Japan und Südkorea in einer sich verändernden Welt

Zwei schwierige Nachbarn zwingen sich zum Freundesein. Es handelt sich um ein Kapitel der Indopazifik-Saga...

Japan und Korea | Die neue Welt
(14 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Japan und Südkorea sind dank ähnlichen wirtschaftlichen und politischen Eigenschaften intuitive Partner, doch seit Japans Kolonialherrschaft 1910-1945 ist das Verhältnis belastet.
  • Südkorea verlangt eine Entschuldigung und Kompensationen für Opfer; Japan sieht alle Ansprüche durch einen Vertrag 1965 aus der Welt geräumt.
  • Das äußert sich in eingeschränkter Zusammenarbeit und seit 2019 in einem Handelsstreit.
  • Nun kam Bewegung hinein: Die Yoon-Regierung macht viele Konzessionen und ermöglicht die Detente mit Japan.
  • Das geschieht letztlich, weil beide Länder unruhig auf Chinas wachsenden Einfluss im Indopazifik und die Gefahr durch Nordkorea blicken.
  • Die größte Gefahr für das jüngste Abkommen ist der innenpolitische Widerstand, vor allem in Südkorea, doch in kleinerem Maße auch in Japan.

Japan und Korea_

Sie wirkten, als könnten sie die besten Freunde sein: Japan und Südkorea sind zwei benachbarte Hightech-Demokratien mit hohem Lebensstandard und einem für asiatische Maßstäbe hohem Maß an Liberalismus; beide sind gute Freunde der USA und blicken skeptisch auf ihren Nachbarn China. Und doch sind sie bestenfalls „Frenemies“, ein englisches Portmanteau aus „friends“ und „enemies“, also Partner und Rivalen zugleich. In den letzten Monaten hat sich allerdings einiges verändert zwischen Seoul und Tokio. Die Gründe sind, wie bei so vielem, in der neuen Geopolitik des Indopazifiks zu finden.

Eine schwierige Nachbarschaft

Japan und Koreas Verhältnis begann blühend. Die zwei Regionen pflegten in der Antike einen engen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch, unterstützten einander auch militärisch, wobei es meiste Zeit noch kein einheitliches „Japan“ oder „Korea“ gab. Mit dem Aufstieg Chinas im (europäischen) Frühmittelalter, ab etwa dem 8. Jahrhundert, wurde Korea weniger wichtig für Japan und geriet im Gegenzug unter die Einflusssphäre Chinas.

Das Verhältnis wurde komplizierter: Unter der mongolischen Yuan-Dynastie versuchten China und sein Vasall Korea im späten 13. Jahrhundert eine vergebliche Invasion Japans und am Ende des 16. Jahrhunderts startete Japan eine Invasion Koreas, mit dem Ziel, bis nach China vorzudringen. Eine chinesische Intervention und die Erfolge der koreanischen Marine stoppten das weit vorgerückte japanische Invasionsheer, welches zu diesem Zeitpunkt bereits viel koreanisches Kulturgut aus Seoul und Pjöngjang geraubt hatte. Die Praxis der Japaner, Nasen und Ohren der Gefallenen und, später, auch Lebenden abzuschneiden, führte zu einem koreanischen Spruch an Kinder, welche sich nicht benehmen: „Vorsicht, die ohren- und nasenabschneidenden Teufel kommen!“. In der alten japanischen Hauptstadt Kyoto gibt es noch heute den neun Meter hohen Hügel Mimizuka, welcher aus den abgeschnittenen Nasen von mindestens 38.000 Koreanern geformt wurde (und heute mehr oder weniger sowohl vor Touristen als auch den Einwohnern versteckt wird). 

Der Koreakrieg – Imjinkrieg genannt – und die daraufhin folgende Isolierungspolitik Japans führten zum Abbruch der Beziehungen der beiden Länder und legten das Fundament für die komplizierte Zukunft. Das nächste große Kapitel wurde mit der Meiji-Restauration in Japan geschrieben. Sie brachte den Kaiser zurück an die Spitze, doch kontrolliert wurde er von einem ultranationalistischen Militärapparat. Zeitgleich gelang Japan eine in Asien bis dato einzigartige Industrialisierung und Modernisierung, welche das Land imstande versetzte, eine imperiale Politik zu betreiben. 

