Russlands Pfad, Teil 1: Memorial

Ein politischer Gefangener und einer, der auf dem Weg dorthin ist, zeigen auf, wie Russland mit seiner Vergangenheit umgeht. Diese Woche: Oleg Orlow.

(10 Minuten Lesezeit)

Russlands Pfad, Teil 2: Die vertane Chance
Russlands Pfad, Teil 3: Dunkelheit

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Russland hat Ende 2021 die NGO Memorial verboten, seit einigen Monaten ermittelt es gegen dessen Spitze Oleg Orlow. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.
  • Memorial deckte sowjetische, vor allem stalinistische Verbrechen auf und rehabilitierte die Opfer; kommentierte aber auch heutige Menschenrechtsverstöße.
  • Damit geriet die NGO seit 2008 in Konflikt mit der Regierung, wurde drangsaliert und eben zuletzt verboten.
  • Der russische Staat facht eine Sowjetnostalgie, ausdrücklich um Stalin herum, an. Das verfängt sich durchaus in der Bevölkerung.
  • Gleichzeitig lässt Putin mehr Sympathie für das Zarentum als für jeglichen Kommunismus erkennen. Es geht letztlich um Autoritarismus, nicht um Marx.
  • So oder so: Memorial und Orlow passen nicht mehr in dieses Land in seiner jetzigen Form. Benötigen würde es sie umso dringender.
Oleg Orlow. Quelle: Anna Artemewa, wikimedia

Orlow & Memorial_

Lange bevor die Repressionen begannen, dürfte Oleg Orlow verstanden haben, was ihm bevorsteht. Wladimir Putin hatte 2005 den Zerfall der Sowjetunion wahlweise ein “großes geopolitisches Desaster” oder die “größte geopolitische Katastrophe” des Jahrhunderts genanntDer 70-jährige Orlow war derweil einer der Gründer und der führende Kopf der russischen NGO Memorial, welche die Menschenrechtsverbrechen der Sowjetunion, insbesondere des Stalinismus, aufarbeitete. Es sollte kein harmonisches Verhältnis werden. Wie es verlief, hat Lehren darüber, wie sich Russland heute sieht.

75 Jahre, viel Trauma

Orlows Werdegang ist eng mit der Geschichte der Sowjetunion verzahntDiese begann im engsten Sinne mit der Ankunft eines unscheinbaren Zuges im Finnischen Bahnhof von Petrograd, heute Sankt Petersburg, im April 1917. Wladimir Iljitsch Lenin war aus dem Exil in der Schweiz zurückgekehrt, eingefädelt vom Deutschen Kaiserreich, welches sich erhoffte, dass der radikale kommunistische Theoretiker beim Kriegsgegner Russland Chaos stiften würde. Lenin lieferte, und zwar mehr, als Berlin sich jemals ausgemalt hatte. Noch vor Ende des Jahres hatten Lenins Bolschewiki eine moderatere Revolutionsregierung entmachtet und das Land an sich gerissen. Russland stieg aus dem Ersten Weltkrieg aus und der Grundstein für die Sowjetunion war gelegt. 

Der neue Staat, nach einem heftigen Bürgerkrieg offiziell Ende 1922 ausgerufen, sollte fast exakt 69 Jahre bis 1991 bestehen. In dieser Zeit leistete er einen unglaublichen Blutzoll. Bereits unter Lenin war Gewalt gegen politische Gegner gang und gäbe, etwa im “Roten Terror“, in welchem Zehntausende bis Hunderttausende vermeintliche und tatsächliche Gegner der Bolschewiki ermordet wurden. “Es ist notwendig, heimlich und schleunigst den Terror vorzubereiten”, erklärte Lenin 1918; die Zeitung der Bolschewiki forderte “Flüsse aus Blut”. Und die Russische Hungersnot 1921-22 wurde durch die Agrarpolitik der Bolschewiki sowie ihre Weigerung, humanitäre Hilfe der USA anzunehmen, zumindest verschärft. Die Gründe für die Hungersnot dürften in erster Linie der Erste Weltkrieg (keine Schuld der Bolschewiki) und der Russische Bürgerkrieg (durchaus aufgrund der Kommunisten) gewesen sein. Offizielle Sowjetquellen bezifferten die Zahl der Toten später auf 5 Millionen.

