Ein Explainer inspiriert von der neuen Handelspolitik der USA
06.04.2025
Was sind Handelsdefizite? | Balance of Payments | Die USA und das Defizit
(14 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Die Handelsbilanz zeigt den Saldo aus Exporten und Importen. Ein Handelsdefizit, also ein Importüberschuss, ist weder per se schlecht noch gut.
- Es steht erst einmal nur dafür, dass das Land mehr konsumieren will, als es selbst produzieren kann.
- Kritiker, was vornehmlich die amerikanischen Trumpisten meint, verwechseln die Funktionsweise einer Volkswirtschaft mit jener einer Firma oder eines Haushalts.
- Auch die Vorstellung, dass ein Handelsdefizit einen Verlust an Produktion und Arbeitsplätzen bedeute, ist überwiegend falsch – auch wenn das sektoral zutreffen kann.
- Ernsthaftere Kritik an Handelsdefiziten kann sein, dass sie mit höheren Schulden einhergehen und mit einem übermäßigen Kapitalzufluss, welcher Vorteile und Nachteile bringt.
- Geht es aus irgendeinem Grund darum, allgemeine Handelsdefizite zu verringern, sind Zölle kein guter Weg dafür: Sie schaden auch den eigenen Exporten und beheben nicht die Grundursachen des Defizits.
- Diese Grundursachen sind vor allem das Konsum- und Sparverhalten im Land, aber auch, wie beliebt Investitionen darin für das Ausland sind und wie sich die Währung entwickelt.
Was sind Handelsdefizite?_
(4 Minuten Lesezeit)
Freihandel, no more
Die Aufkündigung von Jahrzehnten an relativem Freihandel durch die USA zieht eine Reihe von intuitiv scheinenden, letztlich aber doch komplexeren Konzepten in den Fokus. Im vergangenen Explainer erklärte die whathappened-Redaktion Zölle: Ein Mittel, das bereits seit der Antike als “Zugangsticket” für Märkte, Häfen und Straßen verwendet wird, doch in seinen Implikationen bis heute oft falsch verstanden wird.
Explainer: Wie Zölle funktionieren (und wieso sie es meist nicht tun) (Link auch am Ende)
Die Redaktion diskutierte im selben Explainer außerdem die theoretische Validität und die praktische Bilanz einer freihandelsbasierten Entwicklungspolitik (EOI) und einer protektionismusbasierten Politik (ISI). “Entwicklungspolitik” bezieht sich hierbei auf den Wunsch eines Landes, seinen Wohlstand zu steigern – nicht im Sinne von “Konjunktur” in der Kurzfrist, sondern nachhaltig und in der Langfrist, über mehrere Jahrzehnte. Die USA unter Donald Trump wählen den Protektionismus; eine für die Gesamtwirtschaft riskante und vermutlich falsche Wahl, wie wir im Zoll-Explainer erklärten.
Kritik am Freihandel ist dabei nicht neu. Eine linke Kritik bezieht sich meist auf einen Fairnessaspekt. Da wäre die mutmaßliche “Ausbeutung” von Arbeitskräften, sowohl in reicheren Ländern, in welchen freier Handel die Gehälter in bestimmten Sektoren senkt, als auch in ärmeren Ländern, wo die Produktion unter sozial fragwürdigen Bedingungen erfolgen mag. Dazu kommt eine generelle, eher diffuse Skepsis gegenüber Unternehmen und die Sorge vor wachsendem Einfluss für Wirtschaftsakteure gegenüber politischen Akteuren, etwa in Form von Schiedsgerichten, welche bei Freihandelsabkommen manchmal eingerichtet werden, um Investoren zu beschützen.
Auch rechte Kritik am Freihandel existiert, obwohl marktliberale und somit freihandelsfreundliche Positionen öfter ins wirtschaftlich rechte Lager gezählt werden. Wie bei der linken Kritik geht es dabei um einen Fairnessaspekt, allerdings einen weniger universalistischen, sondern den Eindruck, dass die eigene Nation benachteiligt oder in ihrer Sicherheit gefährdet werde.
Die Trumpsche Kritik am Freihandel passt sich dazu ein. “Die USA haben keinen Freihandel, sie haben ‘Dummhandel’. Die gesamte Welt ZOCKT UNS AB!!!”, so der US-Präsident vor Kurzem auf Social Media. Ein Fokus seiner Wut richtet sich dabei gegen Handelsdefizite als Ausdruck eines “abzockenden” Handels. “Handelsdefizite schaden der Wirtschaft sehr stark”, so Trump bereits 2017 und unverändert bis heute.
