Saudi-Arabien, Iran und der Deal

Eine Chance auf Stabilität in einer instabilen Region – und ein neuer Akteur im Ring.

Regionalkonflikt | Chinas Deal | Konsequenzen
(12,5 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Unter chinesischer Vermittlung haben Saudi-Arabien und Iran einen Deal zur Verbesserung ihrer Beziehungen geschlossen.
  • Konkret werden Teheran und Riad wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen, aggressive Aktionen einstellen, den Jemen befrieden und wirtschaftlich kooperieren.
  • Noch ist unklar, wie zuverlässig der Deal ist. Doch er hat das Potenzial, einen Konflikt zu entspannen, welcher im Grunde seit 1979 läuft und in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hatte.
  • Der Deal könnte die gesamte Region stabilisieren, denn der Konflikt erstreckt sich auf mehrere Länder und hält den schweren Bürgerkrieg im Jemen am Leben.
  • Chinas Rolle wird zwar etwas überschätzt, doch für das Land ist es ohne Frage ein Erfolg – und ein Beweis für den wachsenden Einfluss im Nahen Osten.
  • Im Gegenzug wirft es unangenehme Fragen über den Einfluss der USA und das Verhältnis mit Saudi-Arabien auf. Auch für die iranische Opposition und Israel bedeutet der Deal nichts Gutes.

Regionalkonflikt_

Mitte März ein Paukenschlag aus dem Nahen Osten: Die zwei Rivalen Saudi-Arabien und Iran verkündeten auf einmal, dass sie wieder ihre 2016 begrabenen diplomatischen Beziehungen aufnehmen und ein Ende ihrer Feindschaft anstreben würden. Die Ansage kam für internationale Beobachter überraschend, und der Ort ihrer Verkündung nicht minder: Nicht Bagdad, nicht Beirut, sondern Peking. Die Détente im Nahen Osten hat damit zwei wichtige Dimensionen: Was bedeutet sie für die Region? Und was sagt sie über die chinesische Rolle dort aus?

Sunni und Schia

Saudi-Arabien und Iran haben seit Jahrzehnten ein schwieriges Verhältnis. Die Saudis hielten wenig von der Islamischen Revolution im Iran 1979, welche die Monarchie durch eine Theokratie ersetzte; und eben diese Theokratie hielt wenig vom Königshaus Saud, welchem es vorwarf, ein amerikanischer Agent im Nahen Osten zu sein. Teheran sah sich als Verteidiger des globalen Islams und unterstellte Riad, welches dasselbe von sich dachte, den Glauben aus den Augen verloren zu haben. Die Beleidigung erhielt eine besondere Dimension für Saudi-Arabien als Ende 1979 islamistische Extremisten die Große Moschee in Mekka überrannten und in Geiselhaft nahmen. Es hätte diese Vorfälle wohl gar nicht gebraucht, denn die beiden Staaten stritten sich ganz grundlegend darüber, wessen Islam überhaupt der richtige sei: Die Schia in Iran oder die Sunna in Saudi-Arabien.

Die Beziehungen waren nicht immer furchtbar. In den frühen 2000ern gab es genügend Tauwetter, damit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad König Abdullah 2007 in Riad besuchen konnte. Die Zeit der “brüderlichen Nationen” endete allerdings jäh, und schon 2011 warf Saudi-Arabien Iran vor, seinen Botschafter in den USA ermorden zu wollen. 2016 richtete Riad den hochrangigen schiitischen Kleriker und Oppositionellen Nimr al-Nimr hin, was in Iran zu Angriffen auf die saudi-arabische Botschaft führte. Die beiden Staaten brachen ihre diplomatischen Beziehungen ab, schlossen ihre Botschaften und ließen die Eiszeit einziehen.

