Arm: Der wichtigste Chipdesigner der Welt

Oder: Wie man den Chipmarkt dominiert, ohne je einen Chip herzustellen.

Was tut Arm? | Wo kommt es her? | Wo geht es hin?
(12 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Arm ist an die Börsen zurückgekehrt. Die Chipfirma wurde im Vorfeld hoch gehypt; Beobachter hoffen, dass sie die Schüchternheit bei Börsengängen beendet.
  • Es handelt sich um einen Chipdesigner, welcher quasi die Baupläne für Chips schreibt, sie aber nicht selbst herstellt.
  • Arms Designs zeichnen sich durch hohe Effizienz aus, womit sie sich in 99% aller Smartphones und vielen anderen Anwendungen finden.
  • Zudem gilt die Firma als “Schweiz der Chipbranche“, welche mit jedem Kunden zusammenarbeitet und völlig neutral agiert.
  • Entsprechend heikel war ein gescheiterter Übernahmeversuch durch Nvidia 2020.
  • Für Investoren ist Arm kein ganz klarer Fall: Die Aktie ist teuer, die finanziellen Kennzahlen durchmischt, der wichtige Smartphone-Markt schwächelt und (wie so oft) ist das China-Geschäft ein Risiko.
  • Die großen Fragezeichen in der Langfrist: Kann Arm vom KI-Boom profitieren und schafft es der Open-Source-Rivale RISC-V, sich als Alternative zu etablieren?

Was tut Arm?_

(4 Minuten Lesezeit)

Der am 14. September 2023 vollzogene Börsengang des britischen Chipdesigners Arm war mehrere Wochen lang eine der größten Nachrichten im Bereich Business. Kein Wunder: Mit 54,5 Milliarden USD Marktbewertung zum Einstieg wurde es der größte Börsengang in knapp zwei Jahren und der mit Abstand größte im laufenden, sehr mageren Jahr. Arm ist allerdings nicht nur ein recht großes Unternehmen, sondern nimmt in seiner Branche – und letztlich auch in der Welt – eine ganz einmalige Rolle ein.

Zuerst ein bisschen Perspektive. Arm ist keine der größten Firmen der Welt, weit entfernt davon. Nach einem fulminanten Börseneinstieg mit 25 Prozent Wertzuwachs und einem leichten, kaum überraschenden Abrutschen am Folgetag landete das Unternehmen bei 62 Milliarden USD Marktwert. Das reicht für ungefähr Platz 250 in der Liste der größten börsennotierten Firmen der Welt. Mit 5.700 Mitarbeitern ist Arm auch in Sachen Belegschaft in seiner “Marktwertliga” ein echtes Leichtgewicht. 

Nun ist der Marktwert allerdings längst nicht alles. Die Zahl ist einfach nur die Multiplikation von Aktienpreis und der Menge der herausgegebenen Aktien. Der Aktienpreis ist zwar durchaus eine Funktion der Stärke eines Unternehmens, doch bezieht auch schwierigere Information herein (z.B. Zukunftsaussichten, die Marketing-Finesse des CEO) und ignoriert wiederum andere. Ein Beispiel: VW schafft es ebenfalls gerade so in die obige Top-250, ist aber einer der größten Autohersteller der Welt, mit einem nennenswerten Anteil an der industriellen Wertschöpfung in Deutschland und globalen Lieferketten. Der Grund, warum Arm Beachtung verdient, ist die besondere Rolle der Firma in der Chipindustrie, welche ihrerseits einzigartige Relevanz für die Menschheit hat.

Gut zu wissen: Mehr zur Chipbranche? Im Explainer “Die Juwelen der Moderne” erklären wir Chips, die Struktur sowie Bedeutung der Branche und wer genau ASML ist; in “Der Kreislauf und die Geopolitik” erläutern wir einen wichtigen Branchenzyklus und gehen auf politische Implikationen ein. Du findest beide Links noch einmal am Ende dieses Explainers.

