Die Bundestagswahl 2025: Außenpolitik

Der sechste Explainer zu den Wahlprogrammen der Parteien.
18.02.2025


USA | Ukraine | EU | Russland | China | Nahost
(21 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Im Ukrainekrieg positionieren sich die Union, die FDP, die Grünen und Volt sehr deutlich. Sie wollen die Ukraine stärken und Russland schwächen. Die SPD positioniert sich ähnlich, qualifiziert Ukrainehilfen jedoch und sagt wenig über ihre weitere Russlandpolitik. Die Linke möchte prioritär den Konflikt beenden, ohne zwingend die Ukraine stärken zu wollen (Waffenlieferungen lehnt sie ab). Ähnlich das BSW, welches sich allerdings noch freundlicher gegenüber Russland äußert. Die AfD ignoriert das Thema nahezu, zeigt aber hinreichend, dass sie sich im russischen Lager befindet.
  • Geht es um die USA und NATO betonen die Union, die FDP und neuerdings die AfD ihre transatlantische Bündnistreue. Auch Grüne und SPD erkennen die Wichtigkeit des Verhältnisses an, blicken jedoch skeptischer auf die “neuen” USA. Die Linken halten sehr wenig von den USA und der NATO; scheinen einen Austritt aus dem Bündnis zu wollen. Das BSW wertet USA und NATO als imperialistische Unruhestifter, die hinter den meisten Konflikten stehen.
  • China erkennen die Union und die FDP vor allem als Systemrivalen. Die SPD ist deutlich vorsichtiger und beschreibt China sowohl als Partner als auch als Herausforderung. Die Grünen und Volt platzieren sich dazwischen. Die Linken und das BSW scheinen China wohlwollend gegenüberzustehen, doch erwähnen das Thema kaum. Die AfD ist am stärksten offen für Kooperation mit China und pocht als Bedingung vor allem auf handelspolitische Fairness.
  • Im Nahostkrieg stehen die Union und die FDP unmissverständlich auf Seiten Israels. Die Grünen und die SPD versuchen den Balanceakt, sowohl israelische als auch palästinensische Interessen zu berücksichtigen. Die Linken ebenso, lehnen sich aber etwas stärker in Kritik an Israel. Das BSW formuliert diese am schärfsten.
  • Die AfD ignoriert das Thema vollständig, Volt ebenso. Geht es um die EU, wünschen sich SPDGrüne und FDP Reformen für mehr “Schlagkraft” und Integration. Die Union bleibt etwas vorsichtiger, stimmt den anderen aber bei der EU-Erweiterung (Westbalkan, Moldau, Ukraine) zu. Die Linke fordert ein relativ buntes Reformpaket. Das BSW blickt skeptisch auf die EU und fordert grundlegende, aber sehr vage Reformen. Die AfD will die EU faktisch zu einem losen Staatenbund zurückabwickeln, doch spart Details aus. Volt möchte andersherum die drastischsten Schritte hin zu mehr Integration.

Die Bundestagswahl 2025 nähert sich. Die whathappened-Redaktion verfasst zu diesem Anlass über die nächsten Wochen eine Reihe von Explainern, welche die Positionen der Parteien in verschiedenen Themen darstellen und ein wenig einordnen. Das soll dir helfen, die Parteiprogramme zu verstehen und eine fundiertere Wahl treffen zu können.

  • Wir rechnen damit, insgesamt 7 Wahlprogramm-Explainer zu veröffentlichen.
  • Wir werden in unserer Explainer-Reihe eine hohe Themenbreite abdecken, können jedoch nicht jedes Wahlthema beleuchten.
  • Die Kleinpartei Volt trifft unter der whathappened-Leserschaft auf ein hohes Interesse, wie unsere regelmäßigen Umfragen zeigen. Wir analysieren das Programm der Partei deswegen in aller Kürze ebenfalls.

Bisherige Explainer:
Explainer #1: Steuern und Finanzen
Explainer #2Arbeitsmarkt und Bürokratie 
Explainer #3: Wohnen & Gesundheit
Explainer #4Klima, Energie & Technologie
Explainer #5Migration

Außenpolitik_

(2 Minuten Lesezeit)

Die Außen- und Sicherheitspolitik ist so wichtig wie seit mindestens 30 Jahren nicht mehr. Die russische Invasion der Ukraine hat Europa in einen Krieg und Richtungskonflikt gestoßen. In der Ukraine findet er mit Waffengewalt statt, im Rest des Kontinents hybrid in Form vornehmlich russischer Brandanschläge, Attentatsversuche, Sabotageaktionen, Spionageaktionen und Desinformationskampagnen. 

Zugleich befindet sich das amerikanisch-europäische Verhältnis an einem Scheideweg. Wer die Meinungsräume der Trumpisten verfolgt, erkennt eine Haltung zu Europa, die von Indifferenz bis zu Antagonismus reicht; die im besten Fall ein transaktionales Verhältnis anstrebt. Der transatlantische Werteverbund, welcher nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang längst nicht einfach nur eine Floskel war, sondern sich praktisch äußerte, droht damit auseinanderzugehen. Für Europa wirft das die Frage auf, welchen Weg es gehen will und wie es mit einer transaktionalen, womöglich antagonistischen USA umgehen will.