Gut zu wissen: Nimr al-Nimr hatte teils auffällig moderne Positionen: Er verlangte Wahlen in Saudi-Arabien und betrachtete die USA als “natürlichen Verbündeten” der Schiiten, da die Schia auf “Gerechtigkeit und Freiheit” basiere. Einem ausländischen Diplomaten sagte er 2008 offenbar, dass er an solche “amerikanischen Ideale” glaube.

Die Proxykriege

Iran ist eines der bevölkerungsreichsten, Saudi-Arabien eines der reichsten Länder der Region; beide mit religiös bedingtem Führungsanspruch – das machte einen Konflikt um regionalen Einfluss fast unvermeidbar. Lange Zeit war es die relative Schwäche Irans und der übermächtige Einfluss der USA, welcher ein offenes Kräftemessen verhinderte. Doch seit der “Spätphase” des Irakkriegs, etwa seit dem zweiten Jahrzehnt der 2000er, fahren die USA ihr Engagement im Nahen Osten immer weiter zurück, womit sie ein Machtvakuum kreierten. Gemeinsam mit dem syrischen Bürgerkrieg ab 2011 und dem jemenitischen Bürgerkrieg ab 2014 fand eine gravierende Umstrukturierung der Geopolitik des Nahen Ostens statt. Ein reiches Saudi-Arabien und selbstbewusstes, militärisch starkes Iran sahen ihre Zeit gekommen, die Vormachtrolle in der Region klarzustellen.

Die Manöver begannen. Iran schien an der Entwicklung einer Achse bis ans Mittelmeer zu arbeiten: Im Irak – einst ein Todfeind, jetzt zertrümmert – baute es hörige Milizen auf und stärkte pro-iranische Fraktionen in der Politik des Nachbarn; im syrischen Bürgerkrieg unterstützt es bis heute die Assad-Regierung (und startet gelegentlich Nadelstiche gegen Israel); in der Levante hält es Einfluss sowohl auf die Hamas-Miliz im Gazastreifen, als auch die Hisbollah im Libanon, welche gleichermaßen als stärkste politische Fraktion im Land und als kraftvolle paramilitärische Truppe operiert; mächtiger als die offizielle Armee des Libanons. Irans Ambitionen erstreckten sich allerdings auch weiter südlich: Es ermöglichte 2014 den jemenitischen Bürgerkrieg, indem es mutmaßlich jahrelang die Huthi-Rebellen beim Kampf gegen die pro-saudische Regierung ausgerüstet hatte – die UN nennt das “wahrscheinlich“. Und es nervte regelmäßig den Schiffsverkehr im Golf, also dem wahlweise Arabischen oder Persischen, und zeigte damit auf, wie sehr es den Handel der Region in Geiselhaft nehmen kann.

Saudi-Arabien, inzwischen de-facto angeführt vom ambitionierten Kronprinz Mohamed bin Salman (geläufig als “MBS” abgekürzt), hielt dagegen. Es nahm die Herausforderung im Jemen an und intervenierte 2015 mit einer Allianz befreundeter Staaten militärisch in den Bürgerkrieg, um die Huthis zurückzudrängen. Im syrischen Bürgerkrieg rüstete Riad mindestens zeitweise Rebellenmilizen, wohl auch islamistische, für den Kampf gegen Assad aus. Um seinen Einfluss auf den Libanon auszuweiten und jenen des Iran zurückzudrängen, entführte Saudi-Arabien 2017 kurzerhand den Premierminister, Saad Hariri. Den Nachbarn Katar, welcher eine relativ autonome Außenpolitik fuhr und entspannte Beziehungen zu Iran pflegte, stellte Riad unter eine Land-, See- und Luftblockade; hatte gar Pläne, Katars Halbinsel in eine Insel zu verwandeln. Mit Israel, dem Feind des Feindes, verbesserten sich die Beziehungen dermaßen, dass sich Beobachter nur noch fragten, wann das Verhältnis denn öffentlich gemacht werden würde – so wie es Saudi-Arabiens Quasi-Vasall Bahrain bereits 2020 im Rahmen der sogenannten “Abraham Accords” gedurft hatte (die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen ebenso mit Israel Beziehungen auf, doch sind autonomer gegenüber Saudi-Arabien).

