Beinahe willkommen im neuen Jahr. Wir haben für dich das Wichtigste aus 2024 parat. Heute: Wirtschaft und Business. Gestern war Politik an der Reihe.
Die Themen:
Jahr der Wachstumssorgen | Deutschland | USA | China | Russland | Argentinien | Firmenschicksale
(insgesamt 20 Minuten Lesezeit)
Das Jahr der Wachstumssorgen
(1 Minuten Lesezeit)
Die whathappened-Redaktion hatte 2022 als “Jahr der Polykrise” bezeichnet, immerhin galt es damals einen großen Krisenmix aus Covid-Folgen, Kriegseffekten und Energiemangel zu verwalten. Das war eine treffende Bezeichnung für fast die gesamte Welt. 2023 ernannte die Redaktion zum “Jahr der Leitzinsen”, da die Geldpolitik – rund um die Reaktion auf eine heftige Inflationskrise – plötzlich dominierte. Das traf auf die allermeisten Industriestaaten und eine Zahl wichtiger Schwellen- und Entwicklungsländer zu.
Was ist nun also das Jahr 2024? In erster Linie ein Jahr, welches sich schwieriger in einen Begriff drücken lässt. Die globale “Polykrise” ist zu Ende: Energiekrisen, Nahrungsmittelkrisen oder Nachfrageüberhänge existieren höchstens noch punktuell und geringfügiger als 2020-22. Die Leitzinsen spielten zwar auch 2024 eine Rolle, dominierten den Diskurs aber nicht mehr so sehr, da die Inflationsraten relativ zügig zurückgingen. Anstelle eines globalen (bzw. industriestaatlichen) Trends erlebten viele Länder eher individuelle Situationen.
Eine Gemeinsamkeit bleibt jedoch: Nach besagter “Polykrise” 2020-22 und dem Inflationsschock 2023 konnten sich viele Länder 2024 wieder auf das Wirtschaftswachstum besinnen – oder mussten feststellen, dass sie aufgrund der Schocks der Vorjahre nicht mehr so schnell wuchsen, wie sie es gern hätten.
Gut zu wissen: In der Ökonomie hat ein “Schock” keine besondere Wertung, sondern ist ein unvorhergesehenes Ereignis, welches von positiv oder negativ auf die Volkswirtschaft einwirkt. Ein Krieg oder eine Pandemie sind ein Schock, eine plötzliche Änderung im Konsumverhalten oder ein Technologiesprung aber ebenso.
Die Rückkehr der Inflation – whathappened, November 2021
Wie steht es um die Inflation? (November 2023)
Die Inflation ist vorüber (September 2024)
Deutschland als “kranker Mann”
(6 Minuten Lesezeit)
Deutschland hatte bereits 2023 kein erfolgreiches Wirtschaftsjahr, genauer nannte die whathappened-Redaktion es “vergessenswert”. Auch im Vergleich zur übrigen Eurozone und anderen Industriestaaten schnitt die Bundesrepublik 2023 schwach ab. Die Hoffnung war, dass 2024 Besserung bringen würde – doch so kam es erneut nicht. Etwa bis zur Jahreshälfte gab es die Erwartung einer Frühjahrsbelebung, gefolgt von einer Sommerbelebung. Schnell stellte sich Ernüchterung ein: 2024 dürfte die zweite Rezession in Folge geschehen sein.
Viele Schwachstellen
Die Schwäche der deutschen “Wirtschaft” bedeutet dabei einige unterschiedliche Dinge. Da wären die sinkenden Staatsumsätze, welche gepaart mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus November 2023 zu heftigen Verteilungskämpfen in der Politik führten. Das Gericht hatte es verboten, Ausgaben so freizügig wie bislang am Haupthaushalt und damit an der Schuldenbremse vorbei zu bugsieren. Das führte direkt zu vielen der intensivsten Streits in der Ampelkoalition 2024 und so wohl im Endeffekt auch zu ihrem Ende.
