Und die teils radikalen Vorschläge der Kandidaten.
27.10.2024
Die Lage | Strafzölle | Steuern | Honorable Mentionsver | Das Linksbündnis | Die Rechtsaußen
(16 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Die US-Wirtschaft läuft eigentlich hervorragend, aber die Amerikaner empfinden es anders – auch, weil die Erfolge noch nicht vollständig in der Breite ankommen.
- Damit wird die Wirtschaftspolitik zu einem möglichen wahlentscheidenden Thema.
- In der Handelspolitik kündigt Donald Trump massive Zölle gegen China sowie Verbündete an. Das dürfte der amerikanischen Wirtschaft schaden.
- In der Steuerpolitik will er eine der größten (und regressivsten) Steuersenkungen aller Zeiten umsetzen, was das Wachstum antreiben, aber auch das Defizit schwerwiegend vergrößern würde.
- Kamala Harris setzt ebenfalls auf Zölle gegen China und sanften Protektionismus, allerdings weitaus schwächer als Trump.
- Steuerpolitisch setzt sie auf progressive Umverteilung, hält aber an einigen von Trumps Maßnahmen aus seiner ersten Amtszeit fest.
Wie es um die US-Wirtschaft steht_
(2,5 Minuten Lesezeit)
Gleich zum Einstieg zwei Wahrheiten: Die Wirtschaft der USA ist beeindruckend stark. Und die US-Amerikaner sind zutiefst enttäuscht mit ihrer Wirtschaft. Gerade Letzteres hat das Potenzial, die Präsidentschafts- und Kongresswahl am 5. November zu entscheiden.
Es könnte kaum besser laufen
Die Stärke der US-Wirtschaft lässt sich anhand einiger Zahlen belegen. Das BIP-Wachstum ist seit mehreren Jahren stark, oftmals deutlich über den Erwartungen und genauso deutlich über vergleichbaren Industriestaaten. In diesem Sinne ist auch der Arbeitsmarkt zutiefst robust, ungeachtet sektoraler Verwerfungen, etwa in der Techbranche: Mit 4,1 Prozent lag die Arbeitslosigkeit zuletzt weit unter dem Langzeitmittel von 5,7 Prozent. Die Verbraucherinflation liegt mit 2,4 Prozent fast genau dort, wo sie sein soll, auch wenn die (schwankungsanfällige Kategorien ausklammernde) Kerninflation mit 3,3 Prozent noch etwas höher liegt. Die Aktienpreise – ein beliebter, aber problematischer Proxy für die Wirtschaftslage – befinden sich teils auf Rekordhochs. Der US-Leitindex S&P 500 hat seit Jahresbeginn über 22 Prozent zugelegt; ein äußerst starkes Jahr.
Die USA haben damit die Befreiung aus der Inflationskrise 2022/23 ganz ohne befürchtetes “hard landing” geschafft. Stattdessen gelang die Landung butterweich: Die Inflation ist niedrig, der Arbeitsmarkt ist stark und keine Rezession ist in Sicht. Der internationale Vergleich macht das Bild nur noch rosiger: Andere große Industriestaaten erleben Rezessionen, Stagnation oder Mini-Wachstum und selbst viele Entwicklungsländer wie China tun sich derzeit schwer. Die Stärke der USA ist umso beeindruckender, als sie von der höchsten Basis der Welt starten: Sie sind das reichste Land nach BIP und das sechstreichste nach BIP pro Kopf, wobei keiner der Top 5 mehr als 10 Millionen Einwohner aufwartet.
Es könnte kaum schlechter laufen
Befragt man dagegen die US-Amerikaner, haben sie ein pessimistisches Bild ihrer Wirtschaft. Zum einen, weil sie die makroökonomische Lage tatsächlich fehlinterpretieren, und zwar teils sehr stark – siehe unsere Grafik unten. Zum anderen, weil sie weniger die Makroökonomie als die eigene Brieftasche und Anekdoten interessieren. Die Teuerungsrate hat zwar abgenommen, doch das Preisniveau liegt ein gutes Stück höher als noch 2022. Steigende Leitzinsen haben den kulturell so wichtigen Häuserkauf erschwert und so manchem kleinen Unternehmen zugesetzt. Insbesondere rechte Politiker und Medien bespielen das Narrativ einer am Abgrund stehenden Wirtschaft, schließlich ist der politische Gegner der Amtsinhaber.