Designer, nicht Hersteller

Doch erst einmal Grundlegendes. Was tut Arm? Das Unternehmen entwickelt das Design von Mikroprozessoren auf Basis der eigenen ARM-Architektur (identisch zum Firmennamen) und vertreibt diese Chipdesigns dann an Lizenznehmer, welche die eigentlichen Halbleiter herstellen können. Arm selbst produziert also keine Chips, sondern verkauft lediglich intellektuelles Eigentum. Die eigentliche Herstellung ist Aufgabe sogenannter Foundries, darunter Technologieführer TSMC aus Taiwan, mit ihren Chipfabriken, Fabs genannt. Diese Foundries gehören zu Arms Kunden, aber nicht ausschließlich: Kunden wie Apple, Amazon, Nvidia oder Qualcomm kaufen die Arm-Designs und passen sie an, um ihren ganz eigenen Anforderungen zu entsprechen, bevor sie sie an eine Foundry zur Herstellung senden (besitzen also ihrerseits keine eigenen Fabs). Jene Chipfirmen, welche die Halbleiter nicht eigens herstellen, heißen Fabless, also grob übersetzt “ohne Fabriken”. Eine Sonderkategorie sind “Integrated Device Manufacturers” (IDMs) wie Intel. Sie erledigen alles von Design bis Herstellung selbst, was kostenintensiv und riskant, aber potenziell auch sehr margenstark ist.

“Designs” bedeutet dabei so viel wie der Bauplan, also etwa die Anordnung der verschiedenen Elemente eines Chips und wie dieser mit Software interagiert. Der Fachbegriff lautet “Instruction Set Architecture” (ISA), oder Befehlssatzarchitektur. ISAs lassen sich in CISC (complex instruction set computer) und RISC (reduced instruction set computer) unterscheiden. CISC-Prozessoren sind gut für komplexe, rechenintensive Aufgaben; RISC-Prozessoren für simplere Aufgaben (auch wenn die Unterschiede heutzutage etwas verschwimmen). Arms ISA fällt in die Kategorie RISC.

Geld verdient Arm an einmaligen Lizenzgebühren sowie mittels “Tantiemen”, also einer Art Erfolgsprämie an jedem verbauten Chip mit Arm-Design. Die einmalige Gebühr beträgt je nach Technologie schätzungsweise 10 bis 100 Millionen USD, die Gebühr pro verbautem Chip 1 bis 3,50 USD. Für die meisten Kunden ist das gut genug: Arm gilt als günstig und betreibt ein Massengeschäft, kein Premiumgeschäft.

ARM in jedem Smartphone

Das soll nicht bedeuten, dass ARM-Prozessoren Ramschware wären, im Gegenteil: Sie gelten heute für viele Nutzungsfälle als überlegen. Während die sogenannte x86-Architektur von Hauptrivalen Intel (CISC) eine besonders starke Performance liefert, allerdings bei hohem Verbrauch, bietet die ARM-Architektur (RISC) einen guten Kompromiss aus Performance und Effizienz. Die Größe und der Stromverbrauch sind niedriger, die Hitzegeneration ebenfalls; die Batterie hält länger und die Geschwindigkeit ist hoch. Die Leistung bleibt gut, auch wenn sie meistens nicht mit x86 mithält, doch das ist in vielen Anwendungsfällen gar nicht benötigt. Das Resultat ist, dass sich in knapp 99 Prozent aller Smartphones ARM-Prozessoren finden (einige Quellen schreiben von 95 Prozent). Auch Tablets, Wearables und viele Anwendungen des “Internet of Things” (Smart Home, digitalisierte Autos, etc.) stecken voller Arm-Technologie. Und selbst die Sache mit der Leistungsfähigkeit ist inzwischen gar nicht mehr so klar, wie der japanische Supercomputer Fugaku 2020 bewies. Er hatte zeitweise den Titel des leistungsstärksten Computers der Welt inne und lief mit ARM-Prozessoren. 

Gut zu wissen: Womöglich hast du es bereits bemerkt: Wenn wir von der Firma reden, schreiben wir “Arm”, wenn es um deren Prozessor geht, “ARM”.

