Worum es in der US-Wahl geht: Außenpolitik

Zwei unterschiedliche Perspektiven über die Rolle der USA in der Welt
03.11.2024


Europa | Ukraine | Naher Osten | Iran
(16 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • In der Außenpolitik zeigen sich die Unterschiede zwischen Kamala Harris und Donald Trump deutlich stärker als in der Migrations- oder Wirtschaftspolitik.
  • Für Europa und die Ukraine ist Harris die Kandidatin der Wahl: Trumps transaktionaler, isolationistischer Ansatz verspricht Konflikt und eine unvorhersehbare Ukraine-Politik.
  • Der Nahe Osten hat am stärksten das Potenzial, zum Zünglein auf der Waage der Wahl zu geraten.
  • Harris versucht einen Balanceakt zwischen pro-israelischen und pro-palästinensischen Interessenten, doch kämpft gegen viel Verbitterung in bestimmten Wählergruppen an. Trump ist ausdrücklich pro-israelisch, doch macht zugleich leise Avancen an Muslime und arabische Amerikaner.
  • Kaum jemand hat ein so starkes Interesse daran, Trump aus dem Weißen Haus zu halten, wie Iran: In seiner ersten Amtszeit strich Trump das Iran-Abkommen und setzte auf “maximalen Druck“. Harris dürfte Kontinuität bedeuten.

Der Blick nach draußen_

(2 Minuten Lesezeit)

Die Außenpolitik ist nur selten ein wahlentscheidendes Thema, fast egal in welchem Land. In der medialen Betrachtung durch das Ausland wird sie meist stärker unter die Lupe genommen, doch die Wahlbevölkerung einer Demokratie interessiert sich eher für prosaischere Themen: der Wohnungsmarkt, die Supermarktpreise, die Zuwanderung.

Ausnahmen gibt es etwa, wenn ein Land sich in Gefahr wähnt oder vor einer geopolitischen Zeitenwende steht. In den Baltikumstaaten ist Russland zum großen Wahlthema geworden, auch wenn unter den großen Parteien meist wenig Meinungsverschiedenheit besteht. Und auch in Europa hat die Außenpolitik – der Ukrainekrieg, der Nahe Osten, Europas Rolle in der Welt – heute verdienterweise einen anderen Stellenwert und auch Wahlkampfwert als noch vor einigen Jahren.

Die USA haben ein besonderes Verhältnis zur Außenpolitik. Zum einen war sie seit Geburt des Landes ein Fixum. Erst galt es, die Trennung vom kolonialen Europa zu vollziehen und zu verteidigen. Dann, die Expansion gegen Mexiko zu verwalten, die Dominanz in der westlichen Hemisphäre zu erlangen und, zuletzt, das eigene Werte- und Interessensystem auf globaler Ebene zu vertiefen. Die USA waren in zwei Weltkriege und zahlreiche Konflikte in aller Welt involviert, fochten den Kalten Krieg aus und sind heute mit dem Schicksal fast jeder Weltregion untrennbar verbunden. US-Soldaten sind in fast allen Winkeln des Globus präsent; in Korea, Vietnam, Irak und Afghanistan waren sie dermaßen stark involviert, dass die Konflikte in die amerikanische Gesellschaft hineinwirkten.

Und doch waren die US-Bürger zum anderen stets etwas isoliert von der Außenpolitik. Getrennt vom Rest der Welt durch zwei Ozeane, ausgestattet mit der schlagkräftigsten Marine der Welt und einem globales Bündnisnetz, war das Außenpolitische für den Durchschnittsbürger nie ganz so akut, wie es das für einen kleinen Russland-Anrainerstaat ist. Befragt nach ihren wichtigsten Wahlthemen nannten 70 Prozent der registrierten Wähler in den USA die Außenpolitik als “extrem wichtig” oder “sehr wichtig” – klingt nach viel, doch ist nur Platz 14 hinter Abtreibungen, dem Defizit, der Besetzung des Supreme Courts und 10 weiteren Themen.

Ganz egal: Die Außenpolitik ist wichtig. Erstens, für den Rest der Welt, denn dort wird sich die amerikanische Außenpolitik abspielen. Zweitens, weil sie das Potenzial hat, eine äußerst enge Wahl zu beeinflussen. Unser Explainer wirft einen Blick auf drei besonders relevante Bereiche und die Positionen der Kandidaten.