Die Gesundheit der Unternehmen fiel derweil. Das zeigen eine Reihe von Metriken: Die Firmeninsolvenzen stiegen auf den höchsten Wert seit 2015. Der Geschäftsklimaindex fiel praktisch über das gesamte zweite Halbjahr und das von einem ohnehin bereits niedrigen Niveau. Rekrutierungsindizes, die Industrieproduktion und Einkaufsmanagerindizes, welche andeuten, was Unternehmen für die nähere Zukunft erwarten, bewegten sich ebenso bergab. Firmeninvestitionen gingen kräftig zurück, wirtschaftsweit etwa um 2,3 Prozent im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Und die Haushalte? Sie haben den Inflationsschock noch nicht so recht verdaut. Die privaten Konsumausgaben entwickelten sich übers gesamte Jahr 2024 mager. Stattdessen sparten Haushalte, was immerhin die Zahl der Privatinsolvenzen etwas sinken ließ. Ein weiterer Aspekt ist der Arbeitsmarkt. Er blieb lange Zeit recht robust, auch durch die Covid-Krise hindurch, und ging aus 2022 mit 5,3 Prozent Arbeitslosenquote heraus. Seitdem hat der Arbeitsmarkt etwas nachgelassen und die Arbeitslosenquote ist auf 5,9 Prozent geklettert. Im historischen Vergleich ist das noch immer einer der niedrigsten Werte seit den 1980ern, aber (ignoriert man die Covid-Krise) so hoch wie zuletzt Mitte 2016. Das deckt sich auch mit Anekdoten: Erst mehrten sich bei Startups und Techfirmen die Entlassungen; dann schienen sie auch bei prominenten Industriekonzernen häufiger aufzutreten.
Die beste Metrik, um all diese Dynamiken simpel zu erfassen, ist das BIP-Wachstum. 2024 steht Deutschland schätzungsweise ein Rückgang des BIP von 0,1 oder 0,2 Prozent bevor. Das folgt auf einen 0,3-Prozent-Rückgang 2023. Die deutsche Wirtschaft schrumpft also, obwohl eine gestiegene Einwohnerzahl und Anforderungen wie die Energie- und Sicherheitswenden ein Wachstum umso wichtiger machen würden.
Konjunkturschwäche und Strukturprobleme
Was sind die Gründe für das schlechte Abschneiden? Fundamental hat sich wenig an den Gründen aus 2023 verändert. Zum einen sind es konjunkturelle Faktoren, die aus den Krisen 2020-23 hervorgingen: Weniger Konsum bedeutet weniger Firmenumsätze, was die Investitionen und das Steueraufkommen drückt. Zahlen Firmen nun weniger Gehalt – oder sorgen sich Haushalte zumindest darüber, dass das inmitten von Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft geschehen könnte – konsumieren sie noch weniger. Hohe Leitzinsen bedeuteten derweil hohe Finanzierungskosten, was Investitionen und Konsum drückt.
Zum anderen spürt Deutschland seine Strukturprobleme so stark wie seit langem nicht mehr. Ließen sie sich in 15 Jahren kräftiger Wachstumsphase noch gut ignorieren oder kompensieren, so kommen sie inmitten eines Wirtschaftsabschwungs stark zum Tragen. Die hohen Bürokratie- und Steuerbelastungen drücken den Manövrierraum und die finanzielle Gesundheit von Unternehmen und Haushalten; hohe Energiepreise tragen ebenfalls bei. Der Fachkräftemangel als Facette des demografischen Wandels erhöht die Arbeitskosten der Firmen und limitiert das Produktionspotenzial. Auch Mängel in der digitalen und physischen Infrastruktur stellen Standortprobleme da, die Firmen vertreiben und nicht mit einem Umschwingen der Konjunkturstimmung gelöst sein werden.
Deutschlands Strukturkrise: Die Strom-Frage (August 2023)
Deutschlands Strukturkrise: Kein Entkommen vor der Bürokratie (August 2023)
Deutschlands Strukturkrise: Wo sind die Arbeiter? (August 2023)
Ein neuer Anlauf: 2025
Damit richtet sich der Blick in Deutschland auf das Jahr 2025. Besserung ist ziemlich aussichtsreich: Die Krisen der Vorjahre werden noch etwas stärker verwunden sein; viele der Firmen, die auf dem Weg zur Insolvenz waren, sind nicht mehr. Im gesamten Jahr 2024 stiegen die Reallöhne, was sich 2025 erst einmal fortsetzen dürfte – Rezession hin oder her, Firmen können es sich vielerorts nicht leisten, rare Arbeitskräfte aufzugeben. Höhere Kaufkraft dürfte sich in weniger Konsumzurückhaltung übersetzen. Das lässt die Umsätze und damit die Stimmung der Firmen steigen. Die Konjunktur schwingt um.