Auf der anderen Seite steht China. Die aufstrebende Nation, welche seit drei Jahren ihrerseits mit ungewohnten wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten kämpft, wurde seitens Europa über die Jahrzehnte vom Hilfenempfänger zur goldenen Gelegenheit zum Konkurrenten und zuletzt zum systemischen Rivalen durchgereicht. Die Dauerfrage des Umgangs mit China wird nun allerdings durch das instabile Verhältnis zu den USA verkompliziert: Es besaß Symbolik, dass der chinesische Außenminister Wang Yi bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf eine feindselige Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance (im Meinungsraum der Trumpisten wurde sie als notwendige Belehrung interpretiert) mit dem Angebot von Kooperation und Partnerschaft folgte.

Die EU spricht dabei nicht mit völlig geeinter Stimme. Ausscherer wie Ungarn und die Slowakei mit guten Verhältnissen zu Russland und China mögen zwar Anomalien sein, doch wenn es um die Details von Außen- und Ukrainepolitik geht, finden sich unter den Mitgliedsstaaten nichtsdestotrotz häufig mehrere Lager: Bremser und Antreiber; “Integrateure” und “Souveränisten”. Weiter gedacht berührt das auch die Frage, wie die EU von morgen aussehen soll: Gemeinschaftlicher und integrierter? Mehrstufig? Loser und nationaler?

Ein großer Aspekt in der “europäischen Frage” ist die Verteidigungspolitik, welche nahtlos an die Ukrainepolitik und die Russlandpolitik anknüpft. Die russischen Drohgebärden und der intensivierte Expansionismus des Landes haben in Europa zu einem sicherheitspolitischen Umdenken geführt; die transatlantischen Spannungen dürften dieses vertiefen. Der Kontinent will nach 30 Jahren “Friedensdividende” und militärischem Verfall aufrüsten; und hat zumindest erste Schritte dahingehend ergriffen. (Wie es um Europas Verteidigungsfähigkeit steht, 2024) Achtung: Dieser Explainer beleuchtet nur die Außenpolitik. Die Verteidigungspolitik schauen wir uns in einem nächsten Explainer an.

Der Nahostkonflikt fällt ein wenig aus dieser Reihe. Er betrifft Europa nicht direkt; wird vermutlich weder seine Zukunft bestimmen noch seine Existenz bedrohen. Und doch nimmt er eine besondere Rolle ein, in ganz Europa, doch vor allem in Deutschland. Für viele Beobachter wird die deutsche und europäische Positionierung im Konflikt zum moralischen Lackmustest oder zur Frage der eigenen Wertepolitik. Das meint wahlweise, sich gegen das Leid der Palästinenser (bis hin zum streitbaren Begriff des Genozids) einzusetzen oder das Selbstverteidigungsrecht der einzigen Demokratie des Nahen Ostens zu verteidigen.

Viel los in der Außen- und Verteidigungspolitik. Also: Was wollen die deutschen Parteien mit Hinblick auf die Ukraine, auf Russland, auf die transatlantischen Beziehungen, die grundlegende Form der EU, den Nahostkrieg und die Aufrüstung?

Gut zu wissen: Teile der Forderungen der Parteien sind inzwischen von den geopolitischen Entwicklungen eingeholt und überholt (etwa was das Verhältnis mit den USA und Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg betrifft), zeigen aber immerhin die Positionen der Parteien. Wir geben sie deswegen wieder. Unser Überblick muss außerdem stark selektieren: Wir sparen Positionen (oder das Fehlen dieser) zu Themen wie Iran, Syrien und Entwicklungshilfe aus.

Union

(2 Minuten Lesezeit)

Die Union stellt sich in ihrem Programm deutlich und unmissverständlich hinter die Ukraine, welche “auch uns verteidigt”. Fällt die Ukraine, drohe ein russischer Angriff auf ein weiteres europäisches Land, warnt die Partei. Sie verspricht “alle erforderlichen diplomatischen, finanziellen und humanitären Mittel sowie Waffenlieferungen”. Eine neue Kontaktgruppe aus westlichen Staaten soll “glaubhafte Sicherheitsgarantien” für die Ukraine finden, damit Kiew “aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe” mit Russland verhandeln kann. Die Ukraine soll außerdem eine “Perspektive” für einen EU-Beitritt erhalten, welcher auch im Interesse Deutschlands und der EU läge. Das ist rhetorisch nicht weiter, als was ohnehin bereits Formel ist.

Andersherum soll Russland noch stärker sanktioniert und bestehende Sanktionen sollen strenger durchgesetzt werden. Details bietet die Union jedoch keine. 

Die Union bleibt ihrer außenpolitischen Linie treu: Sie will das transatlantische Verhältnis vertiefen (erwähnt Trump nirgendwo), hebt die Freundschaft zu Frankreich und Polen hervor und betont eine “unerschütterliche” Freundschaft zu Israel. Die Union fordert zwar auch “nachhaltigen Frieden” in Nahost und ein “friedliches Zusammenleben” von Israelis und Palästinensern (das einzige Mal, dass sie letztere im Wahlprogramm erwähnt), doch macht ihre Positionierung auf Seiten Israels unmissverständlich klar.

China sieht die Union als “Systemkonkurrenten“, welcher offensiv gegen freiheitliche Demokratien vorgehe. Peking müsse “selbstbewusst begegnet” und sein Einfluss “zurückgedrängt” werden. Dafür will sich die Union eng mit den USA abstimmen sowie regionale Beziehungen zu Partnern wie Japan, Australien und Indien vertiefen.

Die Union unterstützt die EU zwar eindeutig, möchte aber bei der weiteren Kompetenzenabgabe vorsichtig sein und identifiziert Schwachstellen, für welche sie Reformen umsetzen möchte. Darunter sind mehr Wettbewerbsfähigkeit und weniger Bürokratie. Darüber hinaus bleibt sie sehr vage: Reformen der “Institutionen und Arbeitsweisen” sollen die EU handlungsfähiger machen. Ob sie die Abstimmungsregeln in der EU lockern will, um weniger Blockaden zu ermöglichen, sagt sie nicht. Konkret wird sie nur bei der Frage der EU-Erweiterung, bei welcher sie wohlwollend auf die Ukraine und Moldau als auch den Westbalkan blickt. 