Gut zu wissen: Unser Explainer zu Japans Pfad zum Pazifismus (und wieder weg von ihm) steigt tiefer in die Geschichte des Landes und die Meiji-Restauration ein.

In einem siegreichen Krieg mit Qing-China 1895 beendete Japan Koreas Vasallenstatus unter ebendiesem, 1905 folgte der Sieg im Krieg gegen Russland, um dessen wachsenden Einfluss zurückzudrängen. Japan war zur dominierenden Macht in Ostasien geworden (und zur ersten neuzeitlichen asiatischen Nation, welche eine europäische besiegt hatte) und machte Korea zur eigenen Kolonie. Tokio übernahm die vollständige Kontrolle und startete ein Industrialisierungs- und Modernisierungsprogramm. 1910 folgte die formelle Annexion, als Reaktion auf die Ermordung eines japanischen Kolonialgouverneurs.

Das japanische Kolonialregime

Die Kolonialzeit schuf Narben, welche bis heute das Verhältnis der zwei Länder prägen. Japan zwang Hunderttausende Koreaner, in der imperialen Armee oder in japanischen Firmen zu dienen und holte etwa 200.000 koreanische Frauen sowie Kinder als „Trostfrauen“ (englisch: comfort women) genannte Sexsklaven nach Japan beziehungsweise in die japanischen Besatzungsgebiete. Die genaue Zahl ist unbekannt; die Schätzungen reichen von 20.000 bis 400.000. Die Frauen stammten mehrheitlich aus Korea, China, Taiwan und Japan selbst. Viele, wenn auch nicht alle, litten unter Folter, Hunger und Krankheiten; Vergewaltigungen waren selbstverständlich. Die Verbrechen – und Opfer – lassen sich heute nicht mehr vollständig nachvollziehen, da Japan nach 1945 viele Dokumente vernichtet hatte, um Täter zu schützen. Doch auch in ihren Herkunftsländern litten viele “Trostfrauen” nach 1945 unter Stigma und Scham. Erst in den 1980ern brach das Thema in die Öffentlichkeit und eine nennenswerte Aufarbeitung nahm ihren Anfang.

Gut zu wissen: Einige “Trostfrauen” waren auch Europäer, beispielsweise Niederländer, welche von Japan bei der Eroberung des niederländisch kolonialisierten Indonesiens in Gefangenschaft genommen waren. Eine Betroffene, Jan Ruff O’Herne, wurde später zu einer Aktivistin gegen Vergewaltigung in Kriegszeiten und hielt vor dem US-Kongress 2007 eine Rede über ihre Erfahrung

Korea erlangte erst mit Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg 1945 seine Unabhängigkeit wieder. Die Sowjetunion und die USA teilten Korea am 38. Breitengrad auf: Unterhalb entstand ein US-nahes, autoritär geführtes Südkorea; oberhalb die vom Widerstandskämpfer Kim Il-sung geführte kommunistische Diktatur Nordkorea, welche der Sowjetunion und den erstarkenden kommunistischen Kräften in China nahestand. Japan blieb einige Jahre unter US-Kontrolle, bevor es als einigermaßen liberale parlamentarische Demokratie in die Eigenverwaltung entlassen wurde.

Nordkorea und Japan stellten ihre Beziehungen nie wieder herDoch auch Südkorea wollte lange nichts von Japan wissen, weder diplomatisch noch im Handel. Südkorea wurde nach der Unabhängigkeit vom Autokraten Syngman Rhee angeführt, welcher die Opposition zu Tokio zu einer seiner Kernlegitimationen gemacht hatte, immerhin waren die Kriegs- und Kolonialverbrechen noch frisch. Zwischen 1961 und 1987 war Südkorea eine (de facto) Militärdiktatur, längste Zeit unter General Park Chung Hee. Noch immer wurde Japan auf Armlänge gehalten, doch erstmals gab es Bewegung: 1965 stellten beide Staaten wieder diplomatische Beziehungen her, auch auf Druck des gemeinsamen Verbündeten USA. In den späten 1980ern vollzog Südkorea dann eine Liberalisierung und Demokratisierung und geriet neben Japan zur einzigen Demokratie Ostasiens (Taiwan würde etwas später folgen).

