Eine neue Technologie steht in den Startlöchern. Was bringt sie mit?
22.12.2024
Small Modular Reactors | Chancen | Risiken | Klimapolitik | Fazit
(15 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Kleine modurale Reaktoren (small modular reactors, SMR) sind eine der spannendsten Zukunftstechnologien in der Atomenergie.
- Durch ihre einfachere, modulare Produktion versprechen sie, in der Produktion günstiger und risikoärmer sowie flexibler in der Anwendung und womöglich sicherer zu sein.
- Sie könnten Atomkraft an Orte und in Länder bringen, wo sie bislang nicht wirtschaftlich oder logistisch unmöglich war.
- Auf der anderen Seite könnten sie Atomenergie schwieriger kontrollierbar, da dezentraler und breiter verfügbar, machen.
- Das erhöht womöglich doch die Gefahr für Unfälle sowie die Verbreitung von waffenfähigem radioaktivem Material.
- Auch ist die Wirtschaftlichkeit noch schwierig einschätzbar, da die Leistung der SMR im Vergleich zu großen AKW gering ist und sie sich wohl erst nach Tausenden produzierten Einheiten rentieren.
- Der klimapolitische Effekt ist schwierig einzuschätzen: Grundsätzlich ist Atomenergie emissionsarm, doch die zentrale Frage dürfte sein, inwieweit SMR erneuerbare Energien kannibalisieren.
- Noch sind SMR in keinem nennenswertem Maße kommerzialisiert, womit die Antwort auf all diese Fragen auf die nächsten 10 bis 15 Jahre verschoben ist.
Small Modular Reactors_
(3 Minuten Lesezeit)
Manchmal ist einem nach Abschluss eines Großprojekts gar nicht zum Feiern zumute. Als der Atomreaktor Flamanville 3 in Frankreich vor wenigen Tagen offiziell ans Netz ging und erstmals Strom einspeiste, riss sich vermutlich niemand um die Aufgabe, feierlich die große rote Schleife zu zerschneiden: Der Bau des 2007 begonnenen Projekts hatte nicht bis 2011, sondern bis 2024 gebraucht; die Kosten waren von veranschlagten 3,3 auf 19,1 Milliarden EUR gestiegen.
Kein anderes Projekt ist so sehr zum Inbegriff für die Tücken der Atomkraft geworden, wie Flamanville 3. Es ist einer von vielen Schauplätzen eines scharfen Diskurses rund um die Energieform, welcher wohl nirgendwo so erbittert geführt wird (oder, bis zum Sieg des Anti-Atom-Lagers, geführt wurde) wie in Deutschland. Unterstützer der Atomkraft erkennen eine sichere, effiziente und emissionsarme Energieform, deren Risiken in Form kritischer Unfälle oder der Endlagerung überschätzt werden. Kritiker priorisieren ebendiese Risiken und weisen Lösungsansätze als unzureichend zurück, zweifeln an der Wirtschaftlichkeit der Energieform, hinterfragen bestimmte Lieferketten und befürchten, dass sie erneuerbare Energien verdrängt und damit der Klimapolitik (für welche sie ohnehin zu langsame Bauzyklen besäße) mehr schadet als nützt.
Bei der Betrachtung der Atomenergie geht es aber längst nicht mehr nur um die herkömmlichen Kraftwerke, zu welchen auch Flamanville zählt. Der Blick voraus zeigt eine Reihe hochmoderner neuer Entwicklungen. Darunter sind “Next Generation“-Reaktoren, Thoriumreaktoren und Small Modular Reactors, also kleine modulare Reaktoren. Letztere dürften das prominenteste Zukunftsmodell sein – und jenes, in welchem viele Unterstützer der Atomkraft am meisten Potenzial erkennen.