Is it the economy?
Die Wirtschaft in den USA ist, wenig überraschend, ein Wahlkampfthema. Befragt man die Amerikaner, ist es fast immer das wichtigste Thema; noch vor dem medial intensiv bearbeiteten “Kulturkrieg”, der Migration oder Sorgen über die Demokratie. Dabei geht es nur teilweise um die aktuelle Konjunktur, in hohem Maße aber auch darum, wie sich die USA für die kommenden Jahrzehnte aufstellen sollen. Entsprechend achten die Wähler zumindest nominell darauf, was die Kandidaten – Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident Donald Trump – ihnen anbieten. Und anders als die US-Migrationspolitik, welche unser Explainer vergangene Woche beleuchtet hatte, wird die Wirtschaftspolitik des Landes auch direkte Auswirkungen auf Europa und den Rest der Welt haben (du findest den Link auch ganz am Ende).
Eine Sache fällt auf, wenn man die Wirtschaftspolitik der beiden Seiten vergleicht: Sie ist gar nicht so unterschiedlich. Noch stärker als in der Migrationspolitik – wo diese Dynamik allerdings auch erkennbar ist – hat Kamala Harris sich in ihren Positionen ein wenig “trumpisieren” lassen.
Außenhandel_
(7 Minuten Lesezeit)
Was Trump will
Wirtschaftspolitisch wird Donald Trump vor allem mit zwei Dingen in Verbindung gebracht: Steuersenkungen und Strafzölle. Beides waren umgesetzte Flaggschiffprojekte seiner Wirtschaftspolitik in der ersten Amtszeit und beides wäre auch für eine zweite Amtszeit zu erwarten. Nachdem er lange vage blieb, hat der Kandidat, welcher sich den superheldesquen Spitznamen “Tariff Man” (Strafzollmann) verpasst hat, inzwischen Konkretes geboten.
Trump möchte 60 Prozent Zölle auf jegliche Importe aus China und 20 Prozent Zölle auf Importe weltweit verhängen. Das wäre, gelinde gesagt, eine handelspolitische Bombe. Alles, was amerikanische Firmen und Haushalte aus dem Ausland einkaufen wollen, würde mindestens ein Fünftel mehr kosten. Die Bewertung ist simpel: Für die US-Wirtschaft wäre es ein schwerer Schlag. Fast kein Ökonom unterstützt die Strafzölle; sie folgen auch keiner ökonomischen Logik. 23 Nobelpreisträger warnten in einem offenen Brief ausdrücklich vor Trumps Plänen.
Dabei gilt es zu verstehen, dass Importe nichts Schlechtes sind. Am Ende des Tages möchte eine Volkswirtschaft Dinge, entweder weil sie sie schlicht und ergreifend gerne für den Konsum hätte, oder weil sie sie als Inputgüter für die eigene Produktion benötigt. In diesem Sinne bedeutet eine negative Handelsbilanz – mehr Importe als Exporte – keineswegs, dass ein Land “verliert”, wie es Trump und andere Protektionisten interpretieren. Exporte für den Selbstzweck sind witzlos; sie sind dafür da, um Geld einzubringen, welches in das eigene Nationalvermögen und, mittelbar, eben wieder in Importe fließt.
Nein, Importe werden nicht vom BIP abgezogen
Die “Einführung in die Ökonomie”, welche viele Menschen im Studium durchlaufen oder sich (meist mehr schlecht als recht) irgendwie selbst im Internet zusammenzimmern, hat an dem Fehlverständnis eine Mitschuld. Die klassische BIP-Formel addiert eine Reihe von Faktoren auf (Konsum, Investitionen, Staatsausgaben, Exporte), um dann Importe abzuziehen: BIP = C + I + G + X – M. Importe, mit M denotiert, scheinen also das BIP herunterzudrücken; scheinen ein Negativfaktor zu sein.