Ein Faktor darin dürfte der bevorstehende Politikwandel sein. Aus der Wahl vom 23. Februar 2025 wird eine neue Regierung hervorgehen, welche vermutlich Union-geführt ist. Politische Instabilität wirkt sich nachweislich negativ auf die Wirtschaftsaktivität aus, da Firmen beispielsweise Investitionen verschieben bzw. ins Ausland ableiten und Haushalte größere Anschaffungen pausieren. Die Streits in der Ampelregierung, welche für Unklarheit über die politische Zukunft und konkrete legislative Vorhaben sorgten, dürften damit einen messbaren Negativeffekt auf das Wachstum gehabt haben.
Eine neue Regierung würde ohne diese Altlast starten. Zudem wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Konjunkturstrategie als eines der ersten großen Projekte auf den Weg bringen. Die CDU verspricht etwa einen wilden Mix aus Steuersenkungen, Arbeitsanreizen und Investitionen, welcher die Konjunktur durchaus anschieben könnte. Ein weiteres Schrumpfungsjahr in Deutschland würde die whathappened-Redaktion überraschen. Ein wachstumspolitischer Befreiungsakt wäre allerdings genauso unerwartet.
Die Schuldenbremse
Die großen Pläne der Politik sind ein ordentlicher Übergang zu einem anderen Thema: Der Frage nach den Staatsfinanzen. Wie die Union – oder irgendeine der Parteien, welche bislang Pläne vorgestellt haben – ihre Entlastungspläne finanzieren wollen, ist unklar. Insbesondere ohne eine Reform der Schuldenbremse wird das schwierig. In Anbetracht der heftigen Verteilungskämpfe in der Ampel stand die Schuldenbremse 2024 regelmäßig auf dem Prüfstand. Vor allem Grüne und SPD forderten ihre Reform (oder, seltener, Abschaffung). Damit haben sie immerhin fast die Hälfte der Ökonomen auf ihrer Seite sowie eine große Minderheit der Bevölkerung.
Die Schuldenbremse zu lockern dürfte für jede künftige Regierung attraktiv sein. Für die Union zum einen als politisches Bauernopfer, um von SPD oder Grünen anderswo Konzessionen herauszulocken. Zum anderen allerdings auch, weil die Bremse den fiskalischen Spielraum fraglos bedeutend einschränkt. Unser Explainer zur Schuldenbremse erklärte, wie sie funktioniert, was die Argumente für eine Lockerung sind, was die Argumente dagegen sind und wie Ökonomen auf den Diskurs blicken.
Was es mit der Schuldenbremse auf sich hat (November 2024)
Industriepolitik weiter wagen?
Ein anderes Thema, wo 2025 eine Trendwende einsetzen könnte, ist die Industriepolitik. Diese klingt für Laien nach einem generischen Wirtschaftsbegriff, bezeichnet aber relativ konkret, wenn der Staat auf bestimmte Branchen einwirkt (und keineswegs nur die “Industrie”), um die Struktur der Wirtschaft zu verändern. Sei es durch Subventionen, durch Direktinvestitionen oder durch günstige bzw. nachteilige Regularien. Alles, womit der Staat versucht, dirigierend einzugreifen, um eine Industrie zu stärken oder zu schwächen, ist Industriepolitik. Vor allem Grüne und SPD sind Unterstützer einer aktiven Industriepolitik. Sie wünschen sich ganz grundlegend eine aktivere Rolle des Staates in der Wirtschaft und befürchten, dass Marktdynamiken nicht ausreichend sind, um potenzialreiche oder sozial wünschenswerte Industriezweige hinreichend zu erkennen und zu fördern.
Aus diesem Grund betrieb die Ampel 2023 und 2024 eine recht aktive Industriepolitik. Laut Schätzung der Bundesregierung ist das Subventionsvolumen zwischen 2021 und 2024 von 37,9 auf 67,1 Milliarden EUR gestiegen (+77 Prozent). Eine Reihe prominenter Subventionsprojekte fiel in die letzten zwei Jahre: Die Bundesrepublik versprach den Chipherstellern TSMC. Wolfspeed und Intel milliardenschwere Förderungen, um ihre Ansiedlung zu erreichen, doch Intel und Wolfspeed pausierten ihre Projekte. Der schwedische Batterienhersteller Northvolt, in welchen der Bund über 300 Millionen EUR gesteckt hatte, musste in den USA Gläubigerschutz beantragen. Und der Solarkonzern Meyer Burger, welcher vom Staat Exportgarantien erhalten sollte, ist in die USA abgewandert.
