Zwei Mini-Explainer zum Monatsende:
Trump-Verfahren | Rentenpaket
(insgesamt 12 Minuten Lesezeit)
Warum das Trump-Verfahren riskant ist_
(6 Minuten Lesezeit)
Turbovariante: Trump wurde verurteilt, doch die zugrundeliegende Anklage hat markante Schwachstellen. Unter Umständen kommt das dem Ex-Präsidenten noch zugute.
Offiziell kriminell
Donald Trump ist ein verurteilter Straftäter. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben die USA einen ganz offiziell kriminellen Ex-Präsidenten, zudem einen, welcher für eine weitere Amtszeit antritt. Für Historiker wird es ein charmant-stimmiges Bild ergeben, dass es um einen der rechtspopulistischen Präsidenten der USA geht und einen der wenigen, welcher als erklärter (sowie tatsächlicher) Politaußenseiter ins Rennen gegangen war. Schon vor dieser Verurteilung geriet Trump in einem überparteilichen Historikerranking 2024 auf den letzten Platz (Grafik weiter unten).
In der jüngsten whathappened-Ausgabe von Freitag erklärten wir die wichtigsten Eckpunkte zum Fall. Trump wurde von einer 12-köpfigen Jury in sämtlichen 34 Anklagepunkten für schuldig erklärt. Es geht um Steuervergehen und daran geknüpfte Wahlbeeinflussung. Am 11. Juli entscheidet der zuständige Richter über das Strafmaß: Geldstrafe, Bewährung oder Haftstrafe. Es ist unwahrscheinlich, dass sich irgendetwas davon bis zur Wahl im November materialisiert, denn Trump wird Rechtsmittel einlegen. Das wird Monate oder Jahre an Verzögerung bedeuten. Zur Wahl antreten darf er nach wie vor. Als Präsident könnte er sich allerdings nicht begnadigen, denn die Anklage lief auf bundesstaatlicher Ebene, nicht nationaler Ebene.

Dass Donald Trump einen fragwürdigen Umgang mit dem Gesetz pflegt, ist keine Neuigkeit. Bereits in seiner jahrzehntelangen Geschäftskarriere waren Trump und seine Unternehmen Ziel von fast 4.100 Anklagen, was selbst für einen Immobilienmagnaten ungewöhnlich viel ist. Dazu kommen Tausende Anekdoten über womöglich unzulässiges Verhalten, aus unterschiedlichsten Feldern und durch verschiedenste Akteure erhoben. Seine Zeit als Präsident schloss daran an. Immer wieder ließ er erkennen, wenig von den Institutionen zu halten, die ihn einhegen sollten, wenn auch meistens rhetorisch. Das war aggressiver Populismus, aber nicht illegal. Kritischer waren die Vorgänge nach der Präsidentschaftswahl 2020. Dass Trump etwa Wahlbehörden in Georgia anwies, Stimmen “zu finden“, könnte illegal gewesen sein. Genauso, dass er sich weigerte, mit Behörden bei der Herausgabe von Geheimdokumenten zu kooperieren.
Das nun fast abgeschlossene Verfahren gegen Trump hat allerdings zahlreiche Schwachstellen, genauer die Anklage dahinter. Sie bietet Kritikern und Trump-Unterstützern reichlich Grund für Zweifel und lässt sich durch Trump mit realistischen Erfolgschancen anfechten. Das könnte selbst Trump-Gegnern am Ende einen Bärendienst erweisen.
Schweigegeld, Steuervergehen, Wahlbeeinflussung
Im Kern ging es um den Vorwurf, dass Trump eine Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin nicht nur fälschlicherweise als geschäftliche Rechtskosten verbucht habe, sondern sie auch dafür nutzte, die Präsidentschaftswahl 2016 zu beeinflussen. Wähler sollten nicht von der Affäre mit Stormy Daniels erfahren, damit seine Wahlchancen unberührt bleiben. “Wahlbetrug, schlicht und einfach”, so die Staatsanwaltschaft.