Nur ist das eben nicht wahr. Die Realität ist, dass Importe gar keine Auswirkung auf die BIP-Formel haben. Importe finden sich nämlich in Konsum, Investitionen und Staatsausgaben wieder: Ein Teil deiner Konsumgüter stammt aus dem Ausland; ein Teil der Investitionsgüter für Firmen stammt aus dem Ausland; und ein Teil der Staatsausgaben bezieht sich auf Importe. Diesen ausländischen Import-Beitrag zu unserem Bruttoinlandsprodukt ziehen wir am Ende unserer Formel wieder ab (“minus M”), da er ja nicht im Inland produziert worden ist. Es bleibt kein negativer Effekt von Importen, sondern einfach ein Nulleffekt: Wir ziehen Importe von unserer BIP-Formel ab, weil wir sie zuvor (heimlich) hineinaddiert hatten.
Gut zu wissen: Eine ganz simple Erklärung für die BIP-Formel gefällig? Konsum (C) steht für Dinge, für die Haushalte und Verbraucher Geld ausgegeben haben. Investitionen (I) steht für allerlei produktive Dinge, für welche Firmen Geld ausgegeben haben, z.B. Fabrikhallen, Maschinen oder Computer, aber auch Inventar. Staatsausgaben (G für government spending) steht für alles, wofür der Staat Geld ausgegeben hat. Exporte (X) stehen für alles, was eine Volkswirtschaft ins Ausland verkauft hat. Und Importe (M) zieht alles, was an Gütern und Dienstleistungen aus dem Ausland ins Land geflossen ist, ab, da es ja ums Bruttoinlandsprodukt geht. Wir haben soeben erklärt, dass Importe zwar am Ende explizit abgezogen werden, zuvor aber auch implizit in C, I und G hineingerechnet worden waren.
Warum die Heimlichkeit? Weil es für die “volkswirtschaftliche Gesamtrechnung” (quasi Accounting für die Makroökonomie) ziemlich schwierig wäre, genau herauszustellen, welcher Anteil der Konsumausgaben oder Investitionen denn nun mit Importen zusammenhing und welcher nicht. Also sind der inländische und ausländische Beitrag zu C, I und G einfach zusammengeworfen und Importe (M) werden am Ende wieder abgezogen. Keine Verschwörung, eher der Bequemlichkeit geschuldet, doch genug, um Beobachter auf die falsche Fährte zu locken.
Importe sind ziemlich wichtig
Unsere Erklärung ist richtig, doch ignoriert bis hierhin eine wichtige Dynamik. Importe mögen laut Formel neutral ins BIP einwirken, doch haben in Wahrheit große indirekte Effekte auf die Volkswirtschaft – die häufig positiv sind.
Erst einmal ein Negativbeispiel: Wenn du ein Auto importierst und stattdessen auf den Kauf eines heimischen Autos verzichtest, hätte das einen echten negativen Effekt auf die Inlandsproduktion gehabt. Ein heimischer Autohersteller verzeichnet weniger Umsatz, zahlt weniger Löhne, baut weniger neue Fabriken mit neuen Arbeitsplätzen auf, was weniger neue Steuereinnahmen und Staatsausgaben bedeutet. Die Existenz des ausländischen Autos (also des Imports) hätte der heimischen Wirtschaft geschadet.
Die positive Dynamik: Das ausländische Auto hast du dir vermutlich gekauft, weil es eine bessere Qualität oder einen geringeren Preis als ein vergleichbares inländisches Auto hatte. Dir bleibt also mehr Geld für andere Anschaffungen. Womöglich hättest du dir ohne Import gar kein Auto geleistet, wodurch du den neuen Job in Fahrreichweite nicht hättest annehmen können.
Dieses Beispiel für Wertschöpfungsketten lässt sich auf Firmenebene noch besser darstellen: Wenn eine Firma dank des Auslands weitaus günstigeren Stahl kaufen kann, als es zu Hause der Fall wäre, kann sie günstiger produzieren und ihr Produkt günstiger anbieten. Sie hat mehr Geld für Investitionen, Dividenden oder Gehälter übrig. Im Umkehrschluss: Wenn Stahl plötzlich 20 Prozent teurer ist, weil Importe wegfallen oder mit Zöllen belegt werden, dann wird für einige Firmen das eigene Kostenprofil um bis zu 20 Prozent steigen. Das kann alles von verschobenen Wachstumsplänen über Entlassungen bis hin zu Firmenschließungen bedeuten.