Nie vergeben, längst vergeben

Seitdem pflegen Südkorea und Japan ein vielschichtiges Verhältnis zwischen Freundschaft und Feindschaft. Japanische Kultur (seien es Animes oder Videospiele) beeinflussen Südkorea, südkoreanische Kultur (etwa Filme und K-Pop) beeinflussen Japan. Der Handel legte zu. 2002 organisierten beide Staaten gemeinsam die Fußball-Weltmeisterschaft. Gleichzeitig bleibt in Südkorea die Wut über die japanischen Verbrechen und in Japan Unverständnis über die Reaktion.

Anläufe für eine Beilegung des Streits gab es einige. Schon mit dem Vertrag von 1965 zahlte Japan 800 Millionen USD an Südkorea (teilweise in Form günstiger Kredite), was nach Ansicht beider Seiten alle Forderungen abgalt – doch die südkoreanische Regierung änderte in den 1990ern ihre Meinung. 1992 entschuldigte sich die japanische Regierung erstmals bei den “Trostfrauen”, als Premier Kiichi Miyazawa erklärte: “Ich entschuldige mich aus tiefstem Herzen und empfinde Reue für die Menschen, welche unbeschreibbares Leid erlitten haben”. 1993 folgte die Kono-Erklärung, in welcher die Regierung erstmals die Schuld des japanischen Staats beim Umgang mit den “Trostfrauen” anerkannte. 1995 setzte sie mit dem Asian Women’s Fund eine neue finanzielle Entschädigung auf, welche auch mit offiziellen Entschuldigungen einherging, doch da der Fonds formell privater Natur war – er bestand zu 5 Millionen USD aus Spenden der japanischen Bevölkerung und zu 40 Millionen USD aus Staatsgeldern – wurde er in Südkorea als unzureichend empfunden. 2015 versprach Fumio Kishida, damals japanischer Außenminister, umgerechnet 8 Millionen EUR für die Pflege ehemaliger “Trostfrauen” und Premier Shinzo Abe entschuldigte sich “von ganzem Herzen” für den “vielfachen Schmerz”, welchen die Opfer erlitten hätten. Der Streit sei damit “endgültig und unwiderruflich beigelegt” so die südkoreanische Regierung – doch schon die Nachfolgeregierung in Seoul ließ ihn wiederaufleben, da sie das Abkommen aus 2015 für gescheitert erklärte: Zu groß sei die Opposition zuhause.

Einige Lösungsansätze laufen unilateral: Das Oberste Gericht Südkoreas urteilte 2018, dass japanische Firmen Reparationen für die Zwangsarbeit in der Kolonialphase zahlen müssten. Japan reagierte wütend, schließlich sieht es sämtliche Ansprüche durch das Abkommen 1965 abgegolten. Also stufte es Südkorea als Handelspartner herunter und schränkte den Export von Inputgütern ein, welche Südkorea für seine Hightech-Produktion benötigt. Seoul vergalt und ein Handelskrieg brach aus, welcher in Abstufungen bis zuletzt lief. 

In Südkorea werden die japanischen Entschuldigungen als unzureichend und unehrlich empfunden und die Kompensationen als zu gering. Viele Opfer und Aktivisten fordern Entschädigungen direkt durch die Firmen, welche Zwangsarbeit eingesetzt hatten, und verlangen ausdrückliche Schuldanerkennungen des japanischen Staats. Sie verbitten sich etwa “personalisierte” Entschuldigungen durch Premierminister (wobei viele Beobachter diese gleichermaßen fordern) als auch Mixvehikel wie den Asian Women’s Fund, welcher offiziell eine private Entität darstellte. Es half nicht, als Ex-Premier Shinzo Abe 2007 erklärte, dass es “keinen Beweis” dafür gäbe, dass die “Trostfrauen” unter Zwang gehandelt hätten. Auch die regelmäßigen Besuche japanischer Premierminister im Yasukuni-Schrein, in welchem japanische Soldaten begraben liegen, wird als Affront wahrgenommen.

Andersherum hat Japan seit langem das Gefühl, dass alles, was man tue, nicht genug sei. Entschuldigung nach Entschuldigung werde nicht angenommen oder nach einiger Zeit vergessen. Die koreanische Seite wird als unzuverlässig wahrgenommen: Die vermeintliche “endgültigen” Lösungen des Streits 1965 und 2015 hielten nur jeweils einige Jahrzehnte oder Jahre, letztere überlebte keinen Regierungswechsel. Druck durch südkoreanische Gerichte wird als übergriffig empfunden.

