Wird die Commerzbank gekauft?


Bund und Sozialpartner sind dagegen; Ökonomen und Europäer dafür

13.10.2024

Commerzbank | Unicredit-Manöver | Wie es weiter geht
(12 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Die Commerzbank wird zum Übernahmeziel, nachdem die italienische Unicredit sich schlagartig 21 Prozent Anteil gesichert hat.
  • Dafür düpierte sie die Bundesregierung, welche scheinbar unwissentlich ein Aktienpaket direkt an die Italiener übergab und jetzt aus ihrer Verärgerung keinen Hehl macht.
  • Eine Übernahme ist denkbar und wird in erster Linie davon abhängen, ob Unicredit oder die aktuelle Commerzbank-Führung die Anleger überzeugen können.
  • Die Bundesregierung könnte allerdings Hürden schaffen und den Deal für Unicredit und ihren ambitionierten CEO Andrea Orcel zu aufwändig machen.
  • Die meisten ÖkonomenAnalysten und Europapolitiker unterstützen einen Deal, denn sie rufen seit Jahren nach mehr Bankenkonsolidierung.
  • In Deutschland blicken Beobachter jedoch mit Sorge auf Arbeitsplatzverluste, Unsicherheit für den Mittelstand und das Gefühl, einen nationalen “Champion” zu verlieren – und das auch noch im Wahljahr.
  • Egal, was passiert: Die deutsche Reputation in Europa dürfte leiden, denn der Protektionismus passt nicht zum Bekenntnis zu einer Kapitalmarkt- und Bankenunion.

Commerzbank_ 

(3 Minuten Lesezeit)

Alles schien für die Bundesregierung nach Plan zu laufen. Bereits Dezember 2021 hatte der neugetaufte Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Beratungsvertrag mit der US-Investmentbank JPMorgan geschlossen, offenbar “zur allgemeinen Beratung bezüglich der Beteiligung an der Commerzbank”. Der Anlass war klar: Wie schon seit Jahren gefordert wollte der FDP-Chef den Abstoß des staatlichen Anteils an der Commerzbank in die Wege leiten. Im August 2023 wurde es im Schreiben der Deutschen Finanzagentur, dem Ministerium unterstellt, an die Kanzlei Sullivan & Cromwell noch deutlicher: Es gehe um „Rechtsberatung betreffend eine mögliche Transaktion“.

Von der Krise in die Krise

Der Bund war Ende 2008 in die Commerzbank eingestiegen, da die Finanzkrise sie in eine existenzielle Schieflage gestoßen hatte. Nicht nur, dass die Krise als solche für viele Banken zur Gefahr wurde, die Commerzbank befand sich auch noch inmitten einer 5,5 bis 8,2 Milliarden EUR teuren Übernahme der kleineren Dresdner Bank, was ihr Finanzpolster noch spärlicher machte (der Kaufpreis variierte abhängig vom Aktienpreis der Commerzbank). Der Bund stabilisierte das Geldhaus also mit dem „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ (SoFFin), auf welchen die Commerzbank einige Monate später gleich erneut zugreifen musste.
 
Die Bundesrepublik steckte insgesamt 16,4 Milliarden EUR in die Commerzbank und erhielt im Gegenzug 25 Prozent plus eine Aktie. Die Regierung geriet zum größten Einzelinvestor und besaß eine Sperrminorität. Für die Bank war das gleich in mehrerer Hinsicht unschön: Es war ein unmissverständliches Signal von Schwäche; der hohe Anteil des Bundes könnte andere private Investoren abschrecken, da er das Geldhaus zu nahe an die Politik schob; und über seine Sperrminorität könnte der Bund theoretisch Einfluss auf die Strategie nehmen.
 
Für die Commerzbank war damit von Anfang klar, dass sie den Bund mittelfristig als Anleger loswerden wollen würde. Allerdings war das nicht einfach: Die Eurokrise traf die Bank erneut schwer. In den Jahren danach kämpften europäische Banken gleichermaßen mit einer niedrigen Profitabilität, einem hochnervösen, da krisenerschütterten Marktumfeld und Transformationsdruck in Form von Digitalisierung und Nachhaltigkeitsthemen. Die Commerzbank zahlte Einlagen des SoFFin zurück und reduzierte den Anteil des Bundes auf rund 16 Prozent, aber nicht weiter. Die Priorität war es, in eine junge Internet- und Smartphonewirtschaft einzusteigen und die Position gegen alte und neue Konkurrenten – darunter Fintechs– zu halten. Kapital aufzubringen, um den Bund herauszukaufen, war keine Priorität.  
 