Gut zu wissen: Dieser Explainer ist Teil 3 einer dreiteiligen Reihe: 
Worum es in der US-Wahl geht: Die Wirtschaft (2024)
Worum es in der US-Wahl geht: Migration (2024)
(Links auch ganz am Ende)

Europa_

(2 Minuten Lesezeit)

Ein frostiges Verhältnis: Trump und die NATO (hier 2018 mit Angela Merkel). Quelle: Trump White House Archives, flickr

Europa

Aus europäischer Sicht ist die Präferenz eine klareDonald Trump war in seiner ersten Amtszeit ein disruptiver Faktor für den Block. Er lieferte sich öffentliche Streits mit den europäischen Staatschefs, führte einen kleinen Handelskrieg mit der EU und sagte zu Ursula von der Leyen offenbar: “Ihr müsst verstehen, dass wenn Europa attackiert wird, wir euch niemals zur Hilfe kommen werden”, und im Anschluss: “Übrigens, die NATO ist tot und wir werden gehen, wir werden die NATO verlassen”.

Damit ließ sich Trump für Europa nur insofern positiv interpretieren, wenn er als unerwünschter, doch notwendiger Druck gelesen wurde: Er zwang den Kontinent zu mehr handels- und außenpolitischer Einigkeit und ließ die Verteidigungsbudgets steigen. Nicht, dass er bei allem falsch gelegen habe: Trumps Verweis auf Europas Abhängigkeiten von russischem Gas war zutreffend, doch wurde in Teilen Europas nicht ernst genommen. Mit seiner Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben behält er in Russland-Anrainern wie Polen bis heute eine bessere Reputation als in Westeuropa.

Gut zu wissen:  Eine Ausnahme ist Ungarn, welches Trump vollumfänglich und ausdrücklich unterstützt. Viktor Orbán ist mit seiner sozialkonservativen und teilautoritären Linie zudem ein Star in der heutigen republikanischen Partei; war einer der Headliner bei einer Republikaner-Konferenz 2022. Trump nennt ihn anerkennend einen “sehr harten Kerl“.

Eine zweite Trump-Amtszeit würde vermutlich ähnlich verlaufen. Anders als in vielen heimischen Politikfeldern (etwa der Migrationspolitik) ist der Präsident in der Außenpolitik handlungsfähiger und weniger auf den Kongress angewiesen. Damit dürften die Jahre 2017-21 einen guten Indikator für die Trumpsche Linie bieten. Handelsstreits sind wahrscheinlich – entsprechend bereitet die EU-Kommission bereits eigene Vergeltungsaktionen vor. Die NATO dürfte Trump erneut mehr als Club oder als Kunden amerikanischer Militärmacht denn als Bündnis bewerten: Mit Ländern, welche das NATO-Ausgabenziel nicht erfüllen, dürfe Russland tun, “was auch immer es will“, so Trump Anfang des Jahres.

Harris steht dagegen für KontinuitätSie dürfte die klassischen Bündnisse der USA pflegen und Nähe zu Europa suchen. Handelskriege sind unwahrscheinlich (unser Explainer zur Wirtschaftspolitik hat Einschränkungen hierzu benannt) und die NATO ist sicher. Doch selbst mit Harris wird sich das amerikanisch-europäische Verhältnis verändern: Anders als Joe Biden ist sie kein alter “Kalter Krieger”, welcher noch aus einer Zeit stammt, in welcher das westliche Bündnis ein Schicksalspakt war. Immer häufiger gehen amerikanische und europäische Interessen auseinander. Und die Gefahr, dass irgendwann ein Trumpist ins Amt gelangt, bedeutet, dass sich Teile Europas selbst unter einer Präsidentin Harris nicht mehr zu eng an die USA binden wollen würden.