Wo kommt Arm her?_ 

(4 Minuten Lesezeit)

Quelle: whathappened.io

Truthahnfarmen und Apple

Obwohl Arm erst seit einigen Jahren eine gewisse Bekanntschaft erlangt hat, existiert die Firma fast seit den Anfangstagen des “Personal Computings”. 1977 kamen die ersten kommerziell erfolgreichen Heimcomputer (PCs) auf den Markt. Einer der Player war die britische Firma Acorn Computers, welche 1981 den BBC Micro herausbrachte. Eine Gruppe von Ingenieuren bei Acorn arbeitete an der nächsten Generation des BBC, doch konnte keine passenden Mikroprozessoren finden. Also machten sie sich an die Arbeit, einfach ihren eigenen zu designen, obwohl sie keinerlei Erfahrung damit hatten.

Das Team hatte durchschlagenden Erfolg. Mit seinem ARM-Prozessor 1983 übersprang es eine ganze Prozessorengeneration und lieferte ein elegantes, leistungsfähiges und bemerkenswert energiesparendes Design. Der letzte Aspekt spielte damals noch eine geringere Rolle, doch das sollte sich ändern, als die Zeit der “hand-held” Geräte begann: PDAs, einfache Handys und später Smartphones sowie Tablets. Selbst Laptops könnten wir dazuzählen. Allesamt Geräte, deren Erfolg davon abhängt, wie lange sie ohne Steckdose funktionieren können und wie viel Leistung sich auf kleinen Raum konzentrieren lässt.

Acorn gründete seine neue Technologie mitsamt dem Entwicklerteam 1990 in eine eigene Firma aus: Arm (oder damals noch meist wie der Prozessor in Großbuchstaben, ARM). Ein Grund für die Ausgründung war niemand anderes als… Apple. Der Hardwarehersteller existierte bereits damals und verkaufte Heimcomputer, doch stieß in das brandneue Geschäft mit PDAs vor. Die ARM-Prozessoren waren optimal dafür, doch Acorn war ein direkter Konkurrent und Apple wollte sich nicht in Abhängigkeit begeben. Also handelte man einen Deal aus und ARM wurde zur eigenständigen Firma. Acorn steuerte zwölf Mitarbeiter bei, Apple das Kapital. Die Chipfirma VLSI war am Joint Venture beteiligt und brachte das Equipment ein. Das erste Büro war eine frühere Truthahnfarm nahe Cambridge.

Gut zu wissen: “ARM” stand ursprünglich für “Acorn RISC Machine”, wobei Acorn der Firmenname und RISC ein zuvor erwähnter Chip-Architekturtyp (ISA) ist. Apple wollte den Namen seines Rivalen nicht im Joint Venture sehen und deswegen wurde die Bedeutung des Akronyms zu “Advanced RISC Machine” geändert.

Der Motor der Smartphone-Ära

Der Anfang war holprig. Der Apple Newton, das erste Gerät mit ARM-Technologie, floppte. Apple verkaufte seinen 43-prozentigen Anteil am Joint Venture und übernahm mit dem Geld NeXT, womit es den ins Exil verbannten Ex-CEO Steve Jobs zurück an Bord brachte und seinen eigenen spektakulären Siegeszug anstieß. Für Arm wandte sich das Glück allerdings schnell, denn die Technologie passte einfach zu sehr in ihre Zeit. Als Nokia das Handy popularisierte, nutzte es ARM-Prozessoren. Steve Jobs brachte Apple zurück ins Arm-Lager und setzte die Chips für seine iPhones, iPods und iPads ein. 1998 ging Arm an die Börse.