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die Union formuliert eine sehr klare außenpolitische Linie: Für die Ukraine, gegen Russland; eindeutig transatlantisch, Israel den Rücken stärkend und China als Systemrivale wertend. Bei Details bleibt die Union jedoch spärlich, zum Beispiel, inwiefern sie die Ukraine unterstützen will, doch das ist bei außenpolitischen Programmen leider die Norm – und das Programm der Union ist ohnehin klein. Liest man ganz genau, wird nicht einmal klar, ob die Union die Hilfen an die Ukraine ausweiten will oder nicht. Und wenn es um die USA geht, scheint die Union zu ignorieren, dass Washington am bisherigen transatlantischen Verhältnis nicht mehr interessiert sein könnte.

SPD

(2,5 Minuten Lesezeit)

Auch die SPD “bekennt sich klar zur diplomatischen, militärischen, finanziellen und humanitären Unterstützung” der Ukraine und will das Land vor möglichen Verhandlungen mit dem Aggressor Russland stärken. Einen Diktatfrieden dürfe es nicht geben. Die SPD schränkt allerdings etwas ein: Waffen liefern und ukrainische Streitkräfte ausbilden will sie “mit Besonnenheit und Augenmaß“. Hier wird sie konkret: Unter der SPD werde es keine Lieferungen des Marschflugkörpers Taurus geben. Deutschland dürfe nicht selbst zur Kriegspartei werden, so die Partei; offenbar sieht sie das Risiko gegeben. Den meisten Raum wendet die SPD deswegen dafür auf, die “zivile Unterstützung” zu versprechen und Friedensinitiativen zu “begrüßen”.

Russland kritisiert die Partei zwar deutlich und mehrfach, allerdings meist im Vorbeigehen, nicht in einem dedizierten Abschnitt. Dort hätte die SPD vermutlich beantworten müssen, ob sie weitere Sanktionen plant – so bleibt das unerwähnt.

Die SPD möchte eine europäische Verteidigungsunion kreieren und langfristig die europäischen Streitkräfte integrieren. Das soll erst einmal bei der gemeinsamen BeschaffungAusbildung und Manövern anfangen. Zudem befürwortet die SPD eine gemeinsame europäische Verteidigungsindustrie, für welche sie Investitionen andeutet. Wie die Union spricht sich auch die SPD für einen Beitritt der UkraineMoldaus und der Westbalkanstaaten aus und betont ihre Freundschaft zu Frankreich und Polen. Darüber hinaus wünscht sie sich eine strengere Verfolgung von Rechtsstaatlichkeitsverstößen  auf Ungarn bezogen – und Europäische Vertragsreformen, also praktisch der “Verfassung” der EU. Ziel seien mehr Mehrheitsentscheidungen anstelle von Einstimmigkeit, um die EU handlungsfähiger aufzustellen.

Die USA sind der engste außereuropäische Partner für Deutschland und das Verhältnis zu ihnen “zentral“, so die SPD. Anders als die Union deutet die Partei an, dass die Ära Trump Änderungen bringen könnte: Die “Gefahr protektionistischer Maßnahmen der USA” sei gestiegen und Europa müsse sich selbstständiger aufstellen.

Gegenüber China ist die SPD weitaus freundlicher als die Union. Peking sei “kein einfacher Partner“. Daraufhin formuliert die Partei eine durchaus treffende Beschreibung der Volksrepublik: Offensiv und teils aggressiv agierend, Russland unterstützend, allerdings bei vielen Themen in der Welt unabdingbar. Als einzige Handlungsempfehlung schreibt die SPD, dass sie in kritischen Bereichen “wirtschaftlich unabhängiger” von China sein will; darüber hinaus möchte sie gemeinsam mit der EU eine China-Politik definieren, erklärt aber nicht, für welche sie sich einsetzen würde.

In Nahost spricht die SPD für Frieden aus (und traut sich damit in keine allzu kontroverse Position). Sie beginnt mit einer Verurteilung der Hamas und bestätigt Israels Recht auf Selbstverteidigung, beklagt jedoch eine unverhältnismäßige Reaktion. Sie verlangt eine sofortige Waffenruhe, mehr Hilfen für die Palästinenser und auch einen Stopp des Siedlungsbaus im Westjordanland.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die SPD geht in ihrem außenpolitischen Programm wenig Risiko ein und vermeidet fast überall allzu klare Positionierungen. Sie ist selbstverständlich pro-Ukraine, aber will nur “besonnen” unterstützen (die Darstellung als “Friedenspartei” scheint durch, wird aber nicht aggressiv bespielt). Ob sie Strafmaßnahmen gegen Russland ausweiten will, sagt sie nicht. China ist irgendwie alles gleichzeitig. Die USA sind wichtig, aber auch schwierig. In Nahost hat sie Verständnis für alle. Das sind valide Balanceakte für komplexe Themen, doch sie zeigen eben kaum, wie die SPD genau agieren würde, was wohl ein “Weiter so” mit viel Improvisation andeutet. Konkreter wird die Partei beim Thema EU, wo sie diverse konkrete Wünsche hin zu mehr Integration formuliert.