Iran 1, Saudi-Arabien 0

Keiner der beiden konnte den anderen komplett bezwingen, doch es gibt dennoch einen klaren Sieger: Iran. Dessen angestrebte Achse vom Staatsgebiet bis zum Mittelmeer ist weitestgehend vollbracht. Er übt maßgeblichen Einfluss auf die irakische Politik aus und lässt seine Milizen vor Ort die verbliebenen US-Soldaten traktieren; Assad sitzt erfolgreich im Sattel in Syrien; und die Hisbollah ist im Libanon ungebrochen dominant, auch wenn sie das Land desaströs verwaltet. Im Jemen setzt sich der Bürgerkrieg fort und die Huthis kontrollieren die wichtigsten Teile des Landes inklusive der alten Hauptstadt Sana’a.

Saudi-Arabien hat dagegen wenig vorzuzeigen: Iran und seine Unterstützer sind aus keiner ihrer Bastionen verschwunden; die Entführung Hariris war ein Desaster; Katar ließ sich von der Blockade nicht schrecken, weswegen Riad sie irgendwann aufgab; und im Jemen entdeckt Saudi-Arabien sein persönliches Afghanistan: Das Land steckt tief im Konflikt drin, investiert Milliarden und sieht nicht so recht, wie es wieder herauskommt. Im Gegenteil, der Konflikt rückt zu nahe an Saudi-Arabien heran: Die Huthis beschießen das Staatsgebiet regelmäßig. Und selbst Iran hat 2019 mit tieffliegenden Raketen und 18 Drohnen eine Ölanlage in Saudi-Arabien zerstört, wenn auch selbstverständlich nicht offiziell. An der “Heimatfront” bietet Riad seinem Gegner zudem mit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im östlichen Landesteil einen attraktiven Hebel, um für Ärger zu sorgen. Der exekutierte Kleriker al-Nimr stammte von dort. Im selben Sinne warf Saudi-Arabien Iran 2011 vor, Proteste im mehrheitlich schiitischen, doch sunnitisch kontrollierten Nachbarland Bahrain angestiftet zu haben. Riad musste diese damals militärisch niederschlagen.

Gut zu wissen: Im Jemen sind seit 2014 mindestens 377.000 Menschen gestorben, so die UN bereits Anfang 2022.

Gerade für Saudi-Arabien ergibt es damit viel Sinn, eine Entspannung mit Iran zu suchen. Sie könnte einen Ausweg aus dem Jemen-Krieg bieten. Und da das Verhältnis zu den USA schwächelt und Saudi-Arabien seinem traditionellen Sicherheitsgaranten nicht mehr so recht traut, muss es seine nationale Sicherheit anders herstellen. Doch auch Iran hat viel zu gewinnen, denn das Regime rund um Präsidentschaft, Klerus und Revolutionsgarden kämpft zuhause mit einer unwilligen Bevölkerung. Je weniger Iran sich mit Saudi-Arabien messen muss, umso mehr Kapazitäten und Ressourcen hat es für die Befriedung des eigenen Landes. Das ist umso wichtiger, seitdem Ex-US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen – JCPOA – faktisch aufgelöst und wieder Sanktionen eingeführt hat, was der iranischen Wirtschaft schwer zusetzt. Zudem führen beide Staaten einen regelrechten “Medienkrieg”, in welchem das finanzstarke Saudi-Arabien mehr Effekt auf die frustrierte iranische Gesellschaft erzielt als andersherum. 

Also traten die Vertreter Saudi-Arabiens und Irans am 10. März vor die Kameras, um ihren diplomatischen Durchbruch zu verkünden. Und zwar in Peking, mit Chinas de-facto Außenminister Wang Yi in der Mitte.