Das Unternehmen war erfolgreich, doch der Öffentlichkeit lange Zeit kein Begriff. Es blieb im Schatten seines großen US-Rivalen Intel, dessen Konterfei auf fast jedem PC-Prozessor prangte. Allerdings verpasste Intel, Platzhirsch im PC-Markt, den Beginn der Smartphone-Ära, wohingegen Arm sie dominierte. Im Jahr 2002 hatte es seine erste Milliarde an produzierten Chips geknackt (von den Kunden produziert, wohlgemerkt). Bis 2013 waren es kumuliert 50 Milliarden; vier Jahre später bereits 100 Milliarden. Bis Februar 2023 stieg der Wert auf über 250 Milliarden, hatte sich also innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt (siehe Grafik oben). Nur zur Einordnung: Wären diese Chips mit einer Geschwindigkeit von einem pro Sekunde produziert worden, hätte der Schichtbeginn etwa im Jahr 5.900 v. Chr. liegen müssen. Arm und seine Kunden benötigten nur 30 Jahre. Stand September 2023 werden 1.000 Arm-Chips pro Sekunde verarbeitet.

Mit Arms wachsender Bedeutung geriet die Firma ins Visier anderer Unternehmen. Die japanische Beteiligungsgesellschaft Softbank kaufte Arm 2016 für 31,4 Milliarden USD auf und nahm es von der Börse. 2020 geriet Softbank allerdings in Finanzschwierigkeiten und äußerte ein Interesse, Arm zu verkaufen. Der größte Interessent war Nvidia, eine Chipfirma, welche es von einem exotischen Grafikkartenhersteller zum – Stand September 2023 – sechstwertvollsten Unternehmen der Welt geschafft hatte. Nvidia bot 40 Milliarden USD, um Arm aufzukaufen. Der Kaufpreis stieg im Verlaufe der Zeit auf 80 Milliarden USD, da Nvidias Aktienpreis zulegte.

Neutralität oder Nvidia?

Der Arm-Nvidia-Deal war heikel und brachte die Industrie in Aufruhr, denn Arm galt als “Schweiz der Chipbranche”. Der Spitzname (welchen die whathappened-Redaktion gerne jedes Mal erwähnte, wenn es im Briefing um das Unternehmen ging) bezieht sich darauf, dass Arm “neutral” agiert. Es verkauft seine Designs an jeden Interessenten und stellt sicher, dass sie von möglichst jeder Foundry hergestellt und jedem Software-Betriebssystem (Android, iOS, Windows, …) genutzt werden können. Keine Exklusivverträge, kein Early-Access, keine Inkompatibilitäten, möglichst wenig Preisdiskriminierung zwischen Kunden. Auch dadurch zählt es über 260 Firmen zu seinem Kundenkreis.

Wäre Arm Teil von Nvidia, schiene die Neutralität in Gefahr. Wie könnte die Nvidia-Tochter ihre Mutterfirma nicht bevorzugen? Gefährliche Konkurrenten der Mutter ein wenig schlechter behandeln? Nvidia, dank des Booms bei Künstlicher Intelligenz und Kryptomining ohnehin ein riesiger Chiphersteller mit Aufwärtsdynamik, hätte plötzlich einen der wichtigsten Player in der Wertschöpfungskette unter Kontrolle. Die gesamte Branche bekämpfte den Deal; mehrere Regulatoren in aller Welt waren skeptisch und blockierten. Als nach einem Jahr kaum Bewegung hineingekommen war, verstanden Nvidia und Arm die Zeichen der Zeit. Anfang 2022 brachen sie die Transaktion offiziell ab.

Ein Opfer des gescheiterten Deals war Arm-CEO Simon Segars, welcher sich der Fusion strategisch verschrieben hatte. Er gab sein Amt auf und wurde von Renee Haas ersetzt. Dieser rief einen anderen Kurs aus, nämlich in Richtung Börsengang.

Wo geht Arm hin?_ 

(4 Minuten Lesezeit)

Ziemlich risc-ant: Ein RISC-V-Prototyp. Quelle: Derrick Coetzee

Arm wird vorerst nirgendwo hin verschwinden. Zu wichtig ist das Unternehmen für alles, was mit mobilen, kleinen Computern zu tun hat – von Smartphones bis zu vielen Anwendungen des “Internet of Things”, von smarten Waschmaschinen bis hin zu vernetzten Straßenlampen. Die zwei Hauptkonkurrenten Intel und AMD versuchen zwar, in das Geschäft vorzudringen, doch bislang mit überschaubarem Erfolg. Arm versucht im Gegenzug, sich im Markt für PCs und leistungsintensivere Anwendungen zu etablieren. Der früher erwähnte Supercomputer Fugaku und Apples M1- sowie M2-Chips, welche auf ARM basieren, sind namhafte Erfolge.