Gut zu wissen: Die whathappened-Redaktion schrieb in “Das Ende der Atomenergie” (2023) über den deutschen Diskurs sowie die Evidenz hinter der Sicherheit und Emissionsintensität der Atomenergie. In “Die Zukunft der Atomenergie: Die Endlagerung” (2023) erklärte sie dann Atommüll und den Stand der Zwischen- und Endlagerung. Beide Links findest du auch am Ende dieses Explainers.
Klein und modular
Was sind diese Small Modular Reactors (SMR) von denen jeder spricht? SMR sind keine ganz neue Technologie, sondern eher eine Rekonfiguration konventioneller AKWs. Es handelt sich um kleine Reaktoren mit bis zu 300 Megawatt (MW) Leistung – im Vergleich dazu produziert ein „normales“ AKW im Schnitt zwischen 1.000 MW und 1.500 MW. Die meisten SMR-Designs haben aber eine viel niedrigere Leistung, etwa so viel wie Reaktoren, die heute Schiffe wie Flugzeugträger, U-Boote und Eisbrecher antreiben. Das macht sie also klein.
Modular macht sie, dass sie aus einzeln herstellbaren Teilen montiert werden, die austauschbar und in Masse produzierbar sind. Heutige AKWs dagegen werden größtenteils nach spezifischen Anforderungen ihres konkreten Standorts gebaut, ihre Teile sind einzigartig und komplex. SMR sind als in sich geschlossene Einheiten konzipiert, die unabhängig vom Standort eingesetzt werden können; sie werden in Fabriken vormontiert und müssen am Standort nicht mehr weiter bearbeitet werden. Man muss sie dort nur aufstellen und an das zu versorgende Stromnetz anschließen.
Bislang gibt es nur zwei kommerziell operierende Reaktoren, die in die Definition der SMR fallen, einer in Russland und einer in China. Russland hat in seiner nördlichsten Stadt Pewek zwei 35 MW Eisbrecher-Reaktoren im Hafen verbaut und versorgt damit die rund 4.000 Einwohner mit Strom und Wärme. China hat derweil 2024 den SMR “Linglong One” mit 125 MW in Betrieb genommen. Japan betreibt außerdem einen Testreaktor. Mehr als 80 weitere Designs in 18 Ländern befinden sich derzeit in der Entwicklung oder im Bau. 2022 erlangte die Firma NuScale Power als erstes für ein SMR-Design eine Zulassung in den USA und damit in der westlichen Welt. So scheint einer Massenimplementierung nichts mehr im Wege zu stehen – theoretisch.
Die Chancen der SMR_
(5,5 Minuten Lesezeit)
Das Model T unter den Atomkraftwerken
Die Vorteile von SMRs nannten wir bereits eingangs: Ihre kleine Größe und modularer Aufbau erlaubt eine Serienfertigung in der Fabrik, praktisch per Fließband, und nicht als gigantisches, hochkomplexes Einzelprodukt, wie es derzeit mit großen AKWs der Fall ist. Das bedeutet Effizienzgewinne und somit geringere Kosten, aber auch ein einfacheres Qualitätsmanagement, da ein standardisierter Prozess und ein normiertes Produkt im Zentrum stehen. Das könnte waghalsige Eigenentwicklungen großer Reaktoren verhindern, vor allem in Schwellenländern, wo die Sicherheit der Anlagen womöglich niedriger und die Katastrophengefahr somit erhöht wäre. Eine Infrastruktur aus verfügbaren SMR samt Wartungs- und Lizenzsystemen könnte damit zur globalen Sicherheit beitragen.
Zugleich erlaubt die modulare Bauweise, dass Kunden trotzdem nicht zwingend ein einziges Produkt “von der Stange” erhalten, sondern ihren SMR an ihre eigenen Anforderungen anpassen können – indem sie einfach Module hinzufügen oder weglassen. Auch der Abbau und das Recycling nach den schätzungsweise 30 bis 40 Jahren Lebensdauer dürften einfacher sein. Und die geringe Größe und der geringe Preis pro Einheit erlauben es, Atomenergie für lokalere, kleinere, dezentralere Anwendungen als bisher zu nutzen. In anderen Worten: Sie an den vielen Orten einzusetzen, wo es bislang nicht möglich war.