Die Episoden zeigen, wie schwierig es für den Staat sein kann, “Gewinner” auszuwählen und “Verlierer” zu vermeiden. Gepaart mit einer konservativeren Regierung und der erschwerten Finanzlage macht die Erfahrung es wahrscheinlich, dass 2025 deutlich weniger Industriepolitik betrieben wird. Abhängig davon, wie Beobachter zu der Rolle des Staates in der Wirtschaft stehen, werden sie das als erfreulich oder bedauernswert bewerten.
Weitere Explainer zu Deutschlands Wirtschaft
Das Ende der Atomenergie (2023)
Deutschland wagt die Wärmewende (2023)
Die Lage mit LNG in Deutschland und Europa (2022)
Die kritische Infrastruktur in Deutschland und Europa (2022)
DIE USA
(3 Minuten Lesezeit)
On top of the world
Wurde den USA 2023 ständig eine Rezession hinterhergesagt, welche partout nicht auftreten wollte, so akzeptierten 2024 immer mehr Beobachter, dass es dem Land wirtschaftlich gut geht. “Beobachter” umfasst dabei nicht so recht die Bevölkerung, bei welcher der Inflationsschock nicht unähnlich zu Deutschland tief saß. Noch im Mai publizierten wir eine Grafik (siehe weiter unten), welche zeigte, wie spektakulär die US-Amerikaner ihre Wirtschaft missverstanden. Der Arbeitsmarkt war allerdings das gesamte Jahr über stark und das Reallohnwachstum sowie BIP-Wachstum ebenso.
Konkret dürfte das BIP-Wachstum 2024 rund 2,7 Prozent betragen. Die whathappened-Redaktion ermüdet nicht, zu betonen, dass die USA von der höchsten BIP-Basis der Welt starten und trotzdem eine der kräftigsten Wachstumsraten aller Industriestaaten vorlegen. Verbraucher sind nicht so verschreckt, wie die (sozialen) Medien es wirken lassen können; Unternehmen sind ungeachtet aller Entlassungswellen bei Techkonzernen investitionsfreudig; und der Staat gibt aus, ohne die Wirtschaft zu dominieren.
Wie sich die Wirtschaftsstärke der USA erklären lässt, ist eine lange Diskussion. Der Vergleich zu den Strukturproblemen Deutschlands mag aber nützlich sein: Die Steuern in den USA sind niedriger (die Sozialnetze und staatlichen Dienstleistungen somit ebenfalls) und der Arbeitskraftmangel dank einer kräftigen Zuwanderung milder. Die digitale Infrastruktur ist ausgebauter und Wagniskapital deutlich verfügbarer. Und die Energiepreise sind niedriger, vor allem dank massiver Investitionen ins Fracking, welche das Land seit knapp 10 Jahren vom Energieimporteur zum Exporteur gemacht haben. All das trägt dazu bei, dass die USA seit etwa 15 Jahren Europa in Sachen Wohlstand hinter sich lassen.
Die Glaskugel hilft nicht weiter
Spannend ist der Vorausblick auf 2025. Die whathappened-Redaktion vermutet, dass die Trump-Regierung stark davon profitieren wird, dass die US-Bevölkerung die gute Wirtschaftslage allmählich erkennt. Eine große “Wildcard” ist allerdings, wie die Trumpsche Wirtschaftspolitik aussehen wird.
Eine transaktionalere, geradezu offensive Handelspolitik zeichnet sich ab; mit massiven Strafzöllen oder zumindest der strategischen Androhung dieser. Angekündigte Steuersenkungen in den USA werden das Staatsdefizit bedeutend vergrößern und haben das Potenzial, die Wirtschaft zu überhitzen (wobei Strafzölle andersherum abkühlend wirken würden). Sowohl Zölle als auch Steuerpläne dürften inflationär wirken; zugleich schafft beides in erster Instanz Aufwärtsdruck auf den US-Dollar, was wiederum Exporteure nachteilig trifft und dem Wachstum schadet.
Falls das nach viel von allem und wenig Konkretem klingt, so ist das nicht ganz falsch: Die Trumpsche Wirtschaftspolitik ist, so wie sie angekündigt worden ist, radikal und etwas erratisch und könnte allerlei Auswirkungen haben. Es wird in hohem Maße darauf ankommen, was von den Ankündigungen tatsächlich kommt, in welcher Form es kommt und welche Effekte letzten Endes überwiegen. Das erschwert auch die Arbeit der Notenbank Fed: Unter ihrem Präsidenten Jerome Powell senkte sie 2024 die Leitzinsen kräftig, muss sich nun aber auf möglichen Inflationsdruck im kommenden Jahr einstellen. Bereits in ihrer jüngsten Zinssenkung im Dezember drückte die Fed viel Vorsicht über die Zukunft aus.
