Die Trennlinien haben sich verändert, die Konflikte bleiben die alten.
23.06.2024
Rückblick | China und die Philippinen | Das Südchinesische Meer | Bündnispolitik
(14 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Die Philippinen und China stoßen immer aktiver im Südchinesischen Meer aneinander.
- Das ist Teil eines chaotischen Mosaiks aus Territorialansprüchen mehrerer Staaten in der Region, allen voran Chinas. Sie äußern sich in befestigten Riffen und künstlich kreierten Atollen.
- Dazu kommt, dass die Philippinen immer stärker in ein amerikanisches Bündnissystem einschwenken.
- Der Streit gehört damit in den zentralen Konflikt im Indopazifik: China gegen eine US-geführte Achse aus demokratischen Staaten, von Japan bis Australien.
- Dieser führt zu sicherheits- und außenpolitischen Zeitenwenden in den Philippinen, Japan, Südkorea und vielen anderen Ländern.

Ein Rückblick_
(2 Minuten Lesezeit)
Im September 2021 rief die whathappened-Redaktion das pazifische Jahrhundert aus. Nun gut, in Wahrheit folgte sie damit Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton, welche die Bezeichnung bereits 2011 gewählt hatte. Der Gedankengang ist simpel: Immer stärker verschiebe sich der wirtschaftliche und politische Schwerpunkt der Welt in Richtung des Indopazifiks, also in dieses sehr weite, lose definierte Gebiet zwischen Ostafrika und westlicher USA. Stattdessen würden Europa und der Nahe Osten in ihrer Relevanz zurückfallen. Der Kurs des 21. Jahrhunderts würde sich im Pazifik entscheiden.
Wir erklärten in unserem Explainer, wie eine extrem diverse Region durch China zu einem “Schicksalsbund” gepresst wird. Der wirtschaftliche Aufstieg des Landes und sein immer selbstbewussteres außenpolitisches Vorgehen erlauben keinem Anrainerstaat, gleichgültig zu bleiben. Peking ist der wichtigste Handelspartner für zahlreiche Länder in der Region und gewinnt bei Entwicklungshilfe und Auslandsinvestitionen an Einfluss. Zugleich erhebt es weitreichende territoriale Ansprüche: Sei es im Himalaja, wo es (wortwörtlich) mit Indien, Nepal und Bhutan zusammenstößt, oder im Süd- und Ostchinesischen Meer, in welchem die “Zehn-Striche-Linie” Gebiete umfasst, welche auch Japan, die Philippinen, Vietnam, Indonesien, Malaysia, Brunei und Kambodscha beanspruchen. Und dann wäre da noch der zentrale Konflikt um Taiwan, welcher die USA tief in den Indopazifik zieht.
Gut zu wissen: Die Zehn-Striche-Linie umreißt die groben Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer sowie um Taiwan. Sie bezieht sich nicht auf das nördlicher gelegene Ostchinesische Meer, womit die Territorialstreitigkeiten mit Japan genau genommen nicht mit dieser “Ten Dash Line” zusammenhängen. Bekannter ist übrigens die Neun-Striche-Linie, welche Peking 2023 allerdings durch eine neue Karte mit 10 Strichen ersetzte und damit mehrere Nachbarn verärgerte. Die Linien stammen bereits aus 1947, der Spätphase der Republik China, doch wurden von der kommunistischen Volksrepublik in abgewandelter (und nicht konsistent angewandter) Form übernommen.
Die Gemengelage brachte zwei Bündnisse hervor. Der “Quad” ist ein informelles Bündnis, vielleicht eher ein Kooperationsforum, zwischen den USA, Indien, Japan und Australien. “AUKUS” ist ein deutlich schlagfähigeres Militärbündnis zwischen Australien, Großbritannien und den USA (der Name ist ein Portmanteau der drei Ländernamen). Es beinhaltet unter anderem die Lieferung von Atom-U-Boot-Technologie an Australien.
Unser erster Explainer bot einen grundlegenden Überblick über den Indopazifik als Konzept und die politischen Dynamiken darin. Einen etwas tieferen Blick warf er auf AUKUS und Quad sowie die Rolle Australiens und Taiwans. Dieses Mal legen wir einen anderen Fokus: Die chaotischen Ansprüche im Südchinesischen Meer sowie die Philippinen, welche als Akteur sowohl in dem Territorialstreit als auch in der neuen indopazifischen Bündnispolitik auftauchen.