Wo auch immer du dein AKW willst
Das meint zum einen Länder, wo die hohe benötigte Technologie-, Kapital- und Kompetenzdichte nicht gegeben ist, die ein großes AKW-Projekt benötigt: Selbst Staaten wie Indien und Iran – mit reichlich politischem Willen für ein Atomprogramm ausgestattet – tun sich schwer mit der Herstellung komplexer technischer Schlüsselbauteile und dem Gewinnen sowie Anreichern von ausreichend Brennstoff. Wieder andere können nicht das benötigte Kapital für ein großes AKW aufbringen. Und das Kraftwerk benötigt zahlreiche Arbeiter mitsamt hoch ausgebildeter Spezialisten.
Zum anderen meint es Orte, an denen ein großes Atomkraftwerk logistisch oder in Anbetracht der kommerziellen Sinnhaftigkeit nicht entstehen kann. Wie bei jedem Großvorhaben benötigt es ein Straßennetz und ausreichend Transportinfrastruktur und eine verlässliche Energieversorgung. AKWs lassen sich deswegen schlecht in menschenleeren Gegenden errichten, obwohl sie gerade dort mit Hinblick auf die Sicherheitslage wünschenswert wären. Darüber hinaus produziert ein großes AKW so viel Energie, dass es schlichtweg Verschwendung wäre, damit dünn besiedelte Gebiete zu versorgen – die Netzverluste an Distanz und Unterverbrauch wären einfach zu hoch. Russlands schwimmendes SMR in Pewek – der Inbegriff für “menschenleer” – ist ein Beweis dafür, wie vormals unmögliche Gebiete nun mit Atomenergie versorgt werden können. Andersherum konnten AKWs auch nicht mitten in Großstädten stehen, da sie viel Platz einnehmen, SMR könnten es durchaus und praktisch die Nachbarschaft mit Strom und Wärme versorgen.
Wer braucht schon Kühlung
Die geringere Energieproduktion von SMR hat ebenfalls Vorteile: Sie benötigen weniger Kühlung. Es ist kein Zufall, dass bestehende Kraftwerke beinahe immer an natürlichen Wasservorkommen gebaut werden. Zum einen brauchen sie das für die Energiegewinnung, denn die vom Reaktor produzierte Hitze muss noch in nutzbare Elektrizität umgewandelt werden, was über einen Wasserdampf-Kreislauf passiert: Der Reaktor verdampft Wasser, was eine Turbine antreibt – das Prinzip Dampfmaschine bleibt also selbst in der Atomkraft zentral.
Zum anderen produzieren kommerzielle Reaktoren zu viel Hitze, denn die kann mit existierenden Technologien nicht vollständig in Elektrizität umgewandelt werden. Damit die im Reaktor stattfindende Kettenreaktion nicht außer Kontrolle gerät, muss der Reaktor also konstant gekühlt werden. Dafür benutzen 96 Prozent aller operierenden Reaktoren weltweit Wasser, meist fließendes Wasser aus Flüssen und Meeren. Alternativen gibt es nur wenige, keine wird kommerziell betrieben.
SMR mit ihrer weitaus kleineren Leistung und damit geringeren Zerfallswärme könnten dagegen vielleicht auch ohne ständige Wasserzufuhr operieren. Nämlich durch sogenannte Konvektionskühlung (also praktisch per natürlichem Luftstrom), Wärmepumpen oder durch Gaskühlung mit Helium oder Kohlendioxid. Einige SMR-Konzepte kommen sogar ganz ohne aktive Kühlung aus. Das bedeutet, dass SMR auch abseits von Wasservorkommen entstehen können – ein weiterer Punkt für die Flexibilität. Und sie ließen sich einfacher unter Kontrolle halten und sind weniger störanfällig. Ein kritischer Ausfall der Notfallkühlung wie bei Katastrophen wie Fukushima 2011 und Three Mile Island 1979, ist damit unwahrscheinlicher oder in einigen Designs theoretisch unmöglich.