Gut zu wissen: Unter dem Eindruck der Hungersnot 21/22, der hohen Ineffizienz des Agrarsektors und des anhaltenden Widerstands der Bauern gegen Zwangskollektivierungen verabschiedete Lenin 1921 die “Neue Wirtschaftspolitik” (NEP). Sie brachte Kapitalismus in den Kommunismus, wie Lenin offen einräumte, indem sie in der Landwirtschaft Privatbesitz und gewisse Marktmechanismen gestatte. Die Agrarproduktion wuchs bedeutsam, überstieg das vorrevolutionäre Niveau und half der Sowjetunion aus der Wirtschaftskrise. Eine neue wohlhabende Bauernklasse namens “NEPmen” entstand. 1928 kassierte Stalin die NEP.

Unter Lenins Nachfolger Josef Stalin nahm die Gewalt geradezu groteske Züge an. Da wäre der “Große Terror” 1936-38, in welchem einmal erneut vermeintliche und tatsächliche Gegner ermordet wurden, mit bis zu 1,2 Millionen Toten. Vermutlich knapp 18 Millionen Menschen gingen zu Stalins Zeiten durch das Gulag-System, also sowjetische Straf- und Konzentrationslager, und nach den derzeit besten Schätzungen starben rund 1,7 Millionen. Die gewaltsame Kollektivierung der Landwirtschaft ging mit der “Entkulakisierung” einher, also der Deportation oder Ermordung relativ wohlhabender Bauern. Später führte sie direkt zur menschverursachten und gezielt verschärften Hungersnot Holodomor, welche 1932-33 gerade in der Ukraine und in Kasachstan wütete. Insgesamt starben durch die desolate Agrarpolitik direkt oder indirekt schätzungsweise 12 Millionen Menschen. Weitere Deportationen, vor allem von nicht genehmen ethnischen Minderheiten, kosteten einigen Hunderttausenden das Leben. Und wie viele getötete Menschen im Zuge des Zweiten Weltkrieges in die Liste gehören, ist schwierig zu sagen (Strafbataillone oder Sperreinheiten, welche flüchtige Soldaten der eigenen Seite erschießen sollten, ließen sich wohl durchaus als verbrecherische Akte werten), doch ganz eindeutig ist es bei der von Stalin persönlich angeordneten, bis 1989 verheimlichten Ermordung von 22.000 gefangenen polnischen Offizieren 1940 durch die Sowjetunion.

Mit Stalins Tod 1953 folgte ein kurzes Tauwetter unter Nikita Chruschtschow. Der neue Generalsekretär verurteilte Stalin in einer (nur dem Namen nach) geheimen Rede auf dem 20. Parteitag 1956 und legte seine Verbrechen offen. Der Personenkult wurde abgeschafft und eine chaotische Liberalisierung nahm Fahrt auf, welche die Elite schnell gegen sich aufbrachte. 1964 wurde Chruschtschow aus dem Amt gedrängt; unter seinen Nachfolgern Leonid Breschnew, Konstantin Tschernenko und Juri Andropow verhärtete sich das sowjetische System wieder. “Säuberungen” und Massenmorde waren in der bürokratisch-autoritären Sowjetunion des späteren 20. Jahrhunderts zwar äußerst selten, doch Repression, absolute Staatskontrolle und tödliche Inkompetenz (z.B. im Tschernobyl-Desaster) setzten sich ungebrochen fort. Blutige Ausnahmen waren die zahlreichen sowjetischen Militärinterventionen, etwa in der DDR 1953, Ungarn 1956 und Tschechien 1968.

Bevor der letzte Generalsekretär Michail Gorbatschow die Sowjetunion 1991 versehentlich abwickelte, hatte eine wahrlich beeindruckende Zahl an Menschen ihr Leben verloren. Allein für die Stalin-Ära reichen die Schätzungen von 3,5 bis 20 Millionen (der renommierte US-Historiker Timothy Snyder findet sich beispielsweise bei 9 Millionen). Der mittlere Wert dieser Spanne entspräche knapp 7 Prozent der gesamten Bevölkerung im Jahr 1939. Für die gesamte Sowjetzeit wird die Spanne umso wilder und reicht bis zu rund 62 Millionen, vorgebracht vom durchaus umstrittenen amerikanischen Gewaltforscher Rudolph Rummel.