Der Bund hatte andersherum wenig Druck, auszusteigen. Der Aktienpreis der Commerzbank entwickelte sich nur schleppend; womit ein Ausstieg einen Verlust bedeutet hätte. Für die Union, welche den Einstieg verwaltet hatte, wäre es ein politischer Schönheitsfehler gewesen. Der Verkaufsprozess wäre langwierig gewesen. 16 Prozent Anteil schlagartig abzustoßen, hätte den Aktienpreis der Commerzbank belastet. Und zu guter Letzt war das Geld aus dem Erlös weniger relevant, da Deutschland gerade durch ein goldenes Wirtschaftsjahrzehnt ging.
 

Licht am Ende der Tunnel

Im Verlaufe der Jahre schaffte die Commerzbank es, sich zu konsolidieren. Die 2012 formulierte „Strategische Agenda 2016“ stellte noch ins Zentrum, das Kundenvertrauen nach den Krisen der Vorjahre zurückzugewinnen. Die Strategien „Commerzbank 4.0“ ab 2016 und „Commerzbank 5.0“ ab 2019 bezogen sich auf die Digitalisierung. In allen drei Fällen bedeutete das Umstrukturierungen, Stellenstreichungen und Investitionen. Eine letzte große Umstrukturierung fand 2021 statt, als die Bank unter ihrem damaligen CEO Manfred Knof rund 10.000 Arbeitsplätze zu streichen und das Filialnetz zu halbieren begann.
 
Die Mühen trugen Früchte. Im Geschäftsjahr 2022 gelang der Commerzbank das beste Resultat seit über 10 Jahren; im Folgejahr schaffte sie es nach 5 Jahren „zweiter Liga“ zurück in den DAX; und erstmals seit 2018 schüttete sie wieder Dividenden an ihre Anteilseigner aus. Die Commerzbank war zurück. Dem hatten zwar rekordhohe Leitzinsen in der Eurozone etwas verholfen, da sie das Zinsgeschäft beflügelten und vielen Banken Rekordzahlen einbrachten – doch zurück war sie trotzdem.

Das italienische Gambit_ ie transformative Technologien funktionieren_

(6 Minuten Lesezeit)

Andrea Orcel. Quelle: corrierecommunicazioni

Nacht-und-Nebel-Aktion

Die Stärkephase der Commerzbank bot dem neuen liberalen Finanzminister der Bundesrepublik genug Anlass, um eine Privatisierung umzusetzen. Für die Bank selbst wäre es ein Stärkezeichen; eine kleine Krone auf dem Comeback. Für den Staat wären es wichtige Gelder inmitten einer komplexen Haushaltssituation. Und für Lindner dürfte es in die Vorstellung passen, dass der Staat nicht der größte Anteilseigner an einem der wichtigsten privaten Finanzinstitute des Landes sein dürfe, wenn dieses in keinerlei Krise mehr steckt. “Der Bund kann, darf und will nicht auf Dauer an einer privaten Bank beteiligt sein”, so Lindner im September. Dass der Verkaufsprozess bereits seit Ende 2021 vorbereitet worden war, wissen wir dank Anfragen von Unionsabgeordneten beim Finanzministerium.
 
Anderthalb Jahre nach Beginn der ersten Beratungen startete der Bund den Verkauf. Die ersten 4,5 Prozent seiner Anteile gab er auf den Markt. Angedacht war, dass mehrere institutionelle Investoren sie kaufen, also zum Beispiel Finanzinvestoren und Fonds. Allerdings war nicht verhindert worden, dass ein einziger Investor sich das gesamte Aktienpaket sichern durfte, und genauso kam es: die italienische Großbank Unicredit. Nicht nur das: Unicredit hatte sich gleichzeitig weitere 4,5 Prozent am freien Markt, also von anderen Anteilseignern, gesichert. Über Nacht hielten die Italiener ein Elftel der Commerzbank.
 