Gut zu wissen: Die Versorgung abgelegenster Orte mit Wärme und etwas Elektrizität war schon immer eine der wichtigsten Motivationen für die Massenproduktion von Atomtechnologie. In der Sowjetunion wurden rund 2.500 thermoelektrische Generatoren des Typs Beta-M produziert und teils wahllos in der Pampa verteilt. Dabei handelt es sich zwar nicht um einen echten Reaktor, doch die Generatoren sind radioaktiv, da sie das Isotop Strontium-90 als Quelle für Wärme und elektrische Energie nutzen. Noch heute werden die verstreuten „Nuklearbatterien“ ab und an von unwissenden Findern geöffnet – mit desaströsen Folgen.
Kernschmelzen waren gestern
Das größte operative Risiko eines Atomkraftwerks ist die Kernschmelze. Die beschreibt es, wenn die Reaktorkühlung samt sämtlicher Notkühlungen aufgibt und die sogenannte Nachzerfallswärme die Brennstäbe schmelzen lässt. Das Ergebnis ist ein glühender, hochradioaktiver Klumpen, der sich nicht löschen lässt. Die Uranelemente zerfallen zu leichteren, noch immer hochgiftigen Elementen, die Luft, Wasser und Boden verseuchen.
SMR sind dafür nicht per se anfälliger als alle anderen Reaktortypen und durch ihre geringere Leistung und ihre einfachere Kühlung erst einmal wohl sogar sicherer. Die Planer von SMR versuchen, eine Kernschmelze so gut wie ausgeschlossen zu machen. Dabei stützen sie sich vor allem auf eine besonders simple Konstruktion, die wenig störanfällig ist und so im Idealfall passive Sicherheit bietet.
Bei bestehenden AKWs ist die Fähigkeit, Wärme aus dem Kern abzuführen, abhängig von äußeren Faktoren, wie der Verfügbarkeit von Kühlwasser und externem Strom für dessen Pumpen. Fallen sie aus, kann der Reaktor für eine limitierte Zeit passiv gekühlt werden, bis die aktive Kühlung wiederhergestellt ist. Bei bestehenden Kraftwerken sind die Grenzen dieses passiven Systems schnell erreicht. Wenn jedoch Reaktorleistung und Konstruktion so aufeinander abgestimmt werden können, dass der Kern sich allein über passive Systeme kühlen lässt, wäre eine Überhitzung und damit eine Kernschmelze aus dem normalen Betrieb heraus theoretisch ausgeschlossen.
Das NuScale Power-Konzept bietet ein Beispiel hierfür. Es kombiniert passive Kühlung durch besagte Konvektion, die also nicht von (theoretisch störungsanfälligen) Pumpen abhängig ist, mit einem integralen Stahlbehälter, der die gesamte Reaktoreinheit umgibt und mit Wasser gefüllt ist, das nicht entweichen kann. Hierdurch kann ein Notfallkühlsystem exzessive Wärme aus dem Reaktor in dessen Wasserhülle abgeben, ohne dass die Umwelt kontaminiert würde. Es handelt sich praktisch um ein in sich geschlossenes „Stahl-Ei“. NuScale verspricht gar „Walk-Away Sicherheit“ – man könnte den Reaktor also wortwörtlich fernab menschlicher Zivilisation unter der Erde begraben und müsste sich nicht mehr um ihn kümmern, da er sich im Störungsfall einfach selbstständig problemlos herunterkühle.