Ein wahrscheinliches Opfer der neuen Trumpschen Wirtschaftspolitik dürften die Transformationsbemühungen der Biden-Regierung sein. In bester industriepolitischer Manier manövrierte sie mittels dem Inflation Reduction Act und dem CHIPS Act Hunderte Milliarden USD in die Chipfertigung, in grüne Technologien und in andere Hochtechnologiebranchen. Obwohl ironischerweise republikanische Bundesstaaten am stärksten profitieren, hat Trump einen sofortigen Stopp angekündigt – vermutlich eher aus “kulturkriegerischen” als aus wirtschaftlichen Motiven. Druck durch die neuen Industrien und die Bundesstaaten, die von ihnen profitieren, könnte ihn davon abhalten. Doch Batteriehersteller, E-Auto-Produzenten oder Halbleiterfirmen blicken mit wenig Vorfreude auf 2025.
Explainer zur US-Wirtschaft
Worum es in der US-Wahl geht: Migration (Oktober 2024)
Worum es in der US-Wahl geht: Die Wirtschaft (Oktober 2024)
Ein Hauch von Finanzkrise (März 2023)
Der Inflation Reduction Act und sein transatlantischer Streit (Februar 2023)
Der sinnlose, sinnlose Schuldenstreit in den USA (2022)
China
(1 Minute Lesezeit)
Für China war 2024 ein ähnlich schwaches Jahr wie 2023. Firmen taten sich schwer, weswegen auch das Preiswachstum so niedrig war, dass es regelmäßig an der Deflation kratzte. Die Arbeitslosigkeit stieg. Die Zahl der Fabrikproteste stieg ebenso. Eine ungewöhnliche Verbrechenswelle sorgt für viel Aufsehen im Land und lässt sich wohl mit den stagnierenden Lebensstandards erklären. Lokalregierungen ächzen unter hoher Schuldenlast und kommen deswegen ihren Gehaltszahlungen nicht mehr immer nach, wie auch immer mehr finanziell überforderte Firmen. In hochsubventionierten Branchen wie dem Autobau oder der Solarzellenproduktion begaben sich Hersteller in ruinöse Konkurrenzkämpfe (welche auch das Ausland in Mitleidenschaft zogen).
Die Regierung lenkte im Herbst ein und erließ erste Konjunkturmaßnahmen, zum Beispiel Direktzahlungen an Arme und leichtere Kreditbedingungen. Beobachter hatten teilweise bereits seit Ende 2022 danach gerufen, doch der Eindruck verfestigte sich, dass Präsident Xi Jinping die Konjunkturschwäche geradezu bewusst hinnahm: Womöglich wollte er die Struktur der chinesischen Volkswirtschaft durch eine tolerierte Krise abändern, weg vom Konsum und hin zu mehr (staatsgeleiteten) Firmeninvestitionen. Dass hatte allerdings immer das Risiko inne, dass die Schwächephase zu sehr an der wirtschaftlichen Substanz des Landes gräbt – und womöglich sogar an der sozialen Stabilität.
Auch nach Bekanntgabe der Konjunkturmaßnahmen gelang noch keine Trendwende. Wie schon im Rest des Jahres wechselten sich positive und negative Meldungen ab; insgesamt bleibt die Situation in China verhalten. Durch seine schiere Größe leistet es zwar weiterhin einen hohen Beitrag zum globalen Wachstum (sowohl rechnerisch als auch durch seinen Außenhandel), aber ein “Wachstumsmotor” ist es nicht. 2025 wird entweder ein Jahr, in welchem China wieder schneller wächst oder weiter vor sich hindümpelt – und dann zeigen muss wie das chinesische Gesellschaftsmodell ohne Turbowachstum funktionieren kann.
Russland
(2 Minuten Lesezeit)
Nicht alles Gold, was glänzt
Die whathappened-Redaktion eröffnete 2024 mit einem Explainer darüber, wie die russische Wirtschaft missverstanden wurde. Solide Wachstumszahlen, die niedrigste Arbeitslosigkeit aller Zeiten und ein hohes Reallohnwachstum deuteten auf eine starke, sanktionsresistente Wirtschaft hin. In Wahrheit war die russische Wirtschaft rabiat überhitzt, angetrieben durch massive Staatsausgaben in den militärisch-industriellen Komplex, und kämpfte mit schwerwiegenden Schwachstellen. Im Jahresverlauf haben sich die Probleme und Risiken noch weiter verschärft.