Chinas Deal_

Verbotene Stadt, Peking. Quelle: Dave Proffer

Ein neuer Player

Chinas Rolle in der Aushandlung der Détente kam überraschend, doch erscheint im Nachhinein einleuchtend. Am 6. März waren die iranische und saudi-arabische Seite in Peking eingetroffen und in den Monaten davor hatte sich Chinas Präsident Xi Jinping bereits persönlich mit seinen Konterparts Ebrahim Raisi (Iran) und Mohamed bin Salman (Saudi-Arabien) getroffen. China ist für beide Staaten als Handelspartner wichtig, doch nimmt darüber hinaus unterschiedliche Funktionen ein: Für Iran hat China Potenzial, eine wichtige Stütze einer vom Westen isolierten, sanktionsfesten, JCPOA-unabhängigen Wirtschaft zu werden – und moderne Technologie, auch militärisch, zu liefern. Irans übrige Freunde sind wahlweise paramilitärische Gruppen oder das abgelenkte, wirtschaftsschwache Russland. China ist eine andere Liga.

Für Saudi-Arabien bietet China wiederum einen Weg, sein Portfolio an Freunden zu diversifizieren: Mit den USA, dem historischen Partner, knirscht es seit langem. Riad war nicht glücklich mit dem Irakkrieg und dem JCPOA, doch als Washington noch tief in den Irakkrieg verwickelt war, war Saudi-Arabien immerhin ein zentraler Partner und Stabilitätsanker. Seit der Herabstufung des Nahen Ostens in den US-Prioritäten nehmen im Umgang miteinander wieder lästige Belange wie Menschenrechte und Demokratie mehr Stellenwert ein – zum Unbehagen Riads. Unter der Trump-Regierung mit ihrem merkwürdigen Penchant für autoritäre Staaten gab es wieder eine kurze Hochphase, doch unter Biden haben sich die Beziehungen bedeutend abgekühlt. China ist für Saudi-Arabien ein Weg, den USA zu zeigen, dass Alternativen existieren und die Partnerschaft nicht selbstverständlich ist – und die eigenen Abhängigkeiten vom Westen zu senken.

Gut zu wissen: US-Präsident Biden hatte einst als Kandidat versprochen, Saudi-Arabien zu einem “Pariastaat” zu machen, also international zu isolieren. Auslöser war damals die Ermordung des in den USA lebenden saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi durch saudi-arabische Offizielle. Das Versprechen hielt zwar nur bis zur Energiekrise, doch belastete das amerikanisch-saudische Verhältnis. Auf der anderen Seite war Washington wütend, als Riad inmitten der Energiekrise die Ölproduktion herabfuhr und damit den Preis von Öl sowie Substitutionsgütern wie Gas erhöhte – MBS habe sich auf die Seite Putins gestellt, so der Eindruck.

Für beide hat China außerdem die Funktion, die gegenseitigen Versprechungen glaubwürdiger zu machen. Gerade Saudi-Arabien, welches scheinbar mehr von einer Einigung profitieren kann, hatte Sorgen über die Glaubwürdigkeit iranischer Zusagen. Indem Peking als Garant auftritt, kann sich Saudi-Arabien etwas mehr darauf verlassen, dass Iran seinen Versprechungen Folge leistet. 