Der Indopazifik und das pazifische Jahrhundert (2021) – Link auch am Ende
China und die Philippinen_
(4,5 Minuten Lesezeit)

Professionelle Piraten
In den letzten Wochen fiel das Südchinesischen Meer mit Zusammenstößen zwischen den Philippinen und China auf. Die zwei Länder pflegten lange ein konstruktives, doch misstrauisches Verhältnis, bevor Ex-Präsident Rodrigo Duterte die Philippinen deutlich an China annäherte und einen kleinen Bruch mit den USA wagte. Als sich die erhofften Entwicklungshilfen und Investitionen nicht realisierten, schwenkte er allmählich wieder ins US-Lager und auf eine strengere Haltung gegenüber China um. Die neue Regierung in Manila unter Diktatorensohn Ferdinand Marcos Jr. hat diese nur noch verstärkt: Die beiden Länder konkurrieren wieder lautstark um Territorium im Südchinesischen Meer und Manila verließ 2023 die chinesische Außenhandelsinitiative Belt and Road, eine Ohrfeige an Peking.
Die Streite im Südchinesischen Meer gewinnen dementsprechend an Intensität. Vor einigen Tagen stießen die chinesische Küstenwache und die philippinische Marine zusammen. Die Chinesen rammten zwei Schlauchboote der Philippinen und bedrohten die Besatzung mit Äxten, Speeren und Schwertern. Das zeigen von Manila veröffentlichte Videos. Mutmaßlich stahlen die Chinesen außerdem Equipment und schleppten die Boote ab, womit sie sie betreten haben müssten. “Nur Piraten tun so etwas”, kommentiert der philippinische Generalstabschef Romeo Brawner Jr. Peking streitet, durchaus wie gewohnt, den gesamten Vorgang ab: Die Küstenwache habe sich “professionell und zurückhaltend” verhalten, musste illegale Fischerei stoppen und hätte keine direkten Maßnahmen gegen philippinische Einsatzkräfte ergriffen.
Die Second-Thomas-Untiefe
Die philippinische Boote waren offenbar auf dem Weg, Lebensmittel, Gewehre und weitere Güter zur Second-Thomas-Untiefe zu transportieren. Auf diesem Riff haben die Philippinen eine Basis errichtet, nämlich in Form des Schiffs BRP Sierra Madre, welches 1999 gezielt auf Grund gesetzt wurde. Dort sind seitdem dauerhaft philippinische Soldaten stationiert, welche den Territorialanspruch des Landes gegenüber China untermauern sollen. Der Ständige Schiedshof in Den Haag hatte das Riff 2016 den Philippinen zugesprochen, doch China ignoriert das internationale Recht bei seinen Territorialansprüchen. Stattdessen verlangt es, dass die Philippinen um Erlaubnis fragen, bevor sie Schiffe in Richtung des Riffs senden dürften. Dass, wie sich herausgestellt hat, Manila das Wrack in den vergangenen Monaten heimlich strukturell verstärkt hat, dürfte Peking verärgert haben.
Der Vorgang stellt eine Eskalation dar, doch er ist nicht per se neu. Die Philippinen müssen ihre Bastion an der Second-Thomas-Untiefe regelmäßig beliefern und werden dabei häufig von China umzingelt, gerammt und mit Wasserkanonen beschossen. Das führte bereits in der Vergangenheit zu Verletzungen bei philippinischen Soldaten, so mutmaßlich auch beim jetzigen Angriff, welcher erstmals Waffen beinhaltete und bei welchem ein Filipino mutmaßlich seinen Daumen verlor (chinesische Verwundete sind nicht bekannt).
Es wäre auch das erste Mal, dass die chinesische Küstenwache ein Boot gekapert hätte. Das geht auf ein neues Gesetz zurück, womit Peking seinen Soldaten das Betreten fremder Boote, den Einsatz tödlicher Gewalt und die Verhaftung der Crew erlaubt. Die immer übergriffigeren Aktionen besitzen das Risiko, dass ein Filipino stirbt. Präsident Marcos nannte das unlängst “sehr, sehr nah an dem, was wir als kriegerischen Akt definieren”. Es wäre eine “Überschreitung des Rubikon”.