Was sind Handelsdefizite?
Ein Handelsdefizit liegt vor, wenn ein Land mehr Geld für Importe zahlt, als es Geld für Exporte erhält. So weit, so einfach. Die Handelsbilanz in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung – praktisch Buchhaltung für Länder – ist als “Exporte minus Importe” definiert. Sind die Importe (bezogen auf ihren Geldwert, nicht die Menge) höher als die Exporte, ist die Handelsbilanz im Defizit.
Die Perspektive der Trumpisten ist, dass Handelsdefizite schlecht seien. Einige Beobachter in diesem Lager scheinen die Volkswirtschaft wie eine Firma oder einen Haushalt zu lesen. “Verlässt” Geld also das Konto, ist das ein Problem. Wenn die USA ein Handelsdefizit besitzen, würde das bedeuten, dass sie verlieren – wie eine Firma, die sich nicht am Markt durchsetzt oder ein Haushalt, der mehr Ausgaben als Einnahmen macht.
In der Realität bedeutet ein Handelsdefizit vor allem eine Transaktion, einen Wertaustausch. Die amerikanische Wirtschaft ist äußerst konsumfreudig, nämlich so sehr wie keine andere vergleichbar reiche Volkswirtschaft. Der Privatkonsum beträgt fast 70 Prozent des BIP, gegenüber unter 55 Prozent für Deutschland. Teile dieses Konsums werden vollständig heimisch bedient, andere Teile aus dem Ausland – wobei “Ausland” vieles bedeuten kann, denn Importe können auch von heimischen Firmen, die im Ausland produzieren, stammen. Oder von ausländischen Firmen, die in ihrer Wertschöpfungskette aber auf heimische Waren oder Dienstleistungen setzen.
Handelsdefizite sind nicht “schlecht”
Die Idee, dass ein Handelsdefizit schlecht sei, scheint auf der Annahme zu operieren, dass Importe schlecht seien; sie eine selbst- oder fremdverursachte Unfähigkeit des Landes, die benötigten Güter selbst zu produzieren, andeuten. Das ist überwiegend falsch. Stattdessen sind Importe einfach eine Anerkenntnis zweier Realitäten: Zum einen, dass bestimmte Dinge (fast) unmöglich im eigenen Land hergestellt werden können. Die USA können klimabedingt keine Mangos oder Bananen in relevantem Maße anbauen und sie können akut auch keine EUV-Litographie-Maschinen für die Chipfertigung herstellen, da der niederländische Hersteller ASML darin ein technisches Monopol besitzt. Importe sind der einzige Weg, auf diese Güter Zugriff zu gewinnen, zumindest in der absehbaren Zukunft.
Die zweite Realität, deren Ausdruck Importe sind:In vielen Güter- und Dienstleistungskategorien ist das Ausland einfach besser, was die Produktion angeht. Bei arbeitsintensiven Produkten hilft es, viele Arbeiter bei niedrigen Arbeitskosten zu haben. Bei kapitalintensiven Gütern braucht es viel verfügbares Kapital. Bestimmte klimatische Bedingungen oder Bildungsstandards können ebenfalls den Wettbewerbsvorteil eines Landes bestimmen. Das Land, das ein Produkt besser produzieren kann, kann es günstiger auf dem Weltmarkt anbieten.
Doch selbst wenn ein Land in theoretisch jeder Produktkategorie besser und effizienter produzieren könnte als das Ausland, sollte es trotzdem handeln. Der Grund dafür lautet praktisch Arbeitsteilung oder, um einen Fachbegriff zu benutzen, der “komparative Vorteil” – eines der beliebtesten Lehrstücke von Einführungskursen in die Volkswirtschaftslehre. Der komparative Vorteil berücksichtigt die Opportunitätskosten eines Landes: Produziert es Gut A, so sind das Zeit und Ressourcen, die nicht in die Produktion von Gut B fließen können. Selbst das “Allrounder-Land”, das jedes Produkt besser als die Konkurrenz produzieren kann, sollte sich also auf die Produktion von einem (oder: einer gewissen Zahl) an höherwertigen Gütern spezialisieren, bei denen es besonders gut ist, und die restlichen Güter aus dem Ausland kaufen. Bezahlen kann es mit seinen Exporterlösen.
