April 21, 2024
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11 Minuten Lesezeit

Apple am entscheidenden Moment

Das längste Zeit wertvollste Unternehmen der Welt steht vor Herausforderungen, doch auch großen Chancen. (April 2024)
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Das längste Zeit wertvollste Unternehmen der Welt steht vor Herausforderungen, doch auch großen Chancen.
21.04.2024

Erfolg | Herausforderungen | Zukunft
(15 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Apple hat die letzten 15 Jahre dominiert, wie kaum eine andere Techfirma. Das iPhone kann von sich behaupten, die Welt verändert zu haben.
  • Heute mehren sich allerdings die Herausforderungen: Ein kompliziertes Chinageschäft und verändertes Konsumverhalten belasten die Geschäftszahlen.
  • Regulatoren nehmen Apple immer stärker ins Visier; Gerichtsverfahren häufen sich.
  • Teure Projekte werden aufgegeben (Project Titan) oder zahlen sich bislang noch nicht so recht aus (Vision Pro).
  • Und im KI-Rennen rund um Generative AI ist Apple bisher fast inexistent.
  • Es gibt Grund zur Annahme, dass Apple in Sachen KI den Anschluss bewahren wird. Regulatorische Herausforderungen sind schwierig einzuschätzen. In China ist derzeit nicht ganz klar, wie Apple den Negativtrend stoppen kann.

Eine ungewohnte Zeit für Apple, in welcher es vor allem mit Problemen auffällt. Die Firma erlebt fallende Umsätze, einen "unterperformenden" Aktienkurs, eingestellte Projekte, regulatorischen Ärger und, für einige Beobachter am schlimmsten, sie fehlt im Grundrauschen zum alles dominierenden Thema Künstliche Intelligenz. Wie genau steht es um Apple? Oder: Muss es sich Sorgen machen? Vermutlich nicht – doch die Fragezeichen wirken größer, als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der letzten 27 Jahre.

Ein Erfolg wie kaum ein anderer_

(3 Minuten Lesezeit)

Das iPhone (und mehr)

Im Jahr 2007 präsentierte Apple das erste iPhone und veränderte damit die Welt. Es war das bis dato intuitivste und angenehmste "handheld device", also handliches Digitalgerät. Touchscreen, Swipe-Bewegungen und Apps hatte es in der einen oder anderen Form bereits zuvor gegeben, doch Apple brachte sie zusammen und machte sie mit seinem Designfokus für den Standardnutzer attraktiv – und nicht nur den am technologischen Grenzgebiet erkundenden "Early Adopter".

Das iPhone war ein Alleskönner: Es verband die Musikfunktion eines iPods, erstmals 2001 vorgestellt, mit einer Fotofunktion, einer Telefonfunktion und vielem mehr. Doch vermutlich der wichtigste und weltenbewegendste Effekt des iPhones war, dass es das Internet in jede Hosentasche brachte. Die Aussage hat inzwischen etwas Klischeehaftes, doch das macht sie nicht minder wahr. Die digitale Wirtschaft und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wirken ohne die massenhafte, unterschwellige Adoption des Internets unvorstellbar, seien es E-Commerce oder Social Media. Vielleicht noch relevanter als deine Befähigung, Schwimmnudeln online zu bestellen, sind die "Nebeneffekte": Ohne E-Commerce und Social Media wären die Investitionen in Cloud-Infrastruktur und Chiptechnologien geringer ausgefallen. Entlang dieser Argumentation lassen sich schnell Effekte auf viele zentrale Digital-Wertschöpfungsketten der heutigen Welt erkennen.

Seit 2007 hat Apple 42 iPhone-Modelle veröffentlicht und knapp 2,3 Milliarden Stück verkauft. Die Firma hat über 1,5 Milliarden aktive Nutzer, was fast jedem fünften Weltbürger entspricht – und das, obwohl ihre Produkte meist in den oberen Preisklassen ansässig sind. Zeitweise, genauer bis 2015, machte das iPhone 66 Prozent von Apples Gesamtumsatz aus. Heute sind es noch über 50 Prozent der gewaltigen 383 Milliarden USD Umsatz (2023). Der Rest entfällt auf die Computerreihe Mac, das iPad, Wearables wie die Apple Watch und Dienstleistungen, darunter der Streamingdienst Apple TV+ und Kommissionen aus dem App Store. Diese Geschäftsfelder sind aber längst kein "Ferner liefen", sondern oft hochrelevante Player in ihren jeweiligen Branchen.

