gründe, die Kommunikation der Hisbollah zu infiltrieren.

Die Hisbollah

Seit 1948 befinden sich Israel und der Libanon in Konflikt miteinander, regelmäßig auch militärisch. Seit 1968 operierten palästinensische Terroristen aus dem Libanon heraus gegen Israel; 1982 startete Israel deswegen eine Invasion und besetzte den Südlibanon. Erst im Jahr 2000 zog es freiwillig, jedoch auf internationalen Druck hin, ab. 

1985 gründete sich als Reaktion auf die israelische Invasion die Hisbollah-Miliz, welche mit kräftiger Unterstützung des Irans zur dominanten politischen und militärischen Macht im Libanon aufstieg. Heute existiert die Hisbollah zugleich als Miliz, als Partei, als Sozialorganisation, als Medienkonglomerat und als mafiös in die Wirtschaft des Landes hineinreichende Struktur, quasi als Staat im Staat. Sie besitzt innenpolitisch viel Autonomie, doch wird in wichtigen strategischen Fragen aus Iran gesteuert, was die engen Verbindungen zur iranischen Regierung sowie zu den iranischen Revolutionsgarden und speziellen Eliteeinheiten darin erklärt. Der Libanon unter der Hisbollah ist Teil eines Netzwerks aus iranischen Proxys, quasi unterstellten Verbündeten mit gewisser Autonomie.

Die Hisbollah stieg früh zum ärgsten Feind Israels auf. Sie war die treibende Kraft, welche die Besatzung von 1982-2000 bekämpfte. 2006 verwickelte sie Israel in einen teuren Krieg. Sie setzte auch auf terroristische Methoden, etwa Sprengstoffattacken auf Gebäude und Flugzeuge, Selbstmordattentate und Entführungen. Nicht nur in Israel, sondern weltweit; meist gegen israelische, jüdische oder amerikanische Ziele. Inzwischen führt die Hisbollah selten solche “klassischen” Terrorattacken durch. Stattdessen ist sie durch ihre laut eigenen Angaben 100.000 Kämpfer, ihr schweres Raketenarsenal und ihre faktisch staatlichen Kapazitäten zur größten strategischen Gefahr für Israel erwachsen. Sowohl zahlen- als auch materialmäßig ist sie nicht mit der viel kleineren Hamas zu vergleichen. Auch ihr Geheimdienst galt als hochkompetent: Ihm gelangen mehrere erfolgreiche Operationen gegen Israel und die CIA.

Heute steckt die Hisbollah zuhause zwar in einer Legitimationskrise rund um eine desolate Wirtschaft und eine zerstrittene Politik, doch sie bleibt ein Problem für Israel. Sie unterstützt seit dem Folgetag des 7. Oktober 2023 aktiv die Hamas, indem sie den israelischen Norden beschießt. Es ist kein vollwertiger Krieg, aber ein hochintensiver Grenzkonflikt, welcher etwa 70.000 Israelis zur Flucht zwang. Und laut Jerusalem habe die Hisbollah ihren eigenen “7. Oktober” geplant, also einen schweren Grenzüberfall zur Tötung und Entführung von Israelis. Beweise legt Israel dafür zwar bislang nicht vor, doch Anreize für eine Geheimdienstoperation gibt es schon so zuhauf: Die Hisbollah ist einer der ärgsten Feinde in der Umgebung, mit weiteren Feinden verbündet, hochgerüstet und mit viel Personal ausgestattet, kampferprobt, setzt den Norden des Landes unter Druck und ist zugleich derzeit anfälliger denn je.

Das Trojanische Pferd

Das “Warum” hinter der Attacke ist intuitiv, das “Wie” wird allmählich klarer. Die Pager stammten von der taiwanischen Firma Gold Apollo, welche allerdings auf einen ungarischen Lizenznehmer namens BAC Consulting verweist. Zahlungen von BAC seien “sehr merkwürdig” gewesen, so Gold Apollo, da sie aus dem Nahen Osten erfolgten. Der Schluss liegt nahe, dass BAC eine israelische Tarnfirma war.