Der Bund war überrumpelt. Statt die Commerzbank weiter zu privatisieren, machte er sie zum Übernahmekandidaten, was Unicredit und ihr CEO Andrea Orcel nicht zu verbergen versuchten. Über Finanzderivate sicherte sich Unicredit kurz nach der Transaktion weitere 11,5 Prozent und steigerte ihren Anteil auf 21 Prozent. Der somit mit Abstand größte Anteilseigner hat bei der EZB bereits angekündigt, auf 29,9 Prozent hochgehen zu wollen – direkt vor die Grenze, ab welcher ein formelles Übernahmeangebot gestellt werden müsste.

Viel Empörung, viel Wut

Die Opposition in Form der Union nutzte die Gelegenheit, um der Ampelregierung Inkompetenz vorzuwerfen. Die Commerzbank sei „auf einem guten Weg“ gewesen, bevor die Bundesregierung ihre Unabhängigkeit in Gefahr gebracht habe. Es müsse aufgeklärt werden, warum Unicredit das gesamte Aktienpaket des Bundes erwerben konnte und warum den Behörden zudem nicht auffiel, dass die Italiener sich gleichzeitig am Markt weitere Anteile gesichert hatten. Selbst Interessenskonflikte und Kommunikation von Regierungsbeamten mit Unicredit-Vertretern gelte es zu untersuchen.
 
Die Regierung gibt sich mindestens so empört wie die Opposition. Sie stoppte umgehend den geplanten Verkauf der verbleibenden 12 Prozent und betont, dass die Commerzbank „eigenständig“ bleiben soll. Sie kritisiert Unicredit scharf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich selbst im Rahmen eines UN-Gipfels nicht einen Kommentar nehmen: „Unfreundliche Attacken, feindliche Übernahmen sind nicht das, was für Banken eine gute Sache ist“. Die Aktion der Unicredit sei „nicht angemessen“ und setze auf „unfreundliche Methoden“, um sich „aggressiv zu beteiligen“. Im Sprech des Banker-Politiker-Nexus ist das bereits die höchstmögliche rhetorische Eskalationsstufe.
 
Zum einen ist das ein Versuch, sich der Angriffe der Union zu erwehren, zum anderen eine authentische Verärgerung mit Unicredit und Orcel. Regierungskreise berichten in jedem Medium, welches sie finden können, dass dieser nicht mit der Bundesregierung kommuniziere und sich auch nicht mit ihr abstimme, wie er öffentlich beteuert. Auch wenn Orcel erklärt, dass er der Bundesregierung vorab sein Interesse an einem Kauf des Aktienpakets kommuniziert habe, dementiert Berlin. 

Nationalismus statt Kapitalmarktunion

Unverständnis kommt derweil von außerhalb. In Brüssel sind Vertreter der EU, Thinktanks und Analysten irritiert über den vehementen Widerstand aus Berlin. Seit Jahren wird in Europa darüber gesprochen, dass eine stärkere Konsolidierung im Bankensektor vonnöten sei. Immerhin sind große Banken oftmals effizienter, da sie Kosten besser aufteilen können, und schlagkräftiger, da sie mehr Gelder mobilisieren und eher Aufträge an Land ziehen können. Die (zahlreichen) Unterstützer einer stärkeren Bankenkonsolidierung sehen das als notwendige Bedingung für den Konkurrenzkampf mit globalen Banken, insbesondere aber den profitablen amerikanischen Finanzinstituten. Das sah auch Deutschland nominell so, welches bei Diskussionen zu Bankenunion und Kapitalmarktunion stets ein Treiber war (auch wenn es in den konkreten Verhandlungen auch schon mal bremste). Dass nun eine Übernahme durch eine europäische Bank derart intensiv abgewehrt wird, passe nicht ins Bild, so besagte Beobachter.

Eine der öffentlichen Stimmen in diese Richtung ist Larry Fink, CEO der weltgrößten Vermögensverwaltung BlackRock. „Europa benötigt einen stärkeren Kapitalmarkt und ein vereinteres Bankensystem“, erklärte er unlängst. Eine europäischere Perspektive schlägt Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras ein: “Es sollte keine Rolle spielen, ob es eine deutsche oder eine italienische Bank ist. Was zählt, ist, dass es eine starke europäische Bank ist”. Analysten blicken mehrheitlich positiv auf den Deal, denn auch sie kommen zu dem Ergebnis, dass Konsolidierung vonnöten ist. Die Hoffnung ist, dass die Transaktion weitere Fusionen und Übernahmen auslösen könnte.