Ukraine_

(4 Minuten Lesezeit)

US-Truppen in der Ukraine, 2019. Quelle: UkroLiberator, wikimedia

Was die Kandidaten planen

Die Ukrainepolitik könnte eines jener großen Politikfelder sein, in welchen der Unterschied zwischen Trump und Harris am größten ist. Harris ist ungetestet, keine bekannte Außenpolitikerin und geht, wie schon erwähnt, nicht aus der Postkriegs- und Kalte-Kriegs-Ära hervor wie Joe Biden. Dennoch ist es fast gesichert, dass sie am Bekenntnis der USA zur Ukraine festhalten würde – wie sie auch öffentlich erklärt hat. Schafft sie eine Mehrheit im Repräsentantenhaus oder, noch besser, im ganzen Kongress, dürften die Militärhilfen an die Ukraine weiter fließen. Allerdings nicht völlig unbefangen: Die Republikaner würden von rechts über Geldverschwendung und riskantes Abenteurertum klagen; die progressiven Demokraten derweil von links klängen ähnlich. Womöglich würde sich Harris davon beeindrucken lassen, womöglich nicht.

Donald Trumps Pläne für den Ukrainekrieg sind nicht immer konsistent und immer vage. Er versprach, den Krieg noch vor seiner Amtseinführung zu lösen, also binnen zwei Monaten nach einem Wahlsieg. Er wolle Russland und die Ukraine zu Verhandlungen zwingen. Wie genau eine Verhandlungslösung gelingen soll, erklärt Trump nicht und ist schwierig vorstellbar: Für die Ukraine funktioniert ein Deal, in welchem sie Territorium aufgibt (oder welcher Russland die Gelegenheit bietet, sich für einen erneuten Angriff wiederaufzustellen), nur dann, wenn sie extrem robuste Sicherheitsgarantien erhält – sprich, ein EU- oder NATO-Beitritt. Für Russland funktioniert vermutlich kein Deal, welcher nicht mindestens das aktuell gehaltene Territorium und die Gelegenheit zu einer strategischen Überlegenheit binnen einiger Jahre beinhaltet. Letzteres würde bedeuten, dass es auch keinen NATO-Beitritt der Ukraine akzeptieren könnte.

Stimmt diese Analyse, gäbe es zwischen den maximalistischen Zielen Moskaus und dem risikoaversen Überlebenswunsch der Ukraine kein realistisches Verhandlungspotenzial – Trump hin oder her. Weicht man die Positionen beider Parteien auf, lässt sich Russland womöglich auf eine offizielle Anerkennung der Annexion von Krim und Teile des Donbass ein (wobei schwierig vorzustellen ist, dass der Aggressor seine übrigen besetzten Gebiete aufgeben würde – für diese würde es womöglich eine Sonderformel und eine schwach umgesetzte internationale Beobachtungsmission geben). Die Ukraine könnte sich mit Militärhilfen, westlichem Wiederaufbaukapital und etwas vageren Sicherheitsgarantien unterhalb eines NATO-Beitritts abgeben, in der schieren Hoffnung, dass diese im erneuten Kriegsfall mehr als ihr Papier wert sein werden – oder real genug wirken, um Russland abzuschrecken.

Das Trump-Puzzle

Die Trumpsche Persönlichkeit dürfte eine große Rolle spielen. Wäre der potenzielle Präsident erpicht darauf, sein grandioses Versprechen einer Verhandlungslösung umzusetzen, wäre die Ukraine für ihn stets der größere Hebel: Die USA können Kiew erpressen und zwingen, und zwar weitaus einfacher, als sie auf Moskau Druck ausüben können (was sich mit Waffenlieferungen und Sanktionen zwar erreichen ließe, aber mehr Zeit erfordern würde). Der schnellste Deal ließe sich also erreichen, indem die Ukraine zu schmerzhaften, strategisch fatalen Kompromissen gezwungen wird und Russland – ganz im Stile der Minsk-Abkommen – zu halbgaren Konzessionen und kaum forcierten Versprechungen. Die Ukraine würde als Verhandlungsverliererin aus dem Krieg gehen; ihre Existenz wäre mittelfristig gefährdet. 

Ein Best-Case-Szenario für die Ukraine dürfte sein, dass ein Präsident Trump ihren Fortbestand auf einmal als Beweis eigener Stärke interpretiert. Zerfällt die Ukraine, während die USA sie nominell unterstützen, wäre es für eine Trump-Regierung eine historische Blamage, welche mehrere Größenordnungen über dem misslungenen Afghanistan-Abzug stünde. Womöglich wäre Trump nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Und wenn er das Scheitern seines Verhandlungsplans bei Moskau verortet – was möglich ist, da für den Kreml vermutlich nur maximalistische Ergebnisse in Frage kommen –, schwenkt er womöglich auf eine stärkere Unterstützung der Ukraine um. Damit sind einige wenige Szenarien denkbar, in welchen Trump die militärische Hilfe für Kiew noch ausweitet. Stand heute ist das sehr hypothetisch.