Die Risiken der SMR_
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Dem Reaktor nebenan trauen
SMR wirken wie eine fantastische Lösung: Effizient, flexibel und sicher. Daneben gibt es allerdings eine ganze Reihe an offenen Fragen und Schwierigkeiten.
Da wäre die Sicherheit. Die theoretische Sicherheit der SMR-Konzepte muss selbstverständlich noch getestet werden. Die Versprechen der Hersteller sind nicht unumstritten: Bei NuScales “Walk Away”-Konzept befand das amerikanische Advisory Committee on Reactor Safeguards (ACRS) 2020 etwa, dass zu wenig Bor im Wasser bleiben könnte, um eine Kernschmelze zu verhindern. NuScale legte daraufhin ein neues Design vor, in welchem Bor dem Wasser gegebenenfalls zugesteuert werden kann. Das benötigte allerdings 10 Ventile, welche allesamt funktionieren müssten – “10 einzelne Ausfallpunkte”, kritisierte ein ACRS-Mitglied.
Die recht technische (und inzwischen vergangene) Diskussion betrifft ein sehr relevantes Problem, nämlich wie sicher ein Design denn nun tatsächlich ist. Wenn SMR dank ihrer geringen Größe und Kosten sowie hoher Flexibilität tausendfach und inmitten von Wohngebieten zum Einsatz kommen, wäre selbst eine kleine kritische Störungsanfälligkeit pro Reaktor ein kumuliert hohes Risiko, auch wenn das absolute individuelle Katastrophenpotenzial geringer als bei regulären Atomkraftwerken ausfällt. Ob SMR zu einer höheren Sicherheit von Atomkraft im Ganzen führen werden, ist damit fraglich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Mix aus einem selbstbewussten Eigenverständnis als modernere, sicherere Variante der Atomkraft und der Wunsch, schneller kommerzialisieren zu können, die Hersteller dazu treibt, einen Abbau von Regularien zu fordern. Staaten, welche in der Hochtechnologie an die Speerspitze zu gelangen versuchen, dürften verlockt sein, dem Folge zu leisten.
Kernreaktoren sind jedoch das Paradebeispiel für komplexe Systeme: Man kann sie noch so gründlich durchrechnen und Planen, in der Realität ergeben sich immer wieder Wechselwirkungen und unerwartete Effekte, die hinsichtlich des im Katastrophenfall enormen Zerstörungspotentials der Technologie eben wirklich katastrophale Folgen haben können. Die moderne Atomwirtschaft beugt dem durch extreme Vorsicht zuvor, welche rasch auf einen anfänglichen Enthusiasmus in den 1950ern folgte. Einer der Grundsätze des verantwortungsvollen Einsatzes der Kernkraft wurde es, diese so sehr zu konzentrieren wie möglich. Anstatt hunderter kleiner Reaktoren baute man einige wenige große, welche sich leichter überwachen ließen. Gebaut wurden sie zwar abseits der Großstädte, aber doch nah genug an der Zivilisation, um schnell ein Krisenteam zur Verfügung zu haben. SMR würden mit beiden Aspekten dieses Konsenses brechen.
Nuclear proliferation, in etwas anders
Ein anderes Sicherheitsproblem entsteht durch einen der Vorteile der SMR: Ihre einfachere Verfügbarkeit. Die Konzentration von nuklearer Technologie, teilweise natürlich durch ihre Komplexität geschaffen, erlaubt auch eine scharfe Kontrolle ihrer Verbreitung. SMR können Atomenergie jedoch verstärkt in Entwicklungs- und Schwellenländer bringen und würden somit mehr Atomkraftwerke an Orten, wo die entsprechende Expertise rar ist, bedeuten. Selbst wenn ihre Herstellung vorerst bei Ländern mit ausreichenden Standards verbleiben dürfte, so könnten beim Betrieb und der Wartung der Anlagen Risiken entstehen.