Noch einfacher ließe sich die Funktion von Importen folgendermaßen zusammenfassen: Sie erlauben es einem Land, mehr zu konsumieren, als es selbst produzieren kann.
Balance of Payments_
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Nein, Importe schaden (meistens) nicht dem BIP
Ironischerweise sind ausgerechnet Importe durchaus ein Selbstzweck, Exporte dagegen nicht. Importe finden statt, weil ein Haushalt oder die Regierung sie konsumieren möchte oder weil eine Firma sie für ihre Produktion benötigt. Exporte haben dagegen nur einen Nutzen, weil sie Gelder einbringen, mit denen etwas bezahlt werden kann – und zwar nicht selten Importe.
In diesem Sinne ist es auch ein Fehlschluss, dass Importe das BIP senken würden. Daran hat die erneut in Ökonomie-Einführungen bekannte BIP-Formel “BIP = C + I + G + X – M” eine Mitschuld. Sie zeigt an, dass für das BIP der Privatkonsum (C), die Firmeninvestitionen (I), die staatlichen Ausgaben (G) und die Exporte (X) addiert, die Importe (M) aber subtrahiert werden (wobei X – M die Handelsbilanz darstellt).
Nur ist das eben nicht ganz richtig. Importe haben keine negative, sondern gar keine direkte Auswirkung auf das BIP. Sie werden in der Formel nämlich nur abgezogen, weil sie zuvor “heimlich” dazu addiert wurden: Importe finden sich in Konsum, Investitionen und Staatsausgaben wieder, ohne dediziert angezeigt zu werden. Ein Teil der Konsumgüter stammt aus dem Ausland; ein Teil der Investitionsgüter für Firmen stammt aus dem Ausland; und ein Teil der Staatsausgaben bezieht sich auf Importe. Dieser ausländische Import-Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt wird durch “minus M” abgezogen. Es bleibt kein negativer Effekt von Importen, sondern einfach ein Nulleffekt. Die “Heimlichkeit” hat damit zu tun, dass es in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schwierig herauszustellen wäre, welcher Anteil der Konsum- oder Investitionsausgaben denn nun genau auf Importe zurückging. Also wird der Gesamtwert der Importe einfach pauschal abgezogen, in Anerkennung dessen, dass dieser Gesamtwert zuvor positiv auf Konsum und Investitionen einwirkte.
Indirekt haben Importe durchaus eine Auswirkung aufs BIP, allerdings tendenziell eine positive. Haushalte und Firmen importieren etwas, weil sie wahlweise nur so das Produkt erhalten können oder weil sie es so günstiger erhalten können. Für Haushalte ist das einfach nur erfreulich (und lässt ihnen mehr Geld für andere Ausgaben); für Firmen senkt das die Kosten und erhöht somit ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Befähigung, Gehälter zu zahlen; parallel senkt es für Haushalte, Firmen und den Staat die Notwendigkeit, Schulden zu machen. Importe sind damit praktisch “Schmiere” für die Wertschöpfung im eigenen Land, da sie günstigere Vorprodukte bedeuten.
Das bedeutet nicht, dass Importe nicht auch negativ auf die Wertschöpfung einwirken können. Entscheidet sich ein Kunde für ein ausländisches Auto anstelle eines heimischen Autos, welches die Alternative gewesen wäre, so ist das ein heimisches Auto weniger, das gekauft wurde. Das BIP würde in diesem Fall tatsächlich indirekt schrumpfen und die Autobranche würde weniger Gewinn machen und weniger Jobs schaffen. Allerdings haben der Haushalt oder das Unternehmen, die das Auto gekauft haben, dank des günstigeren ausländischen Autos auch mehr Geld für andere Anschaffungen bzw. Ausgaben zur Verfügung, was – siehe vorheriger Absatz – dem BIP wiederum indirekt hilft und anderswo Gewinne und Jobs kreiert. Der negative Effekt bliebe auf einen bestimmten Sektor beschränkt, während andere Sektoren von der Existenz von Importen profitieren. Das ist eine recht gute Allgemeinbeschreibung für die Auswirkung von Handel: Sektoral schädlich, gesamtwirtschaftlich hilfreich.