Kein Zaubertrick

Es dürfte sich um Chinas diplomatische Sternstunde und seinen ersten greifbaren Erfolg in internationalen, nicht-chinesischen Belangen handeln. Das sollte allerdings nicht überschätzt werden. Saudi-Arabien und Iran hatten, wie bereits erklärt, ganz eigene Anreize für eine Annäherung. Gespräche zwischen den Beiden liefen mindestens seit 2021, initiiert übrigens von den USA. Die Mediatoren waren der Irak und Oman, wo mindestens fünf Gesprächsrunden stattfanden; China folgte erst danach. Dass sich Xi Jinping öffentlich als Dealmaker und Friedensschaffer feiern kann, kommt sowohl Teheran als auch Riad in ihrem Wunsch nach guten Beziehungen zu China entgegen. Zu guter Letzt hat China durch seine Bedeutung für das jeweilige Gegenüber die beste Befähigung zum Garanten. Das Tauwetter ist also keineswegs ein diplomatisches Zauberstück aus Peking. Doch, credit where credit is due, es ist ein konstruktiver Beitrag zu mehr Stabilität im Nahen Osten. Und ohne Frage ein Symbol für den wachsenden chinesischen Einfluss.

Was steht eigentlich im Deal? Einiges gaben die beiden Seiten bei Unterzeichnung bekannt, anderes erfuhren amerikanische Offizielle von saudi-arabischer Seite. So stellt Iran die Raketenangriffe auf saudi-arabisches Territorium – durchgeführt vor allem durch die Huthi-Miliz im Jemen – ein. Saudi-Arabien stoppt im Gegenzug seine Unterstützung für den oppositionellen TV-Sender Iran International, welchen Teheran als einen Treiber der heimischen Proteste sieht. Beide Seiten werden auf die Einhaltung eines Waffenstillstandsabkommens im Jemen zuarbeiten und einen Friedensvertrag anstreben. Iran verspricht, die Huthi-Rebellen nicht länger mit Waffen auszurüsten. Die Golfstaaten, lose organisiert im Gulf Cooperation Council (GCC), besprechen eine engere wirtschaftliche und neue sicherheitspolitische Kooperation. Saudi-Arabiens Finanzminister hat Investitionen in Aussicht gestellt. Beide Seiten eröffnen ihre Botschaften zum ersten Mal seit 2016 wieder. China überwacht sämtliche Schritte.

Konsequenzen_

-Riad, Saudi-Arabien. Quelle: apriltan

Mehr Stabilität im Nahen Osten

Die iranisch-saudische Annäherung verdient eine Einschränkung, gefolgt von etwas Vorfreude und einer weiteren Einschränkung. Die erste Einschränkung lautet, dass völlig unklar ist, inwiefern der Deal zu einer tatsächlichen Verbesserung der Beziehungen führen wird. Niemand erwartet, dass die zwei Rivalen plötzlich wieder “brüderliche Nationen” werden (auch wenn Irans Präsident Raisi bereits eine Einladung nach Riad angenommen hat), doch selbst bescheidenere Resultate sind nicht gesichert. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Iran weiter tut, was es tut, Saudi-Arabien weiter im jemenitischen Sumpf feststeckt und die Zeremonie in Peking zum reinen Marketinggag verkommt.

Es ist allerdings durchaus aussichtsreich, dass sich etwas im Nahen Osten ändert. Jede Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien bedeutet, dass der zentrale Konflikt in der Region an Hitze verliert. Müssen sich beide Seiten weniger aneinander abarbeiten, dürften Spannungen im Irak und Libanon abnehmen; die Überfälle im Persischen Golf stoppen; und der Jemenkrieg die beste Chance auf ein Ende haben, die er je hatte. Realistischerweise werden selbst konstruktive Beziehungen zwischen Riad und Teheran nicht bedeuten, dass Iran seinen Einfluss in der “Achse” Irak-Syrien-Libanon aufgeben würde. Selbst die Unterzeichner räumen ein, dass nicht alle Konflikte gleich beendet werden. Doch allein Frieden im Jemen wäre bereits ein riesiges Ergebnis der Annäherung.