Die Kombination ist kein Zufall. Nur das Steuervergehen wäre eine Ordnungswidrigkeit gewesen und hätte nicht genügt, um Trump eine potenzielle Gefängnisstrafe einzubringen. Indem Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg argumentierte, dass das Vergehen geschah, um ein anderes Vergehen zu verüben oder zu vertuschen, wertete er es zum strafrechtlichen Verfahren auf. Das wirkte stets ein wenig juristische Alchemie, weswegen zahlreiche Beobachter mit Skepsis auf Braggs Anklage blickten, unabhängig ihrer Gefühle für den Ex-Präsidenten. Und Trump nachzuweisen, dass er mit der Schweigegeldzahlung tatsächlich Wahlbetrug begehen wollte, schien schwierig. Die Beweise dafür seien “dünn bis inexistent”, so der Rechtsprofessor Randall Eliason nach der Urteilsverkündung, welcher damit die Meinung nicht weniger Experten wiedergibt. Tatsächlich verzichtete Braggs Vorgänger als Bezirksstaatsanwalt sogar darauf, die Anklage zu erheben: Zu unsicher und diffus schien sie.
Die Staatsanwaltschaft überzeugte
Wieso ging das Verfahren dennoch gegen Trump aus? Zum einen, weil die Anklage ein überzeugendes Narrativ liefern und die gefälschten Geschäftsunterlagen mit detailreichen, überwältigenden Beweisen untermauern konnte. Auch wenn es niemals eine “smoking gun”, einen eindeutigen Beweis für Trumps Intention für das so wichtige “zweite Verbrechen” gab.
Zum anderen, weil die Verteidigung diese gravierende Schwäche aus irgendeinem Grund nur sporadisch bearbeitete. Gelegentlich bewegte sie sich ein wenig in diese Richtung – etwa als Trumps Chefverteidiger Todd Blanche erklärte, dass Trump mit dem Schweigegeld seine Familie beschützen und nicht etwa Wähler betrügen wollte –, doch primär wählte sie eine “Alles Lügen”-Taktik: Vorgänge, die dem Fall zugrunde lagen, seien einfach gar nicht geschehen und Zeugen der Anklage würden allesamt lügen. Hauptzeuge Michael Cohen (Trumps ehemaliger Anwalt, welcher die Schweigegeldzahlungen durchführte) sei gar der “GLOAT“, der “Greatest Liar of All Time”, also “größter Lügner aller Zeiten”. Die Staatsanwaltschaft hatte ein leichtes Spiel damit, die Jury davon zu überzeugen, dass das nicht stimmte. Zeitweise wirkte es so, als versuchte die Verteidigung, die Jury eher zu verwirren, denn von einem eigenen Narrativ zu überzeugen.
Turbovariant: “GLOAT” ist eine Anspielung auf “GOAT” (Greatest of All Time), einen kolloquialen Ehrentitel für herausragende Sportler, welcher inzwischen auch außerhalb des Sports reichlich Verwendung findet.
Dann wäre da noch die Sache mit der Jury. Zwölf “reguläre” Amerikaner haben Trump für schuldig befunden, kein professioneller Richter. Der Prozess fand in New York statt, einem sehr liberalen Bundesstaat, in welchem Trump außerdem seit Jahrzehnten eine mehrheitlich zweifelhafte Reputation besitzt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung stimmten beide der Jury im Vorfeld zu, womit sie keineswegs völlig parteiisch gewesen wäre, doch der Standort New York half der Anklage mit Sicherheit.

Gerechtigkeit oder Verschwörung
Was bedeutet das Verfahren politisch für Donald Trump? Grundsätzlich sorgt es erst einmal für Aufsehen. Der Kandidat der Republikaner ist ein verurteilter Straftäter, welcher womöglich ins Gefängnis muss oder regelmäßig bei einem Bewährungshelfer vorstellig werden darf (auch wenn sich das kaum bis zur Wahl materialisieren dürfte). Das wird einige potenzielle Wähler verschrecken. War die Kritik an Trump bislang eine überfordernde mediale Kakophonie, so ist sie nun juristisch untermauert. Die Tatsache, dass es eine Jury und kein Richter war, welche das Urteil gesprochen hat, dürfte es für viele Amerikaner noch schwerwiegender machen. Es erschwert auch verschwörerische “Deep State”-Argumentationen oder Verbindungen zur Biden-Regierung (welche die Verfahren aus Sorge vor einer Politisierung bislang nur mit der Greifzange berührt hat).