Bei all diesen Zahlen handelt es sich nur um Tötungen. Die Zahl der Vertriebenen, Unterdrückten und Verfolgten ist weitaus größer.

Russlands Gewissen

Es gab also viel für Orlow und Memorial aufzuarbeiten. Orlows war ursprünglich glühender Jugendkommunist, bevor er sich in der Schule zum Antikommunisten wandelte; so übrigens auch sein Vater, für welchen die Erkenntnisse über Stalins Verbrechen in Chruschtschows Tauwetterperiode zum Wendepunkt gerieten. Die sowjetische Invasion Afghanistans 1979 und die Solidarnosc-Massenproteste in Polen 1980 machten Orlow zum vollwertigen Dissidenten, welcher heimlich politische Flugblätter verteilte. Als Gorbatschow später begann, das Land radikal zu liberalisieren, gründeten Orlow und einige Mitstreiter 1988 Memorial, welche somit eine der ältesten NGOs des modernen Russlands ist.

Gut zu wissen: Ein weiterer Gründer Memorials war Andrei Sacharow, ein Nuklearphysiker und einer der berühmtesten sowjetischen Dissidenten, welcher für seine Arbeit den Friedensnobelpreis erhielt. Der Sacharow-Preis des Europaparlaments, welcher für Verdienste für Menschenrechte vergeben wird, ist nach ihm benannt.

Memorial war im Grunde eher ein Dachverein als eine einzige Organisation. Über 60 Gruppen agierten in ihr, doch sie alle teilten die Aufgabe, die sowjetischen Verbrechen aufzuarbeiten und ihre politischen Opfer zu rehabilitieren. Memorial betrieb ein offenes Onlinearchiv mit zuletzt rund 3 Millionen biografierten Opfern, organisierte Veranstaltungen für Schulen, hielt Gedenkveranstaltungen ab, veröffentlichte Filme und entwickelte ein “Virtual Gulag”-Museum sowie eine Onlinekarte, welche die Orte der sowjetischen Repression in Moskau zeigt. Auch zu modernen Menschenrechtsverbrechen ermittelte die Gruppe. Memorial wurde mit ihrer Arbeit zur bekanntesten russischen NGO im Ausland und erhielt einen Friedensnobelpreis. Im Inland hatte sie ebenfalls ein großes Profil. Einige nannten sie “Russlands Gewissen”.

Moskau: Jeder Punkt ein Gulag, Konzentrationslager oder Ort der Zwangsarbeit. Per Klick auf das Bild gelangst du zu einer höher aufgelösten Version. Quelle: Memorial

Memorials Aufarbeitung der Geschichte geriet ins Fadenkreuz der Behörden, vor allem nach der Präsidentschaftswahl 2008. Im selben Jahr wurden ihre Büros zum ersten Mal von der Polizei durchsucht und Datenträger mit 20 Jahren an Forschung konfisziert. 2009 wurde eine bekannte Aktivistin in Tschetschenien entführt und ermordet. Ab 2013 wurden immer mehr Abteilungen von Memorial als “ausländische Agenten” klassifiziert und mehrfach mit hohen Geldstrafen belegt. Im Folgejahr warf das Justizministerium der Gruppe vor, die “verfassungsrechtliche Ordnung der Russischen Föderation zu unterminieren”. Zwischendurch gab es eine Anklage wegen “Rehabilitierung von Nazi-Ideologie”, welche später fallengelassen wurde.  Ab 2021 häuften sich die Einschüchterungsversuche gegen die Gruppe, etwa als eine Bande das Moskauer Büro stürmte und die Polizei, welche erst eintraf, als die Angreifer bereits verschwunden waren, kurzerhand die NGO-Mitarbeiter stundenlang im Gebäude einschloss. Ende 2021 wurde Memorial schlussendlich als Reaktion auf Verstöße gegen das “Ausländische Agenten”-Gesetz durch die Behörden verboten. Die Gruppe arbeitet seitdem inoffiziell weiter; ihre Mitglieder sind regelmäßigen Einschüchterungen ausgesetzt.