Und in Deutschland selbst sprechen sich Ökonomen wie Monika Schnitzer, Teil der Wirtschaftsweisen, wenn nicht für die Übernahme so zumindest gegen ihre Dramatisierung aus: „Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn eine deutsche Bank von einer ausländischen Bank übernommen wird“. Sie hebt eher ein anderes Gegenargument hervor: Die Fusion aus Unicredit und Commerzbank könnte zu groß sein und somit zum systemischen Risiko geraten. Das müsse aber die Europäische Zentralbank (EZB) beurteilen und verhindern, nicht die Bundesregierung. Und Stefan Kooths, einer der Chefforscher am IfW Kiel, wirft der Regierung vor, nicht verstanden zu haben, was eine Kapitalmarkt- bzw. Bankenunion bedeuten. “Firmen haben keine Pässe”, liefert er als eingängiges Zitat.

Gut zu wissen: Was will Unicredit mit der möglichen Übernahme erreichen? Vermutlich ihr Deutschlandgeschäft bedeutend ausweiten, Synergien mit der Hypo-Vereinsbank nutzen und sich in die Top 5 der größten Banken in der EU nach Bilanzsumme katapultieren, vom bisherigen Platz 9. Die Bank befindet sich auf Expansionskurs und verfestigt damit auch einen beeindruckenden Lauf, in welchem CEO Andrea Orcel – als risikoaffiner “Dealmaker” bekannt – sie von einem der schwächsten Finanzinstitute Europas zu einem der effizientesten und profitabelsten gemacht hat. Auch dank drastischer Stellenstreichungen.

Der Niedergang und die Arbeitsplätze

Für die Bundesregierung dürften es in erster Linie politische und kommunikative Gründe sein, welche eine Übernahme unmöglich machen. Der „Verlust“ der Commerzbank an einen ausländischen Eigentümer würde sich in das Narrativ eines wirtschaftlichen Niedergangs einfügen. Bereits die Ankündigung drastischer Sparmaßnahmen beim Autokonzern VW hatte für aufgeregte Diskussionen und Kritik an der Bundesregierung geführt. Als klassischer „Mittelstandsfinanzierer“ ließe sich eine Übernahme der Commerzbank besonders gut als Angriff auf die Substanz der deutschen Wirtschaft interpretieren. Darüber hinaus warnen die Gewerkschaften vor Unicredit, da sie Arbeitsplatzverluste befürchten: In der 2005 von Unicredit geschluckten Hypo-Vereinsbank arbeiten heute zwei Drittel weniger Beschäftigte als damals, rund 15.000 Stellen gingen verloren. Also spricht sich Olaf Scholz höchstpersönlich gegen die Transaktion aus, auch wenn er damit das Risiko eingeht, dass der Vorgang mit ihm assoziiert wird.

Die Stimmen aus Deutschland bestätigen mehrheitlich die Sorgen des Kanzlers. Neben der Gewerkschaft der Verdi, dem Gesamtbetriebsrat der Commerzbank und der (CDU-geführten) Landespolitik in Hessen sprechen sich auch zahlreiche Firmen gegen eine Übernahme aus. Der Chef des Reisekonzerns Tui, Sebastian Ebel, war einer der ersten. Mit ihrer Kreditvergabe bis tief in den deutschen Mittelstand gehöre die Commerzbank zur „kritischen Infrastruktur in Deutschland“. Das Argument wird von vielen Kritikern genannt; auch die Commerzbank rückt es kommunikativ ins Zentrum.

Kritiker der Kritiker halten dagegen, dass das Arbeitsplatzargument vorgeschoben sei: Erstens würde auch Unicredit nicht schlagartig das Geschäft herunterfahren; zweitens würden Produktivitätsanstiege für die Commerzbank, die Belegschaft, die Kunden und die deutsche Volkswirtschaft langfristig von Vorteil sein. Denn mehr Effizienz bedeute mehr bzw. günstigere Kredite, also mehr Wirtschaftsaktivität. Das käme dem Mittelstand zugute und könnte netto mehr neue als verlorene Arbeitsplätze bedeuten. Nur dass die Kredite am Ende eben auf einen Mutterkonzern in Mailand und nicht in Frankfurt zurückgingen; doch Firmen hätten eben keine Pässe.