Es dürfte kaum überraschen, dass Apples beeindruckender Erfolg auch mit einer regelrechten Explosion im Aktienpreis einherging. Seit dem iPhone-Moment im Juni 2007 hat sich der Marktwert der Firma um den Faktor 47 vervielfacht, während der Vergleichsindex S&P 500 nur dreieinhalb Mal so hoch liegt und der Techindex Nasdaq 100 fast neunmal. 

Zum Bankrott und zurück

Der Weg zum iPhone-Moment war lang. Apple existiert bereits seit 1976 und war anfangs ein wahres Garagenstartup. Der 26-jährige Stephen G. Wozniak entwickelte damals einen Mikrocomputer und bot das Design HP an, bei welchem er Praktikant war. Die Technologiefirma lehnte ab und Wozniak gründete stattdessen mit seinem früheren Mitschüler Steve Jobs, 21 Jahre alt, mit umgerechnet heute 7.000 USD Startkapital Apple.

Die Firma wuchs dank mehrerer Produkterfolge rasant. Bis 1980 hatte sie über 100 Millionen USD an Gewinn gemacht und beschäftigte über 1.000 Mitarbeiter. Im selben Jahr ging Apple an die Börse. 1984 folgte der Heimcomputer Macintosh, welcher eine neue Ära im Unternehmen anstieß und zudem mit einer der wohl berühmtesten TV-Werbungen der Geschichte einherging. Die popkulturelle Begeisterung war dem Macintosh zwar sicher, doch technische Mängel am Gerät sorgten für schwache Verkaufszahlen. Es half nicht, dass es damals 2.495 USD kostete, also inflationsbereinigt 7.300 USD.

Das Ergebnis war ein Machtkampf bei Apple. Steve Jobs geriet aneinander mit John Sculley, welcher 1983 von Pepsi als CEO abgeworben worden war. Ein "Putschversuch" von Jobs scheiterte, die Apple-Führung schlug sich auf Sculleys Seite und Jobs wurde 1985 aus dem Unternehmen gedrängt. 12 Jahre später sollte er zurückkehren: Apple war es einige Zeit lang gut ergangen, doch bis 1997 hatten vermehrte Fehlentscheidungen und der Aufstieg von Microsoft das Unternehmen an den Rand des Bankrotts geführt. Jobs kehrte als Berater zurück, führte dieses Mal einen erfolgreichen "Putsch" durch und übernahm die Kontrolle bei Apple.

Von da an begann Apples lange Erfolgssträhne. 1998 stabilisierte der große Erfolg des iMac, ein stark veränderter Macintosh, das wankende Unternehmen. Das Jahr 2001 geriet dann zum entscheidenden Moment: Apple veröffentlichte mit Mac OS X erstmals ein modernes Betriebssystem, eröffnete mit seinen Apple Stores eigene Filialen (obwohl Kritiker das für eine katastrophale Idee hielten) und erlebte mit dem Musikplayer iPod einen bahnbrechenden Erfolg, mit über 100 Millionen verkauften Einheiten binnen sechs Jahren. Das führte Apple aus einer techaffinen, urbanen Yuppie-Nische in den Massenmarkt. Einige Jahre später war dieser bereit für das iPhone.