Israel wusste, dass die Hisbollah auf Pager setzt. Sie sind eigentlich eine veraltete Technologie, seit den späten 1990ern weitestgehend durch Handys und Smartphones ersetzt. Die Hisbollah nutzte sie aber gezielt als “low-tech”-Lösung gegen Israels “high-tech”-Spionagekapazitäten. Seit dem 7. Oktober rief Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah dazu auf, noch stärker auf Pager und Walkie-Talkies zu setzen. “Vergrabt eure Telefone”, so Nasrallah im Februar, “steckt sie in eine Eisenkiste und verschließt sie.” Hisbollah-Offiziere sollten zu jedem Zeitpunkt Pager an sich tragen. Im Kriegsfall würden sie das Hauptkommunikationsgerät sein – vermeintlich abhör- und ortungssicher. Für Israel, genauer den Auslandsgeheimdienst Mossad, war es damit einfach zu antizipieren, dass Beirut bald großflächig alte Kommunikationsgeräte einkaufen würde.

Die New York Times zitiert Insider damit, dass BAC nicht die einzige Tarnfirma gewesen sei. Mindestens zwei weitere Firmen habe der Mossad geschaffen. Sie schienen ihre Tarnung ernst genommen zu haben: BAC bekam eine echte Geschäftsführerin – welche jetzt unter Schutz der ungarischen Geheimdienste steht – und nahm echte Aufträge für echte Kunden an. Im Fokus stand aber von Anfang an die Hisbollah. Als ein Großauftrag über 5.000 Pager des Modells AR924 aus dem Libanon hereinkam, produzierte Israel Pager, deren Batterien mit dem Sprengstoff Nitropenta (PETN), ähnlich zu Nitroglycerin, versehen waren, so die Times mit Bezug auf drei anonyme Geheimdienstoffiziere. Erhielten die Pager einen geheimen Code, würde die Sprengladung hochgehen. Die Hisbollah überprüfte die Lieferungen zwar, doch der Sprengstoff war laut libanesischer Quellen “sehr schwer zu entdecken”.

Der Vorgang bei den Walkie-Talkies in der zweiten Angriffswelle könnte ähnlich gewesen sein: Die betreffenden Geräte des Modells IC-V82 werden vom japanischen Hersteller Icom seit 10 Jahren nicht mehr hergestellt oder verkauft. Womöglich setzte Israel auch hier eine Scheinfirma auf; oder es manipulierte die Geräte an einer späteren Stufe der Lieferkette.

Gut zu wissen: Wie ist die Attacke ethisch und juristisch zu bewerten? Grundsätzlich gilt zwischen Israel und Libanon das Kriegsvölkerrecht, welches eine Unterscheidung zwischen legitimen und nicht-legitimen militärischen Zielen schafft. Hisbollah-Kämpfer sind legitime Ziele (der iranische Botschafter in diesem Fall möglicherweise ebenso, da er in die Kommandokette involviert zu sein schien); Zivilisten sind es nicht – doch wenn bei einem Militärschlag auf legitime Ziele auch Zivilisten sterben, ist das bis zu einem gewissen Maße vom Völkerrecht abgedeckt. Die Frage ist damit, ob dieses “gewisse Maß” überschritten wurde (anekdotisch scheint es, dass das absolute Gros der Opfer Milizionäre sind) und ob Israel wirklich hinreichend sicherstellen konnte, dass die Attacke in erster Linie feindliche Kombattanten trifft.

Bei der genauen Bewertung des Angriffs scheiden sich die Geister. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, kritisiert ihn scharf: Israel habe harmlos wirkende Objekte zu Sprengfallen umfunktioniert und Detonationen im öffentlichen oder im privaten Raum in der Nähe von Nicht-Kombattanten hingenommen. Türk rückt den Angriff gar in die Nähe von Staatsterrorismus. Andere Kritiker (€) gehen nicht so weit, doch heben ebenfalls den Aspekt der Unklarheit der Angriffsziele hervor und verweisen etwa auf konkrete UN-Waffenübereinkommen, welche auch Israel ratifiziert hatte. Dem gegenüber argumentieren Unterstützer (€), dass Pager in der Bevölkerung im Grunde überhaupt nicht mehr gekauft und genutzt werden. Die Sprengladung sei zudem klein genug gewesen, um nur den Träger zu verletzen, wie es virale Videos zu bestätigen scheinen. Damit sei ein Fokus auf die Hisbollah sichergestellt. Und der überwältigende militärische Nutzen des Angriffs rechtfertige das Risiko gewisser ziviler Opfer. Nach dieser Ansicht wäre der Angriff nicht nur völkerrechtskonform, sondern verhältnismäßig human.