Wie es jetzt weiter geht_

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Bettina Orlopp. Quelle: MilanoFinanza

Der Niedergang und die Arbeitsplätze

Ob die Commerzbank übernommen wird, ist nicht völlig in der Hand der Bundesregierung. Insofern diese nicht auf die Brechstange setzen möchte – etwa angreifbare Argumente zur nationalen Sicherheit auffahren will – kann sie mit ihren verbleibenden 12 Prozent Anteil alleine keine Übernahme stoppen. Unicredit könnte mit einer Kaufofferte an die übrigen Anteilseigner herantreten und sehen, ob es 50 Prozent plus eine Aktie erlangen kann.
 
Die realistischste Strategie für die Bundesregierung wäre es, so viel Radau zu machen, dass die feindselige Transaktion für Unicredit ihr politisches Risiko nicht mehr wert wäre. Orcel hat erklärt, keine Übernahme gegen Willen der Bundesregierung und der Commerzbank anzustreben, doch in Berlin wird das Wort des risikoaffinen Bankers als nicht sonderlich vertrauenswürdig angesehen. Alternativ könnte sich Berlin an die italienische Regierung wenden und sie bitten, auf Unicredit einzuwirken. Lindner habe dem Finanzministerium in Rom bereits seine “Sorgen” mitgeteilt, so Medien. Die italienische Regierung macht bislang keinen Eindruck, intervenieren zu wollen; zwischen Premierministerin Giorgia Meloni und der Bundesregierung herrscht kein inniges Vertrauensverhältnis. Im Gegenteil, die Lage wird mit einer gewissen Schadenfreude beobachtet.
 
Die Commerzbank besitzt ihrerseits Möglichkeiten. Das Geldhaus wurde von Unicredits Manöver ebenfalls überrumpelt und musste drum eine Nachfolgersuche für den abgehenden Vorstandsvorsitzenden Manfred Knof beschleunigen; die bisherige Finanzchefin Bettina Orlopp ist nun an der Spitze. Die Bank stellt klar, dass sie eigenständig bleiben möchte. Um das zu gewährleisten, wird sie ihren Anteilseignern aufzeigen müssen, dass ihre Zukunftsstrategie besser als jene von Unicredit ist. Von Sentimentalitäten abgesehen, interessieren die Anteilseigner das erwartete Aktienkurswachstum und die Dividenden. Beides ist eine Funktion der Geschäftsstrategie.
 
Was genau Commerzbank und Unicredit für die Investoren in die Arena werfen werden, ist noch unklar. Die Commerzbank wird auf ihre Erfolgssträhne der letzten Jahre verweisen. Unicredit wiederum auf ihren Erfolg darin, sich selbst zu einem der stärksten Geldhäuser Europas zu verwandeln. Orcel hat bereits angedeutet, dass er findet, dass die Commerzbank effizienter arbeiten könnte und verweist auf ein hohes Verhältnis von Kosten zu Erträgen. Das bedeutet Kostensenkungsprogramme, welche für die Mitarbeiter eine Gefahr, für die Investoren aber interessant sein könnten. Die US-Bank Citigroup erkennt für Unicredit derzeit bessere Chancen, sich im Falle einer feindlichen Übernahme durchzusetzen.
 
Es ist nicht das erste Mal, dass die Commerzbank im Zentrum einer Übernahmefrage steckt. 2019 hatte bereits die Deutsche Bank eine Transaktion geprüft, damals aber einvernehmlich mit der Commerzbank und auch der Bundesregierung. Nur, dass es der Commerzbank damals deutlich schlechter ging und auch die Deutsche Bank mitten in einer Umstrukturierung steckte. Die heutige Commerzbank ist ein attraktiveres Übernahmeziel und Unicredit finanzstark. Eine erfolgreiche Übernahme ist damit ausdrücklich möglich.

Gut zu wissen: Könnte die Deutsche Bank mit einem eigenen Angebot eingreifen? Sehr unwahrscheinlich. Das Geldhaus scheint derzeit nicht die Finanzkraft zu haben, um ernsthaft mit Unicredit konkurrieren zu können. Vermutlich möchte es seine durchaus erfolgreiche Umstrukturierung zudem nicht mit einer abenteuerlichen Fusion in Gefahr bringen. Zu guter Letzt bedeutet die Ähnlichkeit in der Standortpräsenz (Commerzbank und Deutsche Bank operieren an vielen Orten gleichzeitig), dass viel höhere Jobverluste drohen würden, als im Unicredit-Szenario. Die Deutsche Bank könnte durch den Kauf eines Anteils aber versuchen, ein wenig Mitspracherecht zu behalten.