Das Kernproblem ist und bleibt, dass Russland mit beschränkten Ressourcen eine Kriegswirtschaft neben seiner zivilen Wirtschaft aufrecht erhalten muss. Die Ressourcen sind dabei noch beschränkter als gewöhnlich, denn westliche Sanktionen erhöhen bei aller Umgehbarkeit die Kosten und senken die Kapitalverfügbarkeit; eine Fluchtbewegung sowie die Mobilisierung Hunderttausender Russen entziehen der Wirtschaft parallel Arbeitskräfte (in diesem Sinne ist die rekordniedrige Arbeitslosigkeit keine Überraschung).
Der Arbeitskraftmangel und der kriegsbedingte Nachfrageüberhang der russischen Wirtschaft wirken massiv inflationär. Die russische Inflationsrate lag deswegen zuletzt bei 8,9 Prozent und das wohlgemerkt nach rasanten Steigerungen des Preisniveaus direkt nach Kriegsausbruch. Dazu kommt, dass die Zentralbank der hohen Inflation mit sehr hohen Leitzinsen entgegenwirkt, welche die Wirtschaft abwürgen – umso gefährlicher, dass die Inflationsrate trotzdem nicht nennenswert gesunken ist. Die Leitzinsen erhöhen jedoch die Finanzierungskosten der Firmen, welche bereits mit hohen Arbeitskosten – eine Folge des Reallohnwachstums – kämpfen. Und als wäre das nicht genug, ist unklar, wie viel Geld noch im Nationalvermögensfonds (NWF) enthalten ist, welchen die russische Regierung als Notgroschen immer häufiger einsetzen musste.
Russlands Wirtschaft steht damit unter immensem Druck. Das gilt vor allem für die zivile Seite der Wirtschaft, welche an den militärisch-industriellen Komplex Arbeitskraft und Kapital verloren hat. Gestützt von einer starken Staatsnachfrage und viel politischem Rückhalt dürften Waffenfirmen und Zulieferer die fragile makroökonomische Lage länger aushalten als die zivile Wirtschaft. Zur zentralen Frage gerät damit, ob Russland den Ukrainekrieg 2025 pausiert bekommt. Das würde viel Druck herausnehmen. Andernfalls könnte 2025 das Jahr werden, in welchem die Schmerzen in der russischen Wirtschaft nicht mehr zu verkennen sind.
Russlands Wirtschaft geht es nicht gut (Februar 2024)
Argentinien
(1,5 Minuten Lesezeit)
Radikalkur
In Argentinien findet derzeit ein großes Experiment statt. Präsident Javier Milei versucht mit einer Kur aus Ultraliberalismus, Jahrzehnte an meist peronistischer Misswirtschaft zu beheben. Der fragliche “Ultraliberalismus” besteht dabei bislang aus einer relativ klassischen, aber radikal umgesetzten Austeritätspolitik: Milei spart massiv, stutzt den Staatsapparat zusammen und flankiert das alles mit einer relativ cleveren, wenn auch riskanten Geldpolitik.
Unser jüngster Explainer zur Lage Argentiniens und Mileis Abschneiden bietet einen guten Einblick in die vergangenen 12 Monate. In aller Kürze: Milei führte durchaus bewusst eine tiefe Rezession und hohe Inflation herbei, doch konnte bereits bis zur Jahresmitte einige Resultate und bis zum vierten Quartal dann ernsthafte Erfolge vorweisen: Argentinien hat die Rezession bereits jetzt verlassen, die Inflation hat sich spürbar normalisiert und das Land schafft sogar wieder Haushaltsüberschüsse, stabilisiert also seine Staatsfinanzen.
Erkauft hat Milei das mit besagter “Schmerzensphase”, welche zudem die Armutsrate in Argentinien hat hochschießen lassen. Vor allem ärmere Argentinier leiden unter Mileis Politik, was allein deswegen schon nicht überraschen darf, als sie besonders von den nun zurechtgestutzten staatlichen Leistungen abhingen. Auch bestimmte Gruppen wie Studenten leiden, da das Bildungsbudgets inflationsbereinigt stark verringert worden ist. Ungeachtet dessen bleibt der Präsident auffällig beliebt und der politische Protest für argentinische Verhältnisse verhalten – ein Beweis für die tiefe Unzufriedenheit mit bisherigen Lösungsansätzen und wohl auch ein Anerkenntnis für die Erfolge der letzten Monate.