Und Orlow? Die Behörden werfen ihm die “wiederholte Diskreditierung der russischen Armee” vorund haben ihn angeklagt. Hintergrund ist ein Meinungsbeitrag zum Ukrainekrieg namens “Sie wollten Faschismus. Sie haben ihn bekommen.”, in welchem Orlow der Regierung vorwarf, Russland in ein totalitär-faschistisches System verwandelt zu haben. Weist die Regierung die Justiz an, ihn zu verurteilen, könnte das bis zu 15 Jahre Haft bedeuten. Orlow gibt sich unbeeindruckt: In einer der Gerichtsverhandlungen hielt er ein Buch in die Kameras, Titel: “Das Ende des Regimes”. “Es ist ein gutes Buch”, so Orlow, “ich empfehle, es zu lesen”.

Gut zu wissen: Die russische Justiz ist seit langem ein staatlich kontrollierter Scherbenhaufen. Um Orlows “Extremismus” zu belegen, setzte die Staatsanwaltschaft zwei fragwürdige Experten ein, welche für ihre Berichte offenbar fremde Artikel plagiierten und das Science-Fiction-Franchise Star Wars (!) in der Liste der Quellen angaben. Es gehe um Licht gegen Schatten und um DJs, so eine vermeintliche Expertin vor Gericht, bevor sie korrigiert wurde, dass sie “Jedis” meinte. Memorial wollte daraufhin Star Wars-Erfinder George Lucas in den Zeugenstand rufen lassen.

Zwischen Stalin und Zar_

Der kam schon mit der Flagge. Quelle: Meduza

Lang lebe die Sowjetunion…

Die Schließung Memorials und das Verfahren gegen Orlow sagen uns einiges darüber, wie Russland heute mit seiner sowjetischen Vergangenheit umgeht: Großmacht- und Stabilitätsnostalgie, ein Gefühl von “War doch gar nicht so schlimm” sowie eine Instrumentalisierung durch die Regierung, welche strategisch sowjetische Ikonografie wiederbelebt. Schon beim Gerichtsverfahren, welches zum Verbot Memorials führte, erklärte der zuständige Staatsanwalt: “Memorial kreiert ein falsches Bild der Sowjetunion als Terrorstaat […] Sie wollen uns dazu bringen, Reue für die sowjetische Vergangenheit zu empfinden, statt uns an die glorreiche Vergangenheit zu erinnern […] vermutlich, weil sie jemand dafür bezahlt.”

Putin begann eigentlich von Anfang an mit der Rehabilitierung der Sowjetunion. Zuerst brachte er die Melodie der alten Sowjethymne von Alexander Wassiljewitsch Alexandrow zurück, auch wenn der Text heutzutage ein anderer ist (“Mächtiger Wille, großer Ruhm”, so eine Zeile; “Einmalig bist du [Russland] in der Welt!”, so eine andere). Sowjetische Emblems fanden wieder Einzug. Die Sowjetflagge taucht im Ukrainekrieg auf russischer Seite so häufig auf, dass es dazu einen eigenen Wikipedia-Artikel gibt. Stalin gilt als Held des Zweiten Weltkriegs und Staatsvater, nicht als Massenmörder. Im Februar 2023 enthüllte die Regierung in Wolgograd (ehemals Stalingrad) eine Stalin-Büste – nur einige Hundert Meter von einem Denkmal für die Opfer der stalinistischen Repressionen entfernt. Einige Tage später lautete es in einem Meinungsbeitrag im Staatsmedium RIA Novosti: “Stalin kritisieren ist nicht nur anti-sowjetisch, sondern auch russophob; mit dem Ziel, Russland zu teilen und zu zerstören”.

Gut zu wissen: Die Rehabilitierung Stalins verfängt sich auch in der russischen Gesellschaft. 51 Prozent der Russen blicken mit “Bewunderung”, mit “Respekt” oder mit “Sympathie” auf Stalin, so eine Umfrage des renommierten Levada Center aus 2019. Nur 14 Prozent empfanden “Unmut”, “Angst” oder “Abscheu”. In der ersten Umfrage 2001 waren noch 38 Prozent positiv eingestellt, 43 Prozent negativ. 70 Prozent der Russen erachteten 2019 Stalins Rolle “in der Geschichte unseres Landes” als sehr positiv oder eher positiv. 16 Prozent bewerteten sie negativ. Dreizehn Jahre früher waren es noch 42 Prozent positiv zu 33 Prozent negativ.