Die Herausforderungen_ 

(8 Minuten Lesezeit)

It's the numbers, stupid

Heute kämpft Apple mit einer auffälligen Zahl an HerausforderungenDa wären einmal geschäftliche Schwächen. Im gesamten vergangenen Jahr musste Apple negative Quartalsumsätze berichten, konnte also in keinem Quartal das Vorjahr schlagen. Vier Negativquartale in Folge sind die schlechteste Reihe seit fast 27 Jahren. Was dabei anfangs wie ein schwacher Marktmoment wirkte, kristallisiert sich zunehmend als Apple-Problem heraus. Denn in Q1 2024 musste Apple einen kräftigen 9,6-prozentigen Absatzrückgang im wichtigen iPhone-Geschäft hinnehmen, während der Rest des Smartphone-Markts eigentlich zulegte: Der Gesamtmarkt wuchs um 7,8 Prozent. Hauptrivale Samsung erlebte nur 0,7 Prozent Minus und schob sich damit wieder an Apple auf die Marktführerschaft vorbei, mit 20,8 Prozent Marktanteil gegenüber Apples 17,3 Prozent. Chinesische Rivalen wie Xiaomi und Transsion legten gleichzeitig rasant zu und rücken langsam in Apples Sichtweite.

Ein Grund, warum Apples Geschäftszahlen derzeit schwächeln, scheint zu sein, dass es der Firma vorher recht gut ging. Während der Gesamtmarkt in den vergangenen Jahren unter Covid-19, Lieferkettenproblemen und Inflationskrise litt, blieb Apple bemerkenswert resilient. Im Vergleich dazu tut es sich nun schwer, mit dem restlichen Markt, welcher aus seinem Schlaf erwacht, in reinen Prozentzahlen mitzuhalten. Zudem ist ein großer Teil von Apples Rückgang lokalisiert: In China werfen Xiaomi, Oppo, Huawei und Co. derzeit viel in den Pandemiejahren aufgebautes Inventar auf den Markt und drücken damit die Marktanteile der Amerikaner; diese reagieren mit ungewöhnlichen Rabatten. Trivial ist das nicht, da ein Fünftel von Apples Umsatz auf China zurückgeht. Doch die lokale Dynamik deutet an, dass Apples rote Zahlen nicht unbedingt mit einem systemischen Problem beim iPhone-Hersteller selbst zusammenhängen.

Gut zu wissen: Die Geopolitik mischt sich ebenfalls mit ein. Chinesische Behörden und Staatsfirmen rufen ihre Mitarbeiter vermehrt dazu auf, von den beliebten iPhones auf heimische Anbieter zu wechseln, auch wenn sie das bislang selten offiziell verkünden. In einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern und einer sehr hohen (inoffiziellen) Staatsquote an der Wirtschaft ist auch das keineswegs trivial, sondern ein reales Geschäftsrisiko.

Etwas fundamentaler könnte das Problem beim iPad sein. Es gibt Hinweise, dass die Kategorie Tablets für immer weniger Kunden eine Rolle spielt, da diese auf (größere) Smartphones oder Laptops ausweichen. Der weltweite Gesamtabsatz für Tablets fiel 2023 auf das niedrigste Niveau seit 2011, was Apple mit 40 Prozent Marktanteil am stärksten zu spüren bekommt. Die Tatsache, dass Apple letztes Jahr zum ersten Mal seit Markteinführung 2010 keine neue iPad-Version veröffentlichte, zeigt, dass der Konzern womöglich ebenfalls die Liebe zu den Geräten verliert. Dieses Jahr erscheinen vermutlich aber gleich zwei neue Modelle.

Im Auge der Regulatoren

Apple war lange eine Art Musterschüler unter Regulatoren, welche es viel weniger belangten als die Techrivalen Microsoft, Amazon und Alphabet. Das hat sich zuletzt geändert. In den USA verklagen das Justizministerium und 16 Bundesstaaten den Konzern, weil er mit seinem undurchdringbaren Ökosystem – dem "abgezäuntem Garten" (walled garden) – den Wettbewerb störe und Verbraucher schade. Es ist das erste Mal, dass sich Apples gesamtes Geschäftsmodell vor Gericht wiederfindet und nicht etwa eine bestimmte Praxis im App Store oder ein konkreter Patentstreit.

Die EU zwingt Apple derweil zu Anpassungen wie einem USB-C-Anschluss anstelle des eigenen Lightning-Anschlusses. In bester "Brussels Effect"-Manier entschied sich Apple dazu, den europäischen Befehl weltweit zu übernehmen: Die Kosten des Wechsels waren niedriger als die Kosten, zwei unterschiedliche Versionen gleichzeitig zu führen. Noch wichtiger ist der Digital Markets Act (DMA) der EU. Er zwingt Apple dazu, besagten walled garden teilweise aufzubrechen. So muss die Firma es Nutzern etwa erlauben, Apps von außerhalb des hauseigenen App Stores herunterzuladen, also sogenanntes side loading, und alternative Zahlungssysteme zu wählen.