Und doch steht die Verurteilung auf wackligen Beinen. Die genannten rechtlichen Fragezeichen rund um das entscheidende “zweite Verbrechen” machen Berufungen aussichtsreich. Verliert Trump die Wahl und siegt dann vor einem Berufungsgericht, wären die Klagen über “Wahlmanipulation” noch lauter. Das Urteil ist auch kommunikativ bestens angreifbar: Nun gut, Trump hat eben etwas nicht ganz richtig verbucht – so ein in rechten und konservativen Kreisen bereits entstehendes Narrativ – doch das tun reichlich Geschäftsleute; warum wird ausgerechnet Trump gejagt und ins Gefängnis gezerrt?
Auch jenen “normalen” Amerikanern, welche nicht unbedingt nach einer konspirativen Dynamik Ausschau halten, ist der Fall schwierig erklärbar. Wenn eine Jury den Ex-Präsidenten für “Verschwörung gegen die USA”, Wahlmanipulation in Georgia oder das Einbehalten von Geheimdokumenten schuldig erklärt, sprich in einem der drei anderen laufenden Verfahren, dann hätte das ein anderes Kaliber. Dass Trump das Schweigegeld für eine Affäre systematisch illegal verbuchte, wirkt nicht wie der große Wurf, sondern white-collar crime auf ernsthaftem, aber eben nicht staatszersetzendem Niveau. Die Verbindung zur Wahl 2016 ist schwierig zu vermitteln. Das wird es für einige Beobachter so wirken lassen, als sei auf Biegen und Brechen eine Anklage gegen Trump gesucht worden.
Donald Capone
Der Vorgang erinnert ein wenig an Al Capone. Dieser führte von 1925 bis 1933 die größte Mafia in den USA, doch wurde letztlich für ein regelrecht profanes Verbrechen überführt und hinter Gittern gebracht: Steuerhinterziehung. Es war für das Justizsystem ein Weg, an den ansonsten so unberührbaren Al Capone heranzugelangen. Bei Trump sind es nun nicht die kritischen, demokratiegefährdenden Vorgänge rund um die Wahl 2020, welche ihn in Reichweite des Gefängnisses bringen, sondern ebenfalls Steuerverstöße, gewürzt mit ein wenig Justizalchemie. Nur war Al Capone eben ein Mafioso und Trump ist bei aller erkennbarer krimineller Energie die politische Galionsfigur für knapp die Hälfte der US-Amerikaner. Bei ihm ist es umso wichtiger, es richtig zu machen.
Rentenpaket II: Die Ampel wagt die Umverteilung_
(6 Minuten Lesezeit)

Turbovariant: Das Rentenpaket II ist eine große Umverteilungsmaßnahme mit riskanter Finanzierung. Das angeschlossene “Generationenkapital” ist zu klein, um zu mehr als einem Experiment zu taugen.
Die doppelte Haltelinie ziehen
Die Ampelkoalition hat Ende Mai das Rentenpaket II beschlossen, welches im September durch den Bundestag und im Oktober dann durch den Bundesrat gehen soll. Das ist eine der größten Rentenreformen der vergangenen Jahrzehnte und wohl eine der größten Umverteilungsmaßnahmen, welche in Deutschland seit langer Zeit beschlossen wurden.
Konkret sieht das Paket vor, dass ein Teil einer “doppelten Haltelinie”, welche die Große Koalition eingeführt hatte, von 2025 bis 2040 verlängert wird. Genauer bedeutet es, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf. So viel Minimumrente muss ein Ruheständler, welcher 45 Jahre zum Durchschnittslohn gearbeitet hat, also anteilig zum aktuellen Durchschnittslohn erhalten. Da Löhne auf mittlere Sicht eigentlich fast immer steigen – aufgrund einer Grundinflation, Produktivitätswachstum und, im Idealfall, höherer Wettbewerbsfähigkeit – bedeutet die Regel steigende Renten. Genauer: Renten, die genauso schnell steigen wie die Löhne.