Grünen

(2,5 Minuten Lesezeit)

Die Grünen verschreiben sich einer “feministischen Außenpolitik” (wie übrigens auch die SPD), was für sie bedeutet, dass der Mensch und seine gleiche Behandlung im Vordergrund steht. In der Außenpolitik äußert sich das meist darin, dass die Grünen in Konflikten in aller Welt verlangen, Rechte und Wohlergehen von Frauen und Minderheiten zu verteidigen.

Die Grünen sprechen sich klar für die Ukraine und gegen Russland aus. Russland sei die “derzeit größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa” und verfolge “imperiale” Bestrebungen.  Sie fordern mehr und stärker umgesetzte Sanktionen gegen Moskau und erwägen, eingefrorene russische Vermögenswerte (und nicht nur deren Zinsen) an die Ukraine zu geben.

Die USA sind der “zentrale Partner” Europas, zumindest bei Krisen und Konflikten. Deutschland wolle “trotz Unterschiede und Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen Ausrichtung der USA” ein verlässlicher Verbündeter für das Land bleiben. Das klingt freundlicher als die SPD, aber ein Stückchen skeptischer als die Union.

Die EU ist für die Grünen wenig überraschend wichtig: Sie sei die “Lebensversicherung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand“. Allerdings bedrohen Russland sowie “Extremist*innen und Populist*innen” im Inneren ihre Existenz. Um die EU zu stärken, wollen die Grünen sie wie schon Union und SPD erweitern; Rechtsstaatlichkeitsverstöße stärker bestrafen; und wie die SPD die EU-Verträge abändern, um die Zustimmungsregeln zu lockern – einzelne Staaten sollen also seltener Beschlüsse blockieren können. Außerdem soll das EU-Parlament eigens Gesetze einbringen dürfen (Initiativrecht); bisher darf das nur die Kommission.

China ist für die Grünen gleichzeitig systemischer Rivale,Wettbewerber und Partner, womit sich die Partei das Wording der EU zu eigen macht. Die Partei äußert sich strenger als die SPD, wenn auch nicht ganz so streng wie die Union: China versuche “aggressiv“, seinen Einfluss auszubauen und Deutschland müsse “jahrelange Naivität” in der Chinapolitik ablegen. Wirtschaftliche Abhängigkeiten von der Volksrepublik sollen sinken.

Die Absätze zu Nahost sind den Grünen sichtlich unangenehm: Sie springen in schnellen Abständen zwischen Solidarität mit Israel (welche meist zusätzlich begründet wird) und Solidarität mit den Palästinensern hin und her. Die Positionen selbst sind kaum überraschend: Israel besitzt ein Recht auf Selbstverteidigung, doch beide Völker verdienen Sicherheit; ein politischer Prozess sei der einzige Weg aus der Lage und Israels Siedlungsaktivität müsse stoppen.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Das Programm der Grünen landet zwischen dem beschwichtigend-balancierenden der SPD (im Außenpolitik-Sprech würde man es “dovish” nennen) und dem strikteren, stärker positionierten Programm der Union. Die Partei spricht sich klar für die Ukraine und gegen Russland aus und wird deutlicher gegenüber China. Bei den USA bleibt sie abwartend-vorsichtig, was nachvollziehbar ist, doch mit transatlantischer Schlagseite. Beim Thema Nahost versuchen sich die Grünen sichtbar an SPD-schem “both sides”. Für die EU formulieren sie ambitioniertere Pläne a la SPD.

Außerdem fällt auf, dass die Grünen im Vergleich zu anderen Parteien relativ häufig konkrete Ideen oder Wünsche formulieren. Zudem gehen sie auf außenpolitische Themen wie Sudan, Belarus und Syrien ein, die anderswo kaum oder gar nicht auftauchen – schließlich haben sie dank ihrem sehr langen Wahlprogramm den Platz dafür. 

FDP

(2 Minuten Lesezeit)

Die FDP erkennt ein Zeitalter der “systemischen Rivalität zwischen aggressiven Autokratien” und “liberalen Demokratien”. Sie will russische und chinesische globale Einflussversuche zurückdrängen und die “aufstrebenden mittleren Mächten” weltweit “attraktivere Angebote” zur Zusammenarbeit macht.

Im Ukrainekrieg verurteilt die FDPRussland deutlich. Sie wird bei Strafmaßnahmen am konkretesten: Wirtschaftssanktionen, Handelsembargos, diplomatische Maßnahmen, Visaentzüge gegen Russland sowie Sekundärsanktionen gegen Drittstaaten, wenn diese zur Sanktionsumgehung verhelfen. Die Ukraine will die FDP klar unterstützen und befürwortet als einzige Partei ausdrücklich die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern; dazu die Nutzung russischer Vermögenswerte (wie auch die Grünen) und einen “perspektivischen” Beitritt zur EU und NATO. 

China bezeichnet die FDP als systemischen Rivalen, ähnlich wie die Union, und spart damit den “Partner-Wettbewerber-Rivale”-Dreisatz von SPD und Grünen aus. Die Wirtschaftsbeziehungen zu China will die FDP beibehalten, aber Abhängigkeiten identifizieren und reduzieren. Außerdem spricht sich die Partei so stark wie keine andere für mehr Zusammenarbeit mit Taiwan aus.

Zu den Bündnissen mit den USA und der NATO steht die FDP fest, egal, wer Präsident im Weißen Haus ist. Der Verweis, dass Europa mehr Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen müsse, ist jedoch ein Hinweis darauf, dass auch die Liberalen ein verschlechtertes Verhältnis unter der Trump-Regierung erwarten.