Nicht das erste Mal

Die Pager-Attacke ist eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen der vergangenen Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Sie ist großflächig und mit langer Dauer aufgesetzt, hätte an vielen Stellen scheitern oder auffliegen können und hatte einen enormen Effekt. Für den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad, Teil des Triumvirats mit dem Inlandsgeheimdienst Shin Bet und dem Militärgeheimdienst Aman, ist es eine wichtige Wiedergutmachung nach dem 7. Oktober. Damals hatte seine Reputation stark gelitten; jetzt ist er wieder der kompetente, risikoaffine, kreative Geheimdienst, als welcher er die letzten 74 Jahre galt. In dieser Zeit lieferte er eine Vielzahl spektakulärer und effektiver Geheimdienstoperationen.

Fakhrizadeh_

(3 Minuten Lesezeit)

Mohsen Fakhrizadeh. Quelle: Tasnim News Agency, wikimedia

Der Vater des Atomprogramms

Am 27. November 2020 stieg Mohsen Fakhrizadeh hinters Steuer seines unscheinbaren Nissan Teana, in einem Vorort der Stadt Babol am Kaspischen Meer. Er fuhr in Richtung Absard, westlich von Teheran, wo er ein Landhaus besaß. Fakhrizadeh war niemand anderes als der wichtigste Atomforscher Irans, ein seit mindestens 14 Jahren behütetes Kronjuwel, ein Staatsgeheimnis. Behütet auch vor der eigenen Bevölkerung, wo er kaum bekannt war, doch vor allem vor Israel.

Israel hatte ein natürliches Interesse daran, Fakhrizadeh umzubringen. Es wertet das Atomprogramm Irans als existenzielle Gefahr und ging seit Jahren dagegen vor. Bereits 2010 legte der israelisch-amerikanische Computervirus Stuxnet mindestens ein Fünftel der Nuklearzentrifugen Irans lahm und warf das iranische Atomprogramm um Jahre zurück. Seit 2007 wurden mindestens fünf iranische Atomwissenschaftler ermordet und ein weiterer verletzt, mal per Gift, mal per ferngezündeter Bombe, meist ganz klassisch durch Erschießen aus nächster Nähe. 2011 tötete eine Explosion den Gründer des iranischen Raketenprogramms sowie 16 Offiziere. 2018 brachen Mossad-Agenten nachts in eine Lagerhalle in Teheran ein, stahlen 50.000 Seiten an Nukleargeheimnissen und flohen aus dem Land – alles binnen 6,5 Stunden.

Gut zu wissen: Die 2018 gestohlenen Dokumente wurden von Israel später Journalisten gezeigt. Unabhängige Beobachter resümieren, dass Iran tatsächlich an Atomwaffen und nicht an einer zivilen Nutzung gearbeitet sowie internationale Beobachter angelogen hatte. Anzumerken ist, dass die Dokumente mehrheitlich 15 Jahre alt waren, sich also auf das Jahr 2003 bezogen. Teheran nannte sie gefälscht; westliche Geheimdienste vermuteten, dass sie authentisch sind.

Auch Fakhrizadeh kannte sich mit Morddrohungen und Anschlagsversuchen zur Genüge aus. Über 14 Jahre war der Nuklearforscher stets eines der primären Ziele. Immerhin galt er als Vater des iranischen Atomprogramms und hatte ein globales Untergrundnetzwerk aufgebaut, um Uran und Komponenten zu akquirieren. 2009 wartete ein Mordkommando bereits auf ihn in Teheran, doch brach im letzten Moment ab, da es befürchtete, kompromittiert zu sein. 2018 erklärte Israels Premier Netanjahu in einer Pressekonferenz: “Erinnern sie sich an diesen Namen: Fakhrizadeh.”

Womöglich hatte seine Überlebensfähigkeit den Atomforscher selbstbewusst werden lassen oder er war einfach davon genervt, von Leibwächtern umgeben zu sein. Er bestand regelmäßig darauf, die Strecke von Babol nach Absard selbst zu fahren, mit seiner Ehefrau auf dem Beifahrersitz. So auch am 27. November 2020. Die Leibwächter, Teil der elitären Ansar-Einheit der Revolutionsgarden, begleiteten ihn in einem Konvoi aus Eskortfahrzeugen. Als Fakhrizadeh und sein Konvoi von der Autobahn abfuhren und die letzte Straße nach Absard nahmen, fuhren sie an einem geparkten blauen Nissan-Kleintransporter vorbei. Plötzlich tauchte auf dessen Ladefläche ein Maschinengewehr auf, feuerte mehrere Salven ab und explodierte. Fakhrizadeh war tot – und seine Frau im Beifahrersitz unversehrt.