Parallel hat die Ampelkoalition auch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor faktisch fallen gelassen. Er war ein Ausgleichsmechanismus, welcher griff, wenn die Zahl der Rentner schneller als der Beitragszahler wächst. Er wurde 2004 durch Rot-Grün eingeführt und war eine Art Versicherung gegen den demografischen Wandel. Hätte die Ampelkoalition die Haltelinie auslaufen lassen, wäre das Rentenniveau schätzungsweise auf 45 Prozent bis 2037 herabgesunken (siehe Grafik oben).
Gut zu wissen: Die Haltelinie ist “doppelt”, weil neben dem 48-Prozent-Mindestniveau auch ein Beitragssatzmaximum von 20 Prozent eingeführt worden war. Nur den ersten Teil verlängert die Ampelkoalition nun.
Die Altersarmut senken
Für einzelne Rentner bedeutet die Reform einen mal moderaten, mal kräftigen Zugewinn. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), welcher das Flaggschiffprojekt seiner Partei maßgeblich vorantrug, rechnet vor, dass eine heute 49-jährige Krankenpflegerin aus Sachsen im Jahr 2040 über rund 1.100 EUR mehr Rente im Jahr verfügen wird. Im Monat sind das knapp über 90 EUR.
Unterstützer sehen das Paket damit als Schlag gegen Altersarmut. Wie es um diese überhaupt steht, ist allerdings schwierig zu sagen. Die Armutsgefährdungsquote bei Senioren ist zwar seit 2005 von 11 auf 17,5 Prozent (2022) geklettert und hat 2020 erstmals die Quote der Gesamtbevölkerung hinter sich gelassen, doch das ist keine ganz robuste Kennzahl. Sie umfasst all jene Haushalte, welche weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens (genauer des sogenannten Median-“Äquivalenzeinkommens“) besitzen. Es handelt sich also um eine relative Metrik, welche nicht unbedingt ein tatsächliches Armutsdasein erfasst. Noch gewichtiger: Sie ignoriert vollständig das Vermögen, welches für viele Rentner eine wichtige Rolle spielt.
Illustriert wird das durch den geringen Anteil der Rentner, welche die Grundsicherung beziehen, also “offiziell” sehr niedrige Mittel anmelden. Er liegt nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich (2022: 3,7 Prozent bei Männern, 3,8 Prozent bei Frauen). Die Differenz zur Armutsgefährdungsquote hängt teilweise mit den genannten Schwächen dieser Metrik zusammen, teilweise aber auch mit sozialem Stigma, Armutsscham oder bürokratischer Überforderung, welche den Gang in die Grundsicherung auch bei tatsächlicher Bedürfnis stoppen. Wie oft das der Fall ist, ist schwierig zu messen.
Gut zu wissen: Die Rentenversicherung erklärt als Faustregel: Wer unter 1.015 EUR Einkommen hat, könnte Anspruch auf Grundsicherung haben. Allerdings wird auch das Vermögen berücksichtigt. Der Anteil der alten Menschen in Grundsicherung liegt übrigens rund 2,5 Mal niedriger als die Mindestsicherungsquote in der Gesamtbevölkerung, welche Beziehende von Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungen umfasst. Die Armut im Alter ist zumindest nach diesen Metriken also geringer als insgesamt.

Der Doppel-Wumms für die Volkswirtschaft
Fest steht, dass das höhere Rentenniveau sehr viel kostet. Der Gesetzesentwurf selbst spricht davon, dass bis 2045 anstelle von 372 ganze 802 Milliarden EUR an Rentenausgaben anfallen. Einige Beobachter schätzen noch etwas höhere Werte. Für die Beitragszahler bedeutet das höhere Beiträge zur Rentenversicherung. Laut Entwurf steigen sie von derzeit 18,6 Prozent des Bruttoeinkommens auf 20,6 Prozent im Jahr 2030 (ohne Reform: 20,3 Prozent) und 22,3 Prozent 2040 (ohne Reform: 21,3 Prozent). Zudem wird der Staat vermutlich mehr aus dem Haushalt in die Rentenkasse einzahlen müssen. Heute sind es mit knapp 116 Milliarden EUR bereits 24 Prozent des Bundeshaushalts. Das könnte höhere Steuern bedeuten oder zumindest mehr Druck auf den Haushalt.
