Manche Probleme vergehen nicht über Nacht.
(12 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)
- Deutschland hat weitaus höhere Strompreise als seine wichtigsten Wettbewerber. Das wirkt sich nachweislich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen aus.
- Die Gründe: Relativ hohe Staatsbeiträge (aka Steuern), der doppelte Ausstieg aus Kohle und Atom, und die hohen Anforderungen der Energiewende.
- Obwohl es stimmt, dass erneuerbare Energien günstig Strom liefern, tragen sie derzeit eher zu höheren Preisen bei: Die Anforderungen an Netzinvestitionen sind gigantisch; Residuallast muss anderweitig gedeckt werden.
- Ein positiver Effekt höherer Preise ist, dass sie Anreize für mehr Energieeffizienz und Innovation setzen – doch das funktioniert nur bis zu dem Punkt, an welchem Firmen wirtschaftlich nicht mehr fähig sind, zu investieren.
- Zu hohe Strompreise (Betonung auf “zu”) schwächen also die Wirtschaftskraft und schaffen soziale Gefahren, ohne eindeutig positive Effekte für den Klimaschutz zu haben. Hoffnungen, dass eine (nationale) Deindustrialisierung klimapolitisch hilfreich wäre, scheinen unüberlegt.
- Was tun? Es gibt einige Lösungsansätze, doch nur wenige davon sind schnell umsetzbar. Der Klassiker, welcher in jedem Fall notwendig ist: Eine Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus.
Vor zwei Wochen hatten wir einen Blick auf das Hier und Jetzt in Deutschland geworfen: Die kurzfristige Lage der Wirtschaft, insbesondere rund um einen schwächelnden Konsum, Angebotsschwierigkeiten der Industrie und hohe Verbraucherinflation. Das Bild war durchwachsen; allermindestens im laufenden Jahr muss sich Deutschland auf eine Schwächephase, womöglich auf eine Rezession einstellen.
Wagen wir jedoch den wichtigeren Blick: Was erwartet Deutschland in der Mittelfrist? Es ist kaum noch ein Geheimnis, dass die Bundesrepublik von einer Reihe von Strukturherausforderungen geplagt wird. Doch warum ist das eigentlich so? Und was sagt die Empirie darüber aus, wie groß sie sind? Schauen wir sie uns also genauer an. Diese Woche: Energie, genauer der Strommarkt.
Gut zu wissen: Da hatten wir uns ja mal einiges vorgenommen. Energie, Bürokratie, Fachkräfte, Steuern, Infrastruktur – alle “Headliner” der deutschen Strukturherausforderungen in einem Explainer? Da wir, so sehr wir es auch versuchten, die Tiefe einfach nicht zu stark auf dem Altar der Breite opfern konnten und die Kapitel immer länger wurden, gibt es jetzt statt einem Mega-Explainer zu allem einen handlichen Explainer nur zu Strom (selbst “Energie” war plötzlich zu breit, wobei sich die Probleme relativ gut übertragen lassen). Ein Explainer zu Bürokratie ist ebenfalls bereits fertig. Schick uns ein Feedback, ob dir die Reihe “Deutschlands Strukturkrise” gefällt und wir sie fortsetzen sollen.
Die Strom-Frage_
Die globale Energiekrise läuft seit Herbst 2021? Papperlappapp. Aus deutscher Sicht ist sie lediglich der verlängerte Arm einer strukturellen Energiekrise, welche es lange Zeit nur unterschwellig in die Schlagzeilen schaffte. Deutschland hatte längste Zeit einen der höchsten Strompreise der Welt und sieht sich einem ganz besonderen, durchaus einzigartigem Mix aus Herausforderungen ausgesetzt. Das hat viele negative und einige wenige positive Effekte.
Gut zu wissen: Dieser Explainer versucht sich so gut wie möglich nur auf die strukturelle Seite der deutschen Energieprobleme zu beziehen, nicht auf die akute Energiekrise. Wir fokussieren uns zudem auf den Strommarkt als Teil des Energiemarkts. Über die akute Energiekrise schrieben wir im Oktober 2021 hier und im Juli 2022 hier.