Der Tatort nach dem Attentat an Fakhrizadeh. Quelle: Fars Media Corporation, wikimedia

Tod per Killerroboter, Satellit, KI-Algorithmus

Das Attentat sorgte in Iran für Aufregung und Aufsehen. Erst hieß es, ein Schusswechsel sei erfolgt; es gäbe mehrere Tote und einige Angreifer seien verhaftet worden. Dann sprachen die Behörden über einen ferngesteuerten Killerroboter, was zu viel Spott in den iranischen sozialen Medien führte. Ironischerweise hatten die Behörden gar nicht Unrecht.

Mossad-Agenten hatten das Gewehr in kleinsten Einzelteilen nach Iran geschmuggelt und dort wieder zusammengesetzt. Es handelte sich um ein modifiziertes belgisches FN MAG-Maschinengewehr, welches per Computer aus der Ferne abgefeuert werden konnte. Die Agenten versteckten es auf der Ladefläche des Autos und brachten Kameras an, um per Satellit die Umgebung zu sehen und Signale an das Gewehr zu senden. Ein KI-Programm wurde erstellt, welches die rund 1,6 Sekunden Zeitverschiebung ausgleichen sollte, welche zwischen dem Erscheinen der Kamerabilder und der Verarbeitung des Schussbefehls vergehen würden. So sollte sich selbst ein bewegliches Ziel treffen lassen. Auch den Rückstoß der Waffe glich das Programm aus. Zudem wurde es mit Gesichtsidentifikationssoftware ausgestattet, um Fakhrizadeh als Ziel festzuhalten. Ein weiteres Tarnauto mit Kameras, weiter vorne auf der Autobahn platziert, sollte den Agenten die Sicherheit geben, dass Fakhrizadeh wie gewohnt tatsächlich am Steuer saß.

Ayyash und die Handybombe_

(1 Minute Lesezeit)

Yahya Ayyash. Quelle: Unbekannt, wikimedia

Die Handybombe

Eine Operation, welche an die Pager-Attacke erinnert, war die Tötung von Yahya Ayyash im Jahr 1996. Ayyash war zum wichtigsten Bombenbauer der Hamas aufgestiegen, welcher die Selbstmordattentate der Gruppe in Israel effektiver gemacht und sich so den Spitznamen “der Ingenieur” verdient hatte. Rund 150 Israelis dürften in von ihm orchestrierten Attentaten getötet worden sein. Die Jagd nach ihm führte nicht der Mossad durch, sondern der Inlandsgeheimdienst Shin Bet.

In Kooperation mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) fanden die Agenten heraus, dass Ayyash viel Zeit im Haus seines Freundes Osama Hamad in Gaza-Stadt verbrachte und dessen Telefone nutzte. Sie kontaktierten Osamas Onkel Kamil Hamad und im Gegenzug für 1 Million USD, einen israelischen Ausweis und ein Visum in die USA erklärte dieser sich bereit, seinem Neffen Osama ein präpariertes Handy zu übergeben. Das berichtete der frühere Shin-Bet-Direktor Carmi Gillon 2012 in einem Dokumentarfilm.

Was Kamil Hamad nicht wusste, war, dass das Motorola-Telefon nicht einfach nur verwanzt war. Als Israel im Januar 1996 mittels eines Spionageflugzeugs über Gaza sicherstellte, dass Ayyash das Telefon für einen Anruf nutzte, detonierte es einen Sprengsatz darin: 15 Gramm Hexogen (RDX), ein hochexplosiver Sprengstoff, welcher auch im Zweiten Weltkrieg verwendet worden war. Es ist wahrscheinlich, dass die Erfahrung aus dem Ayyash-Attentat die Pager-Operation inspirierte. Auch ein anderes Element des heutigen Anschlags findet sich in der Vergangenheit, allerdings noch etwas weiter zurück. 