Die negative Wirkung von Zöllen ist also recht unmittelbar und auch reichlich empirisch belegt. Güter werden teurer und das bekommen Firmen und Verbraucher definitiv zu spüren; der Zusammenhang ist mechanisch. Unterstützer von Zöllen bleibt die Hoffnung, dass sich die “sanktionierte” Auslandsproduktion einfach ins Inland verschiebt, was auch Trump als “Masterplan” äußert. Das ist allerdings ein großes Risiko, immerhin dauert es Jahre oder Jahrzehnte, äquivalente Wertschöpfungsketten aufzubauen. In dieser Zwischenzeit müssen Firmen und Verbraucher mit teureren, schlechteren Produkten auskommen, was Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität trifft. Es gibt keine Garantie, dass der Protektionismus sich jemals bezahlt macht.
Das Argument für Zölle
Ein robustes Argument zugunsten von Zöllen gibt es, doch es ist geopolitischer und nicht wirtschaftlicher Natur: Sicherheitsrisiken und der Wunsch nach Autarkie sowie politischer Kontrolle über Innovationszyklen. Ein hoher Anteil chinesischer Importe könnte bedeuten, dass Peking mehr Einfluss und sogar direkte Mittel für Spionage und Sabotage erhält. Wären alle Länder verlässliche Freunde, gäbe es aus rein wirtschaftlicher Sicht kein Problem damit, wenn chinesische Anbieter die europäische Solar-, E-Auto- und Windindustrien vollständig übernehmen: Sind sie die günstigeren Anbieter im selben Qualitätssegment, so ist ihre Marktdominanz für Kunden ausschließlich von Vorteil. Was an Solar-Arbeitsplätzen verloren geht, entsteht in jenen Branchen neu, welche nun von günstigeren Solarerzeugnissen profitieren. Berücksichtigt man jedoch die Geopolitik, kann die Analyse anders ausfallen. In diesem Sinne sind auch die Trumpschen Strafzölle gegen China nicht unbedingt verkehrt. Es hängt davon ab, wie skeptisch man auf den Einfluss Pekings blickt und wie viel Schaden man der US-Wirtschaft für mehr Autarkie zuzufügen bereit ist.
Kein gutes Argument lässt sich allerdings dafür finden, den gesamten Außenhandel mit Freunden und Verbündeten mit 20-prozentigen Strafzöllen zu belegen. Die US-Wirtschaft wird unter ihnen leiden; das steht außer Frage. Damit befriedigen diese Strafzölle lediglich den Wunsch eines Wirtschaftsisolationismus, doch folgen keiner ökonomischen Logik.
Zugleich haben die USA einen Vorteil, welcher den Schaden durch höhere Zölle abfangen dürfte. Steigen die Zölle und fallen die Importe, sinkt die Nachfrage nach anderen Währungen als dem US-Dollar. Das bedeutet, dass der Wert des USD steigt. Und das bedeutet, dass Importe günstiger werden. Teurere Importe führen paradoxerweise also zu ein wenig günstigeren Importen. Netto bleibt zwar eine Verteuerung mitsamt Schäden für die Wirtschaft, doch dank der Aufwertung des USD fällt sie harmloser als in “Reinform” aus. Genau das ließ sich auch nach den Trumpschen Strafzöllen 2018/19 beobachten.
Und Kamala Harris?
Kamala Harris möchte die Linie der Biden-Regierung fortsetzen, welche einer sanften Variante der ersten Amtszeit von Donald Trump ähnelt. Viele der Trumpschen Strafzölle gegen China hat Biden einfach belassen; Harris dürfte so weiter machen. Die Logik, wie seitens Trump, ist die geopolitische Skepsis gegenüber China.