Gut zu wissen: Für die USA erkennen Studien nur relativ geringe negative Auswirkungen des Handels auf den Arbeitsmarkt. Eine Studie des Instituts CSIS schätzt die Zahl der Jobs im verarbeitenden Gewerbe, die von 1991 bis 2019 aufgrund von Importen verloren gegangen sind, auf 310.000 im Jahr. Dem gegenüber wurden jedes Jahr 24 Millionen Arbeiter unfreiwillig entlassen – 70 Mal mehr. Auf einen Sektor konzentriert lässt sich also tatsächlich ein signifikanter negativer Effekt feststellen, doch gesamtwirtschaftlich ist dieser fast vernachlässigbar (und dürfte durch zuvor genannte positive Effekte überkompensiert werden).
Leistungsbilanz und Kapitalbilanz verstehen
Die Handelsbilanz hängt außerdem mit Kapitalströmen zusammen. Denn wenn ein Land mehr für Importe bezahlt als aus Exporten einnimmt, muss es diese Lücke ja irgendwie finanzieren. Das tut es, indem es entweder Geld vom Ausland leiht (also anhand von Staatsanleihen Forderungen gegen sich aufstellen lässt) oder das Ausland in eigene Vermögenswerte (assets) investieren und damit Eigentum an ihnen übernehmen lässt.
Für Interessierte nun ein Stück volkswirtschaftliche Gesamtrechnung: Die Interaktion eines Landes mit dem Ausland wird in der sogenannten “Zahlungsbilanz” (balance of payments) erfasst. Das ist praktisch ein Stück Buchhaltung, welches aus zwei sich ausgleichenden Seiten besteht:
Die Leistungsbilanz (current account) stellt den Fluss aus Einnahmen und Ausgaben vis-à-vis dem Ausland dar. Sie besteht aus drei Elementen: Dem Handel mit Waren und Dienstleistungen in der Handelsbilanz; Einkommen, die aus dem Ausland bezogen werden oder ins Ausland fließen; und Schenkungen oder andere Überweisungen ohne Gegenleistung. Wenn ein Land mehr Einnahmen macht – zum Beispiel durch Exporte – steigt die Leistungsbilanz. Wenn es Ausgaben verbucht – zum Beispiel durch Importe – sinkt sie.
Die Kapitalbilanz (financial account, manchmal capital account) bezieht sich derweil auf Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland oder, anders gesagt, auf Veränderungen im Eigentum nationaler Vermögenswerte. Das umfasst unter anderem Anleihen, Aktien und Direktinvestitionen. Die Kapitalbilanz steigt, wenn Geld aus dem Ausland ins Land fließt, doch eben nicht in Form von Einnahmen, sondern weil das Ausland inländische Vermögenswerte übernimmt. Sie sinkt, wenn Geld aus dem Land ins Ausland fließt, um dort Vermögenswerte zu übernehmen.
Wenn das Land also importiert, dann erhält es Waren oder Dienstleistungen vom Ausland und gibt im Gegenzug etwas von sich (sprich, den eigenen Vermögenswerten) ans Ausland ab. Die Leistungsbilanz sinkt und die Kapitalbilanz steigt äquivalent. Genauso andersherum: Exportiert das Land (Leistungsbilanz steigt), erhält es im Gegenzug ausländische Vermögenswerte übertragen (Kapitalbilanz sinkt, denn Geld fließt ins Ausland, um dort Vermögenswerte zu übernehmen). Leistungs- und Kapitalbilanz laufen dabei stets gegeneinander – sie sind die zwei Seiten der Zahlungsbilanz und gleichen diese stets aus.
Als wir weiter oben also davon sprachen, dass das Land sein Handelsdefizit finanzieren muss, sprachen wir über die Bewegungen in der Kapitalbilanz. Wir importieren mehr als wir exportieren? Dann müssen wir dem Ausland Vermögenswerte übertragen, wahlweise durch Forderungen in Form von Schulden oder durch Investitionen des Auslands. Handelsdefizite sind damit ein Ausdruck davon, dass Kapital ins Land strömt.
Gut zu wissen: Du hast diesen Abschnitt nicht ganz verstanden? Keine Sorge: Du verstehst die Kernbotschaft zu Handelsdefiziten auch ohne die Zahlungsbilanz zu verstehen.
Die USA und das Defizit_
(6 Minute Lesezeit)

Keine Angst vorm Defizit
Die USA selbst fahren seit den 1970ern konsistent ein Handelsdefizit. Seitdem ist die US-Wirtschaft durch viele Phasen gegangen, doch als chronisch schwach konnte das Land mit dem höchsten BIP pro Kopf (unter großen Ländern) und ordentlichen Wachstumsraten garantiert nicht bezeichnet werden. Stattdessen ist das Handelsdefizit eben ein Ausdruck des hohen Konsums bei relativ geringer Sparquote und des insgesamt kräftigen Wachstums der USA.