Die FDP positioniert sich klar auf Seiten Israels. Dem Land müsse “alles” zur Verfügung gestellt werden, das es “für sein völkerrechtlich garantiertes Recht auf Selbstverteidigung” benötigt. Genauer solle Israel bei Rüstungsexporten rechtlich wie ein NATO-Staat behandelt werden. Auf Dauer präferiert die FDP ein Zwei-Staaten-Modell in Nahost, doch das ist das einzige Mal, dass sie die Palästinenser erwähnt. Kritik an Israels Kriegsführung oder der Siedlungspolitik äußert die FDP nicht.

Die EU möchte die FDP reformieren, um sie schlagkräftiger aufzustellen – ähnliche Rhetorik wie bei SPD und Grünen. Beim Vorschlag, mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidungen (anstelle von Einstimmigkeit) einzuführen und dem Parlament ein Initiativrecht bei Gesetzesvorschlägen einzuräumen, ähnelt sie den beiden Parteien ebenfalls. Allerdings will die FDP außerdem die Kommission verkleinern. Die europäische Verteidigungsindustrie erwähnt sie dediziert und will ihr etwa leichter Zugang zu Kapital bieten. Neben der Freundschaft zu Frankreich und Polen erwähnt die FDP auch mehr Zusammenarbeit mit Großbritannien. Die EU-Erweiterung mit dem WestbalkanMoldau und der Ukraine befürwortet die FDP ; die Beitrittsgespräche mit der Türkei will sie beenden – andere Parteien “bedauern” lediglich, dass derzeit kein Beitritt erfolgen kann.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die FDP bietet auf kleinem Raum das womöglich stärkste und konkreteste Programm in der Ukrainepolitik, vor allem was das Vorgehen gegen Russland betrifft. Sie blickt skeptisch auf China, beschwört die Freundschaft zu den USA und stellt sich klar hinter Israel – alles ähnlich wie bei der Union. In der EU ähneln die FDP-Vorschläge eher den Grünen, mit Reformen für mehr Entscheidungsfähigkeit und parlamentarischen Einfluss.

Linke

(3 Minuten Lesezeit)

Die Linke verlangt ein “Primat des Zivilen” und will nach “friedlichen, zivilen Lösungen” suchen, statt “mit dem Finger am Abzug” denken. Zugleich stehe sie immer an der Seite der “Unterdrückten und Angegriffenen“. Deutschland müsse aufgrund seiner Geschichte “immer dem Antimilitarismus” verpflichtet sein. Die Linke will Kriege bekämpfen, indem das Völkerrecht und die Menschenrechte stärkt und “internationale Solidarität” über “Profitinteressen” stellt.

Die Partei kritisiert gleichermaßen die “alten Großmächte” USA, EU und Japan sowie “neue globale Player” wie China und Russland, welche allesamt “eigene imperiale Interessen” verfolgen (warum genau Japan als “alte Großmacht” auftritt, wenn China und Russland es nicht sind, ist für die whathappened-Redaktion nicht ganz ersichtlich: Das Land trat seit 1945 geopolitisch kaum auf; Russland ist hingegen unentwegt seit mehreren Jahrhunderten – unterbrochen von kurzen Selbstbeschäftigungspausen – eine aktiv agierende Global- oder Regionalmacht; China ebenso). 

Im Ukrainekrieg steht die Linke “an der Seite der Menschen in der Ukraine und Russlands“. Sie verurteilt Russlands Angriffskrieg und fordert sein unverzügliches Ende, mitsamt Abzug der russischen Truppen. Waffenlieferungen will die Linke allerdings beenden, stattdessen fordert sie eine “gemeinsame Initiative” Deutschlands mit Staaten des “globalen Südens” für Friedensverhandlungen. Sanktionen gegen die russische Regierung kann sie sich vorstellen.

Aus der NATO möchte die Linkeoffenbar austreten, auch wenn sie das nie ganz offen ausspricht. Das Bündnis stünde für “Militarisierung und Konfrontation” und sei für heutige Aufgaben “nicht geeignet“. Anstelle der NATO brauche es eine “OSZE 2.0“, also eine nicht näher erklärte “Sicherheitsarchitektur […] der friedlichen Koexistenz”, in die langfristig auch Russland einbezogen sein soll (die aktuelle OSZE ignoriert das Land allerdings). 

Auf die USA blicken die Linken äußerst skeptisch; werten sie vornehmlich als imperialistische Großmacht, die nur interessenbasiert agiert. In diesem Sinne lehnen sie auch die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab. Generell verneinen die Linken jegliche Aufrüstung in Deutschland und der EU. 

Die Partei erwähnt China nirgendwo dediziert. Sie betont lediglich, dass Deutschland Initiativen des Landes (z.B. im Ukrainekrieg) aufgreifen bzw. involvieren müsse und China in eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur einbezogen gehört.

Im Nahostkrieg beklagt die Linke, dass Israels Vorgehen “nichts mit legitimer Selbstverteidigung” zu tun habe und geht damit weiter als Grüne und SPD. Sie kritisiert weiterhin die Hamas, die israelische Siedlungspolitik und fordert eine Zweistaatenlösung – verliert insgesamt jedoch nicht viel Zeit auf das Thema Nahost.

Die EU möchte die Linke reformieren, und zwar so, dass sie die “Logik des Neoliberalismus” hinter sich lässt. Was das bedeutet, bleibt unerklärt. Sie formuliert aber eine Reihe teils sehr konkreter Wünsche, etwa die Ausweitung der Gewerkschaftsrechte. Wie SPDGrüne und FDP fordern sie ein Initiativrecht fürs EU-Parlament; dazu aber auch mehr Volksentscheide. 