Den Trumpschen Handelskrieg mit Europa hat die Biden-Regierung weitestgehend befriedet, doch auf “America First” setzt sie trotzdem: Das große Klima- und Investitionspaket Inflation Reduction Act bietet Firmen Anreize für eine Produktion in den USA. Das irritiert die EU, welche deswegen seit rund zwei Jahren beschwerlich mit Washington über Ausnahmeregelungen verhandelt. Auch hier dürfte Harris Kontinuität bedeuten. Wie schon bei Trump ist der Grund eher politisch als wirtschaftlich: Die positiven Effekte von Importen sind “unsichtbar”, die negativen dagegen sehr gut sichtbar. In Europa wird etwa viel über Arbeitsplatzverluste in der Windbranche aufgrund chinesischer Importe gesprochen, doch wenig über die Vorteile für vermutlich weitaus größere Teile der Volkswirtschaft. Zölle und (mit Staatsausgaben finanzierte) Lokalisierungsanreize sind damit politisch gut verkaufbar. Seht her, wir beschützen unsere Industrien vor dem Ausland.
Die Linie von Biden und Harris ist zwar weit entfernt von Strafzöllen “auf alles” à la Trump, aber zeigt, dass auch eine Präsidentin Harris kein Champion des Freihandels wäre. Egal, wer im November siegt: Die USA flirten mit dem Werkzeug Strafzölle.
Die Steuerpolitik_
(4 Minuten Lesezeit)
Die Steuerbrechstange
Das zweite Trump-Axiom lautet Steuersenkungen. Der Ex-Präsident hatte 2018 die Einkommens- und Unternehmenssteuern deutlich gesenkt. Die privaten Steuersenkungen kamen vor allem reichen Amerikanern zugute, wobei die obersten 20 Prozent der Amerikaner rund 65 Prozent der Steuerersparnis einstrichen. Die Unternehmenssteuer fiel derweil von 35 auf 21 Prozent, die heftigste Senkung in der Geschichte der USA und auf das niedrigste Niveau seit 1939.
Nun möchte Trump noch einmal senken. Die Unternehmenssteuer soll auf 20 Prozent und für Firmen, die in den USA produzieren, auf 15 Prozent fallen. Auch bei der Einkommenssteuer und einigen weiteren Steuerarten will er stärker senken als noch 2018. Und offenbar noch unausgeglichener: Laut dem Wirtschaftsinstitut ITEP sparen die reichsten 5 Prozent der Amerikaner Geld (ab etwa 360.000 USD Jahreseinkommen), die übrigen 95 Prozent würden unter dem Trump-Plan mehr Steuern als zuvor zahlen.
Steuern und Schulden
Steuersenkungen sind einfach erklärt: Je weniger Geld ein Haushalt oder eine Firma an den Staat abdrückt, umso mehr besitzen sie für Konsum oder Investitionen. Andersherum besitzt die Regierung weniger Geld für Staatsausgaben; wobei ausgleichend wirkt, dass die Steuersenkungen das Wirtschaftswachstum ankurbeln und damit zu mehr Steuereinnahmen führen. Die Größe dieses Effekts ist jedoch unsicher. Hat die Regierung zu wenig Geld für die Ausgabenpläne, an welchen sie festhalten will oder muss (etwa, weil sie gesetzlich dazu verpflichtet ist, wie die Bundesregierung beim Bürgergeld), steckt sie im Defizit und ihr bleiben im Grunde zwei Möglichkeiten: Die Zentralbank einsetzen (was keine Option ist, wenn diese unabhängig ist) und Schulden aufnehmen.
Schulden sind ein zweischneidiges Schwert. Sie sind zum einen ein machtvolles Instrument, um Geld aus der Zukunft vorzuziehen, wichtige Investitionen zu realisieren und auf Notfälle zu reagieren; zum anderen haben sie Risiken und eine gefährliche politische Anreizfunktion inne. Unser Explainer “Die Welt in der Schuldenkrise” aus April 2022 erklärt die Theorie hinter (Staats-)Schulden genauer.