Damit ist das Rentenpaket II eine sehr große Umverteilungsmaßnahme. Von Beitragszahlern, also jüngeren Generationen, hin zu Beziehenden, also älteren Generationen. Aufgrund des langen Zeitraums werden sich viele Menschen natürlich irgendwann in beiden Kohorten wiederfinden, sprich auch Junge erhalten eines Tages stabilisierte Renten, doch der Nettoeffekt ist debattierbar. Denn das Rentenpaket dürfte für die deutsche Volkswirtschaft auch durch Folgeeffekte teuer werden.
Auf Nachfrageseite geben Rentner grundsätzlich erst einmal weniger Geld aus als jüngere Menschen. Die steigenden Sozialabgaben und Steuern, welche auf eine ohnehin hohe Abgabenlast treffen, drücken somit die Konsumseite der Wirtschaft. Dieser Effekt verblasst allerdings im Vergleich zu den Folgen für die “Angebotsseite”, sprich Firmen und Arbeitsmarkt:
Höhere Abgaben senken die monetären Arbeitsanreize, die ohnehin bereits (ungewollt) steuerlich begünstigte Teilzeit wird noch attraktiver und die Immigration ausländischer Fachkräfte niedriger. Das ist problematisch für den Arbeitskraftmangel, welchen Deutschland so stark wie noch nie erlebt, ganz ungeachtet einer akuten Einstellungsflaute in einigen erfolgsverwöhnten Branchen. Da die Arbeitgeber außerdem einen Teil der Abgaben tragen, steigen für sie die Arbeitskosten. Im internationalen Wettbewerb stehende Firmen verlieren somit an Wettbewerbsfähigkeit (kein Wunder, dass kaum jemand das Rentenpaket II lauter kritisierte, als der Arbeitgeberverband). Das alles trifft den deutschen Wachstumspfad nachteilig und damit mittelbar auch die Renten. Und muss der Staat mehr aus dem eigenen Haushalt in die Rentenversicherung einzahlen, bleibt weniger Geld für andere Maßnahmen, sei es Klima, Digitaltransformation oder Verteidigung.
Zu guter Letzt bedeuten höhere Abgaben, dass jüngere Menschen weniger private Altersvorsorge betreiben oder Vermögen aufbauen können, also stärker auf gesetzliche Renten angewiesen sind. Für die Jungen ist das Paket damit ein zweifelhafter Deal: Sie zahlen in naher Zukunft definitiv mehr, um in relativ ferner Zukunft – abhängig von der makroökonomischen Entwicklung – hoffentlich ebenfalls mehr zu erhalten. Nur bedeutet das Paket nachteilige Impulse für den Wachstumspfad und auch für ihre eigene Befähigung, ein unabhängiges Alterspolster aufzubauen.
Diese Mechanismen spielen sowohl für Kritiker als auch für Unterstützer des Rentenpakets eine Rolle. Das 48-Prozent-Rentenniveau ist schließlich an die Lohnentwicklung gekoppelt. Sinkt der BIP- und Lohnwachstumspfad, ist das auch für die Renten eine schlechte Nachricht. Unterstützer halten diese Risiken für übertrieben oder priorisieren den akuten Fairnessaspekt. Sozialverbände loben das Paket und fordern ein noch höheres Rentenniveau; die neue Partei BSW unter Sahra Wagenknecht äußert sich ähnlich, nur ohne das Lob.
Ideen für Nicht-Politiker
Was wäre eine Idee anstelle des Rentenpakets gewesen? Einige Ökonomen wollen mit Beamten und Selbstständigen den Kreis der Beitragszahler erweitern oder die Rentenentwicklung an die Inflation statt an die Löhne koppeln; fast alle Ökonomen wollen die Rentenpolitik strenger gestalten: das Rentenniveau im Zweifelsfall sinken lassen, das Eintrittsalter anheben. Zu gefährlich scheint der demografische Wandel und zu unsicher die Finanzierung des Rentensystems in aktueller Form. Wie sehr ein Beobachter dabei mitgehen mag, hängt von den eigenen Umverteilungspräferenzen ab.