Wie ist die Lage in Deutschland? Ein Vergleich der Strompreise für Gewerbe- und Industriekunden in Europa aus dem Jahr 2020 – vor sämtlichen Verwerfungen am Energiemarkt – bietet Aufschluss:

Nirgendwo war Strom 2020 teurer als in Deutschland. In der obigen Grafik fehlt der Preis für Großverbraucher mit über 70.000 MWh Jahresverbrauch, bei welchem Deutschland dank einer Reihe von Ausnahmeregelungen und Erleichterungen besser abschneidet. Großverbraucher machen einen deutlich überproportionalen Teil der Wirtschaftsleistung aus, doch wenn es um die reine Zahl der Firmen geht, ist die obige Grafik ausreichend: 90 Prozent aller deutschen Firmen fallen in die geringe und mittlere Kategorie; 50 Prozent davon in die geringe, bei welcher Deutschland 2020 mit Abstand am teuersten war. Übrigens auch außerhalb der EU: Seien es die USA, Japan, die Türkei oder Großbritannien, nirgendwo kam der Strompreis an Deutschland heran.
Zugegeben: In den letzten Statistiken kam Deutschland etwas besser weg. Vergünstigungen wie der Wegfall der EEG-Umlage (dazu gleich mehr) und die schwierige Lage in anderen Ländern drückte die Bundesrepublik im zweiten Halbjahr 2022 ins EU-Mittelfeld. Die akuten Verwerfungen am Markt machen die Zahlen allerdings schwierig zu interpretieren. Es kann gut sein, dass Deutschland in den nächsten Jahren wieder zurückfällt. Und ohnehin: Wichtige Wettbewerber wie die USA und der Großteil Asiens sind auch Stand heute weitaus günstiger.
Warum so teuer?
Die Gründe für die strukturell hohen Preise sind vielseitig, doch einige stechen heraus. Deutschland erhebt verhältnismäßig hohe Steuern auf Strom, was den Preis erhöht. Der Staatsbeitrag betrug 2021 knapp die Hälfte des Gesamtpreises und legte zudem in den letzten 15 Jahren kräftig zu: Für Geringabnehmer hat sich die Steuer- und Abgabenlast zwischen 2007 und 2014 laut Analyse des Wirtschaftsinstituts IW versiebenfacht, seitdem stagniert sie weitestgehend, bis auf einen kleinen Sprung 2019. Der steigende CO₂-Preis – zuletzt mit über 86 EUR pro Tonne 3,5-Mal so hoch wie noch 2020 – verteuert Strom aus den emissionsintensiven Kraftwerken, welche 2022 noch 42,1 Prozent des Strommixes ausmachten und im Vorkrisenjahr 2019 (sowohl Energie- als auch Covidkrise ausgeklammert) immerhin 39,4 Prozent. Und zu guter Letzt trägt die Energiewende derzeit eher zu steigenden als zu fallenden Strompreisen bei.
Strom aus erneuerbaren Quellen (EE) ist fraglos günstig und wird rasant günstiger, zumindest an seinen Gestehungskosten (levelized cost of electricity, LCOE) gemessen. Darin sind die gesamten Lebensdauerkosten inbegriffen, allerdings mit einigen wichtigen Ausnahmen. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien und ihrer benötigten Infrastruktur – Speichersysteme sowie dezentrale und leistungsfähige Übertragungsnetze – fallen nämlich hohe Kosten an. Diese werden zu großen Teilen in den Strompreis verlagert. Da wären die Netzentgelte, welche für die Nutzung des Stromnetzes anfallen und durch den hohen Investitionsbedarf steigen. Die EEG-Umlage diente seit dem Jahr 2000 der Finanzierung des Erneuerbaren-Ausbaus, indem sie Endkunden auf die Stromrechnung draufgelegt wurde. Seit Januar 2023 ist sie zwar abgeschafft, doch bis dahin war sie längste Zeit der größte staatlich verursachte Kostenbestandteil (von einer Ausnahmeregelung namens BesAR profitierten nur große Firmen und auch davon nur ein Bruchteil). Und auch mit ihrer Abschaffung lagern Energiekonzerne die für sie entstehenden EE-Investitionskosten weiterhin auf Endkunden aus und die Netzentgelte sowie die Stromsteuer erhöhen den Gesamtpreis.
Gut zu wissen: Das neue Stromübertragungsnetz, welches Deutschland benötigt, ist wahrlich gewaltig: 14.197 Kilometer an neuen Trassen bis 2045, schätzen vier große Netzbetreiber, mit Gesamtkosten von etwa 129 Milliarden EUR. Kein Wunder, denn die deutsche Energiewende stellt erstens gewaltige Anforderungen an die Dimension des Stromnetzes – bis 2045 dürfte sich der Stromverbrauch im Land verdoppeln – und zweitens an seine Natur: Bisher gab es eine relativ kleine Zahl an relativ großen Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken, womit das Netz verhältnismäßig zentralisiert war; künftig gibt es eine gewaltige Zahl an mal kleineren, mal größeren Stromquellen (Windparks, Dachsolaranlagen, …), was ein ganz anders aufgebautes, “dezentrales” Netz erfordert. Und da erneuerbare Energien nun einmal geografisch diskriminieren, braucht es auch genügend Leitungen, welche etwa den windarmen Süden mit dem windreicheren Norden verbinden.