Zudem entstehen in allen kommerziellen Atomreaktoren Materialien, die zum Bau von atomaren Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden können. Mit SMR würde hochradioaktives Material deutlich dezentraler anfallen. Die Überwachung wäre erschwert. Und es würde erneut einfacher in Schwellen- und Entwicklungsländer geraten, mitsamt der einhergehenden höheren politischen Instabilität. Für staatliche oder nichtstaatliche Akteure wäre es einfacher, an radioaktives Material zu gelangen, um es für feindselige Aktionen einzusetzen. Und die SMR könnten eher zum Ziel oder Kollateralschaden eines bewaffneten Konflikts geraten – die Art von Schock, welche nicht jedes theoretische Sicherheitskonzept erfolgreich besteht.
Effizient – oder doch nicht?
Das nächste Problem mit SMR ist ihre Wirtschaftlichkeit. Sie sind zwar deutlich einfacher und günstiger zu bauen und profitieren von einer Fließbandfertigung, doch zugleich sind sie eben auch kleiner. Ein Report im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) kommt zu dem Ergebnis, dass SMR sich aufgrund ihrer geringeren Leistung im Schnitt erst ab 3.000 Einheiten für einen Hersteller rentieren würden. Bisherige SMR-Projekte hätten zudem meistens ihre Produktionszeitpläne gerissen, womit also die Projektunsicherheit großer AKWs zumindest in kleinerem Rahmen auch hier existiert. Der Fairness halber muss bedacht werden, dass sich SMR als Technologie noch in einem extrem frühen Stadium befinden und sowohl Kosten als auch die Produktionsunsicherheit noch kräftig fallen dürften. Doch dass die Kosten pro Megawattstunde bei einem SMR höher als bei einem betriebsfähigen großen AKW ausfallen, ist unumstritten. Damit werden hohe Stückzahlen zur Notwendigkeit.
SMR sind dabei womöglich eine der relativ wenigen Branchen, in welchen der “first mover”, also der früheste Anbieter, eher einen Nachteil als einen Vorteil besitzt. Er liefert dem Rest der Branche jene teuren Erfahrungen und Fehler, aus welchen besagter Rest lernen kann. Jeder Hersteller könnte nach dieser Logik ein Interesse haben, jemand anderes zuerst an den Markt gehen zu lassen, um dann selbst schneller und effizienter nach zu folgen. Auch Investoren könnten mit ihrem Kapital warten, bis sie anderswo erste Resultate gesehen haben. Das würde die Kommerzialisierung und wichtige Testzyklen verzögern.
Gut zu wissen: Dass das Thema SMR auch für BASE noch Neuland ist, zeigt die Website. Wer einer Kurzmeldung über besagten Report, auf welche wir uns oben bezogen, zum Download der englischen Version folgen möchte, landet auf einer Website mit kryptischem Titel und “Lorem ipsum”-Text.
Atommüll
Beim Betrieb eines Atomkraftwerks fällt Atommüll an, welcher gelagert werden muss – und das ist bei einem SMR nicht anders. Im Detail gehen die Analysen etwas auseinander: Einige Forscher erkennen bei SMR weniger Atommüll als bei herkömmlichen AKWs, andere errechnen teils deutlich mehr. Die hohe Zahl unterschiedlicher Designs und natürlich die Tatsache, dass kaum eines davon bereits operabel ist, erschweren die Analyse zum jetzigen Stand. Intuitiv ist jedoch, dass der wahrscheinliche Verbreitungseffekt der SMR – die leichtere Verfügbarkeit in ärmeren und politisch instabileren Ländern – im Umgang mit radioaktivem Müll mehr Risiken schaffen könnte.
Gut zu wissen: Unser Explainer “Die Zukunft der Atomenergie: Die Endlagerung” aus April 2023 wirft einen tieferen Blick auf das Thema Atommüll, Zwischen- und Endlagerung. Der Link ist auch am Ende dieses Explainers.