Ein neues Argentinien?
2025 wird für Milei eine Gelegenheit, den Erfolg seiner Politik final zu beweisen. Bestätigt sich die sich andeutende Stabilisierung der argentinischen Wirtschaft, könnte Milei zu exotischeren Projekten ansetzen: Etwa der lautstark verkündeten Schließung der argentinischen Zentralbank oder der Dollarisierung der Wirtschaft. Und der Präsident dürfte versuchen, noch mehr von seinem Strukturreformprogramm durch den Kongress zu bekommen, um seine Vision fürs Land auch langfristig zu verankern. Entscheidend werden dafür die Parlamentswahlen im Oktober – und entscheidend für diese wird, wie Mileis Performance in den kommenden Monaten aussieht.
Explainer zu Argentinien
Argentiniens erstes Jahr unter Milei (Dezember 2024)
Argentinien unter Milei (Mai 2024)
Argentinien wagt das Ungewisse (2023, zweiter Explainer)
Ein kurzer Rückblick auf mehrere Firmenschicksale
(4 Minuten Lesezeit)
Deutsche Dramen
VW schockierte im Spätsommer 2024 mit einem Paukenschlag: Werke müssten geschlossen und Zehntausende Mitarbeiter entlassen werden. Kaum ein anderes Unternehmen steht derart symbolisch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Entsprechend sorgte die Meldung für große Wellen und versetzte die Politik in Aufregung. Auf monatelange mediale Schlagabtäusche und wochenlange Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Geschäftsführung folgte ein Kompromiss: VW würde vorerst keine Werke schließen und nur sozialverträglich Stellen abbauen, doch dafür gäbe es auch keine Gehaltserhöhungen und weniger Boni.
Die Krise bei VW (September 2024)
Auch Thyssenkrupp fand sich mehrfach in den Schlagzeilen: Ein Konflikt zwischen dem Konzern und seiner Stahlsparte führte im August zum Rücktritt weiter Teile der Stahlsparten-Führung. Der Vorgang lässt sich als Sieg der Konzernführung im internen Machtkampf lesen. Ungelöst bleibt jedoch die Frage, wie Thyssenkrupp nun mit seiner defizitären Stahlsparte verfahren soll.
Bei der Commerzbank lief es 2024 eigentlich nicht sonderlich schlecht, sondern vielleicht im Gegenteil zu gut: Sie geriet ins Fadenkreuz der italienischen Unicredit. Diese griff 2024 sowohl nach der Commerzbank als auch nach einem heimischen Rivalen und versetzte damit (einmal erneut) die deutsche Politik sowie die italienische in Aufregung. Die Bundesregierung machte keinen Hehl daraus, von dem feindlichen Übernahmeversuch gar nichts zu halten – was einige Beobachter irritierte, da sie sich zeitgleich auf europäischer Ebene für mehr Bankenkonsolidierung aussprach. Nur eben nicht mit den eigenen Banken in der Juniorrolle.
Wird die Commerzbank gekauft? (Oktober 2024)
Boeing am Boden
Ein annus horribilis für Boeing. Die Firma ging mit einem schweren Reputationsschaden ins Jahr, nachdem das 737-MAX-Modell in mehrere Unfälle und Vorfälle verwickelt war. “If it’s Boeing, I ain’t going” wurde auf einmal zu einem viralen Spruch; das Original eigentlich ein Lobesspruch auf die Zuverlässigkeit des Flugzeugbauers.
Der Reputationsschaden übersetzte sich gepaart mit Strafmaßnahmen durch die Regulationsbehörde FAA in milliardenschwere Kosten für Boeing. Vollständig verschlimmert wurde das Jahr dann durch einen heftigen Streik, welcher die Produktion wochenlang lahmlegte. Am Ende setzten die Streikenden fast 40 Prozent Lohnplus durch.
Als wäre das nicht genug, stürzte am 29. Dezember ein Passagierflugzeug in Südkorea ab; 179 Menschen starben. Es gibt bislang keine Anzeichen, dass technische Fehler bei der Boeing 737-800 dazu geführt hätten. Doch für den Konzern ist es ein symbolisch furchtbarer Abschluss für das vielleicht schwerste Jahr der Firmengeschichte. 2025 kann nur besser werden.