Zu guter Letzt spielen auch das bis dato ungelöste Grundlastproblem der erneuerbaren Energien und die “Reihenfolge” der Energiewende eine Rolle: Mit seinem fast parallelen Kohle- und Atomausstieg schaltet Deutschland seine zwei günstigsten nicht-erneuerbaren Kraftwerksarten ab. Was bleibt, um als Grundlast während EE-Flauten (wenig Sonne, wenig Wind) einzuspringen, sind die deutlich teureren Gaskraftwerke. Sogleich eine Minikorrektur: “Grundlast” ist nicht unbedingt ganz richtig. Das coole neue Wort ist heutzutage die Residuallast: Sie beschreibt, wie viel Bedarf übrig bleibt, nachdem die günstigen Wind- und Solaranlagen vollständig eingespeist wurden – sprich, das, was die Erneuerbaren nicht decken konnten. Grundlastkraftwerke laufen die ganze Zeit, Residuallastkraftwerke springen ein, wenn sie benötigt werden. Da hilft es übrigens auch nicht, dass Deutschland netto Stromexporteur ist, wie in Debatten zu Energiepolitik gerne auftaucht: An manchen Tagen muss es trotzdem Residuallast decken, denn die Erneuerbaren bleiben auch im Jahr 2023 volatil.
Für Deutschland spielt all das eine größere Rolle als für viele andere Staaten. Mit 45 Prozent EE-Anteil an der Stromerzeugung ist die Bundesrepublik unter den grüneren Industriestaaten und wird größtenteils von Ländern ausgestochen, welche frühzeitig und geografisch begünstigt auf erneuerbare Energien setzten, z.B. das zu 88 Prozent mit Wasserkraft betriebene Norwegen. Deutschlands Gewaltmarsch von 3,4 Prozent EE-Anteil (1990) auf 45 Prozent (2020) ist absolut einzigartig und wird von keinem anderen größeren Land der Welt erreicht – die ambitionierteren Staaten wie Italien, Spanien oder die Niederlande bieten nur rund 20 Prozentpunkte Wachstum. Bis 2030 soll der deutsche EE-Anteil noch einmal auf 80 Prozent steigen. Die Energiewende kommt also mit einem international einmaligen Kraftaufwand und Investitionsbedarf daher, was sich nun in höheren Strompreisen und den entsprechenden wirtschaftlichen Folgen äußert.

Warum uns die Preise interessieren
Hohe Strompreise sind aus wirtschaftlicher Sicht in ihrer Wichtigkeit kaum zu überschätzen, da fast sämtliche Produktionsprozesse Strom benötigen. Bedeutsame Branchen wie die Chemieindustrie (ca. 2.100 Firmen mit 466.500 Mitarbeitern) und die Metallerzeugung (ca. 650 Firmen mit 108.000 Mitarbeiter) sind unter den größten Stromverbrauchern. Vor Beginn des Ukrainekriegs machten Energiepreise in der Industrie laut DIHK etwa 5 bis 6 Prozent des Umsatzes aus; unter Dienstleistern rund 2 Prozent. Höhere Strompreise belasten dabei nicht nur direkt das Betriebsergebnis, womit sie Investitionen und Arbeitsplätze beeinflussen, sondern auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen mit höherer Kostenbasis müssen höhere Preise verlangen, womit sie bei internationalen Importeuren auf wenig Gegenliebe stoßen, gerade bei Produkten mit wenig Differenzierbarkeit. Und als Investitionsstandort verliert Deutschland entsprechend an Attraktivität, wenn jedes hiesige Projekt mit ebendiesen hohen Stromkosten zu kämpfen haben wird.
Für die Investitionsschwäche gibt es Daten. Das allein würde einen eigenen Explainer verdienen, doch in aller Kürze: Bis 2024 erwartet das Wirtschaftsinstitut IfW einen Anstieg der Investitionen in Deutschland gegenüber dem Vorkrisenniveau 2019 um lediglich 2,16 Prozent. Das ist deutlich unter den USA (3,65 Prozent), Japan (4,23 Prozent) und Großbritannien (7,20 Prozent), wobei letzteres mit dem Brexit einen schwächeren Basiswert hatte. Stand Juli 2023 hat Deutschland gerade erst das Vorkrisenniveau erreicht, wie auch China und Japan, doch deutlich unter den USA und Großbritannien.