Klimapolitik_
(2 Minuten Lesezeit)
Potenzial, aber begrenzt
Eine große kommunizierte Motivation hinter SMR ist die Bekämpfung des Klimawandels. Atomkraft hat gegenüber Kohle und Erdgas ein äußerst vorteilhaftes Emissionsprofil, auch auf den Lebenszyklus betrachtet und ganz besonders relativ zur Leistung gemessen. Große Atomkraftwerke leiden aber unter dem Problem, dass sie im Schnitt 7 Jahre für den Bau und noch einige Jahre mehr für die Planung benötigen. Das disqualifiziert Atomkraft nach Ansicht ihrer Gegner als klimapolitisches Mittel; die langsamen (und verzögerungsanfälligen) Bauzeiten sind in jedem Fall aber eine Schwachstelle.
SMR haben eine gute Chance, dieses Problem nicht zu haben. Doch inwiefern sie als klimapolitisches Mittel dienen können, ist fraglich. Damit sie den Strommix in nennenswertem Maße übernehmen können, wird es Tausende SMR benötigen – der BASE-Report schätzt “Tausend bis Zehntausend” Anlagen, um allein die Stromgeneration aller bestehenden Atomkraftwerke zu erreichen. Das schafft enorme logistische, technologische und bürokratische Herausforderungen. Zudem steigen mit jeder neuen Anlage die besagten Sicherheitsrisiken rund um Unfälle in bewohnten Gebieten und die Verbreitung radioaktiven Materials.
Auch ist das absolute Potenzial letztlich begrenzt. Stellen wir uns einmal vor, die Regularien würden so weit aufgeweicht, dass sofort mit dem massenweisen Bau von SMR begonnen werden könnte: Laut OECD-Projektionen aus dem Jahr 2021 könnten dann in den nächsten 30 Jahren bis zu 375 Gigawatt an SMR-Kapazität gebaut werden, sehr ähnlich zu dem, was derzeit an herkömmlicher Atomenergie existiert. Das könnte gegenüber dem momentan bestehenden Energiemix rund 15 Gigatonnen an CO₂-Ausstößen einsparen. Zum Vergleich: 2023 entstanden global rund 35,8 Gigatonnen CO₂-Emissionen. Würden alle nuklearen Optionen eingesetzt, also SMR, neue konventionelle Großkraftwerke, verschiedene Hybridsysteme und laufzeitverlängerte bestehende Kraftwerke, ließen sich über drei Jahrzehnte schätzungsweise bis zu 87 Gigatonnen einsparen, also rund 2,5 Jahre an Emissionen. Das wäre ein wertvoller, aber beschränkter Beitrag gegen den Klimawandel; basiert auf einem Maximalszenario und muss gegen besagte neue Risiken durch SMR abgewogen werden.
Der Kannibale im Schafspelz?
Dazu kommt, dass Uran und ähnliche Brennstoffe endliche Ressourcen sind – Schätzungen zufolge reicht der Weltvorrat, inklusive der geschätzten bis jetzt noch unentdeckten Vorkommen, beim heutigen Verbrauch für noch gut 230 Jahre. Damit mag das eher ein langfristiges Problem darstellen, doch ein radikaler Aufbau einer SMR-Infrastruktur würde den Verbrauch ankurbeln und mit schwindenden Vorräten würden die Betriebskosten steigen. Auch hat die Uran-Lieferkette, welche etwa nach Kasachstan und Russland führt, geopolitische Implikationen (siehe Grafik oben). Und einige Beobachter befürchten, dass Investitionen in SMR Kapital und politischen Willen von den erprobten, doch ihrerseits mit eigenen Problemen behafteten erneuerbaren Energien weglenken und damit letztlich die Klimapolitik verlangsamen, statt sie zu beschleunigen.