In aller Kürze ist das Problem aber Folgendes: Nimmt ein Staat mehr Schulden auf, muss er mehr Geld zur Zinsbedienung aufbringen. Dieses Geld fehlt nun im Haushalt. Im Niedrigzinsjahr 2020 brachte der Bund etwa nur rund 3 Prozent seines Haushalts für die “Bundesschuld” auf; nach der kräftigen Schuldenaufnahme im Zuge der Covid-Pandemie sowie gestiegenen Leitzinsen waren es 2024 bereits 8,3 Prozent. Bei der Differenz geht es immerhin um rund 25 Milliarden EUR; deutlich mehr als die Haushaltslücke, welche seit Monaten zu Streit in der Ampelkoalition führt. Dazu kommt ein Teufelskreis: Je höher die Schuldenlast eines Staats, umso höher das Risiko, dass er sie womöglich doch nicht bedient und bankrottgeht. Also steigt die Risikoprämie und mit ihr der Zins. Ein höherer Zins bedeutet jedoch eine höhere Schuldenlast, was ein höheres Bankrottrisiko bedeutet – ein Teufelskreis, welcher für einen Staat immer mehr Kosten bedeutet.
Kamalas Plan
Auch Kamala Harris plant Steuersenkungen, welche sie allerdings mit Erhöhungen an anderer Stelle unvollständig ausbalanciert. Ihr Plan ist gewissermaßen das Spiegelbild des Trump-Plans: Die reichsten Amerikaner würden mehr zahlen (genauer, so viel wie vor den Trumpschen Steuersenkungen 2018), jene mit unter 400.000 USD Jahreseinkommen sowie Familien weniger. Allerdings zeigt ihr Plan dennoch die Spuren der Trump-Jahre: Sie behält gewisse Teile der Trumpschen Steuersenkungen aus 2018 bei – eben jene zugunsten mittlerer und geringer Einkommen – und obwohl sie die Unternehmenssteuer von 21 auf 28 Prozent anheben will, bleibt sie damit doch kräftig unter dem Vor-Trump-Niveau von 35 Prozent.
Gut zu wissen: Ein besonders umstrittener Steuervorschlag aus dem Harris-Lager war die Besteuerung unrealisierter Kapitalerträge. Diese sind praktisch die Kursgewinne deines Anlageportfolios, welche du noch nicht realisiert (sprich, dir ausgezahlt) hast – nur dass es bei dem Vorschlag um besonders reiche Individuen ging. Sehr vermögende Menschen zahlen sich selten ein hohes Einkommen aus, sondern nutzen ihre hohen Vermögen sowie nicht realisierten Kapitalerträge, um sich mit diesen als Sicherheit günstige Kredite zu leihen. Kredite lassen sich allerdings nicht besteuern. Der Vorschlag wäre damit ein Weg, sehr vermögende Menschen stärker zu besteuern. Kritiker (darunter Harris-Verbündete) sehen den Vorschlag allerdings als Bruch mit Jahrzehnten an Praxis, bürokratisch kaum umsetzbar und als Gefahr für die Investitionstätigkeit in den USA. Harris scheint die Kontroverse ernst zu nehmen und äußert sich kurzerhand nicht mehr dazu, wie sie heute zu dem Plan steht.
7,5 Billionen USD
Untersucht man den Gesamteffekt der beiden Steuerpläne, zeigt sich, dass beide zu mehr Defizit führen werden, doch jener von Trump weitaus drastischer ist: Je nach Schätzung steigert er die US-Schuldenlast bis 2035 um 5,8 bis 7,5 Billionen USD – bei einer derzeitigen Schuldenlast von 35,8 Billionen USD. Das ist doppelt bis fünfmal so viel wie Harris’ Plan mit 1,2 bis 3,5 Billionen USD. Trumps Plan ist also weitaus teurer und fiskalisch riskanter. Ironischerweise pflegen die Republikaner bis heute die Reputation als Partei der fiskalischen Vernunft, vergrößerten in den letzten fünf Jahrzehnten aber konsistent deutlich stärker das Haushaltsdefizit – so wäre es offenbar auch diesmal.