Was dagegen spricht, sind nicht nur die Rhetorik des ehemaligen Präsidenten und seine nicht allzu subtile Sympathie für Wladimir Putin, sondern auch die Logik innerhalb seiner Partei. Klassische Internationalisten wie Mike Pompeo existieren zwar noch immer bei den Republikanern und sogar im Trump-Zirkel, doch Isolationisten wie Vizekandidat J.D. Vance sind lautstärker und im engsten Kreis zahlreicher (dazu kommen an den Ecken der Partei gewisse Politiker, welche sich als prorussisch bezeichnen ließen). Auf Trump dürfte damit reichlich Druck gemacht werden, die Unterstützung der Ukraine herunterzufahren. Dazu kommt, dass Trump selbst ein durchmischtes Verhältnis zur Ukraine pflegt: 2019 versuchte er Präsident Zelensky dazu zu erpressen, Ermittlungen gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter Biden aufzunehmen (und damit innenpolitische Verschwörungstheorien zu unterstreichen), um vom Kongress genehmigte, doch von Trump zurückgehaltene Militärhilfen freizuschalten. Der Skandal wurde durch einen Whistleblower öffentlich gemacht und führte 2020 zum ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, welches die Republikaner im Senat stoppten.

Für Kiew und die strategische Sicherheit Europas wäre ein Wahlsieg Trumps damit riskant. Zu hoch ist die Gefahr, dass die Ukraine in einen halbgaren, instabilen Diktatfrieden gezwungen wird oder die USA sich weitestgehend aus dem Krieg zurückziehen und Russland die Oberhand im Abnutzungskrieg überlassen – insofern Europa die Lücke nicht füllt.

Ein Wahlsieg von Kamala Harris würde nach jetzigem Stand den Status quo bedeuten: Genug Unterstützung für die Ukraine, damit sie nicht zerfällt; vermutlich nicht genug, um signifikante Erfolge gegen Russland wie im Herbst 2022 zu erzielen. Die noch unvorhersehbaren Realitäten des Ukrainekriegs könnten allerdings sowohl Harris als auch Trump dazu zwingen, Neuland zu betreten.

Naher Osten und Iran_

(6 Minuten Lesezeit)

Diese whathappened-Grafik von Ende September ist noch immer weitestgehend aktuell darin, relevante Angriffe Israels in der Region zu zeigen.
Es fehlt das iranische Bombardement gegen Israel vom 1. Oktober sowie Israels Vergeltungsaktion gegen iranische Militäranlagen vom 25. Oktober.

Israel und Palästina

Im Nahen Osten existieren zwei wahlkampfrelevante Vorgänge: Der Krieg zwischen Israel und seinen Anrainern sowie der Umgang mit Iran. Vor allem ersteres hat das Potenzial, zum Zünglein auf der Waage zu geraten.

In den USA kristallisieren sich zwei große Lager heraus. Zum einen unterstützen viele Amerikaner den langjährigen Bündnispartner Israel. Darunter ist ein großer Teil der rund 7,5 Millionen Juden im Land – fast so viele wie in Israel selbst –, auch wenn diese keinen politischen Monolith darstellen. Die Unterstützung für Israel zieht sich durch die gesamte politische Bandbreite, doch insbesondere die Republikaner haben die Position zur Säule gemacht. Im Extrem bedeutet das den Wunsch nach einem “Freifahrtschein” für die israelische Regierung und einer Unterstützung des Siedlungsgeschehens im Westjordanland.

Auf der anderen Seite gibt es eine große und recht diverse Zahl an Arabisch-Amerikanern sowie muslimischen Amerikanern, welche mit viel Sorge auf die Lage der Palästinenser blicken. Gepaart mit einer wachsenden Minderheit progressiver Linker stehen sie dem amerikanischen Engagement gegenüber Israel zutiefst kritisch gegenüber. Das reicht im Extrem bis zur ausdrücklichen Unterstützung der Hamas, deren “Gründe für den Kampf gegen Israel” 16 Prozent der Amerikaner als “teilweise berechtigt”, 6 Prozent als “sehr berechtigt” bezeichnen.