Auch in Südkorea, Japan, Australien, Großbritannien und den Niederlanden gehen Regulatoren gegen Apple vor oder erwägen entsprechende Schritte.

Dazu kommen langwierige Rechtsstreite mit Epic Games, welcher im Großen und Ganzen erfolgreich für Apple ausging, und mit Spotify, in welchem die EU Apple im März eine schwere Strafe über 1,8 Milliarden EUR auftrug. Der Techkonzern habe Spotify und andere Musikstreaminganbieter auf Apple-Geräten benachteiligt, um den eigenen Musikdienst zu bevorteilen. Und in einem Patentstreit mit dem Medizingerätehersteller Masimo musste Apple plötzlich aufhören, seine Smartwatches in den USA zu verkaufen, bis es nicht einen Blutsauerstoffsenor deaktivierte.

Die Rechtsabteilung von Apple hat plötzlich alle Hände voll. Und inzwischen spürt das auch der Rest des Konzerns.

Gut zu wissen: Einige Regulatoren werfen Apple sogar vor, den sozialen Frieden zu stören: Apple stellt Nachrichten von iOS-Geräten mit blauem Hintergrund dar, doch jene von Android-Geräten mit grünem Hintergrund. Das führt (was die whathappened-Redaktion anekdotisch bestätigen kann) dazu, dass Android-Nutzer in den USA mitunter in Gruppenchats unbeliebt sind und ausgeschlossen werden. "Apple ruiniert Beziehungen", klagt die US-Senatorin Elizabeth Warren. Im Rest der Welt spielt die Farbpolitik aufgrund der Popularität von separaten Messengern wie WhatsApp keine Rolle.

Die Sache mit dem Moonshot

Techkonzernen heute muss man eines lassen: Sie haben ein "transformativ-technologisches" Denken verinnerlicht, schließlich stammen sie aus diesem. Gemeint ist, dass sie stets nach vorne blicken und Innovation zu betreiben versuchen; auch vor großen, transformativen Ideen nicht zurückschrecken. Sei es, dass Amazon zum globalen Cloud-Marktführer avanciert ist (zur Erinnerung: Es war einst ein Online-Buchhändler), Microsoft an Quantencomputern forscht (einst nur für sein Betriebssystem bekannt), Meta heute Virtual-Reality-Geräte verkauft (war einst ein erfolgreicheres MySpace) und eine Alphabet-Sparte der Technologieführer für autonome Fahrzeuge ist (früher nur eine Internetsuche).

Auch Apple darf nicht in der Liste fehlen, doch zugleich wirkte die Firma immer etwas... bodenständiger. Sie operierte selten im Grenzgebiet der technologischen Entwicklung, sondern bewies eher Brillianz darin, existierende Technologie zu kommerzialisieren. Apples Entwickler und Ingenieure waren fraglos Weltklasse, doch womöglich waren es eher die Designteams, welche das Unternehmen von der Konkurrenz abhoben. Während Alphabet hohe Summen in sogenannte "Moonshots" steckte, also dezent verrückte Hochrisikoprojekte, schien sich Apple eher auf seine Kernkompetenzen und die graduelle Verbesserung dieser zu konzentrieren. Hin und wieder gab es größere, doch nichtsdestotrotz intuitive Seitwärtssprünge, etwa, als Apple ins Wearables- oder Streaminggeschäft einstieg. Innovation und Diversifikation, doch selten Moonshots.

Gut zu wissen: Eine nennenswerte Ausnahme dürfte Siri gewesen sein. Der Sprachassistent sorgte 2011 für hohes Aufsehen, war tatsächlich innovativ und brachte dem damals neuen CEO Tim Cook einen wichtigen frühen Erfolg. Heute ist vom Hype um Siri, Google Assistant oder Amazons Alexa nur noch wenig übrig, auch aufgrund der schnell erkannten technischen Limitationen. "Sprachassistenten sind dumm wie Steine", so Microsoft-CEO Satya Nadella.

