Unser kurzer Explainer: Was war 2019 los und wie schätzen wir die Lage ein?

Was war 2019 los?
2019 war für die großen amerikanischen Digitalkonzerne ein kniffliges Jahr. Das hatte drei Ursachen: Erstens, die globale wirtschaftliche Unsicherheit (schlecht fürs Geschäft). Zweitens, der schwierige Übergang vom überdimensionierten Startup zum erwachsenen Konzern (Ärger mit den Mitarbeitern). Drittens, die größer werdende Skepsis an allem, was mit Tech zu tun hat (Marktmacht, Datenschutz und Wirkung auf die Gesellschaft).
Apple — in die Geopolitik geraten
Die Konjunkturschwäche traf vor allem Hardwarekonzerne mit globalen Absatzquellen und Wertschöpfungsketten – sprich, allen voran Apple. Im Mai – pünktlich zum Zusammenbruch der Verhandlungen zwischen den USA und China samt neu verhängter Strafzölle – brach der Aktienkurs um 15% ein. Der Konzern stellte sich auf ein langwieriges „Decoupling“ ein, also ein graduelles Herausziehen seiner Wertschöpfung aus China.
Die Apple-Schwäche beschäftigte die Medien im Frühjahr und Sommer. Analysten achteten auf vormals obskure Zulieferer, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie laut die Alarmglocken im Hause Apple wohl läuteten. Manch Zulieferer hing so stark an Apple-Aufträgen, dass er die Schwächephase nicht überlebte.
Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres änderte sich das. Der Konzern konnte mit gezieltem Lobbyismus im Weißen Haus zumindest die direkten Effekte des Handelskriegs etwas abfedern. Insgesamt profitierte Apple von der doch überraschend robusten Wirtschaft und den zahlreichen positiven Nachrichten zum Handelskrieg. Das half, nicht nur die Mai-Schwäche sondern auch das katastrophale zweite Halbjahr 2018 zu kompensieren.
Gut zu wissen: Im Herbst und Winter 2018, als das globale Wachstum von Handelskrieg und Brexit gebeutelt ins Wanken geriet, verlor Apple ganze 30% Aktienwert.
Dennoch: Der Konzern hat verstanden, dass Hardware alleine nicht die Zukunft sein wird. Dafür verlangsamt sich die globale Lust auf neue Smartphones zu sehr (und die eigene Entwicklung von autonomen Autos läuft etwas zu schleppend). Deswegen shiftet der Konzern mit voller Kraft Richtung Software: Apple TV, iOS, watchOS, Apple Music etc.
Und eine positive Nachricht zum Abschluss: Apple-Mitarbeiter haben offenbar aufgehört, in die Glaswände der neuen Raumschiff-förmigen Zentrale zu laufen.
APPLE Marktwert in 2019: 745 Milliarden USD –> 1,289 Billionen USD (+73%) – gegenüber Sep 2018 allerdings nur +19%
Facebook — Tech backlash par excellence
Wenn von „tech backlash“ die Rede ist, dann geht es erstmal weniger um Apple-Smartphones als um gewissermaßen alles, was Facebook tut. Die Vorwürfe um russische Einflussnahme in der US-Wahl 2016 und der Cambridge-Analytica-Skandal von Anfang 2018 waren die prominentesten Ärgernisse. Im Großen und Ganzen gibt es drei Hauptkritikpunkte:
- Datenbasierte Techkonzerne wie Facebook würden Abstriche beim Datenschutz und der Privatsphäre machen
- Soziale Medien würden einen unverhältnismäßigen Einfluss auf die Gesellschaft haben und böswilligen Akteuren erlaubten, destabilisierend zu wirken (oder in Autokratien zur Kontrolle von politischem Dissens dienen)
- Techkonzerne besäßen eine zu große Marktmacht und würden eine „killzone“ um sich herum schaffen, in welcher neue Konkurrenten aufgekauft, geschwächt oder von der Gründung abgeschreckt würden.