Das hängt wiederum damit zusammen, dass der US-Dollar die globale Leitwährung ist und die USA als sicherer Hafen für Investitionen gelten. Da die gesamte Welt viel Interesse an Dollar hat, ist es für Amerikaner verhältnismäßig sehr günstig, sich vom Ausland Geld zu leihen – was den Anreiz für Importe vergrößert. Das Ergebnis ist, dass die Amerikaner mehr konsumieren wollen, als sie heimisch produzieren; und nicht genug Kapital haben (sprich, genug sparen), um das ohne das Ausland zu finanzieren. Das Handelsdefizit ist damit erst einmal weder gut noch schlecht, sondern Ausdruck zugrundeliegender Trends, welche sich unterschiedlich bewerten lassen.
Dazu kommt, dass Ökonomen eine große Unterscheidung zwischen einem Handelsdefizit “insgesamt” und einem “bilateralen” Handelsdefizit mit einem bestimmten Land machen. Hat das Land insgesamt ein Handelsdefizit, so trifft alles obige zu: Offenbar gibt es insgesamt mehr aus, als es einnimmt; offenbar spart es relativ wenig. Das kann ein Problem sein, muss es aber nicht: Es gibt zwar Vermögenswerte an das investierende Ausland ab (siehe Kapitalbilanz), verscherbelt damit gewissermaßen sein Tafelsilber und steigert womöglich seine Verschuldung, doch diese heimischen Investitionen können vorteilhaft sein und zudem erlauben sie die gewünschten Importe und, womöglich damit einhergehend, positive BIP-Effekte.
Ein “bilaterales” Handelsdefizit verrät einem dagegen ziemlich weniger über makroökonomische Dynamiken, sondern einfach nur, ob das Land mehr vom anderen Land will als andersherum. Das kann mit unfairen Handelspraktiken zusammenhängen, doch bietet erst einmal keinerlei Indiz dafür: Vielleicht hat Land B einfach mehr Spannendes für Land A zu bieten als andersherum.
Der Don Quijote der Ökonomen
Der Fokus der Trumpisten auf das Handelsdefizit scheint also mit einer Reihe an Missverständnissen zusammenzuhängen. Handelsdefizite, in denen das erniedrigende Wort “Defizit” bereits auftaucht, werden als etwas inhärent Schlechtes, praktisch als “Niederlage” interpretiert, dabei sind sie eher wertneutraler Ausdruck des Konsum- und Sparverhaltens. Oder sie werden als Auslöser oder Symptom eines Verlusts heimischer Jobs und Produktionskapazitäten verstanden, was sektoral zutreffen mag, doch gesamtwirtschaftlich eher nicht. Validere Kritik, etwa, dass Handelsdefizite zu mehr Verschuldung beitragen oder der hohe Zufluss von Kapital zu Finanzblasen beitragen könnte (womöglich gar zur Immobilienkrise 2006 beitrug, die in die Finanzkrise 2008 führte) hört man in diesem Kontext selten.
Wie sehr Handelsdefizite der Trump-Regierung ein Dorn im Auge sind, zeigte sich in der Formel, mit welcher sie ihre jüngsten “reziproken” Zölle beschloss, wobei keine Reziprozität vorliegt. Ignoriert man zwei Elastizitäten, welche die Regierung offenbar nur aus kosmetischen Gründen einbaute, um die Formel komplexer aussehen zu lassen (die sich allerdings zu 1 ausglichen und damit redundant waren), so lautete sie einfach nur: “Handelsdefizit mit Land X geteilt durch US-Importe aus Land X”. Den resultierenden Wert hat die Regierung halbiert und voilà, der Vergeltungszoll stand fest (außer für Russland, welches nach der Berechnung 40 Prozent Zoll hätte erfahren müssen, aber als einziges größeres Land der Welt vollständig ausgenommen wurde).