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die Linke mag Gewalt nicht und will, dass du das weißt. Das Außenpolitik-Kapitel der Partei ist wortlastig, polemisch und nicht überall stichhaltig – so ist es allerdings auch Tradition. Die Linke blickt mit tiefer Skepsis auf die USA und NATO, welche sie für Imperialisten und Destabilitätsfaktoren in der Welt hält. Auch die EU findet sie ein wenig suspekt: Neokolonial, militarisiert und neoliberal – aber immerhin reformierbar.

Russland kritisiert die Linke sanft, zeigt aber auch, dass sie nicht allzu antagonistisch zu dem Land steht. Stattdessen intellektualisiert sie den Ukrainekrieg zu einer Episode eines globalen imperialen Wettkampfs, in welchem eben auch die USA und NATO auf verwerfliche Art und Weise mitmischen, und nimmt ihm damit gewissermaßen die singuläre Relevanz: Er sei lediglich Symptom und Schauplatz einer größeren Dynamik, die sich nur durch konsequente Friedenspolitik und Multilateralismus lösen lasse. Im Konkreten scheint die Linke damit eher eine “Waffenruhe sofort”-Logik zu verfolgen, als eine Position der Stärke für die Ukraine zu wünschen.

Auffällig ist weiterhin, dass die Partei den “globalen Süden” voranstellt und ihm einen hohen Vertrauensvorschuss erbringt. Deutschland müsse mit ihm geopolitisch zusammenarbeiten, ihn involvieren und stärker auf seine Vorschläge hören. Zu China hat die Linke praktisch gar nichts zu sagen; nur, dass es ebenfalls mehr involviert werden müsse.

AfD 

(3 Minuten Lesezeit)

Die AfD fordert “Realpolitik” anstelle wertebasierter Außenpolitik. Ihr erstes Beispiel dafür ist es, die EU deutlich zurückzurollen: Ihre “zentralistischen Bestrebungen” will die AfD bekämpfen; stattdessen einen loseren “Bund europäischer Nationen” kreieren. Eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik lehnt die AfD ab. Auch die “Osterweiterung” von EU und NATO lehnt sie ab, was wohl die Ukraine und Moldau meint. Damit stellt sich die Frage, ob die AfD auch Schweden und Finnland den NATO-Beitritt verweigert hätte. 

Später erklärt die AfD ihre “Realpolitik” genauer: Sie will Europa zu einem “Machtzentrum” entwickeln und ein “interessengeleitetes Verhältnis” zu China, den USA und Russland pflegen. In der NATO, mit welcher die Partei in der Vergangenheit offen haderte (AfD-Chef Tino Chrupalla stellte jüngst einen Austritt in Aussicht), will sie bleiben: Diese sei ein “zentrales Element” ihrer Sicherheitsstrategie.

Sie bestätigt das Selbstbestimmungsrecht der Völker, doch bezieht das interessanterweise vor allem auf das Agieren von NGOs, zwischenstaatlichen Organisationen und Konzernen. Diese sollen sich nicht in fremden Ländern einmischen dürfen.

Zu Russland schreibt die AfD exakt 54 Worte. Sie lobt das Land als “zuverlässigen Lieferanten und Garanten einer erschwinglichen Energieversorgung”. Sanktionen sollen sofort aufgehoben und das Energieverhältnis wieder aufgenommen werden. 

Die Ukraine wird von der AfD nur mit 28 Worten bedacht: Das Land soll “neutral” außerhalb von NATO und EU bleiben. Das war’s. An anderer Stelle deutet sie an, die Waffenlieferungen an das Land abzulehnen.

Der Nahostkrieg taucht bei der AfD überhaupt nicht auf. Die Worte “Palästinenser”, “Gaza” und “Israel” gibt es nicht. Bezüglich Israel deutet die AfD im Kapitel “Einer weiteren Ausbreitung des Islam treten wir entgegen” immerhin an, dass sie das Existenzrecht des Landes bestätigt.

Die AfD blickt mit recht viel Wohlwollen auf die USA, deren neue Regierung sie ausdrücklich begrüßt. Diese sei unter anderem ein “starker Partner” im Einsatz “für die Meinungsfreiheit und gegen die Internet-Zensur”. Zugleich räumt die AfD ein, dass sich die Interessen der USA von jenen Deutschlands und Europas unterscheiden. Und die Stationierung amerikanischer Waffensysteme in der Bundesrepublik lehnt die AfD genau wie die Linke ab. Das dürfte ein Relikt der eigentlich viel strengeren Linie gegenüber den USA sein, welche die AfD bis unlängst pflegte.

Auch China steht die AfD so positiv gegenüber wie höchstens die Linke und das BSW (welche uns leider beide mehrheitlich über ihre Linie im Dunkeln lassen), behält aber eine gewisse Skepsis. Das Land sei ein Handelspartner von “herausragender Bedeutung“. Die Beziehungen müssen weiter gefördert werden, auch wenn Berlin auf handelspolitische Fairness bestehen müsse. Und selbst ein Beitritt zu Chinas Belt and Road Initiative kommt für die AfD in Frage.