Gut zu wissen: Die PA lobte Ayyash als Märtyrer und benannte eine große Straße in der Hauptstadt Ramallah nach ihm. Das zeigt den manchmal bipolaren Umgang der PA mit palästinensischen Extremisten: Zum einen kooperiert sie mitunter mit den israelischen Sicherheitsdiensten, zum anderen feiert und ehrt sie Urheber von Terrorangriffen öffentlich. Ein anderes Beispiel für einen gefeierten Milizionär ist Abu Daoud, Drahtzieher des Massakers von München 1972, welchen PA-Chef Mahmoud Abbas nach seinem (konventionellen) Tod 2010 als großen Kämpfer für die palästinensische Sache lobte.

Operation Moses_

(2,5 Minuten Lesezeit)

Werbebroschüre für das Resort Arous am Roten Meer. Quelle: BBC

Das Fake-Resort am Roten Meer

Wer 1984 Lust aufs Tauchen im Roten Meer hatte, könnte auf die Broschüre des “Red Sea Diving Resorts” Arous gestoßen sein. Eine idyllische Feriendestination im Osten des Sudans, direkt am Roten Meer, betrieben von einer Schweizer Firma. In Wahrheit war das gesamte Resort eine israelische Tarnfirma, nicht unähnlich zu dem, was über den Pager-Hersteller in Ungarn spekuliert wird. Neben Dutzenden echten sudanesischen Mitarbeitern und Hunderten echten europäischen Touristen gingen Mossad-Agenten ein und aus.

Sie nutzten das Resort als Basis, um die ambitionierte Operation Moses durchzuführen: Die Evakuierung Tausender äthiopischer Juden, sogenannter Beta Israel, welche in Flüchtlingslagern im Sudan gestrandet waren. Der Sudan war, wie die meisten arabischen Staaten, zutiefst verfeindet mit Israel. Die Operation musste also unter strengster Geheimhaltung stattfinden, so wie die äthiopischen Juden im mehrheitlich muslimischen Sudan ebenfalls ihre Religionszugehörigkeit verstecken mussten.

Anfangs wurden die Beta Israel aus Flüchtlingslagern per Auto an die Küste gebracht und dort von kleinen Schlauchbooten zu großen Schiffen der israelischen Marine im Roten Meer. Das war mühselig, da immer nur wenige Äthiopier evakuiert werden konnten, und gefährlich: Einmal erwischten sudanesische Soldaten eine Gruppe beim Transfer auf dem Roten Meer und feuerten auf sie; hielten sie aber vermutlich nur für Schmuggler. 

Volle Flugzeuge

Marineevakuierungen funktionierten für die immer größere Zahl an Beta Israel nicht mehr. Also wurde der Plan entwickelt, die Flüchtlinge heimlich aus dem Land zu fliegen, mittels großer C130-Hercules-Transportflugzeuge. Die ersten Flüge fanden ab Mai 1982 statt, auf einem verlassenen Flugfeld in der Nähe des Resorts. Parallel wurde das Resort weiter betrieben, empfing Gäste und trug sich finanziell selbst, ganz ohne heimlichen Zuschuss vom Mossad.

Nach zwei Flügen realisierten die sudanesischen Behörden, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging. Der Mossad musste noch geheimer agieren: Die Flüge landeten künftig nachts direkt in der Wüste vor den Flüchtlingslagern, ohne Landebahn und praktisch ohne Sichthilfe. Insgesamt 28 Flüge fanden statt; ab 1984 wurde das Tempo intensiviert, da eine Hungersnot im Sudan ausbrach. Rund 7.000 Juden wurden ausgeflogen. Zwischenzeitlich wirkten die USA auf Sudans Präsidenten ein und erwirkten, dass Juden heimlich direkt aus der Hauptstadt Khartum nach Europa ausgeflogen werden durften (wobei es für sie in Wahrheit nach Israel ging).

Als allerdings internationale Medien von der Operation erfuhren und sie veröffentlichten, schlug die Stimmung in Khartum um. Ein Militärputsch fand statt und die neue Junta machte sich auf die Jagd nach Mossad-Agenten im Land. Diese verließen das Resort am Roten Meer eines Nachts per Transportflugzeug und ließen die Angestellten sowie Touristen irritiert zurück. Heute ist das Resort eine verlassene Ansammlung von Bungalows nicht unweit der Großstadt Port Sudan.