Zwischen den zwei extremen Polen, dort wo sich die meisten Amerikaner finden, hat in den letzten Jahren eine Verlagerung stattgefunden. Nach wie vor blickt eine Pluralität der Amerikaner vorteilhaft auf Israel, doch die Sympathien für die Palästinenser, die Kritik an der israelischen Regierung und selbst das Verständnis für die Hamas sind gewachsen. Getrieben wird das vor allem von jüngeren Amerikanern. Sie sind im Kontext eines dominanten Israels aufgewachsen; sahen zeitlebens ein isoliertes (und nun zerstörtes) Gaza, ein besetztes Westjordanland und durchgehend eine rechte, siedlungsfreundliche Regierung unter – zumeist – Benjamin Netanjahu. Israels drei Jahrzehnte als bedrohter “Underdog” sind spätestens seit den 1980ern nicht mehr akut; der Terror der Palästinensergruppe PLO, das Chaos der ersten und zweiten Intifada und die gewaltsame Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas, welche einst die öffentliche Meinung mitprägten, haben die jüngeren Generationen nicht erlebt. 

Das hat direkte Auswirkungen auf die US-Wahl. Sowohl ein pro-israelisches als auch ein pro-palästinensisches Lager verschaffen ihren Forderungen Gehör. Vor allem die Demokraten, welche junge Progressive, Araber und Muslime traditionell an sich banden, bekommen das zu spüren: Diese Gruppen werfen der Biden-Regierung vor, durch ihre Militärhilfen an Israel dessen Krieg in Gaza zu ermöglichen. Versuche des Weißen Hauses, auf Israel einzuwirken, werden teilweise nicht wahrgenommen, teilweise als unzureichend empfunden.

Kamala Harris trägt als Vizepräsidentin für viele im pro-palästinensischen Lager eine Mitverantwortung an der Biden-Linie. Anekdotisch häufen sich Berichte über Muslime, welche sich aus Protest enthalten oder gar für Trump stimmen möchten. Eine jüngste Umfrage unter Arabisch-Amerikanern sah Trump sogar mit 43 zu 41 Prozent vor Harris. Ein muslimischer Bürgermeister sorgte für Schlagzeilen, weil er Trump offiziell unterstützte. Das ist insofern überraschend, als Trump schwerlich der Kandidat des pro-palästinensischen Lagers ist – sollten sich die Umfragen an den Wahlurnen materialisieren, wären es “Wutstimmen”.

Was Harris und Trump im Nahen Osten wollen

Donald Trumps Pläne für den Nahen Osten sind recht vage, etwa, wenn er sagt, dass er den Nahostkrieg “sehr schnell erledigt” bekäme. Doch alles, was über seine Pläne bekannt ist, deutet auf eine zutiefst pro-israelische Linie hin. Er fordert, dass Israel beim Erreichen seiner Kriegsziele in Gaza unterstützt werden müsse (und rief das Land dazu auf, den Krieg “schnell zu erledigen”); kritisierte pro-palästinensische Proteste in den USA als “Aufstände”; verspricht eine erneute teilweise Einreisesperre für Muslime sowie kein Asyl mehr für Gaza-Palästinenser. Er versucht, das Überleben Israels an seinen Wahlsieg zu knüpfen, um so die Stimmen der jüdischen Amerikaner zu erlangen – ärgert sich aber zugleich, dass sie noch immer zu zwei Dritteln die Demokraten wählen.

Bereits in seiner ersten Amtszeit fuhr Trump eine pro-israelische Linie. Er verlagerte die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, was die israelische Kontrolle über die theoretisch geteilte Stadt unterstrich; legte einen langfristigen Friedensplan vor, welcher zugunsten Israels ausfiel; und zog die USA aufgrund mutmaßlichem anti-israelischen Bias aus der UNESCO heraus. Sein Flaggschiffprojekt waren jedoch die Abraham Accords: Seiner Regierung gelang es, im Austausch für politische Gefälligkeiten, mehrere arabische Staaten zur Normalisierung ihrer Beziehungen mit Israel zu bewegen. Darunter die VAE, Marokko und Sudan; selbst Saudi-Arabien schien nur noch wie eine Frage der Zeit. Es handelte sich um den größten außenpolitischen Erfolg der Trump-Jahre, welcher im pro-palästinensischen Lager allerdings zu Unruhe führte. In einer zweiten Amtszeit könnte Trump versuchen, sein gutes Verhältnis zu den Golfstaaten für einen erneuten Anlauf für einen Pakt zwischen Saudi-Arabien und Israel zu nutzen. Der Gazakrieg wird das allerdings schwieriger als noch vor vier Jahren machen.