Der deutsche Reputationsverlust

Was sicher bleibt, ist ein politischer Schaden. Der eine Schaden geschieht in Berlin, wo die Aufarbeitung anläuft. Zum einen durch die Opposition, welche die Regierung vor sich herzutreiben versucht und von einem “Desaster” für den deutschen Bankenmarkt spricht; zum anderen innerhalb der Regierung selbst: Medienberichten zufolge herrschten auch im Kanzleramt Fragen, wie das Finanzministerium in die “Falle” von Unicredit laufen konnte, auch wenn alle Seiten das dementieren.

Der andere Schaden geschieht im Ausland, wo die deutsche Linie als Heuchelei aufgenommen wird: Über die Wichtigkeit einer europäischen Bankenunion und europäischer Champions sprechen und dann auf eine Kaufofferte aus einem EU-Land so reagieren, als handle es sich um einen chinesischen Staatskonzern. “Deutschland war immer pro-EU und hat uns jahrzehntelang über die Bankenunion und den Binnenmarkt belehrt”, so ein unbekannter Minister der Meloni-Regierung, “auf dem Papier sind wir die Nationalisten, aber wenn es um die [Commerzbank] geht […] nennen sie es einen ‘feindseligen Akt'”. 

Und in Brüssel ist nicht die Ironie unbemerkt geblieben, dass der energische deutsche Protektionismus wenige Tage nach einem großen Report von Mario Draghi erfolgte, in welchem der renommierte Spitzenökonom für mehr Bankenkonsolidierung warb. Gepaart damit, dass Deutschland in den letzten drei Jahren eine Reputation als (oftmals erratische) Blockade für viele EU-Projekte erlangt hat, dürfte der europapolitische Schaden signifikant sein. Dabei geht es anders: In Griechenland stieg Unicredit jüngst in die Alpha Bank ein, die zweitwichtigste Bank des Landes – völlig undramatisch. Und als die Lufthansa vor Kurzem die staatliche italienische Airline Alitalia übernahm, störte das weder den Bund noch Rom, welches den Deal absegnete.

Auch die Sorge vor einem “Desaster” für den deutschen Bankenmarkt dürfte übertrieben sein. Deutschland alleine besitzt die Hälfte aller Banken in der EU, macht aber nur ein Viertel des BIP aus. Damit gilt die Bundesrepublik als klassisches Beispiel fürs “überbankt” sein; Konsolidierung könnte dem Finanzsektor guttun, würde ihm aber vermutlich nicht wehtun. 

Europastrategie vs. Nationalstolz

Die Debatte um die Commerzbank ist zusammengefasst eine, in welcher eine politische und eine wirtschaftliche Dimension aneinander vorbeireden. Für die Wirtschaft geht es um die langersehnte, vermutlich auf die lange Sicht unumgängliche Konsolidierung eines äußerst kleinteiligen Sektors, welcher nicht an die internationale Konkurrenz herankommt. Für die Politik geht es um einen latenten “Wirtschaftsnationalismus”, nämlich das Gefühl, dass einer der heimischen Champions nicht zur ausländischen Tochter degradiert werden dürfe; sowie um die Angst vor Jobverlusten, selbst wenn diese eher betrieblich als volkswirtschaftlich relevant wären. Beides kommt für die Politik am Ende in wahlstrategischen Abwägungen zusammen.

Während in Berlin und wohl auch bei der Commerzbank hektisch justiert wird, gibt sich Andrea Orcel zumindest öffentlich sehr gelassen. Er richtet Gesprächseinladungen an die Gegenseite, verspricht, keine feindseligen Übernahmen zu planen und beteuert, dass sein Interesse an Commerzbank-Anteilen der Bundesregierung früh bekannt gewesen sei (was diese dementiert). Und er erklärt, dass er “sehr viel Geduld” habe. Das dürfte sich in einigen Ohren wie eine Drohung anhören. Es könnte als solche gedacht sein.

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