Für die EU sieht die AfD besagte Auflösung in einen loseren “Bund europäischer Nationen” vor. Die EU betreibe durch “sie tragende Eliten” und einer “selbstherrlichen Bürokratie” eine “illegitime Entdemokratisierung, Zentralisierung, Überregulierung und Planwirtschaft”. Im neuen “Bund” würde nur dort zusammengearbeitet werden, wo “echte gemeinsame Interessen” bestehen; ansonsten würde wieder das Primat der Nationalstaaten herrschen. Deutschland soll außerdem nicht für den Übergangsprozess zahlen müssen. Mehr Informationen über ihren Plan bietet die AfD nicht.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Die AfD betreibt in der Außenpolitik stellenweise Arbeitsverweigerung. Sie bietet zwar hier und dort konkrete Wünsche oder Vorschläge, präsentiert mit “interessengeleiteter Realpolitik” einen außenpolitischen Grundsatz und formuliert durchaus kohärente Positionen zu den USA und China, doch ignoriert den Ukrainekrieg völlig. Auch ihre jeweiligen Positionen zu Russland und der Ukraine bleiben fast inhaltsleer, auch wenn die AfD immerhin ihre prorussische Haltung ausdrücklich macht. Aufgrund der Relevanz des Konflikts ist es eine ungewöhnliche Entscheidung, ihn auszusparen. Dass auch der Nahostkonflikt gänzlich unerwähnt bleibt, ist daneben fast schon harmlos.

Die AfD formuliert durch die Blume hinweg einen Austritt aus der EU, genauer sogar ihre Abwicklung (passend zum geforderten Euro-Ausstieg). In Anbetracht der Tatsache, dass die Rückentwicklung der EU das Jahrhundertereignis auf dem Kontinent darstellen würde, ist es irritierend, dass die AfD ihre Vision kaum erklärt, sondern lediglich (populistisch durchsetzte) Rhetorik bietet. Radikale Reformen von größter Tragweite mit wenig Erklärung abzuliefern ist bei Kleinparteien üblich, allerdings nicht bei Parteien mit ernster Regierungsambition.

BSW

(3 Minuten Lesezeit)

Als einzige Partei spricht das BSWgleich zu Beginn seines Wahlprogramms über die Außenpolitik. Die Partei hat sich offenkundig entschieden, die Marke “Friedenspartei” voranzustellen. Ähnlich wie die Linke versteht auch das BSW die Geopolitik als Wettkampf imperialer Großmächte, anders als seine Ursprungspartei formuliert es jedoch eine deutlich düstere, westkritischereund russland- sowie chinafreundlichere Vision.

Die USA seien eine “absteigende Supermacht“, welche “ohne Rücksicht” um ihren Einfluss in der Welt kämpfen. Die EU sei unfähig, eigene Interessen zu vertreten. Russland “wehrt sich gegen westliche Militäreinrichtungen in seiner Peripherie”. China ringe als “aufstrebende Wirtschaftsmacht um globalen Einfluss” und führe das “zunehmend selbstbewusste BRICS-Bündnis” an.

Diese Konstellation führe zu Kämpfen um “EinflusszonenRohstoffen und Absatzmärkte“, zu Stellvertreterkriegen und zu einem “neuen Wettrüsten“. Deutschland mische mit, indem es Konflikte durch Waffenlieferungen, Sanktionen und das “Verbreiten von Feindbildern” unterstütze. Die Bundesrepublik spreche “die Sprache des Krieges“; Diplomatie sei ein Fremdwort.

Wenig überraschend sieht das BSW vor allem die NATO (und damit die USA) als Aggressor. Sie habe in drei Jahrzehnten “fünf Länder völkerrechtlich überfallen” und “mindestens 1 Million Menschen getötet”. Damit schüre sie “Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen” und ist für Spannungen und Konflikte “mitverantwortlich”.

Das BSW formuliert eine Reihe mehr oder weniger konkreter Wünsche: Die NATO müsse aufgelöst und durch ein “defensiv ausgerichtetes Verteidigungsbündnis” (welches nominell bereits die NATO ist) ersetzt werden. Russland müsse in die europäische Sicherheitsarchitektur aufgenommen werden. Die Partei hat außerdem viel Angst vor einem Atomkrieg mit Russland, welcher unausweichlich sei, wenn Deutschland und die USA ihre Kriegstreiberei gegen das Land fortsetzen. 

Den Ukrainekrieg wertet das BSW wenig überraschend als “Stellvertreterkrieg” auf der größeren Bühne imperialistischer Großmachtpolitik. Es verurteilt “den russischen Angriff aufs Schärfste“, was deutlich klarere Rhetorik ist, als was frühere Parteipapiere boten, in denen Russland nur sanft kritisiert wurde, bevor dessen Vorgehen dann meist im Nachgang legitimiert wurde. Im jetzigen Wahlprogramm wird Russland mal als Verteidiger (siehe zweiter Absatz), mal als Partei eines Stellvertreterkriegs präsentiert; es müsse in jedem Fall aber in eine “stabile Sicherheitsarchitektur” Europas eingeschlossen sein. Der Ukrainekrieg solle schnellstmöglich auf dem Verhandlungswegbeendet werden, wofür Deutschland die Bemühungen Chinas und des globalen Südens unterstützen solle – BSW und Linke sind sich hier einig. Wie die Linke will auch das BSW die europäischen und deutschen Militärhilfen an die Ukraine einstellen.

Der Nahe Osten sei ein “Pulverfass”, ebenfalls aufgrund “großer Mächte“. Das BSW verurteilt sowohl den “Großangriff der Hamas” als auch den “rücksichtslosen Rache- und Vernichtungsfeldzug der Regierung Netanjahu gegen Frauen und Kinder” – die unterschiedliche Rhetorik zeigt recht gut, welche Seite die Partei kritischer beäugt. Im weiteren kritisiert es die deutsche Israelpolitik als zu freundlich. Damit ist das BSW die Partei, die sich am schärfsten gegen Israel äußert.

Zu China sagt das BSW wenig. Genau wie die Linke klingt lediglich durch, dass die Partei Peking als wichtigen internationalen Player sieht, mit welchem Deutschland enger zusammenarbeiten müsse und der offenbar vertrauenswürdiger als die USA und womöglich die EU sei.