Project Titan und die Vision Pro

Die ganze Wahrheit ist das aber nicht. Apple arbeitete durchaus an hochinnovativen Projekten, nur deutlich stiller als die Konkurrenz. Das bekannteste Geheimprojekt war "Project Titan". Der interne Name stand für ein selbstfahrendes Elektroauto, an welchem der Konzern seit 2014 gearbeitet hatte. Es war keine kleine Angelegenheit: Über 5.000 Mitarbeiter arbeiteten 2018 an dem Projekt und über 1 Milliarde USD jährlich flossen direkt hinein; dazu vermutlich Hunderte Millionen zusätzlich, da andere Apple-Bereiche unterstützten. Die hohen Kosten und die beträchtlichen Risiken rund um ein vollautonomes Elektroauto sorgten jahrelang für Zwist innerhalb der Managementebene, doch CEO Tim Cook hielt daran fest.

Bis zum Februar 2024, als Apple Project Titan dann vollständig aufgab. Die Entwicklung von vollautonomen Fahrzeugen hatte sich in den Jahren zuvor als deutlich schwerer herausgestellt, als gehofft worden war (weswegen Apple zum Ende hin auch auf teilautonomes Fahren umgeschwenkt hatte); der Markt für Elektroautos war uneindeutiger, als erwartet; und der Investitionsfokus verschob sich zu Künstlicher Intelligenz. Die Berichte, dass Apple sein Geheimauto eingestampft hatte, waren eine seltene öffentliche "Niederlage" für den erfolgsverwöhnten Konzern.

Das innovativste realisierte Produkt aus dem Hause Apple der letzten Jahre war damit die "Vision Pro", ein Mixed-Reality (MR)-Headset. Solche Headsets gibt es seit langem und mit Metas Produktreihe auch bereits seitens großer Techkonzerne, doch Apple brachte das Versprechen, sie im Stile des iPhones aus der "Early Adopter"-Nische in die breite Mitte des (Premium-)Markts zu tragen. Heute ist klar: Die Vision Pro ist eher ein kaufbarer Prototyp als ein Premiumprodukt mit Massenappeal. Sie funktioniere beeindruckend, so die meisten Rezensionen, doch ein Preis von 3.500 USD, ein hohes Gewicht und ein relativ leeres Softwareökosystem lassen bisher keinen iPhone-Moment für VR/AR/MR-Hardware erkennen. Tatsächlich musste Apple auch hier, wie bei Project Titan, Kompromisse für die Umsetzbarkeit eingehen. Cooks Ursprungsvision 2017 war ein leichtes, subtiles Gerät, welches Nutzer den gesamten Tag lang tragen könnten. Nun brauchen sie dafür einen gut trainierten Nacken und eine freie Hand für das separate Batteriepack.

Gut zu wissen: Apple arbeitet Berichten zufolge außerdem an Smart-Home-Gerätschaften und Robotern. Darunter sei ein "Smart Display" und ein Heimroboter, welcher dem Nutzer zuhause folgen und assistieren könne. Viel ist dazu noch nicht bekannt.

Künstliche Intelligenz

KI ist in aller Munde, vor allem Generative AI, doch Apple taucht darin irgendwie nicht so recht auf. Der Konzern hat kein eigenes Sprachmodell im Stile von Metas Llama 3 vorgestellt, geschweige denn einen Chatbot a la Alphabets Gemini. Er ist nicht für hochrangige Partnerschaften mit KI-Schmieden bekannt wie Microsoft, welches Geld in OpenAI und Mistral gesteckt hat; und er durchsetzt bislang auch nicht seine gesamte Produktpalette aggressiv mit Generative AI, wie es gleich mehrere seiner Rivalen tun. Ist Apple zu spät im KI-Rennen?