Dass die Investitionen überhaupt steigen, ist natürlich positiv, doch dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein gewisses Plus nur dafür nötig ist, um den Kapitalstock zu erhalten: Kaputte Maschinen müssen ersetzt, veraltete Technologien ausrangiert werden. Laut IfW bleibt Deutschland unter diesem Ersatzniveau. Auch ist der Vergleich zu anderen Industrieländern nicht rein kosmetisch, denn es geht um die relative Wirtschaftskraft und die Vorreiter- oder Nachzüglerrolle in wichtigen Technologien, welche inländisch durch zahlreiche Wertschöpfungsketten wirken können.
Nicht jeder Rückgang bei den Investitionen lässt sich direkt an die Strompreise knüpfen, schließlich spielen viele Faktoren hinein und Firmen können eine verschlechterte Wettbewerbsposition ein Weilchen lang aushalten. Doch es ist überhaupt keine Frage, dass teurerer Strom einen Nachteil darstellt. Und die Toleranz, welche ein Unternehmen dafür hat, korreliert negativ mit seiner Größe: Kleine Firmen können sich hohe Strompreise nicht allzu lange erlauben und haben gleichzeitig oft wenig Wahl, da sie nicht einfach ihre Aktivitäten in günstigere Länder verschieben können. Im äußersten Fall bleibt ihnen nur die Geschäftsaufgabe; als Zwischenstufe die Verkleinerung ihrer Operationen auf ein profitables Maß – hinter den blumigen Worten verstecken sich Kündigungen, stagnierende Gehälter und sinkende Steuereinnahmen. Größere Unternehmen sind zwar resilienter, doch auch oftmals geografisch flexibler, was fragwürdige Effekte für das Heimatland hat: Sie verschieben Investitionen, Vertriebskanäle oder anderweitige Geschäftsaktivität in günstigere Länder, womit dem Heimatland Kapital, Arbeitsplätze, Steuerumsätze und Know-how entgehen.
Fürs Klima (nicht unbedingt) gut
Ein positiver Effekt der hohen Strompreise ist der Innovationsdruck, der entsteht. Die Preise bieten greifbare, teils existenzielle Anreize, in die Energieeffizienz zu investieren oder Strom zu sparen. Sei es Chemiegigant BASF, welcher sich eigene Windparks leistet, oder der Bäcker von nebenan, welcher eine Solarzelle aufs Dach baut. Das ist gerade aus klimapolitischer Sicht eine erfreuliche Investitionsrichtung. Andersherum schrecken Strompreise allerdings auch vor der Elektrifizierung ab, welche in vielen Branchen, am prominentesten dem Verkehrssektor, ansteht. Und wenn der Druck, welcher hinter dem Anreiz steht, zu groß wird, brechen Unternehmen die Kapazitäten weg, um positive Investitionen zu tätigen. Von den sozialen Folgen und ihren Effekten auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Stand heute recht beliebten Energiewende ganz abgesehen.

Eine “Deindustrialisierung”, mitunter im Sinne vom (breit interpretierbaren) “Degrowth” romantisiert, ist damit unter Umständen auch fürs Klima gefährlich. In einer sanften Form mag sie lediglich eine harmlosere Umverteilung von emissionsintensiven zu emissionsärmeren Branchen darstellen oder leicht sinkende Wirtschaftsleistung und Lebensstandards für geringere Emissionen eintauschen. In einer radikalen Form – mit der Rückkehr zu einer Agrargesellschaft turtelnd – ist sie kaum durchdacht, gesellschaftlich nicht legitimierbar und läuft schnell dem eigenen Ziel des Klimaschutzes zuwider. Zur Erinnerung: Im Covid-Jahr 2020 fiel der CO₂-Ausstoß dank massiver Lockdowns in Deutschland um fast 9 Prozent, global um fast 5 Prozent, allerdings nur unter hohen sozialen Kosten (welche in den Industriestaaten teils durch gigantische Hilfspakete abgefedert wurden). Über ausreichend Jahre aufrechterhalten könnte dieser Rückgang zwar genügen, um sich den Pariser Klimazielen zumindest zu nähern, doch die sozialen Kosten wären verheerend und die Rückkopplungseffekte auf die Akzeptanz von Klimapolitik massiv. Dazu kommt, dass eine solche Strategie unilateral sofort verpuffen würde: Deindustrialisiert nur Deutschland (ob freiwillig oder versehentlich), wandern die Emissionen via Produktion und Konsum lediglich anderswohin – sogenannte carbon leakages, oder “CO₂-Lecks”. Hoffnungen, dass die Manöver andere Staaten zur Nachahmung inspirieren, sind hochspekulativ und verkennen die Interessensstruktur, welche wir in Aktion erleben und die meisten Staaten auch offen kommunizieren: Klimaschutz, aber nur, wenn die Schäden für Wirtschaft und Entwicklung akzeptabel bleiben.