Die EU will das BSW grundlegend reformieren, bleibt bei Details aber vage. Es lehnt außerdem eine weitere EU-Integration sowie Erweiterung ab.

Gedanken der whathappened-Redaktion:  Die Redaktion könnte viel Zeit damit aufbringen, die inhaltlichen Schwächen des Außenpolitik-Programms des BSW aufzuzeigen. Sei es, wenn die Partei die lose, äußerst interessendiverse BRICS-Gruppe, welche bis heute keine signifikante Errungenschaft (zweiter Text) vorzuweisen hat, zum “Bündnis” hochstilisiert; ohne Nachweis die höchst dubiose Zahl über “mindestens 1 Million Tote” aufgrund der NATO präsentiert; oder die schwache, unter bestimmten Kreisen beliebte Behauptung wiederholt, dass der Westen (vornehmlich der britische Ex-Premier Boris Johnson) Verhandlungen zur Beendigung des Ukrainekriegs im Frühjahr 2022 torpediert habe. Auch mit der grundlegenden, sehr düsteren und unterkomplexen Interpretation des BSW darüber, wie die internationale Politik funktioniert (oder zumindest in den vergangenen Jahren funktioniert hat) geht die whathappened-Redaktion nicht d’accord.

Ansonsten bietet das BSW ein Programm, welches teils den Linken ähnelt und teils der AfD. Stärker noch als die zwei Parteien lehnt sich das BSW in das Gefühl von Angst: Mal warnt es eindringlich vor einem drohenden Atomkrieg und einer deutschen Kriegserklärung an Russland, mal skizziert es das Bild deutscher Truppen, die an die “Ostfront” ziehen. 

Volt

(1,5 Minuten Lesezeit)

Die Kleinpartei Volt sieht sich als europäische Partei, entsprechend verlangt sie, die nationalen Außenministerien in den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) zu integrieren und eine europäische Armee zu bilden.

China sei Partner und Systemrivale zugleich, wie schon SPD und Grüne erklären. Volt will chinesischen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft und den globalen Süden zurückdrängen sowie kritische Infrastruktur schützen; es will Abhängigkeiten im Handel reduzieren und zugleich mit “ausgestreckter Hand” mit China bei Themen wie dem Klimawandel zusammenarbeiten. 

Im Ukrainekrieg will Volt “alle erforderlichen Waffen” an Kiew liefern und “uneingeschränkt” nutzen lassen. Sanktionen gegen Russland werden “zügig ausgeweitet und streng umgesetzt”. Anders als die meisten Parteien formuliert Volt auch Ideen für die Zeit nach dem Krieg, etwa, dass russische Vermögenswerte als Reparationen genutzt werden.

Zu den USA konnte die whathappened-Redaktion keinen dedizierten Abschnitt finden. Die Begriffe “Israel” und “Palästina” tauchen kein einziges Mal auf 164 Seiten (das zweitlängste aller Programme) auf.

Gedanken der whathappened-Redaktion: Volt ist beim Ukrainekrieg irgendwo bei den “Falken” zu verorten, also den besonders proukrainischen Parteien: GrüneFDP und Union. Bei China ähnelt es der SPD und den Grünen mit einer eher balancierten, vorsichtigen Position, zeigt jedoch reichlich Skepsis. Mit einigen radikalen Vorschlägen für eine Europäisierung der Außen- und Sicherheitspolitik zeigt Volt seinen EU-Fokus; die Pläne bleiben aber kaum ausgearbeitet (was die whathappened-Redaktion der Kleinpartei leichter verzeiht als der AfD ihre vage EU-Rückabwicklung). Dass Volt wortwörtlich kein einziges Wort zu Nahost verliert, dürfte ein Hinweis darauf sein, dass es das Thema innerparteilich lieber nur mit der Greifzange anfasst – oder sich daran schon verbrannt hat. Dass es nicht einmal relativ balancierte Floskeln a la SPD finden konnte, ist jedoch durchaus auffällig.

Fazit

In unseren bisherigen Explainern stellten sich am Ende eigentlich immer zwei oder drei Lager heraus. In der Außenpolitik ist das etwas schwieriger. Unsere Blitzzusammenfassung ganz oben bietet deswegen ein Fazit nach Thema.

Weiterlesen: 

Zur Bundestagswahl 2025:
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Arbeitsmarkt und Bürokratie
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Klima, Energie & Technologie
Migration

Zu Schulden
Die Welt in der Schuldenkrise (2022)
Der sinnlose, sinnlose Schuldenstreit in den USA (2022)
Worum es in der US-Wahl geht: Die Wirtschaft (2024)

Wirtschaftsrückblicke
Jahresreview 2021
Jahresreview 2022
Jahresreview 2023

Zu Deutschlands Wirtschaft
Das Ende der Atomenergie (2023)
Deutschland wagt die Wärmewende (2023)
Deutschlands Strukturkrise: Strom (2023)
Deutschlands Strukturkrise: Bürokratie (2023)
Deutschlands Strukturkrise: Fachkräftemangel (2023)
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Die kritische Infrastruktur in Deutschland und Europa (2022)

Zur “Polykrise” 2021/22
Die Energiekrise, in zwei Teilen (2022)
Die Welt in der Schuldenkrise (2022)
Die Welt kämpft mit der Nahrungsmittelkrise (2022)
Was ist los in der Weltwirtschaft? (2022)
Big Tech, die zweite Riege und der Crash (2022)
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Zu EU, USA und Rest der Welt
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