Spät ist Apple sicherlich, doch die Antwort auf das provokante "zu spät" dürfte Nein lauten. Der Konzern fährt aktuell seine KI-Kapazitäten hoch. KI-Chef John Giannandrea leitet die Arbeit zu großen Sprachmodellen (LLMs), also dem Pendant zu GPT und Llama. Das eigene System "Ajax" wird bereits an einem Chatbot mit dem (informellen) Namen "Apple GPT" getestet, zu dem allerdings derzeit nicht viel bekannt ist. Nur so viel: Ajax sei leistungsfähiger als GPT-3.5, so Insider, und an 200 Milliarden Parametern trainiert, was eine grobe Metrik für die Leistungsstärke darstellt (GPT-4: 1,76 Billionen Parameter).

Apple denkt längst nicht nur an Chatbots, sondern an sein gesamtes Ökosystem. Ein Tool namens "Ask" befindet sich derzeit im Betatest und könnte als KI-Kundensupport auftreten. Bei so vielen Apps wie möglich, von Apple Music über Keynote bis hin zu Xcode, soll Generative AI die Nutzererfahrung verbessern. Auch Siri soll mittelfristig mit Generative-AI-Funktionalitäten ausgestattet werden, um intelligenter und personalisierter auftreten zu können, doch das "anstrengende Design" hinter dem Sprachassistenten erschwere das, so ein früherer Siri-Ingenieur gegenüber der New York Times.

Mit dem Launch von iOS 18, der nächsten Version des Apple-Betriebssystems, dürften einige der Generative-AI-Features eingeführt werden. Das deutete etwa Marketingchef Greg Joswiak an, als er wenig subtil davon sprach, dass das nächste Produktevent WWDC im Juni "Absolutely Incredible" werde. Das sind nicht zufälligerweise die Initialen für "AI", also Künstliche Intelligenz. Und Apple verhandelt bereits eine hochkarätige Partnerschaft: Mit niemand anderem als Techrivalen Alphabet, dessen Gemini-Modell einigen iPhone-Features zugrunde liegen könnte, sollten die Gespräche gelingen.

Gut zu wissen: Hier geht es ausdrücklich um Generative AI. Ganz allgemein nutzt Apple längst KI-Funktionalitäten in seinen Geräten. Sei es bei der Verbesserung von iPhone-Fotos, beim Visual Lookup (welches Android-Nutzer als Google Lens kennen) oder auch bei Autocorrect.

Ein Blick nach vorne_ 

(3 Minuten Lesezeit)

Längst kein Drama...

Viel los bei Apple. Unschöne Zahlen, regulatorische Rückschläge, eingestampfte Projekte und ein KI-Rennen, welchem es bislang überhaupt keinen Stempel aufdrücken konnte. Und doch wäre es verfrüht, Apple im Abwärtsstrudel zu erkennen. Die Firma bleibt ein Umsatz- und Margengigant und hat ihre Zukunft vollständig in der Hand.

Es mag helfen, etwas Perspektive herzustellen. Bereits 2011 war Apple in einer Lage, welche an heute erinnert. Das US-Justizministerium verklagte es, weil es an einem Kartell für E-Bücher beteiligt gewesen sei; Südkoreas Elektronikriese Samsung aß immer tiefer in Apples Smartphone-Marktanteile; und Features wie Siri und Apple Maps leisteten sich peinliche Fehler, während Android immer leistungsfähiger wurde. Das alles geschah auch noch mitten im Führungswechsel vom verstorbenen Steve Jobs zum ungetesteten Tim Cook. Und 2018 musste Apple zum ersten Mal seit 16 Jahren eine Gewinnwarnung ausstellen, weil das China-Geschäft schwächelte; Cook warnte in einer internen E-Mail, dass das "offenkundig ein Desaster" sei und ein anderer Topmanager sprach von einem "Stufe-5-Feueralarm".