Eine weitere Skurrilität: In die Berechnung der Zölle floss überhaupt nur die Warenseite der Handelsbilanz. Dienstleistungen, bei welchen die USA insgesamt einen Handelsüberschuss haben und die ein Drittel ihrer Exporte ausmachen, klammerte die Regierung aus unbekannten Gründen aus. Es gibt keinen intuitiven Grund, warum sie nur auf Waren blicken sollte. Denkbar ist, dass sie “Handel” in einem etwas anachronistischen Sinne versteht, wie er bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gepasst hat: Damals war der Handel mit Dienstleistungen geringfügig und es ging fast nur um “physische” Güter. Alternativ klammerte Washington die Dienstleistungen gezielt aus, um das Narrativ einer “unfairen” Behandlung der USA durch den Rest der Welt zu verstärken.
Gut zu wissen: Die Trumpschen “reziproken” Zölle bieten derlei viel Skurriles, das allein das einen Explainer füllen könnte. Da wären die Zölle gegen australische Inseln nahe der Antarktis, auf welchen zwar vier Arten von Pinguinen (und offenbar Seelöwen), aber keine Menschen leben. Ein administrativer Fehler dürfte dafür gesorgt haben, dass in den amerikanischen Aufzeichnungen die Pinguine (und offenbar Seelöwen) im Jahr 2022 ganze 1,4 Millionen USD an “Maschinen und Elektronik” an die USA exportiert hatten. Im Gegenzug erwarben sie auch immerhin 21.600 USD an amerikanischen Waren oder Dienstleistungen. Für diesen Handelsüberschuss wurden sie nun mit Zöllen belegt.
Die Schweiz hat derweil Ende 2024 ungewöhnlich viel Gold an die USA exportiert und deswegen 32 Prozent Zoll auf sämtliche Exporte aufgetischt bekommen – hätte Washington dagegen Daten für das Jahr 2022 genutzt, wäre der Zoll bei nur 19 Prozent gelandet. Das zeigt, dass die Trump-Regierung für ihre Berechnung noch nicht einmal einen mehrjährigen Durchschnitt genutzt hat; ein bemerkenswert dilettantischer Vorgang.
Und dennoch kein Grund für Zölle
Ironischerweise sind Zölle dabei nicht einmal ein guter Weg, Handelsdefizite zu schließen. Zum einen, weil bestimmte Arten von Importen einfach nicht wirklich zu ersetzen sind: Das Defizit mit Botswana existiert, weil die USA von dort Diamanten importieren und nun einmal keine eigenen kommerziellen Diamantenminen besitzen. Der Grad, zu welchem Botswana aus den USA importieren kann, ist zugleich ziemlich beschränkt. Zum anderen, weil Zölle auch die amerikanischen Exporte senken werden. Unser Explainer zur Zollpolitik erklärt das im Detail, doch in aller Kürze liegt das an Vergeltungszöllen, an einer vermutlichen Dollar-Aufwertung (welche Exporte verteuert) und an den Preissteigerungen aufgrund verteuerter Importe, welche die Kosten für Firmen steigert und somit ihre Wettbewerbsfähigkeit senkt.
Drittens sind Zölle kein gutes Mittel gegen allgemeine Handelsdefizite, weil die Defizite eben meist mit tieferliegenden Faktoren zusammenhängen. Besagtes Konsum- und Sparverhalten, doch auch, wie schnell die Wirtschaft wächst: Je robuster sie wächst, umso höher das Konsum- und Importverhalten. Auch die Schuldenaufnahme, welche unter der Trump-Regierung deutlich anziehen könnte (sie stellte im Wahlkampf extrem defizitäre Ausgabenpläne vor), erhöht das Handelsdefizit, da die Inlandsnachfrage steigt. Zu guter Letzt spielt auch der Wechselkurs eine Rolle. Ein stärkerer US-Dollar schafft Anreize für höhere Importe und erschwert Exporte.
Der Trumpsche Fokus auf Handelsdefizite folgt damit keiner intuitiven ökonomischen Logik. Handelsdefizite sind weder inhärent gut noch schlecht; sie besitzen situative Vor- und Nachteile und können Warnsignale bedeuten oder im Gegenteil eine gesunde Wirtschaft anzeigen. Die “Medizin” gegen die vermutlich fehldiagnostizierte Krankheit ist dabei ebenfalls ein Fehlgriff; Zölle werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht helfen, das Handelsdefizit zu schließen. Möchten die USA das erreichen, müssten sie ihr Verhalten fundamentaler ändern: Weniger konsumieren, mehr sparen; weniger attraktiv für ausländisches Kapital sein, weniger Staatsverschuldung. Der Verweis auf ein vermeintlich unfaires Handelsparkett ist jedoch politisch einfacher zu kommunizieren.
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