Was ist los bei Boeing? (März 2024)
Das Gewichtsverlustwunder
Zwei Pharmakonzerne haben 2024 eine völlig neue Industrie aus der Taufe gehoben: Novo Nordisk aus Dänemark und Eli Lilly aus den USA gingen mit wirksamen Gewichtsverlustmitteln an den Markt. Die Nachfrage war dermaßen gewaltig, dass beide Firmen bis heute nicht mit der Produktion hinterherkommen und damit weiteren Rivalen Hoffnung machen, in den Markt vordrängen zu können.
Die Mittel Wegovy und Zepbound basieren auf den Wirkstoffen Semaglutid und Tirzepatid. Ihre Wirksamkeit für Gewichtsverlust ist hinreichend bewiesen, auch wenn es noch mehr über die Langfrist zu lernen gilt. Skurriler war allerdings, dass die Mittel scheinbar alle paar Wochen mit neuen Wohltaten auffielen: Sie schienen gegen Herzerkrankungen zu wirken, gegen Schlafapnoe, womöglich sogar gegen Alzheimer. Ein wahrer “Goldrausch” schien auszubrechen; vieles davon mit ernstzunehmenden Studien untermauert. Für Herzerkrankungen und Schlafapnoe hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA die Mittel teilweise sogar schon zugelassen.
Die Wissenschaft dahinter dürfte 2025 einen kräftigen Schritt voraus machen. Der Markt rund um die Gewichtsverlustmittel ebenso: Novo Nordisk und Eli Lilly dürften alles daran setzen, ihre Kapazitäten hochzuschrauben; während eine kleine Zahl neuer Hersteller endlich in den Markt gelangen dürfte.
Novo Nordisk und das Ende der Adipositas (Mai 2024)
Das (nächste) Jahr der KI
Auch 2024 stand unter dem Stern der Künstlichen Intelligenz, insbesondere großer Sprachmodelle (LLMs). Firmen wie OpenAI, Anthropic, Mistral AI und xAI schlossen teils abstrus große Finanzierungsrunden ab. Gemeinsam mit großen Konzernen wie Microsoft, Alphabet und Meta investierten sie Milliarden in die Entwicklung neuer KI-Modelle und dazugehöriger Anwendungen. Darunter waren verbesserte Iterationen bekannter Anwendungen wie ChatGPT, doch auch völlig Neues wie das OpenAI-Videotool Sora oder Googles Notizentool NotebookLM, welches mysteriöserweise auch eine beeindruckende Podcasting-Funktion besitzt.
Ein besonderes Augenmerk lag auf Apple, welches zu Beginn des LLM-Hypes auffällig hinterherhing. Insbesondere in der ersten Jahreshälfte achteten Beobachter darauf, wie der Konzern umzusteuern versuchte. Das KI-Ökosystem Apple Intelligence war die Antwort – doch mit Leben gefüllt wird es erst im neuen Jahr.
Apple am entscheidenden Moment (April 2024)
Was 2025 ansonsten bringt, ist schwierig vorherzusagen. Dafür ist das Entwicklungstempo in der KI einfach zu hoch. Vermutlich sehen wir neue Startups, etwa vom ehemaligen OpenAI-Chefforscher Ilya Sutskever, welcher “Safe Superintelligence” zwar bereits gegründet, aber noch kein Produkt vorgestellt hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erleben wir reichlich neue Versionen bekannter Produkte sowie einige neue Produkte. Sogenannte “KI-Agenten” erleben im Linkedin-Kosmos derzeit ihren Moment, bedeuten im Kern aber erst einmal nur, große KI-Modelle auf spezifischere Anwendungen anzusetzen und mit mehr Autonomie auszustatten, beispielsweise, um Mitarbeitern beim Umgang mit firmeninternen Datenbanken zu helfen.
Und zu guter Letzt können wir nicht ausschließen, dass 2025 das Jahr wird, in welchem der Hype ein wenig abkühlt. Um einen Spruch von weiter oben zu verwenden: Nicht alles, was heute zu glänzen scheint, ist tatsächlich Gold (und nicht einmal alles, was sich KI bezeichnet, ist wirklich KI). In anderen Worten: Viel Wagniskapital läuft derzeit in Sackgassen; wir wissen nur noch nicht, welcher Teil. Für das Feld der Künstlichen Intelligenz wäre aber auch eine solche Abkühlung keine fundamentale Gefahr: Es hat seit den 1960ern bereits zwei “KI-Winter” durchlebt, nach welchen nicht klar war, ob die Forschungsrichtung überhaupt irgendeine Perspektive besitzt. Diese Frage stellt sich heute niemand mehr ernsthaft.