Bei den Strompreisen verhält es sich also so, dass ein zu hoher Preis wirtschaftlich, sozial und letztlich klimapolitisch kritisch ist, ein zu niedriger Strompreis jedoch klimapolitisch versagt und wichtige Anreize aufgibt. Wo sich der “richtige” Preis befindet, ist eine Frage, welche sich etwa bei der Setzung des CO₂-Preises im europäischen Emissionshandelssystem stellt. Für Deutschland als (Fast-)Preisweltmeister steht aber zumindest die richtige Richtung fest.
Was also tun?
Es gibt ein paar Möglichkeiten, dem strukturell hohen Strompreis beizukommen, doch nicht allzu viele schnelle. Der Staat könnte nach dem bereits vollzogenen Wegfall der EEG-Umlage auch andere Beiträge zum Strompreis senken, vor allem die Stromsteuer und Netzentgelte. Dieser Vorschlag ist der Klassiker in der Debatte und grundsätzlich auch richtig, doch würde von staatlicher Seite die Aufgabe recht hoher Umsätze bedeuten. Das Design des Strommarkts lässt sich reformieren, worüber seit Ewigkeiten Diskussionen laufen. Eine europäische Integration von Stromnetzen- und Märkten könnte diese effizienter machen, wobei die Kosten bedeutend wären: Es geht nicht nur darum, mal eben ein paar Leitungen aneinander zu drücken, sondern unterschiedlich funktionierende Systeme kongruent zu machen. Der Kohleausstieg ist in Anbetracht des gesellschaftlich klaren Zuspruchs und der klimapolitischen Notwendigkeit höchstens formbar, jedoch nicht antastbar. Der ziemlich unbeliebte Atomausstieg lässt sich politisch auf absehbare Zeit nicht umkehren. Andere Pflaster, wie eine aktuell diskutierte Subventionierung des Industriestrompreises, sind umstritten: Die Subvention würde zwar den Preis reduzieren, allerdings nur künstlich und auf Staatskosten. Im akuten Krisenfall kann das angemessen sein, doch wir sprechen ja über ein strukturelles Problem. Die Subvention würde Effizienzanreize stören (sprich, den Ausbau der Erneuerbaren), ohne fundamental etwas am Markt repariert zu haben. Da zudem vor allem größere Firmen profitieren dürften, wie schon bei der Ausnahme von der EEG-Umlage, wird es zu Verzerrungen im Markt zu Ungunsten kleiner und mittlerer Firmen kommen – kein Wunder, dass einige Branchenverbände dagegen sind, andere dafür. Nützlicher könnten Investitionszuschüsse sein: Sie lassen den Strompreis unangetastet, doch halten das Investitionsniveau hoch. Das belässt positive Anreize und stärkt diese sogar. Auch der (nicht ganz unparteiische) Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) präferiert solche “nachmarktlichen” Maßnahmen.
Die beste Lösung, doch in Anbetracht ihrer Langfristigkeit leider auch die faule “Klausurantwort” (im selben Sinne, wie sich jedes Problem sicherlich durch “mehr Bildung” lösen ließe) ist es, den Ausbau der erneuerbaren Energien schneller voranzutreiben. Der Investitionsbedarf der Energiewende ist unumgänglich und wird sich auf den Strompreis niederschlagen. Je schneller und effizienter er also abgearbeitet ist und das Speicher- bzw. Grundlastproblem gelöst ist, umso früher machen sich die günstigen Gestehungskosten im Strompreis bemerkbar. Nun ist die Sache mit dem Ausbau leider gar nicht so einfach, wie dieser Explainer angerissen hat. Einmal, weil der Bedarf wirklich enorm und die Komplexität hoch ist. Zweitens, weil… nun ja, das ist dann der nächste Explainer: die Bürokratie.
Weiterlesen:
Die Lage der Wirtschaft in Deutschland (im Hier und Jetzt) (Juli 2023)
Die Energiekrise (Oktober 2021)
Die Energiekrise, in zwei Teilen (Juli 2022)