Eine gesonderte Erwähnung wert ist Irans Atomprogramm, welches für Saudi-Arabien eine heikle strategische Dimension kreiert. Zuletzt bewegte sich Iran stetig auf die Entwicklung von Atomwaffen zu, wie Uranfunde im Land andeuten. Besäße Iran Atomwaffen, doch Saudi-Arabien nicht, wäre das für das Königshaus ein gefährlicher Nachteil. Das mag auch bei vernünftigen Beziehungen gelten, doch umso mehr, wenn beide Staaten in einer tiefen Rivalität stecken. Ein stabileres iranisch-saudisches Verhältnis nimmt Eskalationspotenzial heraus, denn es senkt für Saudi-Arabien die Notwendigkeit, prophylaktisch zu intervenieren oder mit einem eigenen Atomprogramm mitzuziehen.

Weniger Stabilität im Nahen Osten

Es gibt nicht nur Gewinner bei diesem Pakt, und das wäre dann wohl die zweite EinschränkungFür die USA könnte der ohne sie geschlossene Deal signalisieren, dass ihr Einfluss im Nahen Osten zurückgeht. Dass China seine Unterschrift unter die Annäherung setzen durfte, ist für Washington allermindestens ärgerlich. Das lässt sich zwischen den Zeilen herauslesen: “Grundsätzlich begrüßen wir jegliche Bemühungen, um den Krieg im Jemen zu beenden und die Spannungen im Nahen Osten zu deeskalieren”, so ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses. Begeisterung klingt anders. Doch Abgesänge auf die USA im Nahen Osten wären verfrüht. Das Land bleibt weiterhin der wichtigste externe diplomatische Akteur im Nahen Osten, selbst wenn die Tendenz sinkend sein mag. Auch ist es nicht unbedingt fair, die USA als Verlierer zu bezeichnen: Ein stabilerer Naher Osten kommt ihnen nur entgegen, da Osteuropa und Indopazifik viel Aufmerksamkeit verlangen.

Die iranische Zivilgesellschaft, welche sich gegen die Theokratie stemmt, verliert dagegen zweifelsohne. Schon jetzt beweist das Regime viel Kompetenz beim Zerschlagen von Massenprotesten; weniger Ablenkung durch Auslandsabenteuer wird das vermutlich erleichtern. Zudem ist unklar, ob der oppositionelle Sender Iran International ohne Saudi-Arabien überleben kann. Ein einziger Silberstreifen: Führt die Annäherung zu einer besseren wirtschaftlichen Lage in Iran, hilft das immerhin den Lebensstandards im Land. Was für Regimegegner wiederum jedoch bedeutet, dass die Fähigkeit, Menschen für Protest zu mobilisieren, sinkt.

Der größte Verlierer ist jedoch ohne Frage Israel. Das kleine Land hat ein furchtbares Verhältnis zu Iran, welcher in der Vergangenheit völlig offen mit der Zerstörung gedroht hatte und mit welchem es jetzt einen “Schattenkrieg” voller Cyber- und Drohnenattacken führt. Gesandwicht zwischen Hisbollah im Libanon, Hamas im Gazastreifen und iranischen Truppen in Syrien arbeitet Israel seit Jahren an einer Allianz gegen Teheran. Ein wichtiger Bestandteil davon waren die arabischen Golfstaaten. Saudi-Arabien hatte zwar im Gegensatz zu anderen nie offen mit Israel verkehrt, doch die Sicherheitskooperation der beiden war ein kaum gehütetes Geheimnis. Dass sich Saudi-Arabien nun Iran zuwendet, wird Israel gewaltige Kopfschmerzen bereiten. Nicht etwa, weil die Kooperation mit den arabischen Staaten oder die offene diplomatische Anerkennung im Zuge der sogenannten “Abraham Accords” enden würde – im Gegenteil, jetzt könnte Saudi-Arabien eine Annäherung an Israel präsentieren, ohne dass diese gleich als heikle militärische Achse gegen Iran gelten muss. Das größere Problem ist, dass Israel fürchten muss, dass Iran mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen auf den gemeinsamen Konflikt konzentrieren kann. Das ist dann wohl der Fluch am Nahen Osten: Selbst wenn er irgendwo stabiler wird, wird er einfach anderswo instabiler.

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