Gut zu wissen: Die Redensart “den Rubikon überschreiten” bezieht sich auf Julius Cäsars Kampagne gegen den Senat in Rom, bei welcher er den Fluss Rubikon ins zentrale Italien überschritt. Der Spruch bezeichnet einen “point of no return“, ab welchem ein Vorgang unumkehrbar ist oder, in Cäsars Worten, “die Würfel gefallen” sind. Vermutlich hatte Cäsar allerdings bereits am Vortag der Rubikon-Überquerung mit der Eroberung der heutigen Stadt Rimini dem Senat den Krieg erklärt.
Kein Krieg in Sicht, doch das Risiko wächst
Eine militärische Eskalation zwischen China und den Philippinen bleibt eher unwahrscheinlich. Für beide Seiten gäbe es wenig zu gewinnen, außer ihre Durchsetzungsfähigkeit im Südchinesischen Meer zu beweisen. Bei den Grenzstreits im Himalaja starben indische und chinesische Soldaten, ohne, dass ein heißer Konflikt ausgebrochen wäre. Dort setzten die chinesischen Soldaten 2020 übrigens Keulen mit Nägeln und Stacheldraht ein – gefährlich, doch optisch weniger “Kriegserklärung” als Schusswaffen. Entsprechend ist auch die chinesische Beteuerung zu lesen, dass die Küstenwache sich “professionell und zurückhaltend” verhalten habe. Sie bleibt zwar abstrus, doch stimmt innerhalb der eigenen Logik: Die Küstenwache hätte laut chinesischem Recht tödliche Gewalt einsetzen dürfen, tat es aber nicht. Peking testet die Wasser und belässt seine Aktionen innerhalb der “Grauzone” zwischen Krieg und Frieden. Auch Manila hat es nicht auf Krieg abgesehen und versucht mit seiner roten Linie ein Zeichen der Abschreckung an Peking zu senden.
Die Gefahr, dass die USA in einen philippinisch-chinesischen Krieg hineingezogen werden könnten, macht dieses Szenario trotz niedriger Wahrscheinlichkeit beachtenswert. Washington und Manila besitzen seit 1951 ein Verteidigungsbündnis und das Verhältnis der beiden ist heute so eng wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Philippinen erlaubten den USA vor einigen Monaten die Nutzung von Militärbasen und die Stationierung von Truppen; US-Präsident Joe Biden bekräftigte Mitte April, dass die USA die Philippinen gegen Angriffe verteidigen würden. Kämen die USA ihrem Verbündeten in einem Kriegsfall nicht zu Hilfe – übrigens wie bei der NATO gemäß Artikel 5 des Verteidigungspakts –, wäre ihre Glaubwürdigkeit schwer angeschlagen und China gestärkt.
Da weder die USA noch China ein Interesse an einem bewaffneten Konflikt besitzen, vertiefen sie ihre Kommunikationslinien. Die Chinesen haben mehr Dialog zwischen den Armeen beider Länder zugestimmt, so der amerikanische Botschafter in Peking, Nicholas Burns. Das verringert die Gefahr von Missverständnissen und Unfällen. Dennoch bleibt der Streit um die Second-Thomas-Untiefe neben dem Taiwankonflikt die heißeste und riskanteste Stelle im Indopazifik. Nirgendwo sonst ist das Risiko eines bewaffneten Konflikts, welcher bis hin zu einer direkten Konfrontation zwischen China und den USA eskalieren könnte, höher. Es ist allerdings längst nicht der einzige Streitpunkt.
Die Ansprüche im Südchinesischen Meer_
(5 Minuten Lesezeit)

Ein Meer voller Militärbasen
Schätzungsweise 250 Inseln, Riffe, Untiefen und sogar Felsen sind im Süd- und Ostchinesischen Meer umstritten. Im Ostchinesischen Meer geht es vor allem um eine Inselgruppe neben Taiwan, welche Japan die Senkaku-Inseln nennt, China die Diaoyu-Inseln. Deutlich chaotischer läuft es im Südchinesischen Meer: Ein halbes Dutzend Staaten erhebt dort Gebietsansprüche, bis zum kleinen Königreich Brunei. Um sie geltend zu machen, errichten mehrere der Staaten seit Jahren Befestigungs- und Militäranlagen und stationieren dauerhaft Truppen vor Ort. Vor allem China kreiert sogar künstliche Atolle oder baut existierende Riffe aus, um seine Territorialansprüche zu untermauern.