Doch politisch sind diese Forderungen Gift: Sozialverbände und die wichtige Wählergruppe der (Bald-)Rentner haben verständlicherweise wenig Interesse an Kürzungen und aufgegebenen Steigerungen. Für die Basen von Grünen und SPD würden sich sozialpolitische Einschränkungen verkehrt anfühlen (für letztere wäre es die Rückkehr des Schröderschen Gespensts). Nicht einmal die FDP als selbsternannte Partei der fiskalischen Vernunft, welche sich 2021 mit ihrem Erfolg bei Jungwählern brüstete, wagte es damals oder heute, sich ernsthaft für eine austeritäre Rentenpolitik auszusprechen.
Gut zu wissen: Selbst das DIW, das linkeste und tendenziell Ampel-freundlichste der großen deutschen Wirtschaftsinstitute, blickt unzufrieden auf das Rentenpaket II. Es sei “kein großer Wurf” und biete keine Antworten für die Stabilisierung des Rentensystems für die Zukunft. DIW-Chef Marcel Fratzscher nannte das Paket zwar noch im März einen “guten Schritt in die richtige Richtung,” doch schränkte im Mai ein, dass es das ausschließlich für die Babyboomer-Generation sei. Das rechtere ifo-Institut wird für Ökonomenverhältnisse regelrecht ausfallend: Die Ampelregierung bevorzuge “konsumtive gegenüber investiven Ausgaben”. Viel mehr Ohrfeige geht kaum
Das Generationenkapital richtet’s?
Und dann wäre da noch die “Aktienrente”. In einer Reinform sähe sie vor, dass Rentenbeiträge an den Aktienmärkten für Rendite angelegt werden und Beitragszahler individuelle Ansprüche aus den Kapitalerträgen erlangen. Das entschärfte “Generationenkapital”, welches das Rentenpaket II einführt, wird hingegen erst einmal nur Schulden anlegen und die Erträge in die Rentenversicherung zufließen lassen.
Allerdings ist der Gesamtbetrag des Generationenkapitals auch dermaßen klein, dass der Effekt auf die Beitragssätze nur geringfügig ausfällt. Der Gesetzesentwurf rechnet vor, dass das Generationenkapital den Beitragssatz 2040 von 22,6 auf 22,3 Prozent senkt; die Rentenversicherung erwartet, dass es 1,5 Prozent ihrer Ausgaben decken wird. Ein echter Dämpfer für den demografischen Wandel ist das Generationenkapital also keineswegs, sondern eher ein limitiertes Experiment. Eine ambitioniertere, sprich größere, Variante wird von SPD und Grünen abgelehnt und scheint bei der Bevölkerung umstritten zu sein. In Umfragen schneiden Vorschläge zur Aktienrente mal schlecht, mal ziemlich gut ab.
Damit bleibt das Rentenpaket II in erster Linie eine Umverteilungsmaßnahme, und zwar eine sehr, sehr große.
Die Aktienmärkte_
Index: 30-Tage-Entwicklung (seit Jahresbeginn)
Dax 40: +3,36% (+10,31%)
S&P 500: +4,21% (+11,27%)
Dow Jones: +1,21% (+2,58%)
Nasdaq 100: +5,67% (+12,04%)
Nikkei 225: +0,66% (+15,62%)
MSCI World ETF (iShares): +4,06% (+8,77%)
Bitcoin: +13,26% (+55,78%)
Nachdem im Vormonat veränderte Zinserwartungen in den USA die Aktienmärkte gedrückt hatten, ging es im Mai wieder aufwärts. Eine milde bis robuste Wirtschaftsentwicklung in den Industriestaaten, recht harmlose Inflationsdaten und der anhaltende KI-Hype trugen dazu bei. In der Eurozone zeichnete sich zudem eine Zinssenkung im Juni noch klarer ab.
Quelle: Google Finance, onvista