Das letzte Abkommen?

Die jüngste Annäherung scheint erfolgversprechender zu sein, doch nicht unbedingt, weil sie sämtliche Kritikpunkte der früheren Abkommen lösen würde. Einige Monate lang verhandelten die Regierung unter Fumio Kishida – inzwischen Premierminister – in Japan und Yoon Seong-Yeol in Südkorea über eine neue Formel, welche ab März begann, öffentlich zu werden. Die beiden Länder setzen einen Fonds auf, in welchen südkoreanische Firmen einzahlen, um die Opfer der Kolonialzeit zu entschädigen. Dafür zahlen Unternehmensverbände beider Länder in einen neuen Fonds für Jugendstipendien und Kulturaustausch ein. Das erlaubt Seoul zu sagen, dass es Entschädigungen geben wird und Tokio, dass die heimischen Firmen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Schon jetzt äußert sich das im Verhältnis der beiden: Japan hob wichtige Exporteinschränkungen für Industriechemikalien auf, Präsident Yoon besuchte im März Tokio, als erster südkoreanischer Staatschef seit 12 Jahren, und Premier Kishida tat es seinem Konterpart im Mai gleich, als er Seoul besuchte.

Die Annäherung könnte noch auseinanderfallen. In Südkorea lehnen 60 Prozent der Bevölkerung sie als unzureichend ab. Mindestens drei der Zwangsarbeiter, welche laufende Klagen gegen japanische Firmen haben, akzeptieren nur Geld von ebendiesen Firmen (z.B. Mitsubishi Heavy Industries), nicht aus einem Fonds. Kishidas Erklärung in Seoul, in welcher er „tiefe Reue“ für die Leiden der Koreaner unter japanischer Herrschaft beteuerte, wurde im südkoreanischen Diskurs vor allem als Manövrieren an einer Entschuldigung vorbei wahrgenommen. Ein Opfer, Kim Seong-joo, erklärte: „Wir können vergeben, wenn Japan uns ein einziges Wort sagt: Wir bitten um Entschuldigung und wir haben falsch gehandelt. Doch wir hören nichts derlei.“

Es hilft nicht, dass japanische Politiker das Abkommen mitunter als „totalen Sieg“ bezeichneten oder Japan ein „Opfer“ der südkoreanischen Gerichtsurteile nannten. Im Gegenzug sprechen koreanische Medien von einer “Kapitulation” durch Yoon und die Hauptopposition vom “demütigendsten Moment in Südkoreas diplomatischer Geschichte”. Oppositionspolitiker Lee Jae-Myung, gegen welchen Yoon 2022 in der Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, erklärte: “Die Annäherung zwischen Südkorea und Japan ist eine Notwendigkeit, und ich unterstütze sie. Doch nicht auf Kosten unserer nationalen Interessen, der nationalen Würde, Geschichte und Gerechtigkeit.”

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Quelle: Abbad, wikimedia

Der Feind des Feindes

Warum existiert das Abkommen überhaupt, wenn es in Korea hochkontrovers ist und von der Yoon-Regierung regelrecht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt wird? Letzten Endes geht es darum, dass Seoul in Japan einen neuen regionalen Partner kreieren will. Einmal, um von engeren Wirtschaftsbeziehungen zu profitieren. Doch womöglich noch wichtiger ist eine verstärkte militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit, wie sie jetzt bereits angekündigt worden ist. 

Beide Länder haben außenpolitische Ziele, welche sie aneinander rücken: Japan will Chinas immer robusteres Auftreten im Indopazifik abwehren, die Sicherheitsrisiken durch Nordkorea minimieren und ein aggressives Russland im Norden – seit Jahrzehnten herrscht Streit um die Kurileninseln – verwalten. Mit Seoul als Partner nimmt sich Tokio nicht nur einen Kopfschmerzfaktor, sondern sammelt mehr Informationen über seine unruhigen Nachbarn und schreckt diese effektiver vor abenteuerlichen Manövern ab.