Das Resultat ist ein bunter Mix aus Vorposten, wie unsere Karte oben zeigt. Sie basiert auf Satellitendaten der Asia Maritime Transparency Initiative, welche eine Initiative des US-Sicherheitsinstituts CSIS ist. Zwei Inselgruppen stehen im Fokus: Die Paracel-Inseln nahe Vietnam und der chinesischen Insel Hainan hat China vollständig unter Besitz, seitdem es 1974 Südvietnam gewaltsam von den Atollen vertrieb. Mit mindestens 20 Militärvorposten verfestigt es seinen Anspruch, welcher von Vietnam bis heute nicht anerkannt wird.
Die Spratly-Islands, weiter südlich gelegen, werden dagegen von fünf Staaten gleichzeitig kontrolliert. Taiwan besitzt eine Basis, Malaysia eine Handvoll und die Philippinen genau neun, darunter die Second-Thomas-Untiefe. China ist mit sieben Vorposten vertreten und hat 18 Quadratkilometer an neuem Land aufgeschüttet, mit vermutlich schwerwiegenden Folgen für die lokale Umwelt. Darüber hinaus kontrolliert es seit 2012 die etwas entfernte Scarborough-Untiefe, auch wenn es dort keine Strukturen errichtet hat. Bei dem Riff kam es in den letzten Jahrzehnten vermehrt zu Scharmützeln zwischen den Küstenwachen Chinas und den Philippinen sowie Streits um Fischereirechte.

Vietnam baut aus
Die meisten Vorposten im Südchinesischen Meer betreibt tatsächlich Vietnam, mit knapp 50 Stück. Es hat außerdem fast 10 Quadratkilometer Land kreiert, also halb so viel wie China, und davon 86 Prozent in den letzten drei Jahren. “Neues Land” heißt dabei nichts anderes als größere oder neue Vorposten samt Militärbasen, Häfen und Landebahnen, also ein wirksameres Durchsetzen der eigenen Ansprüche. China besitzt mit “Mischief Reef”, “Subi Reef” und “Fiery Cross Reef” (um die amerikanischen Bezeichnungen zu verwenden) noch immer die drei mit Abstand größten Riffe, doch Vietnam folgt mit den vier nächstgrößten. Damit hat Hanoi in den letzten Jahren seine Aktivität im Südchinesischen Meer deutlich ausgeweitet, was vermutlich eine Reaktion auf Chinas immer aktiveres Vorgehen ist.
In diesen Kontext gehört auch die Situation an der Second-Thomas-Untiefe. Die mehr oder weniger versunkene Sierra Madre ist für die Philippinen eine Methode zur Verfestigung des eigenen Anspruchs und zugleich eine Art Landgewinnung, nur etwas weniger permanent als seitens Chinas und Vietnams, da ein Schiff rosten und zerfallen kann. Entsprechend ärgerlich ist es für Peking, dass es den Philippinen offenbar gelungen ist, Baumaterialien an das Riff zu bringen. Womöglich ließ China die Küstenwache deswegen dieses Mal zur Strafe radikaler vorgehen.
Gut zu wissen: Auf der Website der Asia Maritime Transparency Initiative kannst du dir einzelne Vorposten anhand von Satellitenbildern im Detail anschauen, zum Beispiel hier sämtliche chinesische.
Bündnispolitik_
(3 Minuten Lesezeit)

Ein Halbkreis um China
Für die USA ist der chinesisch-philippinische Streit zwar einerseits ein Risiko, andererseits aber auch ein strategisches Geschenk. Mit den Philippinen komplettieren die USA eine Art Halbkreis aus Bündnissen und Partnerschaften rund um China: Japan, Taiwan und die Philippinen sind heute eng mit den USA verbündet und stehen in klarer Opposition zu Peking; das etwas entferntere Australien ebenso. Auch Südkorea ist ein Bündnispartner, wobei Seoul anders als die übrigen Staaten zu China ein vorsichtig-konstruktives Verhältnis pflegt. Indien und Vietnam sind zwar keine Bündnispartner der USA, aber durchaus Partner, welche mit viel Skepsis auf China blicken (wobei in Vietnam gerade ein chinafreundliches Tauwetter einsetzen könnte). Dieser Halbkreis hegt die chinesischen Ambitionen im Indopazifik bedeutsam ein und erhöht die Kosten jeglicher Eskalationen gegen Taiwan oder einen anderen Nachbarn.