Gut zu wissen: Die genaue Herkunft der Beta Israel ist ungeklärt. Als jahrhundertelang isolierte Gruppe gingen sie längste Zeit davon aus, die letzten verbleibenden Juden der Welt zu sein. Als Israels Oberrabbiner in den 1970ern entschieden, dass die Beta Israel zu den “Zehn verlorenen Stämmen” gehörten, wurde das Schicksal der äthiopischen Juden zur politischen Frage in Israel. Im Sudan landeten sie, weil sie vor dem Bürgerkrieg und der politischen Verfolgung in Äthiopien flohen. Später koordinierte sich der Mossad außerdem mit Gemeindeführern, welche Juden zur Migration in den Sudan aufriefen, um von dort evakuiert zu werden.

Honorable mentions_

(1,5 Minuten Lesezeit)

Von oben links im Uhrzeigersinn: Eli Cohen, Peter Zvi Malkin (Agent bei Eichmann-Entführung), Yonatan Netanjahu, Ahmed Bouchikhi. Quelle: Verschiedene

Die Liste der geheimdienstlichen Operationen Israels ist noch deutlich länger. Wer bis in die 1960er zurückgeht, findet die Identifizierung und Entführung des Nazi-Funktionärs Adolf Eichmann in Argentinien, welcher betäubt vom als Flugpersonal getarntem Agententeam nach Israel extrahiert wurde, wo ihm der Prozess gemacht wurde.

Im selben Jahrzehnt gelang es dem Mossad-Agenten Eli Cohen, so tief in die syrische Gesellschaft vorzudringen, dass er zeitweise als Kandidat für den Posten des Vize-Verteidigungsministers gehandelt wurde. Seine Informationen über syrische Verteidigungsstellungen halfen Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 beträchtlich – allerdings wurde er schon 1965 dank sowjetischer Technologie enttarnt und hingerichtet.

Die Operation Entebbe 1976 wurde zwar vom Militär durchgeführt, doch liest sich wie eine Geheimdienstoperation und basierte auf Informationen des Mossad: Eine israelische Spezialeinheit ließ sich heimlich 4.000 Kilometer weit nach Uganda fliegen, wo deutsche Linksextremisten und palästinensische Terroristen 106 Juden aus einem Passagierflieger als Geisel hielten (weitere 130 nichtjüdische Passagiere waren von ihnen entlassen worden – ironischerweise nahm ein deutscher Linksextremist die Trennung von Juden und Nichtjuden am Flughafen vor). Binnen 90 Minuten befreite das Kommando 102 von 106 Geiseln in einem Feuergefecht und flog sie wieder aus. Bei der Operation starb ein Soldat: Yonatan Netanjahu, der ältere Bruder des heutigen Premierministers.

Hamas-Anführer Chalid Maschal, Vorgänger des (von Israel getöteten) Ismail Haniyeh, wurde 1997 Opfer eines israelischen Anschlags in Jordanien. Mossad-Agenten vergifteten ihn, wurden allerdings gefangen genommen. Jordaniens König Hussein verlangte von Israel das Gegengift für Maschal, dessen Zustand sich rasant verschlechterte, wenn es seine Agenten zurückbekommen wolle. Mossad-Chef Danny Yatom musste persönlich nach Amman fliegen, um das Gegengift zu überreichen. Maschal lebt bis heute.

Die Operation Wrath of God (“Zorn Gottes”) ist derweil eine Erinnerung daran, wie sehr Spektakel und Schatten miteinander einhergehen. Die Mossad-Sondereinheit Caesarea führte Vergeltungstötungen an mutmaßlichen Drahtziehern des Münchner Olympia-Attentats 1972 durch, als palästinensische Terroristen 11 von 14 israelischen Olympiateilnehmern ermordet hatten. Beim Versuch, den Drahtzieher Ali Hassan Salameh in Oslo zu töten, ermordete der Mossad den Marokkaner Ahmed Bouchiki, welcher nichts mit palästinensischen Milizen zu tun hatte, doch von einem Informanten mit Salameh verwechselt worden war. Die Agenten wurden verhaftet, die Reputation des Mossads war international erschüttert und seine europäischen Operationen zerrüttet. 1979 gelang es ihm übrigens, Salameh zu töten: Ganz klassisch, mit einer ferngezündeten Autobombe. Vier Leibwächter und vier Zivilisten starben dabei ebenfalls.

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