Kamala Harris versteht derweil, dass sie einen Balanceakt schaffen muss. Zum einen darf sie Juden, moderate Demokraten und wechselfähige Republikaner, welche mit Israel sympathisieren, nicht vergraulen. Zum anderen auch nicht die progressiven Demokraten, Muslime und Arabisch-Amerikaner. Für Letzteres darf sie sich nicht zu sehr mit Joe Biden assoziieren, kann ihn nach 3,5 Jahren in derselben Regierung aber auch nicht allzu sehr fallen lassen.

Harris versucht den Spagat, wie man es wohl erwarten würde: So vorsichtig und unverbindlich, wie nur möglich. Sie betont die Bündnistreue der USA zu Israel, doch gibt sich Mühe, sehr unzufrieden über die Lage in Gaza zu klingen. Sie fordert eine Freilassung der israelischen Geiseln und eine Zweistaatenlösung, mitsamt Sicherheit für Israelis und Souveränität für die Palästinenser. Als Netanjahu vor dem US-Kongress sprach, war Harris demonstrativ verplant. Ihre Positionen und sogar ihr Stil ähneln damit jenen der Demokraten vor ihr, inklusive Biden.

Beide Kandidaten wissen, dass schon kleinste Wählerbewegungen den Unterschied machen können. In einigen Bundesstaaten, wo nur Zehntausende Stimmen 2020 den Ausschlag machten, leben Hunderttausende Muslime. Dass Harris als ihren Vizekandidaten Tim Walz wählte und nicht etwa den jüdischen, proisraelischen Gouverneur Josh Shapiro, war eine Konzession – und keine kleine, denn Shapiro ist Gouverneur des heiß umkämpften Bundesstaats Pennsylvania. Andersherum erkennt Trump, dass Muslime und Araber unzufrieden mit den Demokraten sind und sich teilweise “wechselbereit” zeigen und macht Avancen in ihre Richtung.

Qassem Soleimani (links), hier mit dem MIlizenanführer Abu Mahdi al-Muhandis. Quelle: Fars Media Corporation, wikimedia

Iran

Der Umgang mit Iran ist ein Klassiker der amerikanischen außenpolitischen Diskussion seit der Islamischen Revolution 1979. Trotz einer großen Diaspora von rund 1,5 Millionen Iranern in den USA, welche mehrheitlich kritisch auf die Theokratie in Teheran blicken und oft eine strenge Linie unterstützen, ist das Thema im Wahlkampf eher zweitrangig. Im Kontext des offenen Kriegs mit Israel hat die Iranpolitik aber wieder an Relevanz gewonnen.

Kamala Harris deutet eine strenge Iranpolitik an. Das Land sei die “offensichtliche” Antwort auf die Frage, wer der größte Feind der USA sei, so Harris in einem Interview. Eine ihrer “größten Prioritäten” sei es, sicherzustellen, dass Iran nie eine Atombombe erlangt. Sie verweigerte es, zu beantworten, ob sie dafür auch militärische Optionen einsetzen würde. Dass sie wie Biden die Sanktionen gegen Iran aufrechterhalten und ausweiten würde, ist denkbar. Ob sie, wie Biden anfangs, versuchen würde das Atomabkommen JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) wiederzubeleben, ist dagegen unklar.

Es war Donald Trump, welcher das JCPOA 2018 aufgekündigt hatte. Das Abkommen lockerte die Sanktionen gegen Iran im Gegenzug für ein Ende des Atomprogramms sowie Transparenz. Trump, die Konservativen in seinem Kabinett und nicht wenige Beobachter drumherum kritisierten das JCPOA als zu vorteilhaft für Iran. Also wurde es durch eine “maximaler Druck”-Strategie ersetzt. Dabei schreckte die Trump-Regierung auch vor dem Einsatz tödlicher Gewalt nicht zurück: 2020 tötete sie Qassem Soleimani sowie mehrere Milizenführer in Bagdad, Irak, mit einem Drohnenschlag. Soleimani war der wohl wichtigste iranische Kommandeur, welcher das Verhältnis zu den Milizen im Nahen Osten koordinierte. Iran versucht deswegen offenbar bis heute, als Vergeltung Trump oder damalige Kabinettsmitglieder zu ermorden.