Während 2008 die Finanzkrise zur Erklärung herhielt und 2020 die Covid-Krise (wobei Trumps Steuersenkungen schon davor das Defizit ausweiteten), so gäbe es diesmal keinerlei Begründung: Die Wirtschaft boomt, und trotzdem setzen beide Parteien – vor allem aber die Republikaner – auf eine kräftige fiskalische Ausweitung. Das vergrößert nicht nur die Schuldenlast, sondern wird auch den Inflationsdruck wieder erhöhen.
Energie, Migration, Transformation_
(4 Minuten Lesezeit)
Honorable Mentions
Unser Explainer hat sich auf zwei Dimensionen der zukünftigen amerikanischen Wirtschaft konzentriert, die Handelspolitik und die Steuerpolitik. Sie sind keine schlechte Wahl: Die Handelspolitik ist ein Ausdruck dafür, wie die USA ihre Rolle in der Welt interpretieren und wird sich aktiv auf das Ausland auswirken; die Steuerpolitik entscheidet, ob die USA mehr Umverteilung bei langsamerem Wachstum (Harris) oder regressiv angepeitschtes Wachstum mit hohen Defiziten (Trump) wählen – und füttert das Zukunftsproblem der Staatsverschuldung.
Allerdings: Während der künftige Präsident über Strafzölle praktisch im Alleingang entscheiden kann, wird die Steuerpolitik vom Kongress mitentschieden. Dass der neue Präsident auch diesen hinter sich weiß, ist tendenziell unwahrscheinlich, womit die Steuerpläne beider Kandidaten erst einmal nur Pläne bleiben könnten.
Abseits dieser zwei Themen gibt es noch eine ganze Reihe, welche einen Blick verdienen würden, wir aber höchstens in einer Blitzrunde abhandeln können.
Kamala Harris möchte dem Wohnungsmangel begegnen, indem sie das Angebot steigert – eine weitaus sinnvollere Linie als selten erfolgreiche Preisinterventionen. Konkret stellt sie direkte Steuervorteile für den Wohnungsbau in Aussicht. Um die Bürokratie drumherum zu lockern, was nur die Bezirke und Bundesstaaten tun können, will sie “Innovationsfonds” als Karotte einführen: Geld aus Washington für jeden Bezirk und Bundesstaat, welcher mehr Wohnungen gebaut bekommt.
Trump möchte derweil “Massendeportationen” durchführen. Das geschieht in erster Linie aus einer völkisch-sicherheitspolitischen Motivation heraus, doch hätte große Auswirkungen auf die Wirtschaft – theoretisch, zumindest, denn die Durchführbarkeit solcher Deportationen ist fraglich. Grundsätzlich ist die hohe Arbeitsverfügbarkeit und Zuwanderung in die USA einer der größten kompetitiven Vorteile des Landes und ein Grund, warum es auch im restlichen Jahrhundert stets zu den dynamischsten Industriestaaten gehören dürfte. Trump, welcher des Öfteren mit dieser Abwägung konfrontiert wird, beschwichtigt: Der “Verlust” an Humankapital durch seine Deportationen werde durch mehr legale Migration ausgeglichen. Wie er diese im Detail ankurbeln möchte, erklärt er nicht.
Gut zu wissen: Unser Explainer zur Migrationspolitik in den USA steigt tiefer in die Lage an der Grenze und Trumps Pläne ein.
Die Transformationsfrage
Am spannendsten ist nach Ansicht der whathappened-Redaktion die Frage nach der (Klima-)Transformation: Die USA haben mit dem Bidenschen Inflation Reduction Act (IRA) ein 460 Milliarden USD schweres Investitionsprogramm gestartet, wie es das wohl seit 70 Jahren nicht mehr gab. Es schafft unter anderem Steuer- und Forschungsanreize für Investitionen in (meist) grüne Technologien, seien es erneuerbare Energien, Batterien, Carbon Capture and Storage (CCS), Atomkraft, Elektroautos oder Wasserstoff. Thinktanks rechnen mit 31 bis 44 Prozent Emissionssenkung bis 2030 gegenüber 2005 – die USA sind endgültig im Zeitalter des Klimawandels angekommen. Flankiert wurde das Projekt von zwei anderen gewaltigen industriepolitischen Paketen der Biden-Regierung: Das Infrastrukturprogramm Bipartisan Infrastructure Law (BIL) und der auf Halbleiter und Grundlagenforschung fokussierte CHIPS and Science Act.