Südkorea wiederum hat ein entspannteres Verhältnis und tatsächlich keinerlei Territorialstreits mit China, doch erkennt die Risiken, welche Peking für die Anrainerstaaten des Indopazifiks darstellt. Im April erklärte Präsident Yoon gegenüber Reuters, dass die Spannungen um Taiwan auf Versuche, “den Status Quo gewaltsam zu verändern”, zurückgingen, und er solche Versuche ablehne. China protestierte lautstark gegen die “fehlerhaften” und “völlig inakzeptablen” Äußerungen. Ein besseres Verhältnis zu Japan erlaubt Südkorea, seine derzeit beträchtliche wirtschaftliche Abhängigkeit von China etwas zu mindern. Seouls Distanzierung bedeutet allerdings auch, dass es weniger auf Peking als Hebel gegenüber Nordkorea setzen kann: Das kommunistische Regime im Norden ist eine existenzielle Gefahr für den Süden, auf welchen dieser bis heute keine gute Antwort gefunden hat. Japan kann Pjöngjang zwar nicht zu Verhandlungen oder zur Entspannung bewegen, aber eine funktionierende Seoul-Tokio-Achse stellt eine Abschreckung gegen den Norden dar, was zur konfrontativeren Nordkorea-Politik der Yoon-Regierung passt. Entsprechend reagierte Pjöngjang auf die Ankündigung des Abkommens mit dem Abschuss einer Interkontinentalrakete.

Der Indopazifik in Bewegung

Das Aneinanderrücken der zwei Hightech-Demokratien ist ein signifikantes Ereignis im Indopazifik. Damit ist jene Region gemeint, welche sich geografisch von Ostafrika bis zur US-Westküste erstreckt, doch im politischen Diskurs in erster Linie das Süd- und Ostchinesische Meer mitsamt der Anrainerregionen bedeutet. Die Hauptdynamik dort ist das Aufeinandertreffen chinesischer Einfluss- und Expansionsambitionen auf eine meist US-geführte Allianz unterschiedlicher chinaskeptischer Staaten. Auch Südkorea und Japan blicken sehr genau auf die Spannungen, gerade in der Taiwanstraße, und formulieren ihre strategischen Visionen für den Indopazifik. In Südkorea ist das die “Strategy for a Free, Peaceful, and Prosperous Indo-Pacific Region” (Link), in Japan das Papier “Free and Open Indo-Pacific” (Link).

Beide Staaten teilen ihre Sorge vor einer geopolitischen Destabilisierung der Indopazifik-Region, verursacht durch die Ambitionen Chinas. Es beansprucht im direkten Umfeld die weitläufige “Neun-Striche-Line“, eine relativ willkürliche Grenzziehung durch anliegende Meere; verlangt die “Wiedereingliederung” Taiwans; befestigt umstrittene Inseln; setzt seine gigantische Fischkutterflotte als quasi-paramilitärische Einheit ein; sichert sich etwa durch die Salomon-Inseln militärische Zugänge in der Region; und streitet sich lautstark mit den USA, Indien oder Australien. In den vergangenen Jahren hat diese Dynamik bedeutend an Fahrt gewonnen, passend zu Chinas wirtschaftlichem Aufstieg und dem Gefühl, “Hundert Jahre an Demütigung” abgeschüttelt zu haben: Das neue China strebt an die Weltspitze, ist selbstbewusst und will sich nicht von den auf dem absteigenden Ast sitzenden ex-kolonialen Mächten einhegen lassen.

Gut zu wissen: Wir erklären mehr zur Lage im Indopazifik in unserem Explainer “Der Indopazifik und das pazifische Jahrhundert” aus November 2021.

Kein Pazifismus mehr

Gerade in Japan, welches seit 1945 eine Politik des militärischen Minimalismus gefahren ist, führt diese neue Welt zu einem Umdenken. Das Land gibt derzeit seine pazifistische Linie Schritt für Schritt auf und führt die Wiederbewaffnung durch, auch was Offensivkapazitäten angeht. Beeindruckende 320 Milliarden USD möchte die japanische Regierung über fünf Jahre in ihre Militärkapazitäten investieren, 56 Prozent mehr als bisher, was das Land zum drittgrößten Rüstungsinvestor der Welt hinter den USA und China machen würde. Es baut parallel sein geopolitisches Profil aus: Im Taiwanstreit kommuniziert es ungewöhnlich offen, dass es Taiwan im Kriegsfall unterstützen – vielleicht sogar kämpfen? – würde, führt erstmals große Militärübungen mit Indien durch und schließt Militärabkommen mit Großbritannien und Australien.