Die USA sind zwar das neuralgische Zentrum dieser Anti-China-Achse, doch ihre Mitglieder agieren multilateral und autonom. Mitte April hatte US-Präsident Biden gleichzeitig Marcos Jr. aus den Philippinen und Premier Fumio Kishida aus Japan zu Besuch. Es war der erste trilaterale Gipfel überhaupt. Manila und Tokio prüfen nun eine Militärkooperation, etwa die Rotation japanischer Soldaten auf den Philippinen und gemeinsame Patrouillen im Südchinesischen Meer, und haben gemeinsame Militärübungen durchgeführt. Das letzte große war Mitte Juni ein Marinemanöver der USA, Kanadas, Japans und der Philippinen. Mitte Mai hatten die USA und die Philippinen die Verteidigung gegen eine Inselinvasion geübt; einige Tage später gemeinsam mit Australien das Versenken feindseliger Schiffe. Bei den Übungen geht es kaum verhohlen um mögliche Angriffe durch China.
Für die Philippinen ist es eine Gezeitenwende. Nicht nur, weil sie sich nach einem chinafreundlichen Intermezzo unter Rodrigo Duterte wieder den USA zuwenden, sondern auch, weil sie sich jahrzehntelang militärisch auf sich selbst konzentriert hatten: Aufstands- und Terrorbekämpfung, vor allem gegen islamistische Gruppen auf der südlichen Insel Mindanao. Heute liegt der Fokus dagegen auf der Landesverteidigung, vor allem von vorgelagerten Inselgruppen im Südchinesischen Meer. Ganz ähnlich ergeht es seit längerem Japan: Das Land erlebt derzeit eine rasante Militarisierung und eine Abkehr von seinem konstitutionell verankerten Pazifismus.
Gut zu wissen: Nicht allen in den Philippinen gefällt der neue Kurs. Ex-Präsident Rodrigo Duterte wettert gegen die Marcos-Regierung: “Als ich Präsident der Philippinen war, gab es keinen Streit im Südchinesischen Meer”, so Duterte gegenüber dem chinesischen Staatsmedium Global Times, “ich bin mir ziemlich sicher, dass die USA den Philippinen Befehle erteilen”.
Wer braucht Freunde, wenn er sich selbst hat
China tut sich mit der regionalen Bündnisgewinnung schwerer. Neben dem komplizierten Partner Nordkorea, welches zwischen Vasallenstaat und Unruhestifter schwankt, pflegt China seine besten Beziehungen in der Region zu Kambodscha und den Salomoneninseln, nahe Australien. Mit letzteren gelang Peking ein Verteidigungs- und Sicherheitspakt mit nicht gänzlich bekannten Bestimmungen, welcher durch den jüngsten Wahlsieg eines Pro-China-Kandidaten zum salomonischen Premierminister auf absehbare Zeit erhalten bleibt. Das Abkommen verbessert Chinas strategische Situation und ist unangenehm für Australien, doch ist kein Vergleich zur amerikanischen Achse. Selbst ein breiteres Abkommen mit mehreren pazifischen Inselstaaten scheiterte, weil zu viele von ihnen Zweifel an Chinas Intentionen und Methoden anmeldeten.
Wenn sich keine Bündnispartner finden, geht China es eben allein. Das Land führt unentwegt “Grauzonen”-Operationen durch, testet dadurch seine Rivalen und stellt sie mitunter vor vollendete Tatsachen. Es versucht seinen wirtschaftlichen und diplomatischen Einfluss zu hebeln, um Länder wie Südkorea und Vietnam näher in den eigenen, zumindest aber ein wenig aus dem amerikanischen Orbit zu ziehen. Zugleich schreckt es nicht davor zurück, seine Territorialansprüche weiter zu vergrößern und damit Nachbarn zu verärgern, Stichwort “Zehn-Striche-Linie“. Es baut seine Marine aus, um seine militärischen Optionen zu vergrößern und die Gegenseite vor eigenen Offensivaktionen abzuschrecken – erst vor wenigen Wochen stach Chinas modernster Flugzeugträger “Fujian” für Tests unter Realbedingungen in See.
Der Indopazifik bleibt also weiterhin kräftig in Bewegung. Keine Frage: Was dort geschieht, steht derzeit in keinem Vergleich zu den explosiven Kriegen in der Ukraine und in Nahost. Doch die stillen Entwicklungen, die auf den Riffen, den Gewässern und in den Hauptstädten des Indopazifiks ihren Lauf nehmen, könnten das Jahrhundert noch kräftig beeinflussen.
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