Gut zu wissen: Der Präsident besitzt gewisse Gestaltungsmöglichkeiten, doch am Ende des Tages ist sein Einfluss in der Migrationspolitik bedingt. Sowohl Trump als auch Harris wären in weiten Teilen auf den Kongress angewiesen. Damit wäre entscheidend, ob die Partei des Präsidenten keine, eine oder beide Kammern des Kongresses erobert.

Ein Fazit_

(2 Minuten Lesezeit)

Kim Jong-un, Donald Trump an der Demilitarisierten Zone, 2019. Quelle: The White House, wikimedia

Unser kurzer Überblick über eine kleine Auswahl außenpolitischer Themen zeigt ein Muster: Kamala Harris ist in vielerlei Hinsicht die Kontinuitätskandidatin, welche die bisherige Linie zumindest anfangs fortsetzen dürfte. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bislang relativ wenig über sie bekannt ist. Als Vizepräsidentin hatte sie kaum Einfluss auf die Außenpolitik; und anders als etwa in der Wirtschaftspolitik ist es schwierig, ex ante konkrete Pläne vorzulegen. Es ist damit wahrscheinlich, dass sie sich im Amt finden und eine ganz eigene außenpolitische Linie herausbilden würde. 

Trump ist derweil dank seiner ersten Amtszeit besser einschätzbar. Er interpretiert Außenpolitik als transaktional: Die USA bieten etwas und erhalten im Gegenzug etwas. Er scheint auch ein Bedürfnis nach möglichst personalisiert abgewickelten “großen Würfen” zu haben, entsprechend resultiert auch eine teils unbeholfene Nähe zu Autokraten. Am besten ließ sich das 2018/19 im Umgang mit Nordkorea beobachten, wo Trump ein exzellentes persönliches Verhältnis zu Machthaber Kim Jong-un beschwor, sich mit diesem traf – ein historisches Ereignis – und einen interkoreanischen Friedensprozess voranzutreiben versuchte. Der Prozess scheiterte und beide Seiten beschuldigten einander.

Neben unserer Auswahl an außenpolitischen Themen gibt es noch eine Vielzahl, welche sich nicht allesamt auflisten lassen. Um kurz zwei zu erwähnen: Im Umgang mit Venezuela dürften beide möglichen Präsidenten eine strenge Linie wählen, Trump aber womöglich seltener auf das Zuckerbrot setzen als Harris. Im Indopazifik kommt es für die USA auf den Ausbau und die Festigung ihrer Bündnisse gegen China an, was Harris vermutlich einfacher fallen würde als Trump, welcher in seiner ersten Amtszeit eigentlich nur das Bündnis zu Israel unangezweifelt ließ.

Fragt man die Amerikaner, haben sie in der Außenpolitik keinen großen Favoriten, tendieren aber zu Trump, wie unsere Grafik oben zeigt. Am Ende des Tages ist die Außenpolitik zwar nicht das wichtigste Wahlthema in den USA, doch hat das Potenzial, die entscheidenden letzten Prozentpunkte zu verschieben. Und für den Rest der Welt ist sie einer der größten Gründe, auf das Ergebnis dieser US-Wahl zu blicken.

Gut zu wissen: Ein Argument, welches Trump und Unterstützer für sich entdeckt haben, ist, dass unter Trump 2017-21 keinerlei Kriege geherrscht hätten bzw. angefangen worden seien. Das ist ein trügerisches Argument, da die Abwesenheit von Kriegen nicht automatisch bedeutet, dass eine Außenpolitik effektiv und stabilisierend wirkte – nicht zuletzt, weil Konflikte fast immer eine zeitversetzte Reaktion auf frühere Ereignisse darstellen. Alternativ mag sich die Schwäche des Arguments damit illustrieren lassen, dass nach derselben Logik ein Richard Nixon ein besserer Präsident als ein Franklin D. Roosevelt oder Abraham Lincoln gewesen wäre. Inmitten eines isolationistischen Revivals in den USA kommt der Eindruck aber nicht überraschend, dass es für die USA besser lief, je weniger sie global involviert waren.

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