Es gibt allerdings Risiken, wovon Arm in seinem Börsenprospekt brav eine ganze Reihe aufzählt. Da wäre die Abhängigkeit vom Smartphone-Markt, welcher alleine für 45 Prozent des Umsatzes verantwortlich ist. Er hat in den letzten Jahren merklich an Dynamik verloren und macht bislang keine Anzeichen, wieder zuzulegen. Damit könnte Arms ohnehin verhaltenes Umsatzwachstum in den kommenden Jahren noch weiter schwächeln. Es versucht sich im Gegenzug auf lukrative Wachstumsbranchen zu konzentrieren: Im Cloud-Computing, wo die Firma aktuell 10 Prozent Marktanteil hält, erhofft sie sich 17-prozentiges Wachstum pro Jahr bis 2025; im schnell digitalisierenden Automobilmarkt sind es 40 Prozent Anteil und 16 Prozent Wachstumsprognose. Weitere Risiken sind geopolitische Streitigkeiten oder ein Wegfall des chinesischen Markts, welcher im letzten Geschäftsjahr ein Viertel des Gesamtumsatzes ausmachte.

Gut zu wissen: Ein paar Worte zur Geopolitik: Arm verdient Geld dadurch, dass seine Designs gekauft, aber eben auch produziert werden, da dann die “Erfolgsprämie” fällig wird. Das macht es abhängig von anderen Unternehmen. Sollte TSMC, der wichtigste Hersteller (Foundry) der Welt in Probleme geraten – etwa, weil Heimatland Taiwan attackiert wird -, würde Arm das entsprechend direkt zu spüren bekommen.

Schweiz vs. Schweiz

Das schillerndste Risiko ist “RISC-V” (Risk-Fünf). Dabei handelt es sich um ein rivalisierendes Chipdesign, welches zudem auch noch Open Source ist – also völlig frei genutzt werden kann; ohne Lizenzgebühren. Die Arbeit daran begann 2010 an der University of California, Berkeley, doch zog über die Jahre 3.800 Unterstützer aus verschiedensten Stellen an. Inzwischen wird RISC-V von einer Non-Profit-Stiftung mit Sitz in der Schweiz geleitet – ein ungeplanter Seitenhieb in Richtung Arm als “Schweiz der Chipbranche”. 

Hinter RISC-V stehen inzwischen nicht nur idealistische Ingenieure, sondern auch große Konzerne. Ein Konsortium, welches die Entwicklung unterstützt, umschließt Google, Samsung, Qualcomm und Nvidia – ironischerweise viele jener Firmen, welche auch in Arm investiert sind. Um es ganz klar zu sagen: Noch ist RISC-V weit entfernt vom Niveau der Arm-Chips und für die meisten Kunden wird es auf Jahre keine Option sein, solange Arm so günstig bleibt, wie es ist. Arm selbst spricht in seiner Risikoeinschätzung von einem “zeitintensiven Prozess”, vor welchem RISC-V stünde, bevor es zum echten Konkurrenten aufsteigen könne. Unmöglich sei das aber nicht, wenn die Stiftung smarte Kooperationen eingehe. Zu dieser Gefahr dürfte übrigens Nvidias Übernahmeversuch beigetragen haben: Für viele Arm-Kunden war das ein Weckruf, dass es womöglich nicht weise war, sich vollends an Arm zu binden. Warum also nicht eine Alternative aufbauen, gerade, wenn diese Open Source wäre?

Gut zu wissen:  Das Anbandeln zwischen Nvidia und Arm hat auch anderen Beziehungen des Chipdesigners geschadet: Mit seinem Kunden Qualcomm zerstritt sich Arm inmitten des Übernahmeprozesses; 2022 folgte gar ein Rechtsstreit wegen mutmaßlicher Patentverletzung.