Gut zu wissen: Wir erklären mehr über Japans sicherheitspolitische Zeitenwende in unserem Explainer “Japan: Zum Pazifismus und zurück” aus Juli 2022.

Peking dürfte die Kooperation der zwei Nachbarn kaum gefallen. Sie stärkt Japan und signalisiert, dass sich Südkorea zunehmend in einen US-Orbit begibt und die Nähe zu China zu reduzieren bereit ist. Offen ausdrücken kann China seinen Unmut allerdings nicht, denn das ließe sich kaum mit dem selbsternannten Image als globaler Friedensstifter verbinden. In diesem Sinne blieb Peking auffällig still.

Für die USA ist es ein Erfolg. Sie arbeiten an einer Achse gegen China und haben erfolgreich einen “Halbkreis” aus befreundeten Staaten rund um den großen Rivalen geschaffen. Japan und Südkorea nehmen beide einen zentralen Teil in dieser Strategie ein und ihre Zusammenarbeit stärkt die Achse. Allein im vergangenen Jahr hielten die drei Staaten rund 40 trilaterale Treffen ab. Entsprechend belohnte Washington Seoul für das neue Abkommen mit einem Staatsbesuch und mit der stärkeren Aufnahme unter den nuklearen Schutzschirm der USA. Und kaum war die Annäherung eingeleitet, berichteten Medien, dass die USA, Südkorea und Japan ihre Radarsysteme verbinden würden. Das verbessere unter anderem die Reaktionszeit auf nordkoreanische Raketenstarts. Genauer würden Südkorea und Japan jeweils ihre Radarsysteme mit jenem der USA verbinden, nicht miteinander. Wenn das nach Wortklauberei klingt, so immerhin nach wichtiger Wortklauberei: Südkorea und Japan wollen, dass du weißt, dass sie nicht Verbündete sind, sondern langsam lernen, Freunde zu sein.

Gut zu wissen: Die zusätzlichen Radarkapazitäten sind nicht trivial. Japans Systeme tun sich aufgrund der Erdkrümmung schwer, Raketenstarts aus dem westlichen Nordkorea früh genug zu erkennen. In der Vergangenheit verlor Japan gar abgefeuerte nordkoreanische Raketen unterwegs aus dem Blick. Eine Kooperation mit Südkorea würde solche potenziell sehr gefährlichen blinden Flecken – eine Rakete aus Nordkorea kann in 15 Minuten Japan erreichen – verhindern.

Viel Potenzial, viel Unklarheit

Die koreanisch-japanische Annäherung ist vielversprechend für beide Länder und eine Stärkung der informellen antichinesischen Allianz im Indopazifik um die USA. Sie ist allerdings anfällig, denn ihr Rückhalt in der südkoreanischen Gesellschaft ist gering. Die Yoon-Regierung hat einen kommunikativen Aufwärtskampf vor sich, um die eigenen Konzessionen der Bevölkerung schmackhaft zu machen. Japan kann seinen Beitrag dazu leisten, indem sich die Regierung näher an eine echte Entschuldigung herantraut oder japanische Firmen freiwillig in den Entschädigungsfonds einzahlen. Das würde in Südkorea hoffentlich jene Ernsthaftigkeit und Reue vermitteln, welche derzeit nicht erkannt wird. Auch die japanische Regierung hat mit Widerständen zu kämpfen, da Teile der Gesellschaft nichts von einer Schuld gegenüber Südkorea wissen wollen: (Quasi-)Entschuldigungen wurden seit 1965 regelmäßig ausgesprochen, Gelder gezahlt und Abkommen geschlossen, alles, was nun folgt, sei im Grunde moralische Erpressung durch Südkorea. Doch so wie die Yoon-Regierung mutig, flexibel und ein wenig innenpolitisch-selbstmörderisch agiert, so kann auch die Kishida-Regierung in Tokio etwas Risiko eingehen, um die historische Annäherung zu stabilisieren. Wer auf totalen Sieg pocht, droht, alles zu verlieren.

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