2019 nahm der Unmut konkretere Züge an: US-Regulatoren starteten erste Untersuchungen in die Marktmacht der Techkonzerne, welche vor allem Facebook bereits zu spüren bekam. So sehr, dass der Konzern sich aktiv so unzerschlagbar wie möglich macht. Instagram und WhatsApp heißen seit kurzem „Instagram from Facebook“ und „WhatsApp from Facebook“, samt verknüpfter corporate identity. Alle drei Dienste sollen außerdem in dieselbe technische Infrastruktur gewoben werden. All das macht es schwieriger, sie auseinander zu zerren.
Auch in Sachen Datenschutz musste sich Facebook desöfteren vor dem US-Kongress erklären. Die Bilder eines nervösen Mark Zuckerberg vor einem Senatorentribunal haben inzwischen Meme-Status – schwer zu sagen ob das roboterhafte Auftreten des Facebook-CEOs oder die merkwürdigen Fragen der Senatoren mehr Anrecht auf den Skurrilitätenthron haben.
Jenseits des fernsehgerechten modernen Gladiatorenkampfs zwischen Techgigant und US-Senat (wer von beiden ist in diesem Match-up der Retiarius? Schick uns deine Meinung per E-Mail und erhalte ein besonderes Abzeichen) gab es 2019 auch handfeste Konsequenzen: Facebook musste 5 Milliarden USD für den Cambridge-Analytica-Skandal an die US-Behörden zahlen. Nicht jeder Beobachter war damit glücklich, für manche fiel die Strafe zu niedrig aus und verlangte vom Konzern zu wenige strukturelle Reformen.
FACEBOOK Marktwert in 2019: 386 Milliarden USD –> 592 Billionen USD (+53%) – gegenüber Sep 2018 allerdings nur +16%
Auch die EU mischte 2019 weiter mit und blieb unter Politiker/Rockstar Margrethe Vestager bei ihrer harten Linie gegenüber Techkonzernen. Die Ermittlungen gegen Facebook laufen weiter und Google erhielt eine neue Milliardenstrafe auferlegt.
Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich allerdings nicht auf eine Digitalsteuer einigen, auch da die USA mit Nachdruck dagegenhielten. Deswegen preschten einzelne Staaten, darunter Frankreich, voran. Das hat das Weiße Haus massiv verärgert und die französisch-amerikanischen Beziehungen belastet. Selbst die Drohungen über Strafzölle gegen EU-Güter geschahen wohl mit dem Hintergedanken, einen Hebel gegen die Digitalsteuer zu schaffen.
Alphabet – diese verflixten Mitarbeiter
Für Alphabet, also „Google + Friends“, war das Jahr neben der ein oder anderen Milliardenstrafe ruhig – wäre da nicht die verdammte eigene Belegschaft gewesen. Die Frage nach politischer Diskriminierung, Gleichbehandlung und Diversität beschäftigte den Konzern von Anfang bis Ende des Jahres. So sehr, dass selbst CEO Pichai eingestehen musste, dass man Schwierigkeiten mit den eigenen Mitarbeitern habe.
Außerdem steht das Unternehmen, welches erst 2015 mit Alphabet eine Dachstruktur für den Google-Konzern schuf, vor einer neuen Ära – mindestens in seiner Struktur, vielleicht auch in seiner Strategie. Der partielle Rückzug der Gründer Larry Page und Sergey Brin von Anfang Dezember macht Pichai, bislang nur Chef bei Google, zum mächtigsten Mann bei Alphabet. In der Vergangenheit hat er ein Händchen dafür bewiesen, aus spaßigen Ideen (welche das Metier von Page und Brin waren) reale Produkte zu machen. Womöglich ändert sich unter dem Alphabet-Dach also bald so einiges.
ALPHABET Marktwert in 2019: 725 Milliarden USD –> 933 Billionen USD (+29%) – gegenüber Sep 2018 allerdings nur +8%
Amazon – kein guter Nachbar?
Amazon hat es halbwegs unverwundet das Jahr geschafft. Halbwegs. Die massiven Proteste gegen eine geplante neue Zentrale in Queens, New York, standen so sicherlich nicht auf dem Weihnachtszettel. Ebenso wenig der an Microsoft verlorene Milliardenauftrag fürs Pentagon (mutmaßlich weil Präsident Trump nicht gut mit Amazon-CEO Jeff Bezos auskommt, da diesem die Trump-kritische Washington Post gehört).