It’s the AI, stupid

RISC-V wird Arm auf absehbare Zeit nicht vom Thron stoßen und das China-Risiko wird das Unternehmen überstehen. Zur größten Frage dürfte nach Ansicht der whathappened-Redaktion geraten, wie gut sich Arm im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) positioniert. KI-Anwendungen erleben einen Boom, auch ganz unabhängig vom Hype um Generative AIs wie ChatGPT, und besitzen spannendes Potenzial. Arm hat zweierlei Wettbewerbsnachteil: Erstens, KI-Anwendungen sind noch nicht vollends auf dem Smartphone angekommen. Arm profitiert vom Boom bei KI also nur unterproportional, auch wenn sich das in einigen Jahren ändern könnte.

Zweitens, es kommt bei KI-Anwendungen eher auf spezialisierte Chips namens GPU an, als auf die “Allrounder”-CPU-Chips, welche das zentrale Gehirn eines Computers bilden. Arm ist jedoch auf CPU konzentriert, während Nvidia bei GPU die Nase vorne hat – entsprechend der rasante Aufstieg des US-Unternehmens mit 630 Prozent Aktienpreiszuwachs in den letzten fünf Jahren. Immerhin: Mit der fortschreitenden Kommerzialisierung von KI (ein besserer englischer Begriff: commoditization) dürfte diese immer öfter über CPUs laufen, abgerufen auf herkömmlichen Computern oder Smartphones. Dann wäre Arm wieder im Spiel, ohne unbedingt Nvidia bei GPUs den Rang ablaufen zu müssen.

Schafft Arm es, sich auch im Bereich KI als Instanz zu etablieren, wird es auf Jahre unantastbar sein. Andernfalls könnte eine langsame Verschiebung in der Branche stattfinden. Selbstverständlich weiß Arm um diese Aufgabe und CEO Haas hat KI zur zentralen Aufgabe ernannt.

Zurück an der Börse

Die Frage nach der KI ist die Mittel- und LangfristIn der Kurzfrist, also, ganz akut, stehen Investoren vor der kniffligen Frage, was vom wieder börsennotierten Arm zu halten ist. Ein Technologieführer an einer zentralen Position in der Chipbranche, strategisch und geopolitisch wichtig, mit einer kräftigen operativen Marge von 25 Prozent. Andersherum entspricht die aktuelle Marktbewertung allerdings auch dem 24-fachen des Umsatzes und dem 124-fachen des Profits, die Aktie ist also nach den allermeisten Maßstäben teuer (oder anders ausgedrückt: voller Hoffnung). Der Umsatz ist akut von der Smartphone-Schwäche bedroht und der jährliche Profit von rund 670 Millionen USD hat sich seit fast einem Jahrzehnt nicht erhöht, wenn man für Inflation korrigiert. Die Vorstöße in Cloud, Automobil und KI werden sich erst in einiger Zeit finanziell bemerkbar machen, insofern sie denn gelingen, und schlagen bis dahin nur als Investitionen auf den Profit.

Womöglich drehte sich die Begeisterung um Arms Rückkehr auf das Börsenparkett weniger darum, dass die Firma eine spektakuläre Gewinn- und Verlustrechnung aufweist, als um die Symbolik. Endlich wieder ein Superstar an der Börse, nachdem das Jahr bislang in Sachen Börsengänge sehr mager gelaufen war. Richtig, wegen allem, was du in den letzten Monaten über Leitzinsen und Wirtschaftsunsicherheit gelesen hattest. Und im Gegensatz zum kollektiven Wahnsinn der Jahre 2020 und 2021 ist Arm eine grundsolide Firma. Es hätte also schlechtere Kandidaten geben können, um die Börsen zu beleben. Für ein Chipunternehmen, welches keine Chips herstellt und seinen Anfang auf einer Truthahnfarm nahm, ist das keine üble Auszeichnung.

Weiterlesen: 

Chipindustrie: Die Juwelen der Moderne (Juli 2021)
Chipindustrie: Der Kreislauf und die Geopolitik (September 2022)

Scroll to Top