Und lang lebe der Zar

Das soll nicht heißen, dass Putin die Sowjetunion zu seinem Leitstern macht. Über die Jahre ließ er kaum Sympathien für irgendwelche kommunistische Ideologie erkennen. Stattdessen turtelt er mit den Institutionen des russischen Kaiserreichs, welche die Sowjetunion mal real, mal nominell aufs Tiefste verurteilt hatte: Imperialismus, die orthodoxe Kirche, den kaum verhohlenen russischen Nationalismus und die Rolle des Zaren. Putin verglich sich regelmäßig mit Peter dem Großen, einem der erfolgreichsten Herrscher des Kaiserreichs. Putins mutmaßlicher Lieblingsideologe Iwan Iljin war Ultranationalist und Monarchist; der ebenfalls ultranationalistische und antikommunistische Alexander Dugin wird manchmal als “Putins Gehirn” beschrieben (wie hoch der Einfluss der beiden auf Putin ist, ist allerdings sehr umstritten). Den Jahrestag der bolschewistischen Revolution 1917 lässt Putin nur gedämpft feiern. Inmitten des Wagner-Aufstands 2023 erklärte er mit Bezug auf die Revolution gar, dass sie ein “Dolchstoß gegen die Armee und das Volk” gewesen sei und den Sieg im Weltkrieg “gestohlen” habe; also eine “größtmögliche Katastrophe” war. 2016 kritisierte Putin zum ersten Mal offen Lenin, nachdem er das bis dahin nur subtil getan hatte: Die Tötung von Zar Nikolaus II. und zahlreicher orthodoxer Priester seien große Fehler gewesen, wie auch die Ziehung administrativer Regionen entlang ethnischer Linien. Lenin habe eine “Zeitbombe” unter Russland platziert, so Putin.

Putin geht es also nicht um die Sowjetunion, sondern um absolute Autorität, Ordnung und den Nimbus der Vergangenheit (sehr wahrscheinlich auch um russischen Nationalismus und imperiale Expansion, doch wir möchten uns bei der ohnehin riskanten Psychologisierung eines Staatschefs nicht zu sehr in Wortwolken verlieren). Sowohl Stalin als auch die Zaren standen für dieselben Werte, wohingegen ein Lenin oder Gorbatschow mit gegensätzlichen Ideen wie Revolution, Umbruch oder Liberalismus zu verbinden sind und deswegen von Putin abgelehnt werden.

Memorial als Organisation passt nicht in eine Vision totaler Kontrolle und glorreicher Vergangenheit hinein. Die Gruppe möchte stalinistische und sowjetische Verbrechen ans Licht führen, in einem Land, in welchem Stalin rehabilitiert wird und Sowjetflaggen von Panzern und in der Propaganda wehen. Ihr Verbot ist ein passendes Ende für ihre Arbeit im modernen Russland und Orlows mögliche Verhaftung durch eine Scheinjustiz ist eine fast absurd ironische Erinnerung an die Säuberungen der Stalin-Ära.

Ein kleiner Cliffhanger

Orlow ist allerdings nicht der einzige namhafte Aktivist, welcher in den vergangenen Monaten vom Staat kaltgestellt worden ist. Die Geschichte des zweiten “Verbrechers” ist spektakulärer und das, was sie uns über Russland erzählt, noch tragischer. Dazu in Kürze ein zweiter Teil. 

Weiterlesen: 

Russlands Pfad, Teil 2: Die vertane Chance
Russlands Pfad, Teil 3: Dunkelheit

Das System Russland (Januar 2021)
Russland: Der Kreml legt einen Gang zu (April 2021)
Russland: Die Geister, die du riefst (Juni 2023)
Die Wagner-Gruppe (Juni 2022)
Die Informationsasymmetrie und der Krieg (März 2022)
Putins Russland verabschiedet sich aus der Zivilisation (Februar 2022)
Dieser Krieg wird noch lange dauern – und der Westen muss bereit sein (August 2022)
Russland und die Sanktionen (August 2022)
Kasachstan, Russland und die Emanzipation (Juli 2022)

Scroll to Top