Doch die wahren Achillesfersen waren Amazons Marktmacht und mutmaßliche dubiose Geschäftspraktiken. Zweiteres bringt dem Konzern regelmäßig Strafen oder Streiks ein. Ersteres führte zu einer Ermittlung, an deren Ende eine Zerschlagung des Konzerns stehen könnte, genau wie bei Facebook. Das ist zwar noch längst nicht in Stein gemeißelt, doch führt, zusammen mit der schwächelnden globalen Konjunktur, zu einem eingeschlafenen Aktienpreis: Seit Sommer 2018 stagniert Amazons Marktwert auf hohem Niveau. Immerhin lief das Cloud-Business in diesem Jahr erneut sehr gut, ganz ähnlich wie beim anderen Platzhirsch Microsoft.
AMAZON Marktwert in 2019: 722 Milliarden USD –> 932 Milliarden USD (+30%) – gegenüber Sep 2018 allerdings -4,5%
Microsoft – auf Wolke Sieben
Achja, Microsoft. Was ist dort eigentlich los gewesen? Der einstige Bad Boy der Techszene blieb bei quasi allen Diskussionen über Marktmacht und Datenkrakentum unterm Radar und baute munter weiter an seinem Softwareimperium, seinen Cloud-Diensten (Nummer zwei hinter Amazons AWS) und seinem Quantencomputing. Dank deutlich geringerem Hardware-Fokus als Apple konnte die Firma unter CEO Nadella auch den Handelskrieg gut wegstecken. Da sie kein Soziales Medium betreibt, blieb sie bei den Diskussionen über Datenschutz und Wahlmanipulationen außen vor. Und als längst etablierter Konzern gibt es auch keine Wachstumsschwierigkeiten mit den Mitarbeitern mehr. Kein Wunder, dass Microsoft zwischen April und November noch vor Apple die teuerste Firma der Welt war. Dabei galt das Überleben des Konzern vor rund zehn Jahren noch als ungewiss, da er die Smartphone-Ära verschlafen hatte.
MICROSOFT Marktwert in 2019: 771 Milliarden USD –> 1,211 Billionen USD (+57%) – gegenüber Sep 2018 immer noch sehr gute +41%
Einschätzung
Wenn wir sagen, dass der tech backlash in vollem Gange sei, dann muss man das ein bisschen qualifizieren: Das Gerede über ihn ist in vollem Gange. Die Skepsis über Smartphones, Social Media und Co. hält ganze Heerscharen an Tech-Reportern über Wasser und bringt ihre Kinder durchs College. Im Kaufverhalten der Kunden ist davon allerdings herzlich wenig zu spüren: Wir kaufen weiterhin Smartphones und benutzen Soziale Medien.
Zugegeben, manche Altersgruppen nutzen Facebook immer weniger – doch das dürfte weniger mit Datenkonservatismus und mehr mit wechselndem Geschmack zu tun haben. Außerdem finden sich viele Facebook-Abgänger stattdessen beim Facebook-Dienst Instagram. Oder bei Tiktok, welches ins Visier von westlichen Geheimdiensten geraten ist, weil es zum chinesischen Internetkonzern Bytedance gehört und in China „Konzern“ und „Partei“ nicht immer sauber voneinander zu trennen sind.
Und insgesamt stieg die Nutzerzahl bei Facebook auch 2019 noch behäbig an; der Umsatz sogar noch mehr. Einen Rekordprofit verbuchte die Firma obendrein auch. Sicher, sicher – wer weiß, wie das ganze ohne backlash ausgesehen hätte. Doch wir lehnen uns mal aus dem Fenster (wo unser Smartphone besseren Empfang hat) und sagen, dass es keinen großen Unterschied gemacht hätte.
Wir erwarten also auch 2020 nicht, dass die Menschen ihre Techfirmen plötzlich links liegen lassen. Deutlich mehr Gefahr kommt tatsächlich von Politik und Behörden. 2020 könnte das Jahr sein, in welchem auf beiden Seiten des Atlantiks an den Grundfesten von Facebook, Amazon und Alphabet gerüttelt wird.
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