Gut zu wissen: Unser Explainer “Der Inflation Reduction Act und sein transatlantischer Streit” aus Februar 2023 erklärt den Inhalt des IRA, den schwierigen Weg zur Gesetzgebung und den resultierenden Konflikt mit der EU, welcher im Grunde bis heute läuft.
Kamala Harris wird mit Sicherheit am IRA und seinen Schwesterpaketen festhalten. Inwiefern sie darauf aufbauen und ausweiten wird, ist unklar; sie hat bislang nicht die große Vision erkennen lassen, mit welcher Joe Biden den Umbau der USA eingeleitet hatte, doch das muss nicht bedeuten, dass sie sie nicht besitzt.
Andersherum kritisieren Trump und die Republikaner den IRA scharf und kündigen an, ihn kippen zu wollen, sobald sie an die Macht kommen. Die Kritik ist teilweise etwas verquer: Dass das Paket das Defizit erhöhen würde, ist in Anbetracht der Trumpschen Steuersenkungspläne ein skurriler Einwand – und stimmt tatsächlich nicht, da der IRA dank einer kräftigen Einnahmenseite dem Staat knapp 740 Milliarden USD einbringen soll.
Damit scheint die Kritik in erster Linie “kulturkriegerisch” zu sein: Bei den Republikanern herrscht eine fundamentale Skepsis gegenüber klimatransformativen Technologien. Das läuft immer häufiger gegen die eigenen Interessen: Rund zwei Drittel der IRA-Investitionen sind in Wahlbezirke geflossen, in welchen Trump 2020 siegte; was sich in circa 66.000 neue Jobs übersetzen dürfte. Elektroautos, Batterien und Windräder sind längst ein gutes Geschäft für republikanische Bundesstaaten geworden. Nur in den Narrativen der nationalen Politik ist das noch nicht angekommen.
Als deutscher Beobachter muss man außerdem aufpassen, den eigenen nationalen Diskurs nicht zu sehr zu übertragen. In den USA geht die Klimapolitik der Biden- und möglichen Harris-Regierung mit viel Atomkraft und Fracking einher. Die Biden-Regierung hat so viel Öl gefördert wie nicht nur keine Regierung zuvor, sondern wie kein Land in der Geschichte der Menschheit. Harris hat ihr einige Jahre altes Versprechen, Fracking zu beenden, längst kassiert und verspricht, das Öl weiter sprudeln zu lassen. Auch hier ähneln sich Harris und Trump inhaltlich also deutlich mehr, als Stil und Rhetorik vermuten lassen würden.
Ein Fazit
Es ist schwer zu sagen, wie sehr die Wirtschaft und die Pläne der Kandidaten für sie tatsächlich die Wahl beeinflussen werden. Das letzte Mal, dass ein Präsidentschaftskandidat mehr als 54 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, war 1984 unter Ronald Reagan (im Wahlmännerkolleg fallen die Siegesmargen etwas größer aus). Die USA gingen durch wirtschaftliche Aufs und Abs, durch schwere Krisen und Blütephasen; und doch scheint eine nahezu “50-50”-USA die Regel zu bleiben.
In der Natur der US-Wahlen liegt allerdings auch, dass eine sehr kleine Zahl an Wählern entscheidend wirken kann. Nur eine Handvoll von “swing states” entscheidet die Wahl, und darin womöglich nur Zehntausende Stimmen. Wenn Kamala Harris sich inhaltlich auf Donald Trump zubewegt, um näher am “Medianwähler” zu sein, so hat das seine strategische Berechtigung. Andersherum ist Trumps Fokus auf die verfinsterte Stimmung in der Bevölkerung ebenfalls eine erfolgsversprechende Strategie. Ungeachtet der anderslautenden Meinungen der meisten Ökonomen vertrauen die Amerikaner dem Ex-Präsidenten in der Wirtschaft derzeit mehr als der Vizepräsidentin.
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