Apple bewies in beiden Situationen die Fähigkeit zur Geduld. Analysten forderten 2011, dass Apple im Segment für besonders große Smartphones mit Samsung gleichziehen müsse, doch der Konzern arbeitete lieber weiter an dem, was er gut konnte. Am Ende erwies sich das als bessere Strategie. Auch jetzt hat Apple gute Gründe, Geduld zu bewahren: Warum sollte die Firma, welche das Smartphone nicht erfunden hatte, heute Generative AI erfinden? Wenn Apple im Hintergrund lauert und an der Entwicklung der Technologie teilnimmt, um sie im richtigen Augenblick wirksam und mit Designexzellenz zu kommerzialisieren, so wäre das wesentlich näher am iPhone-Moment von 2007. Mit viel Geld für Forschung und Entwicklung, einem starken Talentpool, jahrelangen Startup-Akquisen im Bereich KI und einem Managementteam, welches bisher Kompetenz bewiesen hat, wirkt Apple gut aufgestellt, um bei Generative AI hinreichend mitspielen zu können. Es lohnt sich auch, im Kopf zu behalten, dass sich der Umsatzeffekt von Generative AI für Microsoft und Co. bislang noch nicht allzu stark gezeigt hat. Das Spielfeld bleibt also weit offen.

... doch die Gefahren sind real

Es bleiben echte Risiken. Nur, weil Apple seine Krisenmomente 2011 und 2018 gelöst bekam, heißt es nicht, dass der heutige ähnlich verläuft. Es gibt kein Versprechen, dass Apple bei Generative AI nicht doch strukturell ins Hintertreffen gerät und anderen nicht nur die Technologieführerschaft, sondern auch die Marktführung überlassen muss. Das Vision-Pro-Heaedset könnte ein Luxus-Nischenprodukt mit vernachlässigbarem Umsatzanteil bleiben, statt irgendeinen Vergleich zum iPhone zu verdienen. Der Smartphone-Markt zeigt ungünstige Trends, etwa, dass Kunden ihre Geräte immer länger halten, bevor sie sie ersetzen. Regulatoren trauen sich zunehmend an Apples Kerngeschäft heran. Und stärker noch als seine auf Software fokussierte Konkurrenz steckt Apple, trotz Apple TV+ und App Store, als ein noch immer in erster Linie Hardwarekonzern im Strudel der Geopolitik.

Ein chinesisch-westliches Decoupling (oder, neumodischer, "Derisking") bekommt Apple in teureren oder weniger zuverlässigen Wertschöpfungsketten zu spüren. Zudem spielt das China-Geschäft für Apple eine größere Rolle als für Amazon und Co. Weitet sich der Streit zwischen Peking und Washington aus oder verfolgt die chinesische Regierung mehr Autarkie, bekommt Apple das mehr zu spüren (so wie bereits jetzt mit dem iPhone-Rauswurf aus einigen Behörden). Die Abhängigkeit gilt allerdings auch andersherum: Rund 3 Millionen chinesische Arbeitsplätze und viel Wertschöpfung gehen auf den US-Konzern zurück. Der Economist zitiert einen Analysten damit, dass sich Verhältnis zwischen Apple und China durch "mutually assured destruction" beschrieben ließe, also ein "Gleichgewicht des Schreckens". Keiner von beiden kann ohne den anderen. Nun wirkt es durchaus so, als könne China einfacher ohne Apple.

Apples China-Problem ist zudem nicht rein geopolitisch, sondern auch profanerer Natur: Wie soll es umgehen mit den vorrückenden Lokalrivalen? 2018 half die US-Regierung, welche Huawei so hart sanktionierte, dass dessen Smartphone-Sparte fast vollständig zerfiel. Heute ist Huawei in China zurück und andere Hersteller wie Xiaomi, Oppo und Transsion ebenfalls vollständig etabliert. Apple hat bislang keine Antwort darauf gefunden; reagiert nur mit Rabatten, was für den Premiumhersteller etwas hilflos wirkt. Kein Wunder, dass der Konzern auf Headsets und Generative AI hofft, um wieder Abstand zur Konkurrenz aufzubauen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein neues Produkt wie ein Heilsbringer in die Bresche springt. Der iMac rettete Apple in den 1990ern vor dem Bankrott und der iPod brachte es in der Jahrtausendwende an den Massenmarkt. Dann kam das iPhone ab 2007, welches ein dermaßen großer Erfolg war, dass es für starke Produktlaunches wie das iPad, die Apple Watch oder AirPods in den Folgejahren gar nichts zu retten gab. Heute hätte Apple wieder Platz für ein Produkt für die Geschichtsbücher.

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