Ein Fazit_
(2 Minuten Lesezeit)
Chancen und Risiken
Small Modular Reactors sind eine Technologie, welche in den kommenden 10 bis 15 Jahren ihre Gelegenheit bekommen wird, sich zu erproben. Sie verspricht eine für Atomkraftwerke hocheffiziente, schnelle, günstige Produktion; einen äußerst flexiblen Einsatz; und eine kleine globale “Demokratisierung” der Atomenergie.
Auf der anderen Seite steht eine nicht ganz eindeutige Kommerzialisierbarkeit, welche davon abhängen wird, wie effizient die Hersteller tatsächlich produzieren müssen, damit die vergleichsweise leistungsarmen SMR sich rentieren. Und was SMR für die Sicherheit der Atomenergie bedeuten, ist ebenfalls nicht ganz klar. Kleinere Reaktoren bedeuten erst einmal weniger Risikopotenzial, doch dafür wird es auch deutlich mehr davon geben – und es wird mittelfristig einfacher für sie sein, in ärmeren und instabileren Ländern zu stehen.
Im Kampf gegen den Klimawandel können SMR – insofern sie sich als grundsätzlich sicher und wirtschaftlich beweisen – einen Beitrag leisten, sind aber kein Königsweg zur Lösung. Dafür ist ihr realistisches Maximalpotenzial zu begrenzt; weitere Risiken ganz außer Acht lassend.
Wie SMR zu bewerten sind
Wie sehr SMR zur globalen Energiesicherheit beitragen werden, wird sich anhand der Faktoren oben entscheiden: Wie effizient und zuverlässig sie sich tatsächlich bauen lassen; wie lange sie laufen müssen, um sich zu rentieren; und wie sicher sie sind.
Die klimapolitische Dimension entscheidet sich anhand von zwei Überlegungen: Zum einen, die Interaktion mit den bestehenden Technologien rund um Solar- und Windenergie. Entziehen SMR diesen tatsächlich Kapital, Humankapital und politischen Willen? Die Erneuerbaren haben Schwachstellen, etwa die Frage nach der Grundlast, doch ihre Emissionsarmut ist keine. Würden SMR den Erneuerbaren-Ausbau verlangsamen, wäre der positive Emissionseffekt der “neuen” Atomenergie reduziert oder im Extremfall netto-negativ. Für die Priorität der Energiesicherheit wäre das nicht zwingend ein Problem, für die Priorität der Emissionssenkung dagegen schon.
Zum anderen müssen SMR vor dem Hintergrund der internationalen und nicht nur deutschen Energiedebatte gesehen werden. Die verhärtete deutsche Linie zur Atomkraft ist international zwar nicht einzigartig, aber ungewöhnlich – und lässt sich in keinem auch nur annähernd ähnlich großen Land wiederfinden. Global ist Atomkraft unter Regierungen ziemlich populär und unter Bevölkerungen zumindest toleriert; ihre Unterstützer sind eigentlich immer eine Pluralität und häufig eine Mehrheit (so übrigens inzwischen auch in Deutschland). Der Ausbau neuer Atomkraftwerke findet reichlich Rückhalt: Mindestens 65 AKWs befinden sich bereits im Bau und weitere 90 werden geplant. Damit würde zu den bestehenden 440 mehr als ein Drittel dazukommen. SMR verdrängen damit nicht zwingend so sehr Erneuerbare, als dass sie eher herkömmliche AKW-Großprojekte ersetzen könnten.
Letzten Endes ist das alles noch in der Zukunft, denn SMR sind heute noch experimentell. Sie müssen noch immer beweisen, dass sie so effektiv und sicher funktionieren, wie sie es behaupten; und dass sie sich so schnell und günstig bauen lassen, wie sie es versprechen. Und dass sie sich dann schnell genug rentieren. Schaffen sie all das, haben SMR das Potenzial, die Zukunft der Atomkraft und damit der Menschheit zu beeinflussen. Das mag für einige Beobachter vielversprechend, für andere gruselig klingen.
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Das